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Doppelte Krönungsmesse

Franz Müntefering, der Workaholic, der sich bis zur völligen körperlichen Erschöpfung für seine Sozis aufopfert. Und Frank-Walter Steinmeier, der sechs lange Jahre als Kanzleramtschef Gerhard Schröders rechte Hand war: Das ist das neue Führungsduo der SPD.

Von Frank Capellan und Peter Kapern | 18.10.2008
    Nicht einmal zwei Wochen ist es her, dass Christian Altmaier den überraschenden Anruf bekam. Er solle als Ersatzdelegierter zum SPD-Bundesparteitag nach Berlin fahren - so die Botschaft. Damit hatte der dreißigjährige Kommunalpolitiker aus Koblenz nicht gerechnet, doch kurz vor dem Parteitag hatten etliche der ursprünglich in Rheinland-Pfalz gewählten Delegierten abgesagt. Angeblich, weil sie im Urlaub seien. Christian Altmaier, der Bankkaufmann aus Koblenz, verhehlt nicht, dass er andere Gründe hinter der Absagewelle vermutet. Viele alte Hasen aus seinem Landesverband Rheinland-Pfalz wollten wohl einfach nicht dabei sein, wenn das Kapitel Kurt Beck, der selbst im Urlaub und deshalb nicht beim Parteitag war, von der Bundespartei endgültig abgeschlossen wird. Und so bekam der Jungpolitiker aus Koblenz das Ticket für Berlin.

    Als er kurz vor Beginn der Debatten im Neuköllner Kongreßsaal eintraf, hoffte er, dass die anderen Delegierten aus Rheinland-Pfalz keine Rachegelüste mehr verspüren, wenn am Nachmittag Franz Müntefering, ausgerechnet Franz Müntefering, der am Sturz Becks kräftig mitgewirkt hat, zum neuen Parteichef gewählt wird. Alte Rechnungen zu begleichen, dafür sei heute nicht der Tag, sagt Altmaier. Trotz des rüden Umgangs mit seinem Ministerpräsidenten Kurt Beck:

    "Das erlebt man auf allen Ebenen der SPD, im Ortsverein, im Unterbezirk, aber das erlebt man auch bei Taubenzüchtervereinen oder Kleingärtnern. Da gibt es halt immer mal wieder Gerangel, das war sicherlich nicht fein, und da ist kalte Rache oder eine offene Rechnung oder all diese Dinge fehl am Platz, meiner Meinung nach."

    Ganz am Rand des Saals waren die Delegierten aus Rheinland-Pfalz platziert. Deshalb konnte Christian Altmaier Franz Müntefering nur im Profil sehen, als der in Hemdsärmeln ans Mikrophon trat. Müntefering kann nicht nur kurze Sätze, wie er von sich selbst sagt, er kann auch kurze Reden. Gerade einmal 45 Minuten lang beanspruchte er den Platz am Mikrophon. Und fand dabei auch Worte für seinen abwesenden Vorgänger. Nüchterne Worte, ohne jede Sentimentalität:

    "Bei den praktischen Schritten in der Politik sind wir in den letzten ein- zwei Jahren manchmal quer zueinander geraten. Vielleicht wurde auch deutlich, dass es außer im Sauerland auch in Rheinland-Pfalz Sturköpfe gibt, oder umgekehrt. Heuchelei ist da meine Sache nicht, aber Kurt Beck wird ein bedeutender Sozialdemokrat, ein verdienstvoller ehemaliger Vorsitzender, ein wichtiger Ministerpräsident bleiben. Wir sind beide zu offener und fairer Zusammenarbeit bereit, ich bin sicher, das gilt auf Gemeinsamkeit und im Interesse der Partei und des Landes, liebe Genossen."

