Freitag, 29. März 2024

Archiv

Doping in Brasilien
"Hormone sind das Elixier des Lebens"

Fußball in Brasilien – das ist Nationalstolz und Kulturgut. Doch wie weit geht man um Erfolge zu sichern? Die ARD-Recherche "Geheimsache Doping – Brasiliens zwölfter Mann. Tricksereien im Land des Fußballs." zeigt wie ein dubioser Arzt gefährliche Mittel verschreibt, wie Ermittlungen verschleppt werden und welcher WM-Star damit in Verbindung gebracht wird.

Von Jessica Sturmberg | 01.07.2018
    Der Arzt verschaffte Sportlern den Zugang zu Dopingmitteln.
    Der Arzt verschaffte Sportlern den Zugang zu Dopingmitteln. (imago)
    Die Versprechungen von Dr. Mohamad Barakat sind groß: "Hormone sind das Elixier des Lebens. Sie werden wegfliegen, ihr Zustand wird sich stark verbessern." Barakat – ein Arzt aus Sao Paulo. Offensichtlich keiner, dem die Gesundheit seiner Patienten wichtig ist, sondern wohl mehr das skrupellose Geschäft der Leistungssteigerung. Und bei dem prominente Kunden ein- und ausgehen.
    Die ARD-Dopingredaktion wird durch den Hinweis eines brasilianischen Top-Sportlers auf ihn aufmerksam und schickt vor wenigen Tagen einen Lockvogel zu ihm. Mit versteckter Kamera. Seine Aussagen sind daher aus juristischen Gründen nachgesprochen. "Nehmen Sie Steroide?" fragt Barakat und gibt an, mit Anabolika Erfahrung zu haben. Aber nicht nur damit, auch andere Mittel, je nachdem, was nötig sei: "Das hängt von jedem einzelnen Sportlern ab, wir finden was für Sie. Ich nehme Testosteron und Wachstumshormon seit zehn Jahren."
    Auf die Frage, welche Quellen er empfehlen könne, antwortet Barakat: "Da kann ich zwei Kontakte geben, mit denen Du reden kannst. Den hormonellen Teil erledigen wir hier." Außerdem verschreibt der Arzt dem Lockvogel mehrere Dopingsubstanzen, darunter den im Wettkampf nicht erlaubten Entzündungshemmer Cortisol, und das streng verbotene Brustkrebsmedikament Anastrozol.
    Promi-Doktor mit großer Social Media-Fangemeinde
    Von den empfohlenen Dealern kommen nur wenig später Steroide wie Nandrolon, Testosteron, Oxandolon, Turinabol – alles harte Dopingsubstanzen. Der Mediziner Mohamad Barakat entpuppt sich bei weiterem Hinschauen als Promi-Doktor in Brasilien, hat mehr als eine Million Follower im sozialen Netzwerk Instagram. Zahlreiche dort veröffentlichte Fotos zeigen Stars, Sternchen und Fußball-Persönlichkeiten in Barakats Praxis: Unter ihnen sind ehemalige brasilianische Nationalspieler wie Kaká, Rivaldo und Nilmar. Oder auch der frühere Formel 1-Profi Rubens Barrichello. Ob sie dort behandelt wurden - unbekannt.
    Aber nicht nur ehemalige Stars lassen sich mit ihm in Verbindung bringen. Auch ein ganz aktueller Spieler, der in Brasilien unter Vertrag steht – der Kapitän und Nationalheld der peruanischen Mannschaft: Paolo Guerrero. Der Ex-Bayern-München-Profi, der eigentlich wegen Dopings gesperrt ist und für die WM dennoch zugelassen wurde. In sozialen Netzwerken ist er auf Fotos aus dem Jahr 2013 in Barakats Praxis zu sehen. Der Arzt selbst hat die Bilder veröffentlicht und prahlt damit, dass der kurz zuvor verletzte Guerrero nach seiner Behandlung bald wieder – so wörtlich – "über das Spielfeld fliegen" werde. Weder Mohamad Barakat, noch Guerrero selbst, sein Management oder der peruanische Fußballverband, haben sich auf ARD-Anfrage dazu geäußert.
