Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Drei Jahre Ehe für alle
Viel erreicht - noch viel zu tun

Vor drei Jahren beschloss der Bundestag die "Ehe für alle": Ein Meilenstein in der Emanzipation von Homosexuellen. Gemeinsame Adoptionen von Kindern wurden nun möglich. Lesbische Paare aber erleiden weiterhin Nachteile, wenn sie in einer Ehe Kinder haben und aufziehen möchten.

Von Peggy Fiebig | 30.06.2020
Zwei junge Männer gehen mit zwei Kindern über eine Straße.
2017 beschloss der Bundestag die Ehe für alle und stellte damit Lebenspartnerschaft und Ehe gleich (dpa)
"Die vor uns haben schon so viel erreicht, dass man einfach nur dankbar sein kann, dass die nicht aufgehört haben, für diese Sachen zu kämpfen."
Der Domkantor Marcell Fladerer-Armbrecht aus Brandenburg an der Havel erinnert sich noch gut an den 30. Juni 2017. Für ihn und Ehemann Nils ein besonderer Tag. Denn genau vor drei Jahren beschloss der Bundestag das sogenannte "Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts". Seitdem gibt es die Ehe für alle.
"Das muss man sich immer bewusstmachen, dass das keineswegs selbstverständlich ist. Und dass wir jetzt davon profitieren und eben nicht mehr diese ganzen Kämpfe haben, und eben so leben können – mit Kindern. Das ist doch was ganz Wunderbares."
Schwul, verheiratet und Kinder – vor wenigen Jahren war das in Deutschland noch fast undenkbar. Erst mit Einführung der Ehe für alle können homosexuelle Partner genauso wie Heterosexuelle heiraten - und erst seitdem auch gemeinsam Kinder adoptieren.
"Bei der Ehe geht es nicht um das Geschlecht, sondern, ob Menschen füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen wollen. Nach Artikel 6 stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates."
Klare Mehrheit im Bundestag
Berlin, Bundestagssitzung am 30. Juni 2017. Während es draußen in Strömen regnete, wurde drinnen heiß diskutiert. Auf Betreiben der SPD-, Linken- und Grünenfraktion war kurz zuvor noch der Gesetzentwurf des Bundesrates für die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare auf die Tagesordnung genommen worden. Viele Jahre war über dieses Thema in Gesellschaft und Politik gestritten worden. Entsprechend emotional war die Debatte.
".... War für mich schon klar, dass ich persönlich nie irgendetwas unterschreiben würde, in dem ‚Ehe für alle‘ drinsteht.‘ ‚Wenn sich die Gesellschaft wandelt, liebe Kolleginnen und Kollegen – und ich sage das in diese Richtung – dann müssen wir als Gesetzgeber handeln.‘ ‚Wenn der Bundestag heute die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnet, dann ist das ein historischer Tag für unsere Minderheit. Es ist ein Beitrag zu Einigkeit und Recht und Freiheit für unser Land. Die Verheißungen unserer Verfassung und unserer Hymne werden dann endlich auch für Lesben und Schwule wahr."
Ein miteinander verpartnertes lesbisches Paar sitzt am 24.06.2016 in Bremen mit seinem Sohn auf dem Sofa und liest in einem Buch. 
Ehe für alle - Umstritten bis zuletzt
Der politische Weg bis zur Ehe für alle war langwierig und konfliktreich in der Bundesrepublik. Und auch in Ländern, in denen die Ehe für alle bereits Gesetz ist, wird weiter intensiv debattiert.
Letztendlich hatten fast 400 der insgesamt mehr als 600 Abgeordneten "Ja" zur Ehe für alle gesagt. Während allerdings bei Grünen, Linken und SPD Einigkeit bestand, war die CDU/CSU-Fraktion zerrissen, erinnert sich der Berliner CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak: "Ich selber war ja immer einer der Befürworter, hab mich immer sehr dafür in meiner Partei und auch in meiner Fraktion dafür eingesetzt. Da gab's immer viele, die auch mitgestritten haben, auf diesem Weg, aber es gab auch viele, die gezweifelt haben. Und es war gar nicht einfach, da die Balance zu finden, weil die Motivation der Kollegen, weshalb sie dagegen waren, sehr, sehr unterschiedlich war."
