Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Don Giovanni an Staatsoper Hamburg
Musik top, Regie flop

Obwohl Jan Bosse von Haus aus Theaterregisseur ist, bleibt bei seiner Inszenierung von Mozarts Don Giovanni das schauspielerische Agieren auf der Strecke, meint Dlf-Kritikerin Elisabeth Richter. Insgesamt fehlt der Produktion ein klarer Standpunkt. Das musikalische Ensemble hingegen ist stark besetzt.

Von Elisabeth Richter | 21.10.2019
    16.10.2019, Hamburg: Die Sänger Andrè Schuen (l-r) als Don Giovanni, Alexander Tsymbalyuk als Il Commendatore und Anna Müller als Tod spielen auf der Fotoprobe von "Don Giovanni".
    Die Inszenierung von Don Giovanni an der Hamburger Staatsoper bleibt an der Oberfläche (picture alliance/dpa / Markus Scholz)
    Nicht nur die Frauen zieht er magisch in seinen Bann. Alle definieren sich irgendwie über Don Giovanni: Donna Anna will Rache für die vermutliche Schändung und den Tod ihres Vaters, Donna Elvira fühlt sich betrogen und verlassen, Zerlina fürchtet und bewundert ihn, ihr Gatte Masetto will ihn massakrieren, der Komtur seine Tochter retten und bezahlt es mit dem Leben, Leporello schwankt zwischen Verehrung und Abscheu.
    Die sogenannte "Champagner-Arie" mit ihren wilden Turbulenzen drückt die Energie des Titelhelden exemplarisch aus. Don Giovanni, das ist Erotik pur. Der "Don Juan-Stoff" und wie Wolfgang Amadeus Mozart ihn mit seinem "Don Giovanni" umsetzte, dreht sich um den Mythos des "Verführers aller Verführer", um das "Musikalisch-Erotische". Darin sah der Philosoph Sören Kierkegaard die Essenz des Don-Juan-Stoffes. Und Regisseur Jan Bosse brachte in seiner Hamburger Inszenierung noch Sigmund Freud und dessen Antagonismus von Eros und Thanatos, des Liebes- und Todestriebes, ins Spiel.
    Tod als Alter Ego Don Giovannis
    Don Giovanni lebt das Leben ohne Rücksicht auf Verluste, sogar um den Preis des Todes. Jan Bosse stellt Mozarts erotomanem Don Giovanni den Tod als Alter Ego an die Seite: eine erfundene, immer anwesende androgyne, schlanke, weiß gekleidete Frauenfigur. Sie wippt schon zur Ouvertüre rhythmisch, kriecht auf dem Boden herum, turnt in Gerüsten oder kann als Double in vorproduzierten Videos Wände hochkrabbeln und mehr. Am Ende zieht der Tod den reulosen Wüstling Don Giovanni in die Hölle, bei Jan Bosse unter eine große Decke. Neu ist diese Idee übrigens nicht. Schon in der letzten Hamburger Don Giovanni-Inszenierung 2011 machte die Regisseurin Doris Dörrie einen japanischen Butoh-Tänzer als Frau im Skelett-Kostüm zur eigentlichen Geliebten Don Giovannis.
    Ein Mann packt einen anderen Mann am Kragen und schaut ihn bedrohlich an.
    Leporello (Kyle Ketelsen) packt Don Giovanni (Andrè Schuen) am Kragen (Brinkhoff/Mögenburg)
    Auf Stéphane Laimés Drehbühne stehen ineinander verschachtelte runde und halbrunde alte Hausfassaden und –ruinen. Don Giovannis Palast ist ebenfalls eine halbrunde Wand mit Glitzervorhängen. Die Szenen können so zwar schnell aneinander geschnitten werden. Zu fast jeder Arie dreht sich aber die Bühne, und auf die Wände werden noch – die heutzutage offensichtlich unvermeidlichen - Live-Videos sowie Aktionen von Figuren projiziert, die eigentlich gerade nicht anwesend sind. So passiert viel zu viel, was nicht zur Sache gehört und von der Musik ablenkt. Überraschenderweise bleibt bei dem Theaterregisseur Jan Bosse das schauspielerische Agieren selbst statisch und spannungslos.
    Jan Bosse erzählt die Handlung recht geradeaus, ohne doppelten Boden. Was ihn an Mozarts und da Pontes Wüstling fasziniert, in welche Schuld sich vielleicht die anderen Figuren um den "Fixstern Don Giovanni" herum verstricken und sein Spiel auch mitspielen, bleibt ein Rätsel. Es fehlt ein Standpunkt, eine Interpretation. Stattdessen setzt sich mit der Präzision eines schweizerischen Uhrwerks die Drehbühne zu jeder musikalischen Nummer erneut in Bewegung.
    Ausgezeichnetes Ensemble
    Jan Bosse vertraut der Kraft von Mozarts Musik nicht. Dabei liegen gerade hier die Stärken der Produktion. Fast alle Partien sind mit internationalen renommierten Gastsängern besetzt. Mit warmen Timbre singt und spielt André Schuen einen virilen, niemals an sich zweifelnden Don Giovanni. Noch ausdrucksstärker, kräftiger und runder in der Stimme ist der Bassbariton Kyle Ketelsen als Leporello. Anna Lucia Richters heller Sopran passt ideal für Zerlinas vermeintliche Unschuld, Julia Kleiter spielt Donna Annas Rachegefühle authentisch und verleiht ihrer Koloraturen gespikten Partie auch die nötige Dramatik, während Dovlet Nurgeldiyev die rechte Noblesse für Don Ottavios Edelmut hat.
    Adam Fischer am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters ist ein Mozart-Dirigent, der die Energie, die Dramatik und die lyrischen Schichten der Musik sowie die Dynamik sensibel austariert. Zu Recht gab es viel Applaus für die Musik und deutliche Buhs für das Regie-Team.
    So konnte leider keine der bislang während der Intendanz von George Delnon produzierten Mozart-Opern wirkliche neue Akzente setzen. Von der Regie her überzeugte nur – wenn auch nicht vollends – Stefan Herheim mit der Inszenierung von "Figaros Hochzeit". Jette Steckels "Zauberflöte" ist ein Tiefpunkt der hamburgischen Operngeschichte, und auch Herbert Fritschs bunte "Così fan tutte" bleibt wie jetzt Jan Bosses "Don Giovanni" an der Oberfläche.