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Dopingskandal im Leichtathletik-Weltverband
Der "zynische Idealist"

Viele Beobachter sagen: Eigentlich müsste der gesamte Leichtathletik-Weltverband gesperrt werden. Doch der kanadische Chefermittler Richard Pound will, dass ausgerechnet der umstrittene Präsident Sebastian Coe die IAAF aus dem Dopingsumpf ziehen soll.

Von Jürgen Kalwa | 17.01.2016
    Richard Pound.
    Richard Pound. (dpa / picture alliance / Sven Hoppe)
    Das Finale über 100 Meter Freistil bei den Olympischen Spielen von Rom hat in der Geschichte des Schwimmsports einen besonderen Stellenwert. Denn das tote Rennen 1960 zwischen dem Australier John Devitt und dem Amerikaner Lance Larson produzierte eine Kontroverse bei der Vergabe von Silber und Gold. Damals standen noch Zeitmesser am Beckenrand mit Stoppuhren in der Hand. Kurz darauf die Lösung, technisch solide und pragmatisch: sogenannte Anschlagplatten.
    Der Mann auf Bahn eins wurde damals übrigens nur Sechster. In die Sportgeschichte ging er trotzdem ein. Allerdings später. Und als Schwimmer in einem etwas dunkleren Strom. Richard Pound, genannt Dick, wurde erst Buchhalter, dann Rechtsanwalt und Experte in Steuerfragen und schließlich einflussreicher Sportfunktionär: IOC-Vize, Gründungschef der internationalen Anti-Doping-Agentur, kurz WADA.
    Ein "Mensch ohne Furcht"
    Ein Typ, den der amerikanische Journalist Phil Hersh, der bei den letzten 17 Olympischen Spielen dabei war, so beschreibt: "Ein Mensch ohne Furcht, seine Meinung zu sagen. Egal zu was. Und das meistens auch noch mit Humor. In Sachen Doping hat er Leuten wie Lance Armstrong nichts durchgehen lassen. Ihm konnte man nichts vormachen."
    Was dabei oft unterging, war, dass sich Pound selbst sehr viel differenzierter sah. Denn der Kanadier war vor allem dies: ein absoluter Insider und Macher. Kein Kein Mann von der Basis. Sich selbst charakterisierte er mal als "zynischen Idealisten". Seine Philosophie? Wer will, der kann. Und lernt ständig dazu, wenn es darum geht, den organisierten Sport zu reformieren.
    "Wir haben das vor 15 Jahren beim IOC getan", sagte er am Donnerstag in Unterschleißheim, als er den Untersuchungsbericht der von ihm geleiteten Untersuchungskommission vorstellte. "Wir haben die Verantwortung für die Fehler akzeptiert und dass wir die Probleme lösen müssen. Das ist uns gelungen. Wenn die Leichtathletik den Willen hat, den richtigen Weg zu finden, kann sie das auch."
    Er hat sogar eine Idee, wer das alles machen sollte: "Ich kann mir niemand besseren vorstellen als Lord Coe, dabei vorneweg zu marschieren. Wir drücken ihm die Daumen dabei." Phil Hersh war nicht der einzige, der seinen Ohren nicht trauen wollte. Zumal Coe bei der Pressekonferenz seltsamerweise unter den Journalisten saß. Was für ein Spiel war das?
    "Das war absurdes Theater. Wie bei Bertolt Brecht oder Samuel Beckett. Kaum zu glauben, dass der Bericht der Kommission einerseits beharrlich darauf hinweist, dass die Menschen an der Spitze der IAAF nicht behaupten können, sie hätten nicht gewusst, was los war. Und andererseits verteidigt Pound immer wieder Sebastian Coe und dessen Fähigkeit, den Verband aus diesem Sumpf herauszubringen. Ich finde das bestürzend. Die hohen Chargen des Sports sorgen offensichtlich für einander."
    Umstrittener Personalvorschlag
    Nicht nur der Personalvorschlag sorgt für Konsternation. Aus den USA gab es noch am Donnerstag ein sportjuristisch fundiertes Echo. "Keine Organisationseinheit kann auch nur ansatzweise als doping-code-konform eingestuft werden, wenn die Spitzenfunktionäre Sportler erpresst und Dopingverstöße verschleiert haben", sagte Travis Tygart, Chef der amerikanischen Anti-Dopingagentur. Die ganze IAAF gehört demnach gesperrt. Was Pound, dem ehemaligen WADA-Chef vermutlich auch aufgefallen war. Und so geriet der Jurist am Donnerstag zu diesem Komplex auch ins Schwimmen. Einerseits, so sagte er, habe man diese Frage gar nicht angepackt:
    "We didn't determine, if it was code compliant or not. We focused more on the Russian side of things."
    Trotzdem hatte er eine Einschätzung der Faktenlage: Eine massive Strafe sei nicht gerechtfertigt: "Ich habe den Wortlaut des Codes nicht im Gedächtnis. Man hat versagt. Und das ist nicht gut. Aber sollte man deshalb verlangen, dass eine ganze Sportart dafür büßen soll? Das hat sich uns nicht aufgedrängt."
    Pound, Advokat für Augenmaß statt für präzises juristisches Denken? Womöglich. Was zu ihm passen würde: der scheinbar unerbittliche Kämpfer für sauberen Sport, der schon als Vize-Präsident des IOC nichts auf den umstrittenen Juan Antonio Samaranch kommen ließ. Und der dem Radsportweltverband auf dem Höhepunkt der Dopingkrise zubilligte, dass dessen damaliger Präsident Pat Quaid es schaffen könne, die Organisation auf den Pfad der Tugend zu führen. So klingen keine Verfechter von idealistischen Prinzipien.
    Ungeklärt? Die Motive im aktuellen Fall. Das eigenen Fortkommen kann es nicht sein. Den Weg an die IOC-Spitze verbaute sich der 73-jährige mit seiner Aufräumaktion in Sachen Salt Lake City. Bei der Wahl 2001 verlor er nicht nur gegen den Belgier Jacques Rogge, sondern bekam noch weniger Stimmen als der vom Skandal bekleckerten Südkoreaner Kim Un Yong.
    So bleiben derzeit wohl nur zwei Mutmaßungen. Entweder protegiert Pound Coe ganz gezielt, damit ihm mittelfristig im IOC eine wichtige Rolle zufällt. Oder aber der zynische Teil von Pound wartet darauf, seinen stärksten Trumpf auszuspielen. Denn offensichtlich traut sich Coe den Job des Saubermanns zu. So steigt mit jedem Tag die Fallhöhe. Aber noch einmal wird Dick Pound seinen Kopf nicht retten können. Der Kanadier hat schon jetzt mit seinem Blanko-Scheck viel Kredit verspielt.