Während die einen beispielsweise eine Ehe grundsätzlich ausschließlich Mann und Frau vorbehalten wollten, sahen andere verfassungsrechtliche Probleme, erinnert sich Jan-Marco Luczak. Sie hielten eine einfache gesetzliche Änderung für nicht ausreichend. Ihr Argument: Obwohl im Grundgesetz der Begriff "Ehe" nicht ausdrücklich definiert werde, habe schließlich auch das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont, dass eine Ehe aus Mann und Frau bestehe. Um die Ehe also auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, müsse folglich erst das Grundgesetz geändert werden. Jan-Marco Luczak – selbst ausgebildeter Jurist - kann sich noch gut an die Diskussion damals erinnern:
"Ich persönlich sehe das anders und glaube auch ganz fest daran, dass das Bundesverfassungsgericht, wenn man die Rechtsprechungslinie nachzeichnet, das ganz sicher heute nicht mehr sagen würde."
Das bestätigt auch die frühere Göttinger Rechtsprofessorin Dagmar Coester-Waltjen. Sie hat gemeinsam mit ihrem Professorenkollegen Ferdinand Wollenschläger im Auftrag der bayerischen Landesregierung ein Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung erstellt. Der Freistaat wollte prüfen, ob eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgversprechend ist. Geklagt wurde dann nicht - wohl auch, weil die beiden Professoren keine verfassungsrechtlichen Bedenken hatten. Dagmar Coester-Waltjen:
"Die Argumente waren: Artikel 6 verträgt eine solche Auslegung, dass sie auch die gleichgeschlechtliche Ehe mitumfasst, weil die Verfassung ja auch keine versteinerten Begriffe hat und man gesellschaftliche Entwicklungen bei der Auslegung der Verfassung mitberücksichtigen kann."
Außerdem bestehe bei einer Differenzierung zwischen Lebenspartnerschaft und Ehe immer die Gefahr einer Diskriminierung, so die Rechtswissenschaftlerin. "Wenn man gefragt wird: ‚Sind Sie verheiratet‘, muss man sagen: ‚Nein, ich lebe in einer registrierten Partnerschaft‘. Und das ist ja praktisch eine Offenlegung der sexuellen Orientierung, was nicht unbedingt jeder wissen muss."
Der AfD war die Einführung der Ehe für homosexuelle Paare ein Dorn im Auge. Ende Juni 2017, als das Gesetz beschlossen wurde, war die Partei noch nicht im Bundestag vertreten. Deshalb versuchte sie ein Jahr später, im Herbst 2018, das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen und forderte dessen Aufhebung. Doch der Vorstoß blieb erfolglos.
Kinder waren wichtiger als formale Eheschließung
Nils Fladerer und Marcell Fladerer-Armbrecht haben mit dem neuen Gesetz ihre Partnerschaft vor drei Jahren sofort umschreiben lassen. Recht unspektakulär sei das alles abgelaufen, erinnert sich Marcell.
Sohn Mattis (v.l.), Nils Fladerer, Marcel Fladerer-Armbrüster und Sohn Elijah
Sohn Mattis (v.l.), Nils Fladerer, Marcel Fladerer-Armbrüster und Sohn Elijah (Privat / Nils Fladerer)
"Also wir sind da wirklich hingelaufen wie zum Zahnarzt. Das war nicht besonders romantisch natürlich. Eigentlich wollten wir ja nur einen Termin holen, und da sagten sie, das können wir auch jetzt machen, so war das doch, nicht?" "Und dann waren wir die ersten auch in Brandenburg", ergänzt Nils Fladerer. Die beiden sind seit 2006 ein Paar.
2012 hatten sie sich nach dem damals noch gültigen Lebenspartnerschaftsgesetz verpartnert: "Und die Standesbeamtin war so ein bisschen aufgeregt. Und die ganzen Formulare und wie das denn jetzt so alles gehen würde. Aber wir haben das dann gemeinsam hingekriegt."
Viel wichtiger als ihre formale Eheschließung waren für die beiden Männer die Momente, als sie ihre Kinder bekamen.
"2014 haben wir dann den Elijah bekommen, im November. Da haben wir uns sehr drüber gefreut, unser erstes Adoptivkind. Und 2017 kam dann unser Kleiner, der Mattis im September. Der wird jetzt drei. Und Elijah ist schon sieben Jahre und ist schon in der ersten Klasse."
Elijah konnte nach damaligem Recht zunächst nur durch Nils adoptiert werden, Marcell wurde erst durch eine so genannte Sukzessivadoption ebenfalls zum Vater. Dass selbst das überhaupt möglich war, dafür hatte erst das Bundesverfassungsgericht gesorgt. Es erklärte 2013 das bis dato bestehende Verbot der Sukzessivadoption für homosexuelle Paare für verfassungswidrig.
