Samstag, 20. April 2024

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Dokumentarfilme über NS-Vernichtungslager
"Wunschvorstellung vom Allheilmittel gegen Antisemitismus"

Bei der Befreiung der NS-Vernichtungslager 1945 wurden Bilder aufgenommen, die sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Den Filmemachern ging es darum, die Zuschauer mit dem Schrecken zu konfrontieren, sagte die Medienhistorikerin Ulrike Weckel im Dlf. Das sei jedoch kein Allheilmittel gegen Antisemitismus.

Ulrike Weckel im Gespräch mit Bettina Schmieding | 27.01.2020
Überlebende jüdische Kinder stehen 1945 in Auschwitz mit einer Krankenschwester hinter Stacheldrahtzaun. Das Foto wurde von einem sowjetischen Fotografen während der Herstellung eines Films über Befreiung des Lagers gemacht. Die Kinder wurden von den Russen mit Kleidung von erwachsenen Gefangenen verkleidet.
Überlebende jüdische Kinder 1945 in Auschwitz - fotografiert von einem sowjetischen Kameramann während der Herstellung eines Films über Befreiung des Lagers (imago images / Reinhard Schultz)
Am 27. Januar 1945, befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz. Allein dort wurden weit über eine Million Menschen ermordet, die meisten waren Juden.
Als die Soldaten Auschwitz und in den Monaten danach andere Lager erreichten, boten sich ihnen unvorstellbare Szenen, die mitreisende Kameraleute dokumentierten. "Sie haben versucht das Fürchterlichste, das besonders Grauenhafte festzuhalten, um ja nicht weiterhin dazu beizutragen, dass die Verbrechen unterschätzt werden", sagte die Gießener Medienhistorikerin Ulrike Weckel im Dlf.
Blick auf die Stacheldrahtanlage des früheren Konzentrationslagers Auschwitz am frühen Morgen des 24.01.2020, im Vorfeld des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers durch die Rote Armee.
Die Befreiung Überlebender in Auschwitz 1945
Der Name Auschwitz steht für den industriellen Massenmord durch die Nationalsozialisten und den Holocaust. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die Überlebenden des NS-Vernichtungslagers.
"Die Filme sollen für alles herhalten"
Die Professorin hat über die filmische Dokumentation der Befreiung der Lager geforscht, unter anderem zum britischen Film "German Concentration Camps Factual Survey", ein "Tatsachenbericht über deutsche Konzentrationslager", der ab 1985 unter dem Titel "Memory of the Camps" öffentlich gezeigt wurde.
Bis heute gebe es die naive Vorstellung, "nach diesem Film wird alles anders" und jeder solle den Film sehen, so Weckel: "Es zeigt sich immer wieder, dass wir diese Wunschvorstellung haben, es gebe ein Allheilmittel gegen Antisemitismus. Die Filme sollen für alles herhalten und das können sie natürlich nicht. Aber sie machen viel nachdenklicher als viele nachträglich glauben wollen."
Hinter Stacheldraht stehen Menschen im Vernichtungslager Auschwitz 1945, die Aufnahme ist schwarz-weiß
Holocaust-Gedenken in den Medien
Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die wenigen Überlenden von Auschwitz. Schon bald wurden damals erste Bilder und Berichte aus dem Vernichtungslager öffentlich. Die mediale Aufarbeitung des Holocaust hat sich in 75 Jahren immer wieder verändert. Nun steht eine Zäsur bevor.
"Die Alliierten waren damals schlauer als manche Ratgeber heute"
Verpflichtende Film-Vorführungen oder verpflichtende KZ-Besuche stünden einem Gespräch, das unbedingt notwendig sei aber im Wege, um mit diesem überwältigenden Material umzugehen.
"Die Alliierten waren damals schlauer als manche Ratgeber heute und haben es bewusst nicht verpflichtend gemacht. Und zumal so ein überwältigendes Bildmaterial kann man nicht einfach auf Leute loslassen und dann denken, dann bewirkt es Wunder."
Die Erinnerungskultur wandle sich zudem zunehmend: "Erinnern tut sich von uns niemand. Es geht um Wissen und darüber nachdenken und natürlich immer wieder um gleiche Fragen: Wie konnte das geschehen? Warum in Deutschland? Wie geht man heute damit um?"