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Domrémy-la-Pucelle
Wo Jeanne d'Arc geboren ist

Das Leben der Jeanne d'Arc beginnt in einem Bauernhaus in einem kleinen Dorf an der Maas in Lothringen. Auch heute zählt der religiöse und patriotische Wallfahrtsort Domrémy-la-Pucelle nur 130 Einwohner und offenbart eine Wucht aus Denkmalen um den Mythos der französischen Nationalheiligen.

Von Franz Nussbaum | 17.11.2019
Außenansicht der Basilika Sainte-Jeanne -d'Arc in Domrémy-la-Pucelle
Basilika Sainte-Jeanne -d'Arc in Domrémy-la-Pucelle. Am Ort, an dem heute die Basilika steht, soll Jeanne d`Arc von Stimmen den Auftrag zur Rettung Frankreichs erhalten haben. (dpa / picture alliance / Rolf Haid)
Domrémy findet man nicht so leicht. Es ist ein abgeschiedenes Dörfchen. Auch heute noch so abgelegen wie zu Jeannes Zeiten vor 600 Jahren. Abgeschieden heißt auch, dieses Domrémy liegt damals an der äußersten Ostgrenze Frankreichs. Unsere Anfahrt durch die Ausläufer der Vogesen führt uns durch eine hügelige Landschaft, hier und da einige Schluchten. Ist zu Hälfte bewaldet, ansonsten Ackerland, auch größere Weideflächen mit Kühen, Sonnenblumenfelder. Besondere Hinweisschilder mit "Jeanne d'Arc - rechts abbiegen", Fehlanzeige.
Anscheinend hat jeder Franzose schon als Kind in der Schule dieses Domrémy und die Geschichte dieser Nationalheiligen auf seinem inneren Navi gespeichert. Dabei fällt mir ein, eine oder einen deutschen Nationalheiligen à la Jeanne d'Arc haben wir nicht mal. Fragezeichen? Nun machen wir das hier noch schmale Flüsschen Maas aus, wie es sich in vielen Schleifen durch die Wiesen auf den Ort zumäandert. Ob die alte Steinbrücke über die Maas am Dorfeingang schon zu "Jeanettes" Zeiten gestanden hat? Michael Kleu, mit Ihrer Hilfe habe ich das Umfeld der Jeanne d'Arc etwas aufgearbeitet.
"Wer soll dem ärmlichen Domrémy, mit einem Dutzend Bauernfamilien eine solche Brücke finanziert haben? Die hatten nicht mal eine Pfarrstelle. Der Fluss Maas war hingegen ein willkommener Grenzfluss, also eine Art Burggraben als Schutz in wirklich wirren Zeiten. Frankreich steht damals auf dem tiefsten Punkt seiner Geschichte. Stichwort 'Hundertjähriger Krieg'. Sehr vergleichbar 1940, bei der deutschen Invasion. Die genauen Grenzen zwischen dem damals ja teilweise englisch besetzten Frankreich zu Burgund oder als Grenze zum 'Elsässischen Städtebund' des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, waren nie markiert. Es gab keine Grenzsoldaten, keine offiziellen Übergänge."
Jeannes Flucht nach Toul, einer deutschen Bischofsstadt
Pointiert, die gallischen Hähne auf den Misthaufen in Domrémy wussten nicht, ob sie französisch oder deutsch zu krähen hatten? Wir lesen etwas vertiefend in Quellen, zusammengefasst: "Der Hintergrund liegt auch an der unglücklichen Reichsteilung nach Karl dem Großen. Karls vier Enkel, Lothar, Ludwig, Pippin und Karl sind Rivalen. Das Ostreich, also Deutschland, geht an Ludwig, das Westreich, das heutige Frankreich geht an Karl den Kahlen, Pippin stirbt früh. Und das Mittelreich des Kaisers Lothar, 'Lotharingen', wird nach dessen Tod, mangels Erbfolge, in immer kleinere Streifen geteilt. Es reichte anfangs mal vom Mittelmeer bis zur Nordsee. Grenzen, die irgendwann mal auf geduldigem Papier eingezeichnet waren, wurden permanent verletzt. Wie das überall bei undurchsichtigen Machtverhältnissen ist."