Zwei Frauen schubsen ihr Kind beim Schaukeln an.
Abstammungsrecht - Gegen die Ungleichbehandlung homosexueller Paare
Wenn lesbische Ehepaare eine Familie gründen, wird die Frau der biologischen Mutter nicht automatisch zur Mutter - sie muss das Kind adoptieren. Der Weg ist äußerst mühsam. Um die Ungleichbehandlung lesbischer Paare zu beenden, will das Bundesjustizministerium das Abstammungsrecht nun ändern.
Beim jüngeren Mattis dann wurde es durch die zwischenzeitliche Verabschiedung des Gesetzes zur Ehe für alle etwas leichter. Ihn konnten die beiden dann schon gemeinsam als Paar adoptieren - so wie es auch ein heterosexuelles Ehepaar kann. Nicht immer ist es allerdings für den siebenjährigen Elijah einfach. Immer und immer wieder wollten seine Mitschüler wissen, wie das denn gewesen sei mit der Adoption und weshalb er zwei Papas habe.
Elijah: "Alle wollen das tausendmal hören."
Nils: "Ah, die wollen immer wieder darüber sprechen."
Elijah: "Jaaa."
Nils Fladerer, selbst Kinderpsychologe, erzählt, wie seinen Kindern allein schon durch die Reaktionen der anderen früh ihre besondere Situation bewusstgemacht werde. Deutlich früher als Kindern, die in heterosexuelle Familien adoptiert werden.
"Das wird ihn sicherlich stärken für sein Leben. Da bin ich mir ziemlich sicher. Oder sind wir uns ziemlich sicher. Und Mattis dann ebenfalls, wenn das dann Thema wird."
Lange Debatten über Kindeswohl
Noch bis vor wenigen Jahren wurde darüber diskutiert, ob und wieweit ein Aufwachsen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften das Wohl eines Kindes beeinträchtigen kann. Mittlerweile haben aber zahlreiche Studien festgestellt, dass das nicht der Fall ist. Und auch sonst hat sich in den vergangenen Jahren in der Gesellschaft einiges getan.
Laut der Vielfaltstudie, die im vergangenen Jahr von der Robert Bosch Stiftung herausgegebenen wurde, sind nur noch 21 Prozent der Befragten der Meinung, dass Homosexuelle und eigene Kinder nicht zusammenpassen. Und auch die gleichgeschlechtliche Ehe ist in weiten Teilen der Bevölkerung mittlerweile akzeptiert. Und war es auch schon, bevor die gesetzliche Regelung dazu verabschiedet wurde. Die Politik hat hier eine gesellschaftliche Entwicklung lediglich nachvollzogen. Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband LSVD Deutschland.
"Es gab schon vor der Eheöffnung 2017 - zwei, drei Jahre vorher wirklich deutliche Mehrheiten von 70 bis 80 Prozent. Und die steigen weiter diese Werte. Also die Zustimmung in der Gesellschaft war extrem hoch und hat sicherlich dazu auch geführt, dass das Abendland nicht untergegangen ist auch nach der Eheöffnung."
Allerdings: gut ist noch längst nicht alles. In den vergangenen Jahren haben Diskriminierungen von Schwulen und Lesben deutlich zugenommen, ebenso wie homophobe Übergriffe. Markus Ulrich vom LSVD: "Und wenn man sich nochmal überlegt, wo schränken sich Lesben und Schwule vielleicht ein, wo zeigen sie sich nicht so offen, wo lassen sie die Hand der Partnerin, des Partners los. Da wissen alle genau, würde ich jetzt mal behaupten, wo und wann ich mich oute. Und auch der Arbeitsplatz zum Beispiel ist ein Ort, wo ich vielleicht nicht sage, mit wem ich zusammenwohne, oder das Foto von meinem Mann vielleicht nicht auf dem Schreibtisch steht."

Jan-Marco Luczak (CDU) redet bei der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages
Jan-Marco Luczak (CDU) (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
Deshalb sei eben auch nicht nur eine politisch-rechtliche Öffnung wichtig – auch die Gesellschaft sei gefragt, konstatiert der CDU-Politiker Jan-Marco Luczak. "Und das hat was mit Bildung in den Schulen zu tun, das hat was mit Medien zu tun, wie damit umgegangen wird. Und hat auch was mit verfassungsrechtlichen Rahmenstellungen zu tun. Das ist aber ein Prozess, der wird sicherlich noch einige Jahre, vielleicht auch Jahrzehnte in Anspruch nehmen, wird sicherlich auch in den Städten, in den Ballungsgebieten schneller voranschreiten als es etwa in ländlichen Regionen der Fall sein wird, aber am Ende sind wir da auf dem richtigen Weg, und ich bin da sehr positiv gestimmt."
