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Dramen der Leinwand

Tate Taylor erzählt in seinem Film "The Help" erzählt ein Stück amerikanische Zeitgeschichte aus den Südstaaten. Außerdem neu im Kino: das schwedische Familiendrama "Bessere Zeiten" von Pernilla August sowie die düstere britische Zukunftsvision "Perfect Sense".

Von Jörg Albrecht | 07.12.2011
    "Bessere Zeiten" von Pernilla August

    "Weder Sklaverei noch Zwangsarbeit ... sollen in den Vereinigten Staaten von Amerika ... existieren." Es war am 18. Dezember 1865, als der 13. Zusatzartikel zur Verfassung der USA in Kraft trat. Von der Überwindung der Rassentrennung oder gar der Gleichberechtigung von weißen und dunkelhäutigen Amerikanern ist das Land aber auch noch 100 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei weit entfernt. Insbesondere in Mississippi, dem vielleicht konservativsten aller US-Bundesstaaten, gelten zu Beginn der 1960er-Jahre strenge Verhaltensregeln für die Bevölkerungsgruppen der Nicht-Weißen. Faktisch sind sie Menschen zweiter Klasse. Ein Umstand, über den die von Emma Stone gespielte Skeeter schreiben will. Die junge Journalistin träumt von einer Karriere als Schriftstellerin.

    "Ich würde gerne von dir wissen, wie es so ist als Dienstmädchen zu arbeiten. Ich möchte ein Buch mit Interviews über die Arbeit bei weißen Familien machen."

    Aibileen ist eine von vielen schwarzen Frauen in der Stadt Jackson, die ihr Geld als Dienstmädchen reicher weißer Familien verdienen. Sie sind oft nicht nur Haushaltshilfe. Sie kümmern sich ebenso um die Babys und Kinder der Frauen aus der Oberschicht. Auch Skeeter hat während ihrer gesamten Kindheit ein engeres Verhältnis zu dem Dienstmädchen gehabt als zur eigenen Mutter. Dennoch dürfen die schwarzen Frauen nur in der Küche essen und es ist ihnen untersagt, die Toiletten im Haus zu benutzen.

    "Wissen Sie, was Miss Leefolt mit mir macht, wenn ich über sie rede? - Na ja, ich habe mir gedacht, wir sagen es ihr gar nicht. Und die anderen Dienstmädchen würden es auch geheim halten. - Die anderen Dienstmädchen? ... Ich habe gehofft, ich kriege so vier oder fünf. Damit ich zeigen kann, wie es in Jackson wirklich ist."

    Dass es hier einer modernen jungen Frau mit weißer Hautfarbe und noch reinerem Gewissen bedarf, um diese Lebenswirklichkeit in Jackson abzubilden, dürfte für die schwarzen Bürgerrechtler jener Tage wie Hohn klingen. Denn die Dienstmädchen kratzen ihren ganzen Mut nur zusammen, weil sie von einer guten weißen Fee an die Hand genommen werden. Unter dem Deckmantel der Aufrichtigkeit betreibt Hollywood wie in einem Märchen Schwarz-Weiß-Malerei. Und die stößt gerade in diesem Kontext besonders übel auf.

    Wenn ein kleines weißes Mädchen zu der schwarzen Haushaltshilfe sagt, dass sie seine wahre Mama sei, dann ist das mindestens so kalkuliert wie platt. "The Help" zieht immer ein paar sentimentale Register zu viel, um für Weinen und Lachen, Mitgefühl und Empörung zu sorgen. So sieht ein weichgespültes und gut gemeintes Drama über den alltäglichen Rassismus aus.

    "The Help" von Tate Taylor - zwiespältig!


    "Bessere Zeiten" von Pernilla August

    " Ich geh ran. Es ist für dich. - Hallo, hier ist Leena. - Hallo Leena, hier ist Mama. "

    Ein Anruf lässt Leena erstarren und verstummen. An ihrem Geburtstag wird die Ehefrau und Mutter zweier Mädchen von ihrer Vergangenheit eingeholt. Leenas Mutter, zu der sie seit geraumer Zeit keinen Kontakt mehr hat, liegt im Sterben und will sie noch ein letztes Mal sehen. Widerwillig macht sie sich mit ihrer Familie auf den Weg in das Krankenhaus ihrer Heimatstadt. Während der Autofahrt wird in Rückblenden die Vergangenheit lebendig.

    "Mama, du musst Sakari zur Schule bringen. Du musst aufstehen. ... Papa, heute komme ich in die Schule. - Das ist sehr gut, mein Junge."

    Der erste Schultag von Leenas kleinem Bruder, der Umzug in die neue Wohnung, die Alkoholexzesse des Vaters und die handfesten Auseinandersetzungen zwischen den Eltern. All das hatte Leena die letzten Jahre verdrängt. Doch spätestens am Krankenbett ihrer Mutter sind alle Erinnerungen wieder da. Schnell begreift sie, dass ihre Mutter die Lebenslüge von einer glücklichen Zeit mit ins Grab nehmen will.

    "Wir hatten es doch schön - trotz allem, oder? All die Feste. Und Papa konnte immer so schön tanzen. ... Es war nicht schön. ... Es gab nur Kotze und Blut, Pisse und Scheiße."

    Für ihr Spielfilmdebüt hat die schwedische Schauspielern Pernilla August den Roman "Bessere Zeiten" von der finnischen Autorin Susanna Alakoski gewählt. Ein glaubwürdiges und schonungsloses Sozialdrama, in dem die Protagonistin erkennen wird, dass sie die Vergangenheit nur hinter sich lassen kann, wenn sie sich mit ihr auseinandersetzt. Nur dann besteht für sie die Chance, Frieden zu schließen. Noomi Rapace und Outi Mäenpäa als Tochter und Mutter spielen großartig.

    "Bessere Zeiten" von Pernilla August - empfehlenswert!


    "Perfect Sense" von David Mackenzie

    "Hey. - Er ist weg. Der Geruch. Total weg."

    Liebe in Zeiten der Anosmie. Die Menschheit hat den Geruchssinn verloren. Aus unerklärlichen Gründen. Und den Geschmacksinn gleich mit dazu. Nicht die besten Voraussetzungen, wenn zwei Menschen gerade im Begriff sind, sich zu verlieben und nicht wissen, ob sie sich überhaupt riechen können.

    "Ich habe jemanden kennengelernt. Ich bin bescheuert. Ich weiß gar nicht, ob ich ihn mag."

    Er ist der Chefkoch Michael, sie die Wissenschaftlerin Susan. Ewan McGregor und Eva Green spielen das Liebespaar, das seine Sinne - genau wie alle anderen Menschen auch - nach und nach verlieren wird. Spätestens der Verlust der Seh- und Hörkraft wird die Beiden an den Rand der Verzweiflung bringen. Was ihnen vorerst bleibt, ist ihr Tastsinn. Und natürlich die Liebe. Die Liebe - ohne die das Leben nichts wäre!

    "Perfect Sense" ist - wie Camus' "Die Pest" und Saramagos "Die Stadt der Blinden" - eine Parabel über Menschlichkeit. Als solche ist diese sonderbare Liebesgeschichte erstaunlich effektiv und noch dazu romantisch.

    "Perfect Sense" von David Mackenzie - empfehlenswert!