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Dreck, der es in sich hat

Erdnussallergien können vereinzelt zu tödlichen Körperreaktionen führen. Bisher dachte man, sie werden hauptsächlich durch die direkte Nahrungsaufnahme ausgelöst. Nun legt eine Studie nahe, dass auch der Kontakt mit Hausstaub diese Unverträglichkeit begünstigt.

Von Volker Mrasek | 09.09.2013
    Wann handelt man sich eine Allergie gegen Erdnüsse ein? In dem Moment, in dem man dieses Lebensmittel zu sich nimmt, sollte man meinen. Und damit auch bestimmte Speicherproteine im Samen der Nüsse, die dafür bekannt sind, starke Allergene zu sein. Nicht umsonst spricht man ja auch von einer "Allergie gegen Nahrungsmittel". Doch so simpel ist die Sache nicht.

    "Man glaubt momentan, dass das Essen möglicherweise sogar protektiv, also schützend, ist. Und dass die Sensibilisierung, also das Entstehen der Allergie, über eine kaputte Barriere der Haut stattfindet. Und nicht übers Essen."

    Kirsten Beyer hält diese Hypothese für durchaus plausibel. Die Professorin leitet ein klinisches Studienzentrum an der Berliner Charité und forscht dort über Allergien bei Kindern – auch und gerade über die Allergie gegen Erdnüsse. Denn die entwickelt sich vornehmlich in den ersten beiden Lebensjahren, also im Säuglings-oder frühen Kleinkindalter.

    "Viele Patienten, die eine Erdnussallergie haben, haben eine Vorgeschichte von einer Neurodermitis oder zumindest einer auffälligen Haut. Die Haut ist in der Regel trocken, häufig Entzündungen da. Und man weiß, dass die Barriere der Haut bei diesen Kindern gestört ist. Und möglicherweise ist das halt auch so, dass Allergene auf diese Art und Weise in den Körper gelangen und auf diese Art und Weise den Patienten sensibilisieren."

    In einer Pilotstudie hat Kirsten Beyers Arbeitsgruppe an der Charité jetzt untersucht, ob die hochallergenen Erdnuss-Proteine nicht auch im Hausstaub vorkommen. Und ob Säuglinge und Kleinkinder auf diese Weise mit ihnen in Kontakt kommen können.

    21 Berliner Haushalte machten bei der Studie mit. Die Eltern protokollierten, wann und wo sie Erdnussprodukte wie zum Beispiel Flips im Haus oder in der Wohnung zu sich nahmen. Außerdem bekamen sie einen speziellen Aufsatz für den Staubsauger, um damit Proben einzusammeln. Die Daten wertete die Ernährungswissenschaftlerin und Doktorandin Valerie Trendelenburg aus:

    "Wir konnten in 19 von den 21 untersuchten Haushalten Erdnuss finden. Auch in solchen Haushalten, die eigentlich angaben, nie Erdnuss oder Erdnussprodukte zu konsumieren. Das war sehr interessant. Und wir vermuten, dass die meisten Leute gar nicht wissen, dass sie Erdnuss konsumieren, da Erdnuss in so vielen Produkten auch schon in Spuren enthalten ist. Also in versteckter Form. Produkte wie Müsli oder Kekse – gerade solche Getreideprodukte, in denen eben Erdnuss als versteckte Zutat enthalten ist oder in Form von einer Kontamination."

    Wer Erdnussflips vor dem Fernseher knabbert oder Kekse am Küchentisch, der weiß, wie sehr man dabei krümelt. Essensreste landen unweigerlich auf dem Boden und anschließend im Hausstaub. Das kann man noch gut nachvollziehen. Doch die Charité-Forscherinnen wiesen die Erdnuss-Allergene auch dort in hohen Konzentrationen nach, wo Kirsten Beyer nicht unbedingt mit ihnen gerechnet hatte:

    "Was bei unserer Studie auch noch speziell ist: dass wir in den Betten geguckt haben. Der Ort, wo gerade Kinder einen Großteil ihres Lebens noch verbringen. Und deswegen war für uns eigentlich sehr spannend, dass wir diese Erdnussproteine nicht nur da finden, wo man isst, sondern halt auch ein, zwei Räume oder auch eine ganze Etage entfernt - da, wo halt Menschen schlafen."

    Hausstaub scheint demnach ganz schön mobil zu sein.

    "Wir konnten halt auch zeigen: Wenn man zum Beispiel im Esszimmer Erdnussflips oder vorm Fernseher Erdnussflips isst, dass dann 48 Stunden später im Bett der Allergen-Gehalt ganz stark ansteigt."

    So könnte also eine Erdnussallergie unter Umständen entstehen: Die Nahrungsmittel-Proteine landen zuerst im Hausstaub. Dann im Bett der Kinder. Und dann auf ihrer Haut, deren Barriere die Allergene durchdringen, sofern eine Neurodermitis vorliegt.

    Medizinerin Beyer gibt sich aber bescheiden. Es handele sich nur um eine erste Pilotstudie. Und nicht alle Säuglinge und Kleinkinder, die eine Erdnuss-Allergie entwickeln, litten auch an einer Neurodermitis.

    "Es ist nur ein kleines Puzzlestück in diesem ganzen Rätsel: Woher kommt die Entstehung von Nahrungsmittelallergien? Aber diese enge Connection mit der Neurodermitis, wo wirklich jedes zweite Kind sensibilisiert ist gegen Nahrungsmittelproteine, legt nahe, dass es irgendwas auch mit dieser gestörten Barriere zu tun hat."

    Für Empfehlungen an die Eltern von Säuglingen mit Neurodermitis sei es aber noch zu früh. Die Ergebnisse müssten erst noch in Folgestudien abgesichert werden.