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Doppelt blind
"Nature" anonymisiert sein Begutachtungsverfahren

Das Wissenschaftsmagazin "Nature" reagiert auf Kritik und verändert sein Gutachterverfahren für Fachartikel. Um mehr Chancengleichheit herzustellen, soll das Peer Review künftig doppelt blind erfolgen: Nicht nur die Gutachter, auch die Autoren können beim Begutachtungsprozess anonym bleiben.

Von Anneke Meyer | 17.03.2015
    Vordruck für eine anonyme Bewerbung ohne Foto, Name und Alter
    Gutachter und Autoren sollen beim "Nature"-Peer-Review künftig anonym bleiben können (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
    "Was wir jetzt ändern, ist, dass wir den Autoren bei der Einreichung die Option geben am Doppelblind-Verfahren teilzunehmen."
    Damit meint Heike Langenberg, Chefredakteurin bei "Nature Geoscience", nicht, dass Gutachter in Zukunft beide Augen zudrücken dürfen. Doppelblind bedeutet viel mehr, dass nicht wie bisher nur die Gutachter, sondern auch die Autoren eines Fachartikels für den Begutachtungsprozess anonym bleiben. So soll verhindert werden, dass unterschwellige Vorurteile der Gutachter beeinflussen, wie sie eine Arbeit bewerten - und damit, was publiziert wird und was nicht.
    "Die meisten Leute werden annehmen, dass eine Studie, die an einem renommierten Institut durchgeführt wurde, bedeutendere Ergebnisse liefert als eine, von einem unbekannten Institut. Solche Vorabannahmen kann es auch für das Geschlecht, die Rasse oder andere Nebensächlichkeiten geben, die nicht unbedingt mit der Qualität der Forschung zu tun haben, die wir beurteilen sollen."
    Anonymität verhindert Vetternwirtschaft
    Eugene Day, Wissenschaftler am Children's Hospital of Philadelphia, hat untersucht, wie groß der Einfluss solcher Vorurteile auf die Vergabe von Forschungsstipendien ist. In einer Computersimulation ließ er 2000 Arbeiten von jeweils drei virtuellen Gutachtern beurteilen. Dabei war die Hälfte der simulierten Arbeiten so gewählt, dass ihre erfundenen Autoren eher bevorzugt wurden - etwa weil sie an einem bekannten Institut forschen.
    "In der Simulation bewerten die Gutachter auf einer Skala von eins bis neun. Vergibt ein einzelner Gutachter auch nur einen dreiviertel Punkt aufgrund eines Vorurteils, reicht das, um die Vergabe der Stipendien grundlegend zugunsten der bevorzugten Autoren zu drehen. Das bedeutet im Grunde, dass privilegierte Wissenschaftler - was auch immer ihr Privileg sein mag - erfolgreicher sind, selbst wenn ihre Arbeit schlechter ist."
    Dass ein bisschen Befangenheit so eine Durchschlagskraft hat, liegt auch daran, dass nur ein Bruchteil aller Förderanträge bewilligt werden. "Nature" bekommt etwa zehnmal mehr Artikel eingereicht als publiziert werden können. Ein Punkt auf der Bewertungsskala mehr oder weniger kann da entscheidend sein. Dementsprechend groß war die Zustimmung für den Vorstoß des britischen Fachmagazins, das Doppelblind-Verfahren einzuführen, so Heike Langenberg:
    "Wir haben immer wieder von Leuten gehört, dass sie das Doppelblind-Verfahren bevorzugen würden und wir haben in Leserumfragen konsistent eine große Unterstützung für die Idee. Es gibt natürlich auch immer skeptische Töne. Und zwar ist der Haupteinwand, dass die Gutachter ohnehin in der Lage sind zu raten, wer die Autoren sind."
    Das gilt insbesondere bei sehr spezialisierten Forschungsfeldern, wo jeder jeden kennt. Absolute Chancengleichheit kann das doppelblinde Gutachten deshalb nicht garantieren. Ein gutes Hilfsmittel könnte es aber schon sein sagt Eugene Day. Darüber wie es bei "Nature" zum Einsatz kommen soll, ist er allerdings skeptisch.
    "Bevor eine Arbeit begutachtet wird, muss sie dafür von einem Editor ausgewählt werden. Und auch die Editoren können durch Vorurteile beeinflusst werden. Darüber hinaus ist 'Natures' Doppelblind-Verfahren nur optional. Jemand der weiß, dass seine Identität ihm hilft, wird sie nicht verschleiern. Dadurch könnten diejenigen abgestempelt werden, die sich für das doppelblinde Gutachten entschieden haben. Der Sinn der Sache würde untergraben."
    Lobenswerter Ansatz geht Forschern aber nicht weit genug
    Eine Kritik, mit der der Forscher nicht alleine steht. Zahlreiche seiner Kollegen kommentieren "Natures" Vorstoß im Internet als lobenswert, aber nicht konsequent genug. Was die Forderung nach obligatorischen Doppelblind-Gutachten angeht, sieht Heike Langenberg von "Nature" allerdings die Autoren selber in der Bringschuld.
    "Wir würden das nur dann verpflichtend einführen, wenn es eine große Unterstützung dafür gibt. Und das sehe ich im Moment noch nicht. Ein großer überwiegender Teil ist im Prinzip dafür, aber es wählt nur ein kleiner Teil unserer Autoren dann tatsächlich das Doppelblind-Verfahren, wenn es um ihre eigenen Manuskripte geht."
    "Nature" ist nicht das erste Journal, das mit Doppelblind-Gutachten experimentiert. Aber das erste in dieser Auflage und mit diesem großen Renommee. Deshalb hat "Natures" Vorstoß jenseits aller offenen Fragen Signalwirkung. Subjektivität und Vorurteile bei wissenschaftlichen Begutachtungen sind kein Tabuthema mehr und Maßnahmen dagegen werden salonfähig.