Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Dortmund: "Die Parallelwelt" II
Simultan auf zwei Bühnen

Ein Stück, zwei Theaterbühnen: Die Geschichte von Fred beginnt mit dessen Tod und spult dann die Lebensstationen zurück zur Geburt. Dabei spielen die Schauspieler über eine Distanz von 420 Kilometer miteinander. Das erzeugt Komik - und spiegelt den ewigen Kreislauf des Lebens.

Von Dorothea Marcus | 16.09.2018
    Die Paralleltwelt - Eine Simultanaufführung zwischen dem Berliner Ensemble und dem Schauspiel Dortmund. Von Alexander Kerlin, Eva Verena Mülle, Kay Voges / Regie: Kay Voges
    Die Paralleltwelt - Eine Simultanaufführung zwischen dem Berliner Ensemble und dem Schauspiel Dortmund (Berliner Ensemble / Birgit Hupfeld)
    Fred ist kein echter Mensch, und um sein reales Leben geht es in der "Parallelwelt" nicht. Fred ist der Prototyp eines Lebensverlaufs in sieben Szenen. In jeder wird er von einem anderen gespielt. Im Dortmunder Altersheim schaukelt ihn der Pfleger im Stuhl, in Berlin die Mutter auf der Schaukel. Zuweilen erschlägt und konterkariert die Leinwand das Bühnengeschehen: Bei der Sterbeszene zu Beginn wirkt es grotesk und pietätlos, wenn zwei Kameraleute dem Sterbenden ins Gesicht filmen. Pathetisch und kitschig wirken die Schauspieler auf den Filmbildern.
    Digitale Revolution im Theater
    Doch dann zeigt sich in der Mitte, was die digitale Revolution im Theater kann. Die Schauspieler interagieren über 420 km hinweg, in zwei identischen Hochzeitsszenen:
    "Was soll das heißen - im Hintergrund - was soll das heißen, auf deiner Hochzeit? Das ist meine Hochzeit! Vielleicht hörst du mal besser zu! Ich bin die Braut! Ich, Braut, hatte gesagt: keine unangekündigten Hochzeitsspiele, und zweitens: niemand ist schöner als die Braut!"
    Geschockt entdecken die Bräute, dass sie nur die serielle Kopie einer biologischen Lebens-Zwangsvorstellung sind. Während die Dortmunderin Bettina Lieder das schnell mit Fassung trägt, schraubt sich Annika Meier in Berlin in pollesch-artige philosophische Behauptungen ihrer einzigartigen Körperlichkeit - und steckt dafür sogar den Bräutigam mit Schnupfen an. Verzweifelt versuchen die beiden Freds in einer Currywurst-Battle ihre lokale Alleinstellung zu beweisen und rennen schließlich sogar ins jeweilige Publikum - um dann, in Reihe 3, Platz 1, auch wieder mit einer Zwillings-Zuschauerkopie konfrontiert zu sein.
    Kreislauf des Lebens
    Vieles an diesem Abend ist digitale Spielerei und überbordendes Kokettieren mit Zitaten. Da wird der David Lynch-Film "Lost Highway" ins Regal verräumt oder Schröders tote Katze zu Weihnachten verschenkt. Da kann man dem Gegenpublikum auf der Leinwand zuwinken.
    Doch der eigentliche, berührende Inhalt des Abends liegt woanders. Die "Parallelwelt" erzählt vom Kreislauf des Lebens, behauptet, dass Zeit und Raum nur menschliche Konstrukte sind. Da kann der Apfelbaum im Altersheim von Fred eine kleine Pflanze sein, während er im parallelen Kinderzimmer zum riesigen Stamm geworden ist, quasi als frühere Erscheinungsform seiner selbst. Da guckt der verliebte Fred, als er mit der neuen Freundin alias Merle Wasmuth ein Bild aufhängt, gleichzeitig zur neben ihm stehenden Braut alias Bettina Lieder:
    Zukunft und Gegenwart, Anfang und Ende sind in Einem denkbar. Es spielt keine Rolle, auf welchem Punkt des Kontinuums wir stehen. Und so hat "Parallelwelt" etwas zutiefst Menschliches und Tröstliches, schafft es, mit der digitalen Sprengung des Theaterraums an gewaltigen letzten Fragen zu rühren. Und nimmt zugleich liebevoll das menschliche Bedürfnis auf die Schippe, sie immer wieder zu stellen.