Freitag, 19. April 2024

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Doping im DDR-Sport
Aufarbeitung auch nach 30 Jahren nicht abgeschlossen

Auch 30 Jahre nach der Wende kämpfen Opfer des DDR-Staatsdopings um Anerkennung und Entschädigung. Der Landessportbund Thüringen hat ein Ärztenetzwerk aufgebaut, um physische, aber auch psychische Schädigungen zu erkennen und Rückschlüsse auf mögliche Doping-Ursachen zu ziehen.

Von Henry Bernhard | 03.10.2019
Anabolikum - Oral Turinabol (Tablettenpackung der VEB Jenapharm)
Anabolikumpräparat Oral Turinabol - Symbol für das Staatsdoping in der DDR. (imago/Steinach)
"Wo wir uns vor vier Jahren trafen, da sprachen wir noch von "Schützengräben", in denen wir gefühlt saßen."
Dies sagt Babette Winter gleich zur Eröffnung eines Symposiums über Doping in der DDR und dessen Folgen bis heute. Anwesend sind sie als Thüringer Staatssekretärin für Kultur, der Landessportbund (LSB), Ärzte und Doping-Opfer der DDR.
Der Ton ist gelassener geworden in den vergangenen Jahren. Der Landessportbund schickt auch nicht seinen inzwischen pensionierten Hauptgeschäftsführer Rolf Beilschmidt, der mit seiner Doping- und Stasi-Vergangenheit 30 Jahre lang ein fragwürdiges Aushängeschild des Thüringer Sports war. Winter dazu süffisant:
"Der Landessportbund hat sich ja die letzten Monate auch personell neu aufgestellt. Und auch so Amtswechsel können ja eine Ermutigung sein, noch mal einen Schritt weiter zu gehen."
Statt Beilschmidt ist Anke Schiller-Mönch da, die beim LSB Ansprechpartnerin für Doping-Opfer ist. Mit 20 Betroffenen steht sie derzeit im Kontakt, berichtet sie, hilft beim Auffinden geeigneter Ärzte, beim Beantragen von Entschädigungen und hört vor allem erst mal zu.
"Wenn der Betroffene überhaupt mit den Beschwerden zum Arzt geht, ist es meist Zufall, dass der Arzt, wenn der Betroffene denn überhaupt berichtet, dass er Leistungssportler war und Mittel bekommen hat, da irgendeinen Zusammenhang zwischen Doping und heutigen Beschwerden sieht. Wenn er dann berichtet, dass er DDR-Leistungssportler war, dann bleibt die Information oft unbeachtet. Und manch einer muss sich als Simulant oder gar Hypochonder bezeichnen lassen; auch diese Fälle sind uns berichtet worden. Und er kann förmlich die Gedanken des Arztes lesen, die ihm da sagen: 'Was willst du eigentlich? Damals hattest du Privilegien, bist um die halbe Welt gereist, während wir hier eingesperrt waren! Jammer' jetzt nicht rum!'"
Ärztenetzwerk soll bei Doping-Aufarbeitung helfen
Ärzte zu finden, die in der Lage sind, aus Schädigungen Rückschlüsse zu ziehen auf mögliche Doping-Ursachen, ist nicht einfach. Deshalb hat der LSB Thüringen ein Ärztenetzwerk aufgebaut. Unterstützt von Sigurd Hanke, selbst früher Leistungssportler und heute Arzt.
"Was schon sehr speziell ist, weil viele Ärzte sich nicht damit beschäftigt haben, das ist mitnichten etwas, was wir im Studium oder in der Facharzt-Ausbildung lernen. Da muss man Interesse entwickeln und sich dann sekundär damit beschäftigen, damit man überhaupt das Fachwissen bekommt und Zusammenhänge herstellen kann, die - so schwierig das auch ist - es gibt."
Hanke hat das Netzwerk mit persönlichen Kontakten unter Kollegen aufgebaut. Durchaus auch aus eigener Betroffenheit.
