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Drei Länder, ein Sender

"Drei Länder - ein Sender!" Mit diesem Slogan protestierten Bürgerinitiativen gegen den Versuch der schleswig-holsteinischen Landesregierung, den Norddeutschen Rundfunk durch Kündigung eines Staatsvertrages aufzulösen. Am 9. Juni 1978 gab Ministerpräsident Stoltenberg bekannt, dass er entsprechende Schreiben an die Vertragspartner Hamburg und Niedersachsen geschickt hatte.

Von Wolfgang Stenke | 09.06.2008
    Am 9. Juni 1978 meldete der Norddeutsche Rundfunk in eigener Sache:

    "Wie in seiner Regierungserklärung im Juli 1977 angekündigt, hat Ministerpräsident Dr. Gerhard Stoltenberg heute morgen die Kündigung des Staatsvertrages über den NDR bekanntgegeben und Grundzüge einer Neuordnung der Rundfunkanstalt erläutert.""

    23 Jahre nach der Gründung war der zweitgrößte Sender der ARD in seiner Existenz bedroht: Zum 31. Dezember 1980 würde das von der CDU regierte Schleswig-Holstein aus dem Verbund der Dreiländer-Anstalt NDR ausscheren, falls die Vertragspartner sich bis dahin nicht auf ein neues Modell der Zusammenarbeit einigten. Zur Begründung sagte Stoltenberg:

    ""Die schwere Finanzkrise des NDR erfordert zwingend eine neue staatsvertragliche Regelung, um die Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Anstalt zu erreichen. Die in einzelnen Bereichen mangelnde Programmausgewogenheit macht eine Erweiterung und Verdeutlichung der im Staatsvertrag festgelegten grundsätzlichen Aussagen über das Programm notwendig."

    Es ging nicht allein um 78 Millionen D-Mark Schulden, sondern um die angebliche Linkslastigkeit der Programme. Zusammen mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht wollte Stoltenberg den von der SPD regierten Stadtstaat Hamburg zwingen, den unbequemen Sender an die kurze Leine zu nehmen.

    "Wehrt Euch, leistet Widerstand gegen das Atomkraftwerk im Land."

    Vor allem die Berichterstattung des NDR über die Proteste gegen den Bau des Atomkraftwerkes Brokdorf hatte die CDU-Landesfürsten bis aufs Blut gereizt. Zudem seien die Programme zu stark auf Hamburg ausgerichtet. Gerhard Stoltenberg:

    "Die Vernachlässigung der regionalen Belange Schleswig-Holsteins und Niedersachsens im Verhältnis zu Hamburg, der Zentrale dort, verlangt eine staatsvertragliche Gewährleistung einer umfassenden Regionalberichterstattung aus den beiden Flächenländern. Und schließlich meinen wir, dass neue Entwicklungen im Bereich der elektronischen Medien eine Neubestimmung und auch Begrenzung der Aufgaben des NDR als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt notwendig machen."

    Der NDR entstand 1955, als der von der britischen Besatzungsmacht gegründete Nordwestdeutsche Rundfunk in zwei Sender zerlegt wurde: Der WDR bediente fortan Nordrhein-Westfalen. Für den Norden, mit Ausnahme Bremens, war der NDR zuständig.

    Schon damals standen die öffentlich-rechtlichen Journalisten unter Druck. Der Aufstieg des Fernsehens zum Leitmedium in den 60er Jahren verstärkte die Begehrlichkeit von Parteipolitikern: Es ging um politischen Einfluss und mehr "Staatsnähe". Solchen Vorstellungen widersprach der ehemalige Bundesverfassungsrichter Gerhard Leibholz in der Diskussion um die Kündigung des NDR- Staatsvertrages entschieden:

    "Was die Rechtsaufsicht angeht, so irrt der Herr Ministerpräsident insofern, als seine Auffassung letzten Endes dazu führen würde, dass der Staat bestimmt, was wahr, objektiv, richtig ist. Und das würde in der letzten logischen Konsequenz doch wieder zu dem führen, was gerade nicht politisch Wirklichkeit sein soll - nämlich zu einer Art Staatsrundfunk."

    Nach Adenauers Projekt eines Regierungsfernsehens, 1961 vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen, war der Streit um den NDR-Staatsvertrag die zweite große medienpolitische Krise der Bundesrepublik. Gegen den Versuch, die Dreiländeranstalt auseinanderzunehmen, wandten sich neben den Mitarbeitern des Senders auch Bürgerinitiativen. Der Kabarettist Hans Scheibner 1979 auf einer Protestveranstaltung:

    "Es dachte sich Herr Stoltenberg:
    ‚Mit einem kleinen Trick
    benutze ich den NDR für meine Politik.’
    Die Freiheit geht weiter in’n Eimer,
    das macht doch nichts,
    das merkt ja keiner. Kuckuck!"

    Rettung kam von der Justiz: Niedersachsen, das Schleswig-Holsteins Kündigung gefolgt war, wurde 1980 vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen. Daraufhin einigten sich beide Länder mit Hamburg auf einen neuen Staatsvertrag, der unter anderem getrennte Landesprogramme für jedes Gebiet vorsah. Nach der Wiedervereinigung wurde erneut verhandelt. Mecklenburg-Vorpommern kam 1991 als vierter Vertragspartner hinzu.