    Genau da, im Dienste des Landes, sieht Müntefering auch seine Partei. Einen verbalen Streifzug durch die Parteigeschichte nutzte er, um den Delegierten eine einfache Botschaft mitzuteilen: Immer dann, wenn Sozialdemokraten regiert haben, sei es Deutschland besser gegangen, seien die Dinge vorangebracht worden. Damit aber die Partei die Chance bekomme, zu regieren, müsse sie zum einen geschlossen auftreten, zum anderen aber auch nach der Macht streben:

    "Die Gedanken sind frei, das hat den Sozialdemokraten nie genügt, dass man sie nicht erraten kann, weil sie frei sind, sondern wir wollten entscheiden können, wir wollten gestalten können und deshalb ist das Pflicht, Sozialdemokraten, nicht hier nur zu feiern, sondern wenn man rausgeht, wissen, Ärmel hoch gekrempelt: wir wollen die Bundestagswahl gewinnen. Das ist die Entscheidung, nicht heute, liebe Genossen, nicht heute, die Bundestagswahl müssen wir gewinnen."

    Gestern Abend, bei einer Party für die Delegierten und Journalisten, da war ein gutgelaunter Franz Müntefering zu erleben. 16, 17 Jahre lang wolle er nun Parteivorsitzender bleiben, hat er da geflachst. Und seiner Stellvertreterin Andrea Nahles, die in seiner Nähe stand, zugerufen: "Andrea, du lachst ja gar nicht!". Das ist Münteferings Art, mit seinem Alter umzugehen. Immerhin ist er 68 und steht wohl kaum für einen Generationenwechsel an der Parteispitze.

    Franz Müntefering bezeichnet sich selbst gerne als Spätzünder. Der 68-Jährige, auf den die Partei offenbar nicht mehr verzichten kann, hat erst nach vielen Jahren politischen Alltags in Orts- und Bezirksverbänden seinen Weg an die Spitze der SPD gemacht.

    "Ich war 51 als Sie das erste Mal registriert haben, dass es mich gibt, in der Politik. Vorher war ich Wohnungs- und Städtebau politischer Sprecher, das haben drei oder vier gewusst, Spezialisten, aber dann wurde ich parlamentarischer Geschäftsführer bei Hans-Jochen Vogel und dann ging das sehr schnell."

    Franz Müntefering, ein Workerholig, der sich bis zur völligen körperlichen Erschöpfung für seine Sozis aufopfert. Einer, der bis tief in die Nacht hinein Strippen zieht, der mit dem obligatorischen Zigarillo zwischen den Lippen mit Vertrauten diskutiert und dann die Linie vorgibt.

    "Dass an der Stelle alle miteinander lernen müssen ... "

    " ... an der Stelle", eine Lieblingsformulierung des Franz Müntefering, der seine SPD an so vielen Stellen geprägt hat und der seine Genossen mit knappen Sätzen immer wieder zu motivieren wusste.

    "Die Fraktion ist gut, die Partei auch, Glück auf."

    Geboren im katholisch geprägten Sauerland, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen. Nach der Volksschule beginnt er eine kaufmännische Lehre, arbeitet lange in einem kleinen Unternehmen in der Metall-Industrie. Mit 26 tritt er in die SPD ein, wenig später in die IG Metall, mit 35 wird Müntefering in den Bundestag gewählt, und führt als Wohnungsbau politischer Sprecher eher ein Schattendasein.

    "Es gibt Spätzünder und Frühzünder und das hat auch seine Vorteile."

    In der Bundespartei mischt er in der Tat erst spät mit. Zwar hat er als Vorsitzender des mächtigen SPD-Bezirks Westliches Westfalen großen Einfluss, als Arbeits- und Sozialminister in Düsseldorf kann er auch erste Regierungserfahrung sammeln, als Bundespolitiker tritt er allerdings erst mit dem Wechsel zu Gerhard Schröder ins Rampenlicht. Innovation und soziale Gerechtigkeit macht er 1998 zum Wahlkampfthema.

