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Dräger: Studium hat für jeden Einzelnen einen Wert von 100.000 Euro

Beruflich erfolgreiche Hochschulabsolventen möchte der Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung rückwirkend zur Kasse bitten. Bei seinem Vorschlag bezieht er sich auf ein australisches Modell, bei dem Hochschulabsolventen eine Zeit lang anteilig von ihrem Gehalt das staatliche Hochschulsystem refinanzieren.

Jörg Dräger im Gespräch mit Regina Brinkmann | 20.09.2013
    Regina Brinkmann: Nächstes Jahr ist es soweit. Dann gibt es an keiner staatlichen Hochschule mehr Studiengebühren. Niedersachsen und Bayern waren die letzten Bastionen, die im Gebührenstreit gefallen sind. Ein drohender Volksentscheid machte es der schwarz-gelben Landesregierung im Freistaat Druck schließlich auf die Campus-Maut zu verzichten. Schon ab dem Wintersemester müssen Studierende nicht mehr zahlen. In Niedersachsen wird es erst im Wintersemester des nächsten Jahres soweit sein. Die Gebührengegner haben ihr Ziel also gerade erreicht, da plädiert das Centrum für Hochschulentwicklung für neue Gebühren. Und zwar Absolventengebühren.
    Jörg Dräger ist Geschäftsführer dieses Zentrums, kurz CHE genannt. Ich habe ihn vor dieser Sendung gefragt: Warum sollten sich deutsche Politiker für dieses Gebührenmodell starkmachen, dem sie in den letzten Monaten und Jahren erleben mussten, dass die Campus-Maut auf Ablehnung stößt.

    Dräger: Studiengebühren sind im Moment in Deutschland politisch gescheitert, wie Sie berichtet haben. Sie werden überall abgeschafft. Trotzdem gibt es in der Welt Modelle, die gerecht sind, die funktionieren, und die den Hochschulen und den Studenten an den Hochschulen auch mehr Geld zukommen lassen. Und wir erleben im Moment in Deutschland wieder diese Spardiskussion an den Hochschulen, überall soll gekürzt werden, das Studium soll billiger werden, schlechter werden. Und da finde ich es einfach Zeit, zu überlegen, ob man nicht die Studenten in einer gerechten und fairen Weise an den Kosten ihres Studiums beteiligen kann, denn sie profitieren ja nachher auch erheblich davon. Und da lohnt eben der Blick nach Australien und zu dem Modell der Absolventengebühren, was da vor 25 Jahren eingeführt wurde.

    Brinkmann: Wie würden Sie das denn in Deutschland umsetzen?

    Dräger: Im Grundzug ist das Modell relativ einfach. Es geht davon aus, Studenten sind arm, aber Akademiker haben in der Regel einen Job und verdienen gutes Geld. Und könnten dann, wenn sie im Arbeitsmarkt sind und vernünftig verdienen, auch rückwirkend etwas zurückzahlen. Die Australier nehmen dann vier Prozent des Einkommens über ein paar Jahre, bis eben die Gebühren abbezahlt sind. Der Kern des Modells ist aber, das Risiko bleibt beim Staat.

    Das heißt, wenn jemand ein Studium abschließt oder vielleicht auch abbricht, wenig Geld verdient, kein Geld verdient, weil er oder sie krank ist, Kinder erzieht oder Entwicklungshilfe macht, dann muss man auch nicht zurückzahlen. Also nur für denjenigen, für den das Studium sich finanziell gelohnt hat, der wird dann rückwirkend auch zur Kasse gebeten. Und das ist eben ein Modell, das nicht abschreckt, weil es keine Barriere am Anfang gibt, jeder kann studieren, und eines aber, das gerecht ist, weil diejenigen, die finanziell vom Studium profitieren, hinterher auch einen Beitrag leisten. Und mit dieser Grundidee kann man das auch auf Deutschland übertragen. Man braucht allerdings ein bundeseinheitliches Modell, was die ganzen Darlehensfragen und Ähnliches angeht. Und da sind wir natürlich in unserem Föderalismus im Moment noch ein Stück von weg.