    Brasilianischer Journalist bekam Dopingmittel von Barakat
    Zudem wird der ARD-Dopingredaktion am Tag des Spiels Brasilien gegen Costa Rica bisher unveröffentlichtes Material zugespielt, das zeigt: Bereits 2013 gab es Erkenntnisse über den Mediziner Barakat. Damals nahm ein brasilianischer Journalist heimlich mit der Kamera auf, wie er von ihm Dopingmittel bekam: "Das ist ein Anabolikum, Stanozolol, das nehmen Sie dreimal am Tag. Frühstück, Mittag, Abend. Frühstück, Mittag, Abend."
    Der Mann, der das aufnahm, der Journalist Sergio Ruiz Luz, zeigte Barakat damit vor fünf Jahren bei der Ärztekammer von Sao Paulo an. Die ermittelt seither. Sanktioniert wurde Barakat bislang aber nicht. Ruiz Luz ist ernüchtert: "Ich gehe nicht davon aus, dass es Konsequenzen geben wird. Diese Ärzte halten zusammen. Die Richter sind selbst Ärzte, die ihre Kollegen schützen. Oft bekommt der Arzt dann einfach eine Verwarnung und die Gesellschaft erfährt nicht einmal, dass es ein Problem gibt."
    Brasilien ist das Land mit den meisten Dopingfällen im Fußball
    Auf ARD-Anfrage antwortet die Ärztekammer, dass der Fall nach wie vor nicht abgeschlossen sei. Ermittlungen, die fünf Jahre dauern – in Brasilien generell nicht ungewöhnlich. Aber es stellt sich die Frage: wie groß ist der Aufklärungswille? Der Fall erinnert an Enthüllungen über einen weiteren brasilianischen Dopingarzt, über den die ARD-Dopingredaktion bereits im vergangenen Jahr berichtete: Der Mediziner Julio Cesar Alves, der 2013 im brasilianischen Fernsehen damit prahlte, Fußballstars gedopt zu haben. "Auch aus der brasilianischen Fußball-Nationalmannschaft?" "Ja." "Wie viele?" "Zwei."
    Letztes Jahr ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Und heute? Er praktiziert noch immer. Einen Termin in seiner Praxis bekommt die ARD-Dopingredaktion problemlos. Nachfragen zu seinem Fall laufen ins Leere. Dabei sind die Dopingmittel hochgefährlich, können etwa Krebs auslösen. Die Praktiken solcher dubioser Mediziner vermitteln einen Eindruck, der auch zur aktuellsten Statistik der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA passt: Denn in keinem anderen Land der Welt gibt es derart viele Dopingfälle im Fußball wie in Brasilien. Zuletzt 17 in einem Jahr.
    Anti-Doping-Kampf verläuft schleppend
    Auch im aktuellen brasilianischen Kader ist mit Fred ein Spieler, der gerade erst eine Dopingsperre abgesessen hat. 2015 wurde er positiv auf Hydrochlorothiazid getestet. Ein Mittel, welches immer wieder auftaucht. Es lässt vermuten, dass im Anti-Doping-Kampf gerade mal an der Oberfläche gekratzt wird.
    Das findet zumindest der portugiesische Anti-Doping-Kämpfer Luis Hortá, der die Anti-Doping-Agentur in Brasilien mit aufgebaut hat: "Man kann nun sagen: 'Gut, aber er wurde ja trotzdem erwischt.' Es ist aber anders. Bei einem Diuretikum handelt es sich um eine spezifische Substanz, für die eine geringere Strafe vorgesehen ist. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass in einigen Fällen nicht etwa eine Verunreinigung vorlag, sondern dass die Sportler eine andere Substanz einnahmen, die sie mit einem Diuretikum zu maskieren versuchten."
    Hochgefährliche Substanzen, schleppende Aufklärung und milde Dopingstrafen – der Anti-Doping-Kampf in Brasilien scheint gerade wenig überzeugend.