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Dr. Zoo
Der Arzt im Tier

Tiere werden krank, so wie der Mensch. Affen bekommen Schnupfen und Durchfall, Füchse stecken sich mit Tollwut-Erregern an, Insekten leiden unter Parasiten und Pilzbefall. So wie der Mensch haben sie erstaunliche Fähigkeiten entwickelt, ihre Krankheiten zu behandeln.

Von Christine Westerhaus | 01.05.2016
    Bonobos im zoologisch-botanischen Garten Wilhelma in Stuttgart, aufgenommen am 24.04.2015.
    Bonobos in der Wilhelmina in Stuttgart: In manchen Pfalnzen, die von Affen gefressen werden, stecken heilende Kräfte - auch für den Menschen (picture-alliance / dpa / Benjamin Beytekin)
    Das Affenhaus im Leipziger Zoo. Ein Weibchen klaubt ein Salatblatt vom Boden und steckt es sich in den Mund. In seinem Arm ein Jungtier. Es schaut seiner Mutter ganz genau zu.
    Barbara Fruth: "Das Kind würde natürlich auch mitkriegen, wenn es der Mutter mal schlecht geht und würde auch sicherlich mal ein Blatt mit Bitterstoffen schmecken und wird damit sicher auch lernen, dass das etwas ist, was man in so einem Zustand zu sich nimmt."
    Michael Huffman: "Zeig mir ein Tier, egal welches, das nicht versucht, sich selbst zu therapieren, und du bist einer großen Sache auf der Spur."
    Tiere werden krank, so wie der Mensch. Affen bekommen Schnupfen und Durchfall, Füchse stecken sich mit Tollwut-Erregern an, Insekten leiden unter Parasiten und Pilzbefall. So wie der Mensch haben sie erstaunliche Fähigkeiten entwickelt, ihre Krankheiten zu behandeln. Barbara Fruth:
    "Affen sind ja jetzt nur eine relativ nachvollziehbare Spitze des Eisberges an Tieren sozusagen, die Eigenmedikation machen. Es ist ja durch die Bank auch Insekten, Amphibien und Reptilien. Alle machen das ja, man hört überall Beobachtungen, die auf Eigenmedikation hindeuten."
    Trächtige Elefanten fressen die Blätter bestimmter Pflanzen, um die Geburt einzuleiten. Papageien entgiften mit Tonerde. Andere Vögel tragen sogar Zigarettenstummel in ihre Nester, um mit dem Nikotin Ungeziefer zu vertreiben. Auch Braunbären wissen sich zu helfen und reiben ihr Fell mit einem Extrakt aus der so genannten Bären-Wurzel ein. Forscher entdecken immer mehr Beispiele von Selbstmedikation bei Tieren - und wollen sie nutzen.
    Der Pharmazeut Rainer Lindigkeit ist einer von ihnen. Er arbeitet an der TU Braunschweig:
    "Vor vielen Jahren war der Ansatz zur Wirkstofffindung ja ein etwas anderer. Damals gab es einen tierischen Hype um Pflanzen, insbesondere im tropischen Regenwald, wo es noch so viele Pflanzen gibt, die man gar nicht kennt und deren Inhaltsstoffe man schon gar nicht kennt. Und der Ansatz damals war häufig der, dass man alles gesammelt hat, was man irgendwie gefunden hat, das ganze extrahiert hat und dann auf die Suche gegangen ist durch Testverfahren nach bestimmten Wirkungen. Und ehrlicherweise muss man sagen, dass die Anzahl an Hits, also Treffern, sehr, sehr gering war."
    Die Fahndung soll zielstrebiger werden. Vielleicht führt sie auch zum Ursprung der Medizin.
    Vom Ursprung der Medizin
    "Affen sind halt interessant, weil sie in vielen Punkten doch relativ ähnlich ticken wie wir. Weil wir auch irgendwo den Werdegang rekonstruieren wollen, von unseren gemeinsamen Vorfahren zu uns heute. Also diese fünf Millionen Jahre, was ist da passiert, was hat sich da entwickelt."