    Brinkmann: Meinen Sie nicht, dass es ein bisschen abschreckend sein kann, dass, wenn am Ende diese Gebühren dann auf der Liste stehen, es ja wohl Kinder von wohlhabenden Familien sehr viel leichter haben, auch diese Summen zurückzubezahlen. Und wenn man sofort zurückbezahlt, so habe ich dieses Modell auch verstanden, bekommt man ja sogar einen Rabatt. Also sind ja doch wieder die Reichen bevorzugt, oder?

    Dräger: Also wir müssen nicht alles aus Australien kopieren, was die gemacht haben, dieses Thema Nachlass für Vorabzahlungen halte ich für nicht vernünftig. Also, da sollten wir durchaus adaptieren. Aber im Grundzug ist das Modell nicht abschreckend. Da ist auch keine abschreckende Wirkung in Australien festgestellt worden, weil ich eben nicht eine Summe wie 15.000 Euro Schulden am Ende des Studiums habe, sondern ich hab eine Verpflichtung, anteilig von meinem Gehalt etwas zurückzuzahlen, aber eben erst ab einer bestimmten Schwelle. Und die Angst kann man den jungen Menschen dann auch nehmen – wenn sie schlecht oder wenig verdienen, dann müssen sie eben auch nichts zurückzahlen. Und wir können ja heute auch für Deutschland sehen, wenn man mal das ausgefallene Einkommen während des Studiums und die höheren Steuern und alles berücksichtigt, dann ist ein Studium für jeden Einzelnen immer noch über 100.000 Euro wert.

    Und da kann man schon die Frage stellen, ob man diesen finanziellen Gewinn, den jeder Einzelne, der studieren darf, auch einsteckt im Durchschnitt, ob man den nicht auch entsprechend anteilig zu einem kleinen Teil dem Staat und dem Hochschulwesen wieder zurückgibt.

    In Australien das System wird auch grundsätzlich als gerecht empfunden, und, da es hinterher einfach über die Steuererklärung eingezogen wird, ist es auch sehr effizient, was Verwaltungskosten und Ähnliches angeht. Also wirklich ein System, was seit 25 Jahren funktioniert und von dem wir durchaus lernen können.

    Brinkmann: Jetzt haben Sie noch nicht gesagt, dass mit der Einführung der Absolventengebühren sich der Staat auch immer mehr aus der Finanzierung, also der australische Staat, des Hochschulbereichs zurückgezogen hat. Das ist ja eigentlich ein fataler Trend. Was macht Sie so sicher, dass Bund und Länder unter dem Druck der bevorstehenden Schuldenbremse hier nicht ähnlich reagieren?

    Dräger: Ja, wobei die Aussage für Australien nicht ganz stimmt. Vor 25 Jahren – es war übrigens eine Labourregierung, also eine sozialdemokratische Regierung, die das eingeführt hat – war das Problem in Australien, dass die Zahl der Studienplätze gewaltig ausgebaut werden sollte. Und der Staat hat sich nicht insgesamt zurückgezogen. Er hat nur pro Student etwas weniger ausgegeben, und dann sind eben auch Gelder über diese Absolventengebühren, ich glaube, sechs Milliarden Euro ungefähr im Jahr, an die Hochschulen zurückgeflossen.

    Brinkmann: Das klingt aus Ihrer Sicht sehr plausibel alles, sehr attraktiv. In Hamburg gab es das auch für ganz kurze Zeit mal, dieses Absolventenstudiengebührenmodell. Es ist ja im Prinzip nicht neu. Warum haben sich Bildungspolitiker, die ja immer auch irgendwo nach Geldquellen suchen, sich nicht schon viel eher dafür erwärmen können?

    Dräger: In der Politik herrscht aus meiner Sicht auch zu viel Unkenntnis über das, was möglich ist, was gerecht ist. Und wir haben, als 2007 die Studiengebühren stückchenweise eingeführt wurden, auch nicht alles richtig gemacht in Deutschland. Wir haben ein zerstückeltes System etabliert, und das hat nicht die Transparenz, nicht den Gerechtigkeitsaspekt und im Endeffekt auch nicht den Nutzen für die Hochschulen gebracht, wie wir das hätten machen können. Wie gesagt, der Blick nach Australien, der lohnt sich.

    Brinkmann: Meint Jörg Dräger im Deutschlandfunk. Er ist Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE).

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.