"Das Vieh wird geklaut, Menschen werden drangsaliert, zu Schutzgeldern erpresst", erläutert Kleu. "Die paar Häuschen von Domrémy werden mehrfach zerstört und geplündert. Ich habe ein fast naives Beispiel. Die Kinder von Domrémy kloppen sich damals mit den Jugendlichen eines Nachbarortes, der mehr deutsch oder mehr burgundisch tickt. Domrémy und die Familie d'Arc sind hingegen patriotische Franzosen."
Sie haben dazu ein Musterbeispiel, das direkt mit Jeanne zu tun hat. "Jeanne wird ungefähr mit 12 Jahren mit einem Dorfjungen aus Domrémy verlobt oder versprochen. Das ist damals so Usus. Das machen die Väter, einschließlich Mitgift und Handschlag wie beim Pferdehandel aus. Basta! Etwas später widersetzt sich Jeanne diesem Masterplan, ein familiärer Affront. Die Hintergründe sind ihre ja ganz anders orientierten Pläne. Sie will 'Stimmen' und politische Anweisungen von Heiligen vernommen haben. Sicherlich gibt es, wegen des Aufmuckens vom strengen Familienoberhaupt einen Satz Ohrfeigen. Jeanne löst sich dann immer stärker von ihrer Familie, macht sich schließlich selbständig nach Toul auf. Und nun bitte genau hinhören. Die Stadt Toul ist rund 30 Kilometer entfernt, ist damals eine deutsche Bischofsstadt. Die Französin Jeanne weiß oder glaubt jedenfalls, in ihrer Angelegenheit zur Auflösung ihrer Verlobung ist Toul, sind die Deutschen zuständig. Das Bistum Toul zählt zum Erzbistum der Kurfürsten von Trier."
Keine Rückkehr ins Elternhaus
Dass sich ein Mädchen von etwa 15, 16 Jahren in diesen maroden Zeiten mit herumlungernder Soldateska zu einem - hin und zurück - mindestens zwölfstündigen Fußweg aufmacht. Und am Ende dieses Tages immer noch eine Jungfer ist und nicht eingesackt worden ist - ist mehr als nur das Anzünden einer Kirchenkerze wert.
Kleu: "Und setzen wir gleich noch einen Gedanken hinzu. Jeanne ist ja nach damaligen Ansichten mit 16 schon ein 'spätes' Mädchen. Das heißt, die etwa gleich jungen mit 14 verheirateten Frauen windeln schon die ersten Kinder. Bei ihrer Verhandlung vor den bischöflichen Beamten in Toul soll sich Jeanne vor den studierten Erbsenzählern sehr selbstbewusst verkauft haben. Das Eheversprechen ist jedenfalls nichtig."
Und den Rang eines deutschen Bischofs von Toul, an der Mosel, können wir etwas erfassen, weil einer von ihnen damals sogar die Papstkrone in Rom aufgesetzt bekommt, protegiert von Kaiser Heinrich III.. "Jeanne kehrt nach der Verhandlung in Toul nicht mehr in ihr Elternhaus zurück und bereitet sich, salopp gesagt, auf ihren Ritt auf der Rasierklinge vor", erklärt Kleu. "Hexe, Heer-Führerin oder Heilige? Sie muss wegen ihrer Aufträge diese Heiligen Jungfrau sein. Sonst wäre sie vielleicht des Teufels, mit dem man damals immer flott zur Hand ist."
Vielzahl von Denkmalen und Skulpturen
Zurück zur Brücke über die Maas, die hier etwa 20 Meter breit ist. "Maas" hat ja in deutschen Ohren ein gewisses Ausrufezeichen. "Es ist diese Maas, die in der ersten Strophe des 'Liedes der Deutschen' von Hoffmann von Fallersleben erwähnt wird. 'Von der Maas bis an die Memel'. Und Reichspräsident Friedrich Ebert, ein Sozialdemokrat, verfügt 1922 das Lied der Deutschen mit allen Strophen zur neuen deutschen Nationalhymne."
