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Dokumentarfilm
Leben auf der Alm

Fast zehn Jahre beschäftigte sich der Regisseur Matti Bauer mit dem Leben seiner Protagonistin, der Almbäuerin Uschi. Entstanden ist dabei ein in schwarz-weiß erzähltes Porträt einer Frau, die es vorzog, die Stille zu suchen, ohne dabei einsam zu sein.

Von Josef Schnelle | 20.06.2014
    Porträtfoto des Regisseurs Matti Bauer
    Zehn Jahre begleitete der Regisseur Matti Bauer die Sennerin Uschi beim Leben auf der Alm. (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    "Ob ich einen Film über ihr Leben auf der Alm machen darf, hab ich die Uschi gefragt. Wenn ihr zeigt, was eine Sennerin alles zum Erhalt der Almwiesen und des Bergwalds tut, dann schon, hat sie geantwortet. Auf dem Hof ihrer Eltern fangen wir an. Es sind entscheidende Jahre in Uschis Leben."
    Wenn man einen Dokumentarfilm drehen will, muss man zunächst einmal Menschen kennenlernen und deren Vertrauen gewinnen. Damit steht und fällt der ganze Film. Besonders dann, wenn es sich um eine Langzeitdokumentation handelt, bei der das Filmteam in größeren Zeitabständen immer wieder dreht. Fast zehn Jahre beschäftigte sich Matti Bauer mit dem Leben seiner Protagonistin Uschi. Anfangs lässt sie den Filmemacher ziemlich nah an sich heran, beschreibt sehr engagiert den Suchtfaktor, den der Aufenthalt auf der entlegenen Alm hoch in den Bergen für sie hat.
    Doch bestimmte Details ihres Lebens bleiben auch ausgeklammert. Wer der Vater ihres ersten Kindes ist, das im ersten Winter des Films plötzlich da ist, erfahren wir nicht. Nur, dass sie das Kind jetzt als alleinerziehende Mutter als Bereicherung empfindet. Auch hat sie vereinbart, dass die Dreharbeiten, wenn sie es eines Tages wollen würde, abgebrochen werden. Sie wird so zur Mitautorin ihrer Lebensgeschichte im Film. Dokumentarfilme, das ist auch sonst der Fall, zeigen immer nur einen, vielleicht auch inszenierten Teil der Wirklichkeit. Matti Bauer thematisiert das immer wieder in seinem Film. Fasziniert ist Uschi - und mit ihr der Regisseur von der archaischen Situation des Sommers auf der Alm. Dort ist es vor allem – das erklärt auch den Titel des Films – "Still".
    "Also ich hab die Keivin, fünf Kühe und 22 Kälber. Weil normalerweise kommen nur die weiblichen Tiere auf die Alm. Nur Frauen. Weiberwirtschaft."
    Uschi melkt, buttert und macht Käse. Den Rhythmus ihres Lebens bestimmen die Tiere, das Wetter, der natürliche Beginn des Tages und das Hereinbrechen der Nacht. Die Arbeit ist schwer. Ablenkung gibt es nicht: nur die Stille und die Einsamkeit. Dabei ist Uschi eine durchaus moderne Frau. Sie ist um die halbe Welt gereist, bevor sie sich dazu entschied, auf dem elterlichen Hof zu arbeiten und im Sommer eben auf die Alm zu gehen.
    Liebevolle Erzählung
    Die meditative Zeit oben in den Bergen ist für sie ein Erkenntnisgewinn. Ihre Eltern sehen das kritisch. Schließlich wissen sie, dass sie den Hof unten im Tal nicht mehr lange bewirtschaften können. Die Nachfolge steht an. Uschi würde es machen, aber sie entspricht so gar nicht den Vorstellungen, die sich zum Beispiel ihre Mutter von einer Bäuerin macht. Einmal fragt sie der Filmemacher, ob sie in ihrem Leben etwas anders machen würde, wenn sie es noch einmal leben könnte. "Alles" antwortet die wettergegerbte alte Frau. Daher versteht sie die Liebe ihrer Tochter zur ländlichen Stille der Alm kaum.
    "Sie spinnt. Aloa als Frau kann mans eigentlich niet gut schaffe. A Bauer braucht ne Bäurin. A Bäuerin braucht a Bauer."
    Der Regisseur ist von Hause aus Völkerkundler, vielleicht hat er daher seinen Blick "von außen" auf die Situation. Liebevoll ist diese dokumentarische Filmerzählung vor allem in den Details. Wenn Uschi sich auf dem wärmenden Rücken einer liegenden Kuh ausruht oder wenn sie mit großer Zärtlichkeit den Käse formt, dann atmet der Film etwas von der Utopie des einfachen Lebens. Zum Glück konterkariert der Film die Romantik der Bilder mit einer wichtigen formalen Entscheidung.
    Der Film wird in Schwarz-Weiß gezeigt. Heutzutage muss man die Farbe in der digitalen Aufnahme einfach herausdrehen, kann also schon beim Produktionsprozess vergleichen, was besser ist, die satten Farben oder das abstraktere Schwarz-Weiß. So wirken die Bilder und Szenen der Einsamkeit auf der Alm extrem stilisiert. Und die lebensphilosophischen Erkenntnisse der Sennerin werden stärker in den Vordergrund gerückt. Was ist das zum Beispiel: allein sein?
    "I denk, dass grundsätzlich jeder für sich aloi sei könne muss. Das gilt ja nit nur für de Alm, das gilt für unten au. Also wenn man es nit schafft, dass man irgendwann mal aloi is, dann denk ich, dann kummt man mit sich selber nit zurecht.