    "Gesellschaft wird entsolidarisiert und damit Sozialstaat geschleift, Kohl ist das Gegenteil von Fortschritt und deshalb ist er hinderlich für die Zukunft unseres Landes."

    Als Bauminister managt Müntefering den Regierungsumzug. Doch dann braucht ihn Gerhard Schröder, um nach einer Serie von Niederlagen bei den Landtagswahlen wieder Ruhe in die Partei zu bringen. Was Schröder nicht kann, muss Münte nun richten. Er erhält das neu geschaffene Amt eines Generalsekretärs und soll die Seele der Partei streicheln, die Genossen mitnehmen auf einen mühsamen Weg der Reformen. Schon damals sehen viele in ihm den Heilsbringer in Krisenzeiten.

    "Er hat diesen Stallgeruch, den die Partei liebt ...
    Herr Müntefering hat zu mindestens das Herz auf der richtigen Seite sitzen ... "

    2002 wird er Fraktionschef, er muss Schröder den Rücken frei halten, Mehrheiten für dessen Reformen organisieren, Abweichler ruft er schroff zur Ordnung.

    "Zu einer parlamentarischen Demokratie gehört, dass da nicht lauter freie Unternehmer im Deutschen Bundestag sitzen, sondern dass man die Bundesregierung dann auch gemeinsam tragen muss."

    Mit seinem autoritären Stil eckt er schon damals an. Das geht weiter, als er 2004 erstmals Parteivorsitzender wird. Heute räumt Müntefering ein, dass es für ihn damals zum Problem wurde, Schröder die Parteiführung abzunehmen.

    "Weil ich natürlich wusste, wenn ich das mache, fall ich als Bollwerk für Gerd Schröder ein Stück weit aus und die Erwartung der Partei an mich wird sein, ein Stück weit das zu korrigieren, was Gerd Schröder und ich miteinander organisiert hatten."

    Müntefering, der Hüter der Agenda 2010. Dieses Image wird dann auch in der großen Koalition zu seinem großen Problem. Noch während der Verhandlungen mit der Union schmeißt er den Vorsitz im Oktober 2005 wieder, weil er seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel nicht als Generalsekretär durchsetzen kann. Andrea Nahles zeigt ihm damals die Stirn, jetzt wird sie zu seiner Stellvertreterin.

    "Ich kann sagen, dass wir uns vertragen haben, das bedeutet nicht, dass wir sehr intensiv in den letzten zwei Jahren zusammen gearbeitet haben, das wird sich jetzt wieder ändern."

    In wieweit die Wunden wirklich verheilt sind, das muss sich erst zeigen. Die Partei-Linke hat nicht vergessen, wie sehr Müntefering noch als Vizekanzler gegen SPD-Chef Kurt Beck opponierte. Lange wehrt er sich im vergangenen Jahr als Arbeitsminister gegen die Verlängerung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld. Auch sein starres Festhalten an der Rente mit 67 wird ihm angelastet. Schließlich steht der Vorwurf im Raum, er habe den Sturz Kurt Becks mit seinen Truppen in die Wege geleitet.

    Vielleicht war dies der Grund, warum Müntefering die Delegierten ohne Überschwang dafür aber mit einer Prise Ironie aufforderte, ihn an die Spitze der Partei zu wählen.

    "Ich bitte Euch um Euer Vertrauen, meines habt Ihr."

    Mit dem Ergebnis, das er erzielte, kann der Sauerländer wohl zufrieden sein. Auch wenn es deutlich unter den 95 Prozent lag, die Kurt Beck vor zwei Jahren am selben Ort erzielt hatte. 85 Prozent der Delegierten stimmten heute für Müntefering.