Diese Maas, und dazu dann flussabwärts Ortsnamen wie Verdun und Sedan sind und waren also immer ein kompliziertes Terrain. Und erst wenn wir nun über diese Maas-Brücke in Domrémy sind und nach einem Parkplatz suchen, treffen wir auf die ganze Wucht aus Denkmalen und Skulpturen, rund um den Mythos Jeanne d'Arc. In der Nähe von mächtigen Buchenbäumen wird auf einem Sockel vielleicht eine Art Himmelfahrt der Jeanne angedeutet. In der Hand trägt sie in triumphaler Geste eine Fahne. Auf einem anderen Sockel wird dem "gerüsteten" Mädchen ein riesiges Schwert überreicht. Wie ein patriotischer Aufruf "Auf, zu den Waffen". Das soll aus den Zeiten von 1890 stammen.
Direkt anschließend an diese Denkmale wird in drei verschiedenen Bauten das Leben des Bauernmädchens über Siege, wenig später dem Scheiterhaufen bis zur Heiligsprechung präsentiert. Die erfolgt erst im Jahr 1920. Fast 500 Jahre kann oder will die heilige Kirche nicht über ihren Schatten springen. Ihr Trauma oder ihre Schande ist das Urteil einer katholischen Instanz in Rouen, die der 19-Jährigen das Leben verweigert. Ein nicht entschuldbares Hexenurteil mit den üblichen Verrohungen.
"Dieses Leben der Jeanne beginnt in dem alten, kleinen Bauernhaus der Familie von Arc, das Häuschen kann man besichtigen, ist aber wegen Fernsehaufnahmen gerade geschlossen. So sollten wir die kleine Dorfkapelle betreten, auch aus der Zeit Jeannes", sagt Kleu. "Sie hat Platz für rund 80 Leute. Sie besticht durch die Intensität moderner Kirchenfenster aus jüngerer Zeit. Vorab, zum Verständnis, Jeanne ist ja mit zweien ihrer Brüder und geführt von einem Burgvogt und mit einigen Bewaffneten in Richtung Chinon, nahe der Loire aufgebrochen."
Besucher sollten glaubensfest sein
Und ein Kirchenfenster zeigt eben dieses zartes Mädchen mit Pagenfrisur und Rüstung. Sie kniet vor dem Dauphin nieder, der sich also verkleidet hatte. Sie erkennt ihn. "Ein anderes Fenster zeigt Jeanne mit Fußfesseln vor dem Tribunal in Rouen. Mit dabei sind einige Schlaumeier, auch mit Bischofsmütze abgebildet."
Ein anderes Fensterbild fällt mir auf. Jeanne ist mit Stricken auf dem Scheiterhaufen gefesselt. Diese zehn Fenster sind ohne jeden Text, können in der Bildersprache auch von Analphabet "gelesen" werden. Und nur ein paar Schritte weiter sind wir in dem großen "Interpretationszentrum", wo auch ein frommes Video gezeigt wird. Und schnell ahne ich, wie sich Interpretation von Information unterscheidet. Es ist ähnlich wie auch in deutschen Wallfahrtsorten. Der Besucher muss religiös sein, muss glaubensfest sein, nichts hinterfragen. Und so ertrinkt man in einer großen Ausstellung bunter Devotionalien von knienden Jeanne d'Arcs im Gebet mit der Gottesmutter. Schnell ist man dieser vorgegebenen "Ausdeutungen", auch Exegese überdrüssig.
Und dann ist man auch fast fluchtartig wieder draußen. Und hier wollen wir kurz die Frage, was tut nun Theodor Fontane in Domrémy, beantworten? Aus Fontanes Schilderung mit der Überschrift "Kriegsgefangen" und anderen Quellen zusammengefasst: "Otto von Bismarck, der preußische Ministerpräsident riskiert 1870 einen Waffengang zwischen Frankreich und Preußen mit einer eigenwillig gekürzten 'Emser Depesche'. Theodor Fontane, damals 50 Jahre alt, nimmt als selbständiger Kriegsreporter mit teil. Veröffentlicht zwei Buchbände. Darin reflektiert er: Bestens vorbereitet rücken preußische und verbündete bayrische Truppen nach der Kriegserklärung in das Elsass und nach Lothringen vor. Die schlecht aufgestellten Franzosen werden schließlich bei Metz und dann Sedan eingeschlossen. Um ein Blutbad zu verhindern, unterschreibt Kaiser Napoleon III. einen vorläufigen Waffenstillstand."