Gleichstellung noch nicht vollendet
Aber auch der Gesetzgeber selbst bleibt gefragt, um die gleichgeschlechtliche Ehe auch wirklich in allen Bereichen mit der heterosexuellen gleichzustellen. Denn auch heute noch werden lesbische Ehepaare, die Kinder bekommen, anders behandelt als heterosexuelle. Denn während bei letzteren der Ehemann automatisch Vater eines in der Ehe geborenen Kindes wird, müssen lesbische Paare einen oft langwierigen Adoptionsprozess absolvieren, bis auch die Partnerin der tatsächlichen Mutter, die sogenannte Mit-Mutter, ein rechtliches Elternteil wird.
Viele lesbische Paare fühlen sich dadurch diskriminiert. Wie Verena Akkermann und Gesa Teichert-Akkermann. Die beiden sind verheiratet, im Februar ist ihre Tochter Paula auf die Welt gekommen. Per Embryonenspende.
Gesa hat Paula zur Welt gebracht, ihre rechtliche Stellung als Mutter ist damit von Anfang an klar. Nicht so bei Verena. Ohne die Adoption ist sie für Tochter Paula ein rechtliches Nullum, eine Eintragung als Mit-Mutter hat das Standesamt abgelehnt. Den beiden Frauen war klar, dass nach derzeitiger Rechtslage auch nichts Anderes zu erwarten gewesen war, sie wollten aber eine Grundlage schaffen, um auf dem Klageweg eine solche Mit-Mutterschaftseintragung durchzusetzen. Denn eines war klar, eine Adoption wollten sie beide nicht, erzählt Gesa Teichert-Akkermann.
"Das ist tatsächlich auch so: Im Herbst, Winter letzten Jahres, als ich dann schon ziemlich weit mit der Schwangerschaft war, haben wir eben miteinander entschieden, dass wir uns nicht diesem diskriminierenden Verfahren der Stiefkindadoption unterwerfen wollen. Denn uns war immer klar, wenn das Kind geboren ist, gibt es kein Kind zu adoptieren, sondern da ist ein Kind, das hat zwei Mütter. Und sich fragen lassen zu müssen, ob Paula hier gut aufgehoben ist, dass meine Frau lang und breit erzählen soll, ob sie eine Beziehung zu diesem Kind hat – das ist eben aufgrund der ganzen Entstehungsgeschichte so absurd, dass wir uns in die Augen geguckt haben und gesagt haben: Das machen wir nicht."
Dass lesbische Paare hier vom Gesetz anders behandelt werden als heterosexuelle, liegt im so genannten Abstammungsrecht begründet. Vor allem sind das die Paragrafen 1591 und 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Hier ist festgelegt, dass als Mutter rechtlich diejenige Frau gilt, die das Kind geboren hat und als Vater der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist. Oder der, der die Vaterschaft anerkannt hat. Von einer zweiten Frau oder einem zweiten Mann ist nicht die Rede.
Die ursprüngliche Regelung aus dem Jahr 1900 bezog sich seinerzeit noch darauf, wann ein Kind als ehelich gilt. Der dahinterstehende Gedanke des Gesetzgebers: Kinder sollten möglichst in "geordnete Verhältnisse" hineingeboren werden. Die Rechtswissenschaftlerin Dagmar Coester-Waltjen erklärt:
"Dass es rechtlich für das Kind sehr viel besser war, als eheliches Kind eingestuft zu werden, einen zweiten Elternteil, der mit der Mutter über die Ehe verbunden ist, zu haben."
Heute sind eheliche Kinder nichtehelichen Kindern rechtlich weitgehend gleichgestellt. Ob ehelich oder nichtehelich geboren, spielt daher keine große Rolle mehr. Der Grundgedanke ist aber geblieben: Dem Kind sollte neben der Mutter ein weiterer, verlässlicher Versorger gegeben werden.
