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Dorothea Schlegel
Erfinderin der romantischen Ehe

Heiraten, weil er eine Haushälterin und sie einen Versorger braucht - praktische Gründe waren um das Jahr 1800 Ausgangspunkt vieler Ehen. Nicht so bei der Schriftstellerin und Übersetzerin Dorothea Schlegel. Sie ermutigte andere Frauen zur Emanzipation - und lebte die "wilde Ehe" direkt vor.

Von Ulrike Rückert | 24.10.2014
    Die Ausstellung "Felder im Frühling" mit Bildern des impressionistischen Malers Claude Monet in der Staatsgalerie in Stuttgart. Zu sehen ist das Bild "Im Moor von Giverny" aus dem Jahr 1887.
    Selbstbewusste Frauen, die aus Liebe heiraten: in der Romantik war diese Idee neu. (picture alliance / dpa / Bernd Weißbrod)
    "Was bleibt ist, daß es ihr gelungen ist, sich an einen Menschen zu hängen und von ihm sich durch die Welt schleifen zu lassen. Ihr Leben ist unerzählbar, weil es keine Geschichte hat."
    Dieses harte Verdikt fällte Hannah Arendt über Dorothea Schlegel, eine der prominentesten Frauen der Frühromantik, Schriftstellerin, Übersetzerin, Literaturkritikerin, Tochter des großen jüdischen Aufklärers Moses Mendelssohn, die die berühmten Berliner Salons erlebte, den Romantikerkreis in Jena, das napoleonische Paris und den Wiener Kongress. Ein Leben, das keine Geschichte hat?
    "Dorothea lernt nicht die Welt kennen, sondern Schlegel, sie gehört nicht zu der Romantik, sondern zu Schlegel."
    Dorothea Schlegel bewegte sich zwischen jüdischer Tradition und intellektueller Avantgarde, bürgerlicher Konvention und Emanzipation, Revolution und Reaktion.
    "Ich kann mich nicht auf der lumpigen Mittelstraße herumtreiben."
    Als sie am 24. Oktober 1764 in Berlin geboren wird, geben die Eltern ihr den Namen Brendel. Sie erhält die zeitgemäße Erziehung einer Bürgerstochter und wird dann traditionsgetreu mit einem Mann verheiratet, den ihr Vater auswählt – und mit dem sie kreuzunglücklich ist. In den Salons ihrer Freundinnen Henriette Herz und Rahel Levin gehen Prinzen, Schauspieler, Dichter und Offiziere, Juden und Christen, Frauen und Männer frei miteinander um. Hier legt sie, wie auch andere Jüdinnen, ihren jiddischen Namen ab und nennt sich fortan Dorothea. Man begeistert sich für die Revolution in Frankreich.
    "Es ekelt einem, für diese sinnlose Macht, und Reichtum. Verdammter Aristokratie."
    Man diskutiert über Poesie und Philosophie, die Rollen der Geschlechter und die Liebe. Dass die Ehe kein Versorgungsgeschäft, sondern ein Liebesbund sein soll, ist die brandneue Forderung der Romantiker. Als Dorothea dem Schriftsteller und Kritiker Friedrich Schlegel begegnet, entscheidet sie sich, Familie, finanzielle Sicherheit und ihren guten Ruf in die Waagschale zu werfen für die Liebe.
    Selbst progressive Freunde kritisierten Schlegels "wilde Ehe"
    "Seit drei Wochen bin ich endlich geschieden, von einer langen Sklaverei befreit. Diese innere Notwendigkeit hat mich bestimmt, einen Schritt zu tun, der die öffentliche Meinung gegen sich hat."
    Selbst die progressiven Freunde kritisieren sie, zumal sie nun mit Friedrich Schlegel in "wilder Ehe" lebt. Noch schlimmer wird es, als dessen Roman "Lucinde" erscheint: ein avantgardistisches Experiment voll blumiger, aber eindeutiger Erotik. Das Publikum findet das Buch obszön und meint, Schlegel schildere sein Liebesleben mit Dorothea. Spott und Hohn ergießen sich über sie:
    "Oft wird mir es heiß und kalt ums Herz. Ich denke aber wieder, alle diese Schmerzen werden vergehen, und alles, was vergeht, sollte man nicht so hoch achten, daß man ein Werk unterließe, das ewig sein wird."
    Sie tut alles für ihn, verzeiht ihm alles - und personifiziert damit geradezu das romantische Ideal einer liebenden Frau, wie es ihr Freund Johann Gottlieb Fichte formuliert:
    "Die Ruhe des Weibes hängt davon ab, daß sie keinen andern Willen habe als den seinigen. Je größer das Opfer, desto vollkommener ist die Befriedigung ihres Herzens."
    Zuletzt erzkonservativ und glühend katholisch
    Und sie hat keine Zweifelt, dass Friedrich das wert ist:
    "Er ist doch ein Gott, wo nicht mehr!"
    Sie folgt ihm nach Jena, das funkensprühende Kreativlabor der Romantik, nach Paris, wo sie sich protestantisch taufen lässt, um ihn nun doch zu heiraten, und nach Köln, wo beide zur katholischen Kirche übertreten. Dass sie auch eigene Wünsche hat, zeigt die stolze Freude über den ersten Band ihres Romans "Florentin":
    "Habe ich es nicht immer gesagt, daß ich noch etwas werden könnte? Hätte ich meine Freiheit umsonst erlangt?"
    Dennoch stellt sie sich ganz in Friedrichs Dienst:
    "Wie kann man den Künstler zum Handwerker herunter drängen? Was ich tun kann: ihm Ruhe schaffen, und in Demut als Handwerkerin Brot schaffen."
    Der zweite Band von "Florentin" wird nie fertig. Sie verfasst Rezensionen für Zeitschriften, die er herausgibt, übersetzt französische Romane und bearbeitet Geschichten aus dem Mittelalter - alles erscheint unter seinem Namen. Schließlich ergattert er eine Beamtenstelle in Wien, und das einstige Skandalpaar richtet sich unter dem Metternich-Regime ein, nun erzkonservativ und glühend katholisch. Nach Friedrichs Tod beschließt Dorothea Schlegel ihr Leben als Biedermeier-Großmutter bei ihrem Sohn, 1839 stirbt auch sie. Eine Geschichte hat ihr Leben – wie wir sie heute beurteilen, ist eine andere Frage.