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Drei Eisbrecher auf dem Weg zum Nordpol

Im norwegischen Tromsö startet am Freitag ein neues Kapitel in der Arktisforschung: die arktische Bohrexpedition ACEX. Drei Eisbrecher fahren los in Richtung Nordpol, um 250 Kilometer davon entfernt, mitten im treibenden Meereis, eine Bohrung in der Tiefsee zu unternehmen. 500 Meter Bohrkern sollen gewonnen werden, ein neuer Weltrekord. Mit dieser Tiefbohrung soll die Menschheit erstmals Einblick in die Klimageschichte der Arktis bekommen. 16 Länder finanzieren das Projekt; die Mittel werden über die US-amerikanische Science Foundation, das japanische Wissenschaftsministerium sowie durch das Europäische Konsortium für Wissenschaftliche Ozeanbohrungen bereitgestellt. Deutschland engagiert sich mit rund drei Millionen Euro.

Von Dagmar Röhrlich | 06.08.2004
    Der Lomonosov-Rücken ist nur 250 Kilometer vom Nordpol entfernt und liegt in einem Kilometer Wassertiefe. In seismischen Profilen sieht er aus wie eine gewaltige Messerschneide auf dem Meeresgrund: 1500 Kilometer lang, 80 Kilometer breit und drei Kilometer hoch. Auf einem Kontinent wäre das ein hohes Gebirge.

    Im Norden ist ja im Inneren des Polargebiets ein Ozean, der arktische Ozean, der auch mit schwerem Packeis bedeckt ist, und über diesen Ozean wissen wir bisher sehr wenig. Es gibt Daten von Untersee-Booten, die während des Kalten Krieges gewonnen wurden, und wir wissen, dass verschiedene, hohe, gebirgsartige Rücken den arktischen Ozean in Becken aufgliedern.

    Franz Tessensohn von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Der Lomonosov-Rücken teilt den arktischen Ozean in zwei Becken: ein europäisches und ein amerikanisches.

    Vor 55 Millionen Jahren gehörte dieser Rücken zum Rand Nordeuropas. Als Europa und Nordamerika damals begannen, auseinander zu brechen, wurde der Lomonosov-Rücken wie ein Splitter abgespalten, und er driftete langsam in den zentralen arktischen Ozean, wo wir ihn heute finden. Während dieser ganzen 55 Millionen Jahren haben sich auf ihm Sedimente angesammelt - und die wollen wir untersuchen, denn die seismischen Profile sehen wirklich ungestört aus.

    Dann könnten die Geologen in diesen Gesteinsschichten 50 Millionen Jahre Klimageschichte lesen wie in einem Buch, erklärt Jan Backmann von der Universität Stockholm: Zwar regiert heute am Nordpol das Eis, aber damals muss es dort oben warm gewesen sein. Man findet versteinerte Krokodile in der kanadischen Arktis. Und die mächtigen Steinkohleflöze auf Spitzbergen sind Relikte eines subtropischen Sumpfwalds. Bis heute weiß niemand, wann das Klima in der Arktis kippte.

    Das ist eine der Kernfragen, die wir gerne lösen möchten, weil heute niemand weiß, wann die Arktis begann, zu vereisen. Wann war der arktische Ozean zum ersten Mal mit Eis bedeckt?

    Mit den Bohrkernen dürfte diese Frage sehr einfach zu beantworten sein, hoffen die Forscher. Also starten heute im Rahmen des IODP, des integrierten Meeresbohrprogramms, drei Eisbrecher in Richtung Nordpol. Sie sollen in den kommenden sechs Wochen ein bohrtechnisches Meisterwerk vollbringen: eine Tiefbohrung mitten im arktischen Ozean, rundherum umgeben vom Meereis. Der schwedische Eisbrecher "Vidar Viking" dient dabei als Bohrschiff, dazu kommen die beiden anderen Eisbrecher, die Odin und der russische Atomeisbrecher Sojus:

    Auf unserer "Bohrplattform" hat ein kommerzielles Unternehmen einen 26 Meter hohen Bohrturm errichtet. Für die Bohrung haben sie im Boden des Schiffs eine Öffnung von zwei Metern Durchmesser installiert, durch die das Bohrgestänge gesteckt wird. Das Problem ist, dass sich das Packeis im zentralarktischen Ozean permanent bewegt. Es gibt nur wenige freie Stellen, ehe der nächste Eisfluss herandriftet. Ein Eisfluss kann 500 Meter lang und einen Kilometer breit sein, und er ist rund zweieinhalb Meter dick. Da muss man das Bohrschiff schützen. Sobald das Bohrgestänge im Sediment steckt, kann man das Schiff nicht mehr bewegen, weil sonst das Bohrgestänge reißt.

    Der kräftige Atomeisbrecher Sojus knapp soll vier Kilometer vor der Vidar Viking die großen Eisflüsse zerbrechen und die Lage im Auge behalten, während die Odin die Vidar Viking unmittelbar schützt. Nach dem Ende der Mission werden Bohrkerne in die USA und nach Bremen geschafft, wo an der Universität das europäische Kernlager eingerichtet worden ist.