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Dramatiker-Durchstart in New York

Der junge Autor Tarel Alvin McCraney wurde von der New York Times als eine der hoffnungsvollste junge Stimme des zeitgenössischen afro-amerikanischen Theaters bejubelt. Sein Debut "The Brother's Size" war der Publikumsliebling auf dem "Under the Radar Festival" im Public Theater letzten Frühjahrs. Gleichzeitig mit der erfolgreichen britischen Erstaufführung am New Vic Theater in London hat das Public es nun auf Wunsch vieler Zuschauer wieder aufgenommen.

Von Andreas Robertz | 30.12.2007
    Die Geschichte handelt von den beiden afro-amerikanischen Brüdern Ogun und Oshoosi, die ungleicher nicht sein können: Ogun hat eine kleine Autoreparaturwerkstatt in Lousiana und kämpft durch harte Disziplin daran, aus dem Kreislauf von Armut und Unselbständigkeit auszubrechen und Oshoosi kommt gerade aus dem Gefängnis. Er ist der kleine Bruder, der lieber in den Tag hineinschläft und sich amüsieren will. Dabei gerät er immer wieder in Konflikt mit dem Gesetz. Als sein ehemaliger Knastkamerad Elegba ihm ein geklautes Auto schenkt, scheint für ihn die Freiheit ganz nah zu sein - nur sein Bruder ahnt bereits die Falle, in die Elegbas schlechter Einfluss seinen Bruder führen wird. Am Ende wird Oshoosi wieder von der Polizei gesucht und sein Bruder wird ihm helfen, aus dem Land zu fliehen.

    The Brothers Size klingt wie ein normales Sozialdrama, aber die Machart und die Sprache dieser Aufführung macht sie zu einem ungewöhnlichen Theatererlebnis. Der ganze Abend wird von Trommelbeats begleitet, zu der sich die drei muskulösen, nur mit langen Hosen bekleideten Schauspieler wie Tänzer bewegen. In der Mitte der Bühne befinden sich ein paar flache Steine, ein Sandkreis wird um sie herum gezogen und so entsteht die Spielfläche. Wir erleben ein Theater, das völlig auf größere Requisiten, Kostüme oder Bühnenbild verzichtet und ebenso auf der Straße spielen könnte oder in einem rituellen Raum. Die Sprache wirkt ungeheuer lebendig und direkt, sie ist gespickt mit Traumerzählungen, Songs und Geschichten. Die Schauspieler wenden sich dabei immer wieder an das Publikum (um ihre Handlungen zu beschreiben oder zu kommentieren) und manchmal könnte man glauben, wir wären Zeugen eines uralten afrikanischen Mythos, in dem Gut und Böse um die Seele eines jungen Mannes kämpfen.

    Die Regisseurin Tea Alagic, die bei internationalen Größen wie dem Pariser Théatre du Soleil, dem Kanadier Robert Lepage und dem New Yorker Richard Foreman gelernt hat, überrascht mit plötzlichen Stilwechseln, ohne dabei den Zusammenhang der Geschichte aus dem Auge zu verlieren. Ganz im Gegenteil gelingt ihr damit ein sehr emotionaler und dichter Abend, an dem wir viel über Schuld, Verantwortung, Liebe und Sehnsucht zweier Brüder erfahren, die in einer feindlichen Welt nur sich selbst als Stütze haben. Dabei stellt Alagic diese Geschichte in einen größeren kulturellen Zusammenhang. So entwickeln zum Beispiel die drei Spieler aus einem wütenden Streitgespräch über den Sinn völlig unterbezahlter Arbeit einen Tanz, der mit rhythmischen Gesang begleitet, an arbeitende Sklaven auf Baumwollplantagen erinnert.

    Dieser Abend handelt auch vom Kampf des schwarzen Amerikaners um kulturelle Identität, Freiheit und Selbstbestimmung in einem weißen Amerika und er zeigt, welch ungeheure Vitalität und Vielfalt diese "schwarze Kultur" zu bieten hat. Dabei lebt das Stück nicht nur von einem Feuerwerk der Erzählformen, die die drei Schauspieler völlig souverän beherrschen. Hier vermag Theater, eine alltägliche Geschichte in den Rahmen eines mystischen Menschenbildes zu stellen.

    Der Autor Tarell Alvin McCraney sagt dazu, dass ein Theater, das auf der Straße überleben kann, das Theater sei, das Leben retten kann." The Brothers Size" könne an jeder Straßenecke Amerikas gespielt werden, weil es von der Kraft des Erzählens handele. Tarell Alvin McCraney gehört zu Recht zu einer der hoffnungsvollsten Stimmen neuer US-Amerikanischer Dramatik. Er findet gerade seinen Weg nach Europa, wo er wegen seine Lebendigkeit und Nähe zu realen Menschen und seiner Verbundenheit zu den Ursprüngen des Theaters seinen Durchbruch haben wird. "The Brothers Size" ist das erste einer brother/sister Trilogie, deren weiteren Teile "In the Red and Brown Water" und "Marcus and the Secret of Sweet" sowohl vom Public als auch vom The New Vic bereits optioniert worden sind. Und die New York Times führt T.A. McCrawley unter :"To be watched!"