Donnerstag, 28. März 2024

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Dreiländereck Saarland, Lothringen, Luxemburg
Mit dem Rad durch die Wiege Europas

Die Saar und die Mosel sind die Lebensadern im Dreiländereck Saarland, Lothringen, Luxemburg - als Wasser- und Energielieferanten, als Transportwege und Ländergrenzen. Heute verbindet ein ausgedehntes Netz von Fahrradwegen die "Wiege Europas". Auf dem Weg liegt auch das ehemalige Domizil des französischen Politikers Robert Schuman.

Von Dorothea Breit | 14.05.2015
    Blick vom felsigen Aussichtspunkt Cloef auf die Saarschleife in Orscholz: Die im Dreiländereck Deutschland, Frankreich und Luxemburg gelegene Saarschleife ist ein Natur- und Landschaftsschutzgebiet.
    Blick vom felsigen Aussichtspunkt Cloef auf die Saarschleife in Orscholz: Die im Dreiländereck Deutschland, Frankreich und Luxemburg gelegene Saarschleife ist ein Natur- und Landschaftsschutzgebiet. (picture alliance / Daniel Karmann)
    In Sarreguemines, deutsch ehemals Saargemünd radeln wir los, 20 Kilometer südlich von Saarbrücken. Die Saar fließt träge durch die schmucke, knapp 22.000 Einwohner zählende Kleinstadt. Architekturen des 19. Jahrhunderts erinnern an Zeiten des Wohlstands dank der Steingutmanufaktur, die Ende des 18. Jahrhunderts in der grünen Aue rund um die Bliesmühle errichtet wurde. In der Villa des ehemaligen Fabrikanten im Stadtzentrum befindet sich heute das Musée de la Faïences mit seiner Sammlung von Keramiken aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Der kostbarste Schatz des Hauses ist ein lichtdurchfluteter Wintergarten. Ein üppiges Schmuckstück des frühen Jugendstils.
    "Guten Tag! Ich bin Laetitia und ich spreche nur ein klein wenig Deutsch."
    Der Wintergarten des Keramikmuseums wurde 1979 als Nationales Historisches Kulturdenkmal klassifiziert. Früher war dies der Salon im Wohnhaus des ehemaligen Direktors der Keramikfabrik. Er ließ den Wintergarten 1880 nach der damals neuesten Mode einrichten: Die Wände sind vollständig mit Keramikfliesen verkleidet. Blumenornamente sind zu sehen, muschelverzierte Nymphen. Allegorien von Erde und Feuer rahmen den Kamin. Das Dekor des Salons zeigt zugleich im Überblick alles, was hier produziert wurde.
    Fresken, Vasen, Geschirre, Kachelöfen, Keramikfiguren. Auch die wechselvolle Geschichte des Unternehmens ist im Museum dokumentiert.
    Die Produkte unterscheiden sich in der Zusammensetzung des Materials und in den Bränden. Tonware wird bei 800, Porzellan bei 1.400 Grad gebrannt.
    Einer von ehemals 30 Brennöfen in Sarreguemines steht noch neben dem Rathaus: Eine kegelförmige Ziegelsteinkonstruktion aus dem Jahr 1862, neun Meter im Durchmesser am Boden, elf Meter hoch. Neun Tonnen Steinkohle wurden für einen Brand verfeuert. Die Kohle lieferten die Schiffer auf der Saar.
    Auf deren Wegen, den Lein- und Treidelpfaden, die heute asphaltiert sind, radeln wir am linken Saarufer flussabwärts in nördlicher Richtung. Am rechten Ufer ist das alte Casino zu sehen, das einst als kulturelle Begegnungsstätte für die Arbeiter der Keramikfabrik errichtet wurde.
    Es gab einen Mann, der hieß Nicolas, er war Schiffnickel. Er hatte ein Boot und brachte Leute, die auf der anderen Seite einkaufen wollten, von einem Ufer zum anderen.
    "Nicht gratis, man musste ihm ein Geldstück geben. Keine Pfennige, wir hatten Saarländische Francs", erzählt ein älterer Herr mit Rennrad, der wie wir angehalten hat und auf das gegenüberliegende Ufer schaut, wo die Blies in die Saar mündet.
    Von dieser Mündung leitet sich auch der Name Saargemünd oder Sarreguemines ab, sagt er.
    "Mein Name ist Joseph Bläß."
    Wie fast alle Saarländer seiner Generation spricht er Deutsch und Französisch. Er hat die Grenzwechsel während des Zweiten Weltkriegs miterlebt.
    "Die Saar macht die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich, und hier 20 Kilometer, macht die Blies die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland, und dann fliest die Blies ins Deutschland. Das war immer die Grenze zwischen Saarland und Frankreich. Bloß kurz nach dem Krieg, 15 Jahre lang hat Frankreich das Saarland dürfe ausnutze, wie man sagt, Kohle rausholen und so was. 1960 war die Abstimmung für die Saarländer: Wollen Sie deutsch bleiben oder wollen Sie Franzose bleiben? Natürlich haben Sie gewählt, der Saarländer ist ein Deutscher. Von 45 bis 1960 war das keine richtige Grenze. Wir haben können rüber und nübergehen ohne Problem."
    Fluss ohne Strömung
    Joseph radelt mit uns weiter. Die Bäume stehen in frischem Grün, es blüht und duftet. Weißdorn, wilder Flieder, rosa die Wildkirschenbäume auf den Wiesen und weiß die wilden Reineclauden. An den Uferrändern hängt Gras in das dunkelgrüne Wasser der Saar, die so gut wie keine Strömung hat. Stattdessen gibt es Wehre.
    "Der ganze Fluss, der gemacht ist für die Schiffer, der darf keine Strömung haben, weil die Schiffe, früher wurden sie gezogen von Pferden. Jedes Mal wo es ein bissel bergab ging, hat man ein Wehr und eine Schleuse, dass es immer flach ist für die Schiffer. Dann hat man die Schleuse, dann geht man fünf Meter tiefer. Im Strom haben sie keine Möglichkeit zu bremsen, früher haben sie keinen Motor gehabt."
    Joseph macht uns aufmerksam auf Spuren, die am Ufer noch sichtbar sind.
    "Da sind Trassen von den Strängen von den Schiffern, wo die Schiffer gezogen haben."
    Auf der Mauer eines Wehrs hockt ein Kranich und lauert auf Fische. Ein verrosteter Hebekran steht am Wegrand. Hier wurde einmal Kohle geladen. Auch alte Öl- und Getreidemühlen sind zu sehen. Auf der Höhe von Saarbrücken verabschiedet sich Joseph von uns. Wir radeln weiter an der Saar flussabwärts. Eine Entenfamilie zieht über das ruhige Wasser dahin. In der Ferne taucht eine monumentale Hochofenanlage auf. Die Völklinger Hütte.
    "Karl Röschling hat 1883 den ersten Hochofen hier in Völklingen angeblasen. Und bis 1903, also 20 Jahre hat das gedauert, bis das Werk vollendet war mit zum Schluss sechs Hochöfen."
    Walter Altpeter führt uns durch die Anlage mit der einzigartigen Gichtbühne.
    "Diese