Regelungslücke sorgt für Ärger
Genau das wird aber einem Kind verwehrt, das in eine lesbische Ehe geboren wird. Denn die bisherige Regelungslücke bedeutet, dass bis zu einer erfolgreichen Adoption die leibliche Mutter als alleinerziehend gilt. In dieser Zeit hat das Kind also gegenüber der Ehefrau der leiblichen Mutter weder Unterhalts- noch Erbrechte. Für Verena Akkermann ist das schwer zu ertragen. Denn auch Tochter Paula hat derzeit vor dem Gesetz nur eine Mutter – nämlich Gesa Teichert-Akkermann.
"Und wenn die Mutter nicht mehr in der Lage ist, sich um das Kind zu kümmern, weil sie meinetwegen mit Covid19 in der Intensivstation liegt, dann ist das natürlich eine ganz große Sorge von uns, dass dann das Jugendamt kommt und das Kind in Obhut nimmt."
"Was das auch deutlich macht: Ich glaube, dass ganz wenige Schwangere sich kurz vor der Entbindung noch hinsetzen und ein Testament machen."
Und auch wenn Verena Akkermann etwas passieren sollte, hat Paula schlechte Karten. "Ich arbeite als Schulleiterin, ich bin Beamtin, ich bin finanziell ganz gut versorgt. Und ich würde natürlich ganz gerne, dass das Kind am Ende für den Fall, dass mir etwas passieren sollte, auch an mich Ansprüche hat. Eben zum Beispiel auf eine Waisenrente und derartige Dinge - und das ist natürlich ausgeschlossen, solange das Kind nicht mein Kind ist."
Verena und Gesa klagen daher vor dem Familiengericht Hildesheim auf Feststellung der Elternschaft von Verena und vor dem Amtsgericht Hannover darauf, dass Verena als zweiter Elternteil in die Geburtsurkunde eingetragen wird. Vertreten werden sie durch die Berliner Rechtsanwältin Lucy Chebout. Ihr Argument: Weil eine ausdrückliche Regelung für lesbische Ehepaare fehlt, müssten die Gerichte die Regelung für heterosexuelle Ehepaare entsprechend – bei Juristen heißt das "analog" – anwenden. Allein schon deshalb, weil das Grundgesetz eine Diskriminierung verbietet.
"Große Missachtung von vielen Familien"
"Die Voraussetzung für eine analoge Anwendung einer Norm ist, dass es eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz gibt, und dass die Interessen vergleichbar sind."
Das Problem dabei: Der Bundesgerichtshof hat bereits vor zwei Jahren festgestellt, dass eine solche Regelungslücke gerade nicht vorliegt. Und dass die Regelung, dass ein Ehemann automatisch Vater eines in der Ehe geborenen Kindes wird, eben auch die tatsächliche Möglichkeit abbildet. Für eine lesbische Partnerschaft könne das nicht gelten – aus biologischen Gründen.
Die Rechtswissenschaftlerin Dagmar Coester-Waltjen, die auch in einer vom Bundesjustizministerium eingesetzten Kommission zum Abstammungsrecht mitgearbeitet hat, ist überzeugt, dass einfach eine sinngemäße Anwendung des "Vater-Paragrafen" nicht in Frage kommt.
"Es ist dringend eine Gesetzesänderung erforderlich, denn das kann man alles so nicht schultern mit einer Auslegung des Gesetzes."
Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen
Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen (Imago / CommonLens)
Einen ersten Vorstoß in diese Richtung haben bereits 2018 Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag unternommen. Und auch im Bundesministerium der Justiz schlummert seit dem vergangenen Jahr ein, wie es heißt, "Diskussionsteilentwurf". Bewegt hat sich seitdem aber nichts: Der Entwurf der Grünen wurde im Februar abgelehnt und das Papier des Bundesjustizministeriums liegt offensichtlich auf Eis.
Die Bundestagsabgeordnete Ulle Schauws von den Grünen ärgert das sehr: "Ich finde es wirklich eine große Missachtung von vielen Familien in diesem Land. Deswegen bin ich wirklich auch extrem enttäuscht. Ja, gerade auch von den Parteien, die sich die Familienpolitik groß auf die Fahnen schreiben, zu sagen, dieser Teil von Familien – Regenbogenfamilien, Zwei-Mütter-Familien – sind uns nicht so viel wert, als dass wir an dieser Stelle die rechtliche Verbesserung wollen."
So müssen lesbische Mütter erst einmal weiter mit der rechtlichen Unsicherheit leben. Und es bleibt ihnen nur die Hoffnung, dass die Klage von Verena Akkermann und Gesa Teichert-Akkermann letztendlich erfolgreich ist. Oder dass sich der Gesetzgeber doch noch bald bewegt und eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht wird.