    Barbara Fruth ist Primatologin an der LMU München. Vor dem Gehege schaut sie sich nach bekannten Affen-Gesichtern um. Ein paar Bonobos sitzen auf dem nackten Betonboden, kauen an einem Salatblatt oder stecken sich Gurkenscheiben in den Mund. Andere hangeln sich an Seilen hoch, schwingen weiter zum Klettergerüst. Fruth:
    "Das, was wir hier sehen, ist so eine typische Untergruppe. So eine Party. Ich sehe hier 1,2, 3, 4 - mal schauen, wen wir sonst noch sehen. Also im Moment sehe ich nur vier Individuen. Ach nee, da hinten sehe ich noch jemanden. Dann sind ja doch alle da. Und dann würde ich schauen, was sie so zu sich nehmen."
    Barbara Fruth lebt mit ihrer Familie direkt gegenüber vom Leipziger Zoo. Mehrere Monate im Jahr verbringt sie jedoch im Kongobecken, einem Regenwaldgebiet, das noch relativ intakt ist. Dort muss sie vom Forschungscamp aus einen zweistündigen Fußmarsch zurücklegen, um zu ihrer Bonobo-Party zu kommen. Eine kleine soziale Gruppe, die meist aus 5-6 Individuen besteht. Die gehören zu einer größeren Gruppe, einer so genannten Kommune, mit knapp 30 Tieren. Meist sucht sich die Forscherin ein Tier heraus, das sie anschließend den ganzen Tag lang verfolgt und beobachtet:
    "Im Gegensatz zur Gefangenschaft ist es ja so, dass sie tagsüber im Wald ununterbrochen etwas zu sich nehmen. Die fressen ja von früh bis abends, wenn sie sich nicht gerade lausen. Oder schlafen oder ruhen. Und wichtig ist eben, dass man etwas findet, das nicht im typischen Nahrungsrepertoire ist und dass es nicht alle Individuen zu sich nehmen. Idealerweise würde ein Mitglied dieser Party irgendwo hingehen und irgendetwas nehmen, was ich noch nie gesehen habe oder ganz selten gesehen habe."
    Während Barbara Fruth erzählt, macht sich plötzlich Aufregung unter den Bonobos breit. Drei Bauarbeiter mit Schubkarre kommen ins Affenhaus und bleiben gegenüber vor dem Gehege der Schimpansen stehen. Fruth:
    "Jetzt! Die haben auch was zu sagen!
    Das ist ein Distanzruf wir nennen das den High Frequency Hoot und dieses Weibchen hat da einfach eingestimmt. Das ist sozusagen ein Distanzruf. Aber was sie damit meint, das weiß ich natürlich nicht.
    Dieses Zwitschern, also dieses Hohe, was eigentlich wie Vogelzwitschern klingt, das sind die Bonobos."
    Doch auch die Schimpansen haben etwas zu sagen und stimmen in die Rufe der Bonobos ein.
    "Das sind jetzt die Schimpansen."
    Im Kongobecken hält Barbara Fruth immer ein paar Meter Abstand zu den Tieren. Um sie nicht mit menschlichen Keimen anzustecken, trägt sie eine Schutzmaske. Beobachtet sie, dass ein Bonobo eine ungewöhnliche Pflanze konsumiert, nimmt sie eine Probe:
    "Es gibt bestimmte Rindensäfte, das sind zum Teil sehr bittere Latex-Stoffe, die sie nur sehr wenig zu sich nehmen. Also sie reiben, reißen ein kleines Stück von der Borke ab und lecken den Latex ab. Immer wenn ein Individuum das zu sich nimmt, dann schaue ich, dann vermesse ich den Baum und nehme die Art auf und nehme eine Probe davon und so weiter."
    Vor einiger Zeit hat Barbara Fruth entdeckt, dass Bonobos den Saft bestimmter Wolfsmilchgewächse aufnehmen. Und einmal hat ein einzelnes Individuum sich die Zapfen eines Termitenhügels in den Mund gesteckt. Den Grund kennt sie noch nicht.
    Auch Michael Huffman zog vor vielen Jahren in den Dschungel, um wildlebende Schimpansen in Tansania zu beobachten. Der Forscher von der japanischen Universität Kyoto in Inuyama gilt als Pionier der Selbstmedikations-Forschung. Schon Ende der 1980er Jahre hatte er eine merkwürdige Marotte bei den Affen beobachtet: Sie falten die behaarten Blätter bestimmter Pflanzen sorgfältig ein und schlucken sie:
    "Was die Schimpansen machen: Sie nehmen ein Blatt in den Mund, falten es 2, 3 Mal, reißen es ab und schlucken es runter, ohne zu kauen. Das machen sie mit 20, 30 oder sogar 50 Blättern, die sehr rau sind."