"Es ging 1984 los mit Hodenschmerzen. Die verschiedensten muskulären Verspannungen und Schmerzen, die ich als Sportler schon hatte - das ist bis heute so geblieben. Es gab nicht mal eine Empfehlung zum Abtraining. "Kannst einfach aufhören! Das hat mich sechs Wochen später zu Rhythmusstörungen geführt, die ich bis heute habe. Ich habe ohne adäquates Trauma - wie wir Mediziner sagen - eine Achilles-Sehnen-Ruptur einfach beim Gehen erlitten; ich habe beim Stolpern auf der Treppe mir den Oberschenkel-Muskel zerrissen. Eine schwere Nierenentzündung, wo in der Anfangszeit die Dialyse über mir schwebte. Ich habe ein Thorakolumbalsyndrom, ich habe eine LWS-Blockierung, ich habe LWS-Gefügelockerung, ich habe eine ISG-Arthrose, ein femoropatellares Schmerzsyndrom. Die Liste ist noch viel länger."
Physische und psychische Spätwirkungen
Ähnlich geht es vielen ehemaligen DDR-Leistungssportlern, die als Jugendliche oder auch schon als Kinder meist ohne ihr Wissen gedopt wurden, mit Substanzen, die oft nicht einmal ausreichend getestet waren. Noch schlimmer als die physischen seien die psychischen Spätwirkungen, erzählt nach Sigurd Hanke auch Gesine Tettenborn, die als Gesine Walther in den frühen 80er Jahren als Sprinterin zur DDR-Nationalmannschaft gehörte.
"Posttraumatische Belastungsstörungen, ganz starke, mit ganz starken Depressionen und Panikattacken. Das wollte ich erst mal lange nicht wahrhaben, weil mein Selbstbild als Sportlerin mir lange Zeit auch Halt gegeben hat in meiner eigenen Identität. Und erst als ich gemerkt habe, wenn ich das jetzt persönlich aufarbeite, dass dann die Symptome tatsächlich besser wurden, habe ich die Kausalität für mich persönlich anerkannt."
Tettenborn hat sich schließlich aus den Siegerlisten streichen lassen und erhält heute eine Opferrente, da sie erwerbsunfähig ist. Die Unterstützung vom Landessportbund schätzt sie sehr. Wohl wissend, dass dessen Umgang mit dem DDR-Staatsdoping umstritten ist. Aber es habe sich vieles geändert in den letzten Jahren: Im LSB, in der Staatskanzlei, wo man sich für die Aufarbeitung engagiere, bei den Leuten überhaupt, die das einst positive Image des DDR-Sports nicht mehr retten müssten.
"Es kommt auch bei der Bevölkerung an, das Thema, weil ja auch viele betroffen sind davon. Da hat sich sehr viel Verständnis entwickelt, und es haben sich gerade in Thüringen auch Strukturen entwickelt. Viele Sportler haben ja die Opferentschädigung bekommen; die habe ich auch bekommen. Ich denke, da ist viel Verständnis gewachsen für die Situation. Das ist natürlich angenehm, weil das auch ein Plus an Menschlichkeit ist. Und das gefällt mir sehr gut."
"Doping hat nicht mit der DDR angefangen und geendet"
In Thüringen liegt auch Erfurt, die Heimat des mutmaßlichen Doping-Arztes Mark S., der im Februar verhaftet wurde. Inwieweit dessen Standort in Thüringen ein Zufall ist oder Zeichen einer Kontinuität, darüber kann auch Jutta Braun nur spekulieren. Die Sporthistorikerin hatte vor einigen Jahren die Dopinggeschichte für den Thüringer Landesssportbund aufgearbeitet.
"Generell muss man sagen, dass Doping ja nicht mit der DDR geendet hat und nicht mit der DDR angefangen hat. Insofern waren kriminelle Machenschaften auch etwas, was den bundesdeutschen Sport sehr lange ausgezeichnet hat. Und da ist es natürlich schon interessant zu fragen: Welche Mentalitäten sind durchgelaufen, welche Impulse hat es von West nach Ost gegeben? Was wir weniger genau wissen: Wieviel geheimes Doping-Wissen, wieviel geheimes Doping-Knowhow ist eben auch in den bundesdeutschen Sport hineingewachsen, hineingeflossen? Ich bin sehr zuversichtlich, dass man da in der kommenden Zeit noch einiges herausfinden wird."
Dafür müssten aber auch die Landessportbünde und Vereine aktiv werden, ohne auf Aufarbeitung von oben zu warten.