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Dokumentarfilm über Startenor
Annäherung an den Menschen Pavarotti

Ansteckende Lebensfreude und Kassenmagnet Luciano Pavarotti - in einem neuen Dokumentarfilm über den 2007 verstorbenen Startenor nähert sich Regisseur Ron Howard vor allem dem Menschen an. Pavarottis Darstellungskunst kommt etwas zu kurz in dem Film.

Von Kirsten Liese | 30.12.2019
    Luciano Pavarotti während eines Liederabends im Opernhaus Zuerich April 1998
    Luciano Pavarotti im Jahr 1998 - Pavarotti / Photo / 1998 - (picture alliance/dpa - akg)
    Im brasilianischen Dschungel will Luciano Pavarotti ein Konzert geben. Selbstvergessen probt der Opernstar vor leeren Reihen im Teatro Amazonas in Manaus, in dem schon Enrico Caruso aufgetreten ist. Mit solchen traumverlorenen Bildern aus den 1990er-Jahren, den einzigen, die Pavarotti zeigen, wie er für sich ganz alleine singt, eröffnet der amerikanische Regisseur Ron Howard seinen Dokumentarfilm "Pavarotti".
    Die erstmals öffentlich gemachten Aufnahmen aus dem Privatarchiv eines Flötisten, der Pavarotti damals begleitete, erinnern unweigerlich an Werner Herzogs Film "Fitzcarraldo", in dem Klaus Kinski als exzentrischer Abenteurer ein Opernhaus im peruanischen Urwald errichten will. Schöner könnten sich Kino und Musiktheater nicht miteinander verbinden. Passend dazu folgt die Dokumentation "Pavarotti" der Struktur einer Oper in drei Akten.
    Film in drei Akten
    Der erste widmet sich dem Aufstieg des 1935 geborenen Bäckerssohns aus dem norditalienischen Modena zum erfolgreichen Opernsänger.
    "Mein Vater sang in der Kirche, als kleiner Junge willst du immer das tun, was dein Vater tut. Also wurde er mein Lehrer. Er hatte eine fantastische Tenorstimme, besser als meine. Damals war ich Grundschullehrer, mein Vater hatte gesagt: Du gehst in die Stadt und wirst Lehrer, denn mein Vater hatte als Tenor keine Karriere machen können. Er wusste, wie schwer das ist, auch wenn man eine schöne Stimme hat. Meine Mutter sagte, nein, wenn ich meinen Sohn singen höre, spüre ich etwas in meinem Herzen."
    Die Anfänge von Pavarottis Karriere
    1961 betrat Pavarotti erstmals die Opernwelt. Als Meister der gefürchteten hohen Cs, die er mühelos ansteuerte, gelang ihm der internationale Durchbruch.
    Der zweite Film-Akt widmet sich der Karrierephase mit den drei Tenören, im letzten stehen Pavarottis Crossover-Erfolge mit Popstars im Zentrum. Klug korrespondiert die Struktur des Films mit der ausgewählten Musik. Jede Arie unterstreicht ein großes Thema in der Biografie Pavarottis.
    Der Einfaltspinsel Nemorino aus Donizettis "Liebestrank" steht für seine Bodenständigkeit und seine Naivität, mit der er in die Theaterwelt hineinwuchs.
    In dem bettelarmen Rodolfo aus "La Bohème", seiner Paraderolle, fand der Tenorissimo in jeder Hinsicht einen Wesensverwandten.
    Wie seine Bühnenfigur Rodolfo liebte auch Pavarotti die Frauen und tat - mit dramatischen Krankheitsfällen konfrontiert - alles, was in seiner Macht stand, um Angehörigen, die ihm nahe standen, zu helfen. Das galt ganz besonders für seine zweite Frau Nicoletta Mantovani, die an Multipler Sklerose erkrankte:
    Mantovani: "Er sagte, du solltest deine Krankheit als Chance sehen, nicht als etwas Schlimmes. Und ich denke, das ist etwas, was er schon als sehr junger Mensch begriffen hat. Nach dem Krieg - er war zwölf - bekam er eine Tetanus-Infektion vom Spielen auf der Straße und wäre fast gestorben."
    Nicoletta Mantovani, selbst Filmproduzentin und Leiterin des Pavarotti Museums in Modena, hat zahlreiche Videos aus ihrer persönlichen Sammlung für die Hommage zur Verfügung stellt. Die ungewöhnliche Beziehung zwischen dem korpulenten, bärtigen Womanizer und der 34 Jahre Jüngeren, die mit einer außerehelichen Affäre begann, hat das katholische Italien damals in Aufruhr versetzt. Der Film "Pavarotti" nähert sich dieser Episode mit dezentem Ton, was ihm gut tut. Eine Meinung über den von der Klatschpresse hochgekochten Skandal kann sich jeder selbst bilden.
    Pavarotti als Kassenmagnet
    Etwas unterbelichtet bleibt der Film im Hinblick auf Pavarottis Darstellungskunst, warum er auf der Bühne so überzeugen konnte, wo doch seine schauspielerischen Fähigkeiten immer wieder kritisiert wurden. Das liegt daran, dass sich der Regisseur in erster Linie für den Kassenmagneten Pavarotti interessiert, der Oper für die Massen zugänglich machen wollte, in Fußballstadien auftrat, mit seinen Managern die Erfolgsgeschichte der "Drei Tenöre" in die Wege leitete und sich für seine Benefizkonzerte mit Popstars eine gigantische Marketingmaschine zunutze machte. Eine Haltung, an der sich anspruchsvolle Opernfreunde freilich auch reiben können.
    Mit Placido Domingo, José Carreras, Angela Gheorghiu, Carol Vaness und Vittorio Grigòlo kommen zwar auch ein paar Kollegen aus der Opernwelt zu Wort. Ausgerechnet aber Pavarottis wichtigste, noch lebende Bühnenpartnerin und langjährige Weggefährtin Mirella Freni, die wie der Tenor im selben Jahr in Modena geboren, sogar von derselben Amme versorgt wurde und in legendären Aufführungen von Puccinis "La Bohème" an seiner Seite stand, kommt im Film nicht vor.
    Überzeugender gelingt die Annäherung an den Menschen Pavarotti mit seiner ansteckenden Lebensfreude, auch wenn über seine Krisen und Selbstzweifel wenig zu erfahren ist. Wie der Sänger sie innerlich durchlebte und bewältigte, behielt er wohl für sich. Dazu passt der Satz "aber mein Geheimnis bleibt in mir verschlossen" in der Arie "Nessun dorma" aus Puccinis "Turandot". Nicht zufällig hatte Pavarotti damit seine größten Erfolge.