    Deutlich besser allerdings fiel das Ergebnis für Frank-Walter Steinmeier aus, der zuvor von den Delegierten zum Kanzlerkandidaten gewählt worden war. Gut 95 Prozent der Delegierten wollen mit ihm in den Kampf um das Bundeskanzleramt ziehen. Eineinhalb Stunden lang hatte der Außenminister geredet und dabei ganz weit ausgeholt. Die Finanzmarktkrise und die Bildungspolitik, die Energiepolitik und die Außenpolitik, der Arbeitsmarkt und der Mindestlohn. Alles fand in seiner Ansprache seinen Platz. Ähnlich ausladende, wenig fokussierte, rhetorische Spaziergänge hatte die Partei Kurt Beck immer übel genommen. Am Ende der 90-minütigen Rede dann der Satz, auf den die Delegierten gewartet hatten:

    "Ich habe mich geprüft und ich habe mich leichtfertig entschieden. Aber ich sage, wenn Ihr Vertrauen habt, dann bin ich bereit, Genossen und Genossinnen."

    Der Außenminister hatte zuvor versucht, seiner Partei, die unverändert die Tiefen der Umfragetäler auslotet, Mut zu machen. Die Zeiten des Flügelstreits sollen beendet sein, die Partei wieder geschlossen agieren. Das sei, so Steinmeier, seit einiger Zeit, soll heißen: seit dem Sturz Kurt Becks beim Treffen am Schwielowsee, der Fall. Und diese Botschaft sei bei der politischen Konkurrenz bereits angekommen:

    "Willy Brandt hat mal gesagt, Sozialdemokratie ohne Hoffnung, das ist wie eine Kirche ohne Glauben und ich sage heute, Hoffnung und Zuversicht, die sind wieder zurück. Dieser Tag, das wird ein Tag des Aufbruchs, wir haben Streit begraben, Gräben zugeschüttet und uns untergehakt, wir glauben wieder an uns, das macht uns stark und - liebe Genossinnen und Genossen - die anderen, die merken das."

    Die anderen, das sind für die SPD im Moment nicht mehr so sehr die Konkurrenten von der Linken, auf die die Sozialdemokraten geradezu fixiert zu sein schienen, seit die Partei von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi von Erfolg zu Erfolg eilte. Fast en passant versicherte er, dass für ihn eine Zusammenarbeit mit der Linken auf Bundesebene ausgeschlossen sei. Die anderen, von denen er sprach, das sind in diesen Wochen vor allem die Union und die FDP, mit denen die SPD in den Zeiten der Finanzmarktkrise um Grundsatzfragen streiten will. Er warb um die Wähler der Mitte und suchte inhaltlich in aller Deutlichkeit den Anschluss an die Politik Gerhard Schröders. Den lobte er für seine Reformen, an denen Steinmeier ja nicht unbeteiligt war. Sie hätten dafür gesorgt, dass Deutschland in den Zeiten der Turbulenzen auf den Finanzmärkten deutlich besser dastehe als viele andere Länder. Ein Lob auf Hartz IV, dieses Reformpaket, das die SPD noch vor kurzem vor eine Zerreißprobe gestellt hatte. Kein Wort davon, dass er diese Reformen zurückschrauben wolle. Aber Steinmeier erklärte wie alle anderen Redner die Ära des Neoliberalismus für beendet. Das Verhältnis von Markt und Politik, von Staat und Wirtschaft müsse jetzt wieder neu justiert werden. Bei der Beantwortung der Frage, wie dies aussehen soll, da sei die SPD eben Marktführer:

    "Den anderen sind doch gerade die Wahrheiten abhanden gekommen, das ist die große Chance für uns und da müssen wir uns jetzt einmischen Genossinnen und Genossen."

    Diese Einmischung, das ist von nun an Steinmeiers Hauptaufgabe. Die wird er nicht allein im Stile eines Außenministers, mit diplomatischer Zurückhaltung bewältigen können. Von jetzt an wird er Klartext reden müssen. Und da könnten seine Schwächen offenbar werden.

    Der Außenminister ist vielen noch viel zu dröge, viel zu sehr Diplomat. Ein Mann, der sich in komplizierten Schachtelsätzen verhäddert, der gern die doppelte Verneinung und ein bürokratisches Deutsch wählt. Dann sagte er Sätze wie "ich weiß nicht, ob das mit der Kanzlerin konsentiert war". Als der Parteivorstand ihn am Tag nach dem Schwielowsee-Debakel einstimmig zum Kanzlerkandidaten nominiert, da fühlen sich viele an Angela Merkel erinnert, so wie ihr fällt es auch Steinmeier schwer, Begeisterung zum Ausdruck zu bringen.

    "Ich freue mich darüber, dass meine Kandidatur für die nächsten Bundestagswahlen einstimmig begrüßt worden ist, vom Parteivorstand."

    Noch trauen ihm manche offenbar nicht zu, dass er eben doch mitreißen kann. Im bayerischen Landtagswahlkampf wird er von Spitzenkandidat Franz Maget zur Feuertaufe gedrängt.

    "Das ist der Härtetest: ein volles Zelt, eine Maß Bier dazu, lieber Frank, wer das durchsteht, der wird auch Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden."

    Und dann dreht der zweiundfünfzigjährige Steinmeier auf, krempelt die Hemdsärmel hoch und brüllt ins Mikrophon, bis die Stimme nicht mehr mitmacht. Und wer die Augen schließt, glaubt Gerhard Schröder leibhaftig vor sich zu haben.

    "Wir Sozialdemokraten, wir wollen ein Land, in dem die Starken den Schwachen helfen ... . Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht ... "

    Das Schröder-Lachen ist sein Markenzeichen. Frank-Walter Steinmeier hat sich viel von seinem Mentor abgeguckt. Schon 1993 wird er zum Büroleiter des Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, von 1999 bis 2005 arbeitet er eng an der Seite des Regierungschefs in Berlin. Sechs lange Jahre ist der heutige Außenminister als Kanzleramtschef Schröders rechte Hand, nicht nur im Lachen ähneln sich die Beiden.

    "Das kann man so ... "

    Nicht nur in der Stimme sind sie sich sehr ähnlich auch im Gestus verbindet Schröder und Steinmeier einiges.

    "Das müssen wir dann noch ein bisschen mit den ausländischen Gesprächspartnern absprechen, dass sie Krisen am 2. Juni nächsten Jahres möglichst unterlassen."

    Wenn sich der Weltreisende in die Niederungen der Provinz begibt, dann umgibt ihn, wie damals bei Gerhard Schröder, immer wieder dieses Kumpelhafte.

    "Das ist ja nett, dass wir sie mal hier getroffen haben ...
    Ja, dass Sie extra gekommen sind ... "

    Seit 1975 ist Frank-Walter Steinmeier in der SPD, als Sohn eines Tischlers und einer Fabrikarbeiterin wächst er im ostwestfälischen Dorf Brakelsiep auf. Herkunft aus einfachen Verhältnissen und dennoch später erfolgreich ein Jurastudium absolviert, vor allem das führt ihn damals in die Partei.

    "Ich gehöre zu jener Generation, die ihren Weg machen konnten, weil es eine sozialdemokratische Bildungsoffensive in den späten 60er Jahren gab und hätte es sie nicht gegeben, hätte es kein Schülerbafög gegeben und keine Studienförderung, dann säße ich nicht hier."

    Aber Steinmeier fehlt der oft beschworene sozialdemokratische Stallgeruch. Er ist keiner, der sich hochgearbeitet hat. Die Basisarbeit wird nun nachgeholt. Vor einem Jahr erhält Steinmeier in Brandenburg an der Havel einen eigenen Wahlkreis. Pflöcke werden eingeschlagen für eine Kanzlerkandidatur, die er selbst bis zuletzt nicht will.

    "Wir haben einen Parteivorsitzenden, der heißt Kurt Beck und ich wünsche mir, dass er Kanzlerkandidat wird."

    Steinmeier drängt nicht ins Kanzleramt, zuletzt muss er gedrängt werden, einen Machtanspruch wahrzunehmen, nicht darauf zu warten, dass ihm Kurt Beck das Feld überlässt. Steinmeier der Vermittler, der im Hintergrund Strippen zieht. So hat er lange Zeit auch mit Gerhard Schröder zusammengearbeitet. Steinmeier gilt als Architekt der Agenda 2010, er war maßgeblich an der Umsetzung der Hartzreformen beteiligt. Und genau das wird jetzt zu seinem größten Problem. Doch Steinmeier verbreitet Optimismus, dass er die SPD schon im Griff behalten wird.

    "Vertrauen Sie darauf, dass ich mich schon ein wenig auskenne, in dieser Partei."

    Nicht weniger gut als Steinmeier kennt sich Peer Steinbrück in der Partei aus. Vor allem kann er Geschichten darüber erzählen, wie schwierig es ist, von den Genossen nicht nur als kompetent anerkannt, sondern auch ins Herz geschlossen zu werden. Deshalb wird er wohl diesen einen Moment beim heutigen Parteitag, es war genau eine Minute nach zwölf, nicht vergessen. Da bekam er nicht enden wollenden Applaus, nachdem Frank-Walter Steinmeier ihn für sein Krisenmanagement der letzten Wochen gelobt hatte. Peer Supermann, die fleischgewordene Hoffnung, die Partei könne aus den Finanzmarktturbulenzen auch Umfragekapital schlagen.

    "Ich glaube mit Blick auf die Frage unseres Gesellschaftsmodells, an der Reaktivierung, an der Neubegründung der sozialen Marktwirtschaft, dann ist die SPD die politische Kraft, die im Augenblick die besten Antworten hat, um auf diese Krise zu reagieren und in Zukunft möglichst dazu beizutragen, dass sich das nicht wiederholt."

    Die SPD verabschiedete in Berlin einen 12 Punkte Plan, mit dem sie auf die Finanzmarktkrise reagieren will. Der Finanzkapitalismus soll danach an die Leine gelegt werden, mit einer verstärkten internationalen Aufsicht, einer strengeren Regulierung der Rating-Agenturen, schärferen Regeln für das Investment-Banking und dem Trockenlegen von Steueroasen. So oder so, die Krise macht der SPD Mut. Und zwar zurecht, wie der Duisburger Politikwissenschaftler Karl Rudolf Korte meint:

    "Die SPD profitiert in sofern, weil wir in Zeiten sind, die auf starke Staatlichkeit ausgerichtet sind, auf sehr viel Neoetatismus, auf sehr viel Regelung."

    Noch aber verharrt die SPD in den Umfragen deutlich hinter der Union. Und dies, obwohl das Duo Müntefering/Steinmeier doch bereits vor sechs Wochen angetreten war, die SPD auch in Meinungsumfragen voranzubringen. Kein Grund, die Flinte bereits jetzt in Korn zu Werfen, so Karl Rudolf Korte:

    "Langfristiger muss man das sehen, so wie das Personalarrangement jetzt neu sich darstellt für den Wahlkampf im Blick auf Mobilisierungschancen, gibt auch die jetzige Finanzkrise dem kommenden Wahlkampf ein ganz neues Profil."

    Mobilisiert ist jedenfalls der Koblenzer Delegierte Christian Altmaier. Seiner Meinung nach kann keine Rede davon sein, dass der Münte/Steinmeier-Effekt bereits verpufft ist:

    "Wir haben gezeigt, dass der sozialdemokratische Gedanke, die Idee dieser Partei, dieser traditionsreichen Partei, hochaktuell ist und dass es jetzt an uns liegt, den Mitgliedern der SPD, den Funktionsträgerinnen und Funktionsträgern, das den Bürgern auch deutlich zu machen und deswegen freue ich mich darauf, nach Hause zu fliegen."