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Doping in der Leichtathletik
Verschleiern und wegdiskutieren

Die Veröffentlichung einer WADA-Studie zum Doping-Problem in der Leichtathletik wird schon seit Längerem vom Weltverband IAAF blockiert. Nun muss sich Präsident Sebastian Coe im britischen Parlament für das Verhalten seines Verbandes rechtfertigen.

Von Jürgen Kalwa | 29.11.2015
    Der Präsident des Internationalen Leichtathletikverbandes, der Brite Sebastian Coe
    Präsident des Internationalen Leichtathletikverbandes: der Brite Sebastian Coe. (dpa/picture alliance/Keystone/Jean-Christophe Bott)
    Wenn im Unterhaus in London die Ausschüsse tagen, kann die Öffentlichkeit zumindest über das Internet live dabei sein. Zum Beispiel bei Sitzungen des Fachgremiums für Kultur, Medien und Sport, wo man ein anderes Demokratieverständnis ausstrahlt als etwa im Sportausschuss im Bundestag in Berlin. Zuletzt erleben konnte man das am 8. September, als es über mehrere Stunden nur um ein Thema ging: "Doping in der Leichtathletik". Der erste Zeuge war per Videoleitung von der anderen Seite des Globus zugeschaltet. Der Australier Dr. Michael Ashenden, studierter Sportphysiologe und anerkannter Spezialist in Sachen EPO und Blutdoping.
    Der Ton der Übertragung war nicht besonders gut. Aber das war nicht tragisch. Denn die Antworten - eine wissenschaftlich fundierte Einschätzung der Verschleierung von Blutdoping in der Leichtathletik - wurde Wort für Wort protokolliert. Man kann sie auf der Webseite des Parlaments nachlesen.
    Politik in der Zwickmühle
    Das Thema beschäftigt die britischen Politiker noch immer. Denn sie fühlen sich in der Zwickmühle. Das Parlament finanziert mit Steuermitteln nicht nur Großveranstaltungen - wie 2017, wenn die nächste Leichtathletik-WM in London ausgerichtet wird - und fördert nicht nur individuelle Athleten. Was kaum jemand weiß – Geld von Steuerzahlern geht auch an britische Funktionäre, wenn sie sich um hohe Ämter im internationalen Sport bewerben. Aus diesem Topf bekam zum Beispiel Sebastian Coe für seinen Wahlkampf um den Posten des Präsidenten der IAAF rund 90.000 Euro.
    Nun soll er sich dafür und so vieles anderes rechtfertigen - am kommenden Mittwoch in der nächsten Sitzung des Ausschusses. Diesmal steht mehr als nur Blutdoping im Raum. Da sind die schweren Korruptionvorwürfe der französischen Behörden gegen Coes Amtsvorgänger und die Enthüllungen über das staatlich sanktionierte Doping in Russland.
    Eigentlich ist auch Coe selbst ein Thema - als typischer Funktionär tief verstrickt in ein System aus Gegen und Nehmen. Aber der ahnte, dass klug sein würde, vorneweg ein wenig Ballast abzuwerfen. So gab er in der letzten Woche seinen umstrittenen Vertrag mit dem Sportausrüster Nike auf. Dotiert mit rund 100.000 Dollar im Jahr und ein Interessenkonflikt par excellence.
    "Das ist Lärm, der nur ablenkt," sagte er dem Guardian: "Wir sind hier völlig und entschlossen dabei, den Kurs des Schiffs zu korrigieren. 18 Stunden am Tag."
    Die Metapher mit dem Schiff wirkt allerdings schief. Um nicht zu sagen windschief. Tatsächlich leckt der Pott und droht zu sinken. Denn bald drohen neue Hiobsbotschaften. So ließ Dick Pound vor wenigen Tagen durchblicken, dass der zweite Teil des für die WADA Doping-Untersuchungsberichts die Öffentlichkeit mehr schocken wird als die Erkenntnisse über Russland. "Die Leute werden sagen: Wie auf der Welt konnte es dazu kommen?"
    Warten auf die Doping-Studie
    Ein Beispiel für das Verhalten in der Leichtathletik ist eine Doping-Studie, die im September im Ausschuss ausführlich behandelt wurde. Sie wurde vom Tübinger Professor Rolf Ulrich und einer Reihe profilierter Mitstreiter erarbeit. Ihre Veröffentlichung wird von der IAAF seit langem blockiert. Was übrigens sehr viel mit dem Verhalten der Welt-Anti-Dopingagentur zu tun hat - Auftraggeber und Financier der Studie. David Howman, der Generaldirektor der WADA, war im September im Londoner Ausschuss aus Montreal zugeschaltet und tat so, als seien ihm die Hände gebunden.
    "Ich kann nicht verlangen, dass der Vertrag gebrochen wird", sagte er. Dass man sich um derartige Sensibilitäten nicht scheren sollte, wenn einem an der Wahrheitsfindung liegt, zeigte der Ausschuss noch am selben Tag. Er stellte das 14 Seiten lange Kerndokument der Studie einfach ins Netz. Da steht nun klipp und klar, was die anonymen Erhebungen unter Leichtathleten bei der WM 2011 in Südkorea und der Panarabischen Spiele im selben Jahr in Doha ergeben hatten: Bis zu 45 Prozent der befragten Sportler hatten zugegeben, dass sie sich in den zwölf Monaten zuvor gedopt hatten.
    George Arbuthnott von der Londoner Sunday Times, der im August über die Existenz dieser Studie berichtet hatte, ist froh, dass es den Ausschuss gibt. Und dass seine Mitglieder nachhaken und profunde Fragen stellen. Wie schon im September. Denn investigative Journalisten stoßen bei der Aufklärung immer wieder an Grenzen.
    "Für Menschen wie uns, deren Fragen von den Presseleuten einfach nicht beantwortet werden, war das schon sehr von Vorteil. Wir freuen uns darauf, dass Lord Coe am Mittwoch ähnliche Fragen gestellt bekommt."