    Ein Zufall brachte Huffman später auf die Idee, dass Schimpansen die Blattpakete als eine Art Parasitenbürste nutzen:
    "Ich war dem Schimpansenweibchen Tula schon den ganzen Tag auf den Knien kriechend durchs Unterholz gefolgt. Es ging ihr nicht gut, sie war sehr krank. Schon am Morgen hatte ich ihren Kot eingesammelt und darin ganze eingefaltete Blätter und jede Menge Würmer entdeckt. Am Abend bin ich plötzlich selber sehr krank geworden: Es ging mir miserabel und ich bin fast ohnmächtig geworden."
    Mit Mühe und Not schleppte sich Michael Huffman ins Lager zurück. Anschließend lag er vier Tage lang mit starkem Durchfall im Bett.
    "Tulas Stuhlproben standen also fünf Tage lang in einer Plastiktüte, bevor ich sie untersuchen konnte. Und als ich die Tüte endlich öffnete, wunderte ich mich darüber, dass die Würmer sehr lebendig in dem Schimpansenkot umherwuselten. Dass die Affen ganze Blätter herunterschlucken, um Parasiten zu vertreiben, war bereits bekannt. Aber die Hypothese war, dass sie starke Gifte enthalten - die Parasiten hätten also eigentlich mausetot sein müssen. Ich beobachtete auch, dass die Würmer regelrecht an den Blättern klebten. Und das brachte mich schließlich auf die Idee, dass sie die Parasiten vielleicht mechanisch aus dem Darm befördern."
    Huffmans Verdacht bestätigte sich. Und später wurde den Forschern klar, dass nicht nur Schimpansen den Trick kannten:
    "Wir konnten dieses Verhalten bei allen Affenarten beobachten, die in Afrika leben, und sie nutzen dabei an die 40 unterschiedliche Pflanzenarten. Besonders spannend war, dass nicht nur Affen ihren Darm auf diese Weise befreien. Andere Säugetiere, aber auch manche Vogelarten wie zum Beispiel Schneegänse machen es."
    Insekten: Selbstmedikation ohne Lernfähigkeit?
    Monarchfalter schützen sich vor Parasiten, indem sie als Raupen Giftpflanzen konsumieren
    Monarchfalter schützen sich vor Parasiten, indem sie als Raupen Giftpflanzen konsumieren (Wilmshurst / picture-alliance / dpa)
    Vögel, Bienen, Ameisen - die Liste der Arten, die in die medizinische Trickkiste der Natur greifen, wird immer länger und es zeigt sich: Man muss noch nicht einmal intelligent sein. Jaap de Roode beispielsweise ist beim Monarchfalter fündig geworden:
    "Das sind kleine Insekten, denen wir nicht zutrauen, dass sie sich selbst therapieren. Sie haben winzige Gehirne und können es trotzdem."
    Der Forscher von der Emory Universität in Atlanta interessiert sich für Monarchfalter, weil sie so genannte Herzglykoside aus Seidenpflanzen sammeln. Diese Gifte speichern die Schmetterlinge in ihren Geweben und können es sich deshalb leisten, leuchtend orange gefärbt zu sein. Offenbar vergraulen sie so nicht nur Vögel, sondern auch Parasiten.
    "Wir haben gesehen, dass Parasiten schlechter wachsen und weniger Symptome hervorrufen, wenn die Raupen des Monarchfalters an Futterpflanzen mit einem hohen Gehalt an diesen Giftstoffen fressen."
    Jaap De Roode wollte der Sache auf den Grund gehen und herausfinden, ob sich die Falter auch aktiv gegen ihre Parasiten wehren, ob sie also bei Befall vermehrt Giftstoffe aufnehmen. Er startete ein einfaches Experiment und ließ die Raupen des Monarchfalters zwischen Seidenpflanzen mit einem hohen, bzw. niedrigen Gehalt an Herzglykosiden wählen. Das Ergebnis war enttäuschend: Infizierte Raupen fraßen genauso viel an den giftigen Gewächsen wie an den harmlosen. Doch dann stellten die Forscher eierlegende Weibchen auf die Probe - und erlebten eine Überraschung: Waren die Falter von Parasiten befallen, legten sie deutlich mehr Eier auf den giftigen Pflanzen ab. Gesunde Weibchen zeigten dagegen keine Präferenz:
    "Wenn die Weibchen infiziert sind, können sie sich nicht mehr selber helfen, weil sie als Schmetterlinge nur noch Nektar saugen. Doch sie können etwas für ihre Nachkommen tun, indem sie ihre Eier auf Pflanzen mit einem hohen Giftgehalt ablegen."
    Monarchfalter-Weibchen sorgen also vor, wenn sie merken, dass sie von Parasiten befallen sind.
    "Aber wie wissen die Schmetterlinge das? Mit dieser Frage beschäftigen wir uns gerade. Wenn Monarchfalter Parasiten haben, geht es ihnen wirklich schlecht: Sie bohren sich in ihre Körpergewebe, der ganze Hinterleib ist durchlöchert und das führt dazu, dass sie Körperflüssigkeit verlieren. Ich denke deshalb, die Schmetterlinge merken, dass es ihnen nicht gut geht und entwickeln dann einfach andere Präferenzen. Das tun wir Menschen schließlich auch: Wenn wir krank sind, haben wir keinen Appetit auf bestimmte Dinge und manche Gerüche stoßen uns ab. Das Gleiche passiert wahrscheinlich auch bei den Monarchfaltern."
    Die Fürsorge von Schmetterlings-Eltern erschöpft sich meist mit der Eiablage. Danach bleibt die Raupe sich selbst überlassen. Wer also bringt ihnen bei, wie sie sich im Krankheitsfall zu verhalten haben?
    "Ich denke, es ist klar, dass Monarchfalter und andere Insekten nicht lernen können, bestimmte Pflanzen mit ihrem Gesundheitszustand zu assoziieren. So, wie es Menschenaffen tun. Es ist eher ein Verhalten, das vererbt wird: Insekten, die ihre Eier auf medizinische Pflanzen legen, haben mehr Nachkommen. Und die Nachkommen vererben die Gene weiter."
    Die Selbstmedikation ist also nur ein Selektionsvorteil, meint Jaap de Roode. Damit widerlegt der Monarchfalter ein Dogma:
    "Die Menschen dachten lange Zeit, dass ein großes Gehirn dafür notwendig ist und dass daher nur Menschenaffen dazu fähig sind. Weil das Tier eben lernen muss, zu assoziieren, dass es sich besser fühlt, wenn es eine bestimmte Pflanze gefressen hat. Doch in den letzten zehn Jahren sind immer mehr Beispiele von Tieren bekannt geworden, die sich auch therapieren, obwohl sie kein großes Gehirn haben. Insekten zum Beispiel - sie leben noch nicht mal lange genug, um aus ihren Fehlern zu lernen."
    Trotz ihrer winzigen Gehirne ist es Insekten gelungen, fast alle Lebensräume der Erde zu erobern. Sie sind die erfolgreichste Tiergruppe und haben mit Abstand die meisten Arten hervorgebracht. Ein Triumphzug durch die Evolution, den Andreas Vilcinskas zu seinem Motto gemacht hat:
    "Ein Leitspruch unserer Arbeit ist: 'Aus Insekten lernen heißt siegen lernen'."
    Vilcinskas ist eingefleischter Entomologe, also Insektenforscher:
    "Ich habe schon mit zwölf Jahren angefangen, eine Schmetterlingssammlung anzulegen."
    Jetzt ist er Anfang 50 und Professor für Angewandte Entomologie an der Universität Gießen. Vor ein paar Jahren hat er begonnen, in Insekten systematisch nach Wirkstoffen zu suchen, die für den Menschen interessant sein könnten. Sein Forschungsgebiet bezeichnet der Biologe auch gerne als "Gelbe Biotechnologie". Denn die Hämolymphe, gewissermaßen das Blut der Insekten, ist gelb.
    "Ich betrachte die Insekten als Ganzes als eine riesige Naturstoffbibliothek und die Insekten-Biotechnologie zielt unter anderem darauf ab, diese zum Wohle der Menschheit zu erschließen."
    Insbesondere Sechsbeiner mit seltsam erscheinenden Vorlieben haben es dem Biologen angetan. Der Totengräber beispielsweise. Ein etwa Fingernagel langer, schwarz-brauner Käfer mit nekrophilen Tendenzen:
    "Dieser Käfer hat die seltene Eigenschaft, dass er sich auf Kadavern fortpflanzt. Meistens kommen sie in der Dunkelheit, landen dann auf dem Tier und meistens machen sie es paarweise, dass sie den Kadaver im Boden verbuddeln. Und das Besondere ist: Normalerweise wird alles, was ich im Boden vergrabe, ja der Zersetzung preisgegeben. Und der Totengräber ist in der Lage, sozusagen den Kadaver einzuspeicheln und ihn dadurch chemisch zu konservieren.
    Im Speichel haben die Forscher Substanzen gefunden, die auch der Mensch nutzen könnte, um seine Lebensmittel zu konservieren. Der Totengräberkäfer hat sich auch als Leichenfledderer einen Ruf gemacht: Das verbuddelte Aas verdaut er chemisch mit Sekreten vor.
    "Und das hat uns fasziniert: Wie kann ein Käfer vor seinem Maul einen Kadaver verdauen, der hunderte Male größer ist als er? Das ist eine Mega-Leistung. Das ist so, als würd ich Sie anspucken und sie lösen sich vor mir auf! Wie geht so was? Und da untersuchen wir, wie das klappt und da haben wir eine ganze Reihe von spannenden Enzymen gefunden, die auch für die Biokonservation interessant und geeignet sind."
    Vilcinskas Devise lautet: Vor allem Insekten, die aus menschlicher Sicht unbewohnbare Lebensräume erobert haben, versprechen eine fette Wirkstoff-Ausbeute. Konservierungsstoffe und Antibiotika, Moleküle für die Wundheilung oder gegen den Erreger der Malaria. Um an genügend aktive Wirkstoffe für klinische Tests zu kommen, braucht es im zweiten Schritt ausreichende Mengen an Hämolymphe. Vilcinskas und sein Team haben ein recht eigentümliches Verfahren entwickelt, mit dem sie ihre Versuchstiere melken: Sie schicken die Insekten in einen Schleudergang.
    Das Labor mit den asiatischen Marienkäfern befindet sich am Ende eines langen Gangs. Die Wände sind frisch gestrichen, alles sieht sehr neu aus. In der Mitte des Raums ist eine Art Insel mit Arbeitsflächen und Waschbecken.
    Andreas Vilcinskas nimmt eines der durchsichtigen runden Plastikgefäße vom Tisch. Darin krabbeln fünf leuchtend orange gefärbte Marienkäfer auf ein paar Blättern. Die Petrischalen sind mit Tesafilm verklebt, damit kein Tier entwischt.
    "Also was wir hier machen: Sie kennen das ja vielleicht, wenn man Marienkäfer in die Hand nimmt. Dann macht er das, was man als Reflexbluten bezeichnet. Die Hämolymphe tritt an so genannten Sollbruchstellen aus. Die schmeckt nicht und die riecht auch unangenehm. Und wenn wir den dauernd drücken würden, dann würde das nicht klappen. Was wir hier tun ist: Wir legen die jetzt also hier in Wasser in so ein Eppendorf Gefäß."
    Andreas Vilcinskas steckt einen der orange-farbenen Marienkäfer vorsichtig in ein trichterförmiges Plastikgefäß.
    "Dann packen wir den ganzen Marienkäfer herein, hier in das Eppendorf Gefäß und dann vortexen wir."
    Ein Vortexer ist ein Rührschüttler. Normalerweise nutzen ihn Biologen, um Flüssigkeiten gut zu durchmischen.
    Es geht los. Die Karusselltour führt dazu, dass der Käfer blutet:
    "Dann bleibt diese gelbe Hämolymphe hier in dem Überstand drin und wir müssen den Käfer nicht töten. Wir können den nehmen und quasi in 14 Tagen wieder melken."
    Die gelbe Flüssigkeit können die Forscher mit Screening-Methoden nach interessanten Wirkstoffen durchforsten. Vilcinskas arbeitet dabei eng mit Pharmaunternehmen zusammen, die seine Gruppe auch finanziell unterstützen. Welche Wirkstoff-Kandidaten weiter verfolgt werden, ist oftmals eine Frage des Profits.
    "Also für den Normalbürger ist schwer verständlich, dass mit der Entdeckung der Substanzen nur der kleinste Teil getan ist. Die Entwicklung von solchen neu entdeckten Leitstrukturen bis hin zur Entwicklung von Medikamenten, die man zum Beispiel als Antibiotika einsetzen kann, das dauert heute 5-10 Jahre und verschlingt Unsummen. Das heißt, man rechnet heute mit mehreren 100 Millionen € bis zu einer Milliarde, um ein Medikament wirklich auf den Markt zu bringen."
    Zahlreiche Wirkstoffe werden derzeit in Labortests, manche auch in klinischen Studien untersucht. Und einige sind heute schon im Einsatz: Das Sekret der Goldfliegenmade beispielsweise: Die Larven dieser grüngold leuchtenden Schmeißfliege fressen abgestorbenes Gewebe und töten mit ihrem Speichel Bakterien. Bisher müssen die Maden in lebendigem Zustand auf eine Wunde gelegt werden. Das ist nicht jedermanns Sache, weshalb Andreas Vilcinskas nun nach den antimikrobiell wirkenden Peptiden sucht, die er isolieren und in Salben einsetzen möchten.
    "Das ist eigentlich die größte Herausforderung und auch einer der größten Hinderungsgründe, weil die Auflagen und die Sicherheitsvorkehrungen und die Studien, die nötig sind, sehr aufwändig sind."
    Vernonia amygdalina: Eine Wunderpflanze?
    Die Mühlen mahlen langsam. Die Erfahrung hat auch Michael Huffman gemacht. Inzwischen ist es fast 30 Jahre her, dass er beobachtet hat, wie das Schimpansenweibchen Chausiko dank Vernonia amygdalina gesund wurde:
    "Es ging ihr sehr schlecht: Sie hatte Durchfall, ihr Urin war schwarz. Und dann beobachtete ich sie dabei, wie sie das Mark dieser Pflanze aufsaugte. Dieses Gewächs kannte ich nicht und normalerweise wird es auch nicht von den Schimpansen gefressen. Ich konnte hören, wie Chausiko die Rinde der jungen Triebe abschälte und den Saft aus dem Inneren aussaugte. Ein schrecklich bitterer Saft. Am nächsten Morgen ging es ihr immer noch schlecht, doch nach dem Mittagsschlaf wachte sie auf und war plötzlich voller Energie. Es war erstaunlich zu sehen, wie schnell sie gesund wurde."
    Das Gewächs, das Chausiko geholfen hatte, wird auch von vielen afrikanischen Urvölkern eingesetzt, unter anderem gegen Malaria. In Labortests konnten Wirkstoffe aus dieser Wunderpflanze dann aber auch das Wachstum von Tumorzellen bremsen, insbesondere von Brustkrebszellen.
    "Inzwischen gibt es Patente auf die Wirkstoffe. Kürzlich hat eine Forschergruppe aus Malaysia die Samen einer anderen Pflanze aus Indien mit den gleichen Inhaltsstoffen untersucht, sogenannte Sesquiterpen-Laktone. Sie haben nachgewiesen, dass Extrakte in Krebszellen einen Genschalter umlegen können, der das Wachstum der Tumore steuert. Diese Erkenntnis ist also das Ergebnis unserer Arbeit und anderer Forscher, die Selbstmedikation bei Tieren untersuchen."
    Auch die Primatenforscherin Barbara Fruth hat versucht, von ihren Bonobos genutzte Wirkstoffe für den Menschen zu erschließen. Mit im Boot war ein mittelständisches Pharmaunternehmen:
    "Das hat aber leider nicht geklappt, dass da etwas rausgekommen ist. Weil sich die Arzneimittelgesetze bei uns drastisch geändert haben und sehr viel klinische Tests nötig sind, die so viel Geld kosten, dass das für solche Heilpflanzen für so einen mittelständigen Betrieb einfach nicht möglich ist, das zu leisten."
    Jetzt arbeitet sie mit dem Pharmazeuten Rainer Lindigkeit von der TU Braunschweig zusammen. In Proben aus dem Kongobecken entdeckte er auffallend hohe Konzentrationen an Gerbstoffen. Doch eine bislang unbekannte medizinische Wirkung konnte er nicht nachweisen:
    "Natürlich würde ich mich besonders darüber freuen, wenn wir eine Substanz in einer Pflanze finden, die eine ganz spezifische Wirkung hat, wie zum Beispiel eine anti-phlogistische, das bedeutet entzündungshemmende Wirkung. Wenn wir das finden würden, dann wäre ich schon sehr, sehr froh. Aber das ist ein ganz langer Weg."
    Wie geben Affen ihr medizinisches Wissen weiter?
    Das medizinische Wissen der Affen wird von Generation zu Generation überliefert - auch wir Menschen können von ihnen lernen
    Das medizinische Wissen der Affen wird von Generation zu Generation überliefert - auch wir Menschen können von ihnen lernen (Caroline Seidel / picture alliance / dpa)
    Natürlich würde auch Barbara Fruth gerne einen Wirkstoff entdecken, der pharmazeutisch interessant sein könnte. Doch das ist nicht ihr vordergründiges Ziel. Sie hofft, irgendwann zu verstehen, wie die Affen ihr medizinisches Wissen weitergeben. Vielleicht lernen sie es einfach von ihrer Mutter, meint Barbara Fruth und deutet auf ein Bonoboweibchen. Im Leipziger Zoo sitzt es auf dem Boden des Geheges und hält ihr Junges im Arm:
    "Das sieht man hier ja ganz schön, die hocken immer schön beieinander, Mutter und Kind, das Kind frisst auch immer das, was die Mutter auch frisst, probiert es. Und selbst, wenn es das noch nicht richtig frisst, nimmt es schon Teile in den Mund und spuckt sie wieder aus."
    Doch reicht die Zeit, die ein Menschenaffenkind bei seiner Mutter verbringt, um sich das komplexe medizinische Wissen einzuprägen, das Forscher bei Affen beobachten? Barbara Fruth:
    " Die Frage ist einfach, wie wird von ganz seltenen Pflanzen, die wirklich nur einmal in so einer sieben Jahre langen ontogenetischen Entwicklung genommen werden, wie findet dieses Kind die dann, auch wenn es selbstständig ist. Oder ist vielleicht das soziale Lernen von den Gruppenmitgliedern entscheidender?"
    Gerade untersucht Barbara Fruth eine sehr aufdringliche Angewohnheit der Bonobos, die Primatologen "Peering" nennen:
    "Das ist dieses ganz enge, dem anderen am Mund kleben sozusagen. Also praktisch mit den Augen die Sachen vom Mund schon rausziehen, also dieses Bettelverhalten. Und da denken wir, dass da ein Schlüssel liegt, in diesem sozialen Lernen auch von Pflanzen, die sehr selten konsumiert werden."
    Bonobos können nicht schreiben und ihren Artgenossen auch nicht erzählen, welche Pflanzen ihnen Heilung versprechen. Sie haben offenbar andere Wege gefunden, ihr Wissen weiterzugeben. Denn sie nutzen ganz ähnliche Gewächse, wie ihre Nachbarn im Dschungel, die Menschen. Fruth:
    "Das ist also etwas das mich sehr interessiert. Wie sich eben auch im Laufe der Evolution eben ein medizinisches Verständnis entwickelt haben könnte."
    Vielleicht könnten die Bewohner der westlichen Welt von Bonobos und anderen Tieren noch etwas lernen: Antibiotikaresistenzen oder Tablettensucht sind wildlebenden Arten unbekannt.
    "Ich finde toll, was die Medizin leisten kann in wirklich schwierigen Fällen und das sollten wir auch weiter ausbauen. Aber man müsste irgendwo ein bisschen runterschrauben, wegen nichts zum Arzt rennen und da etwas bekommen, was sündhaft teuer ist, was aber auch durch etwas Natürliches ersetzt werden könnte."
    Es sprachen: Janina Sachau, Jean-Paul Beck, Gerd Daaßen, Ton und Technik: Caroline Thon, Regie: Claudia Kattanek, Redaktion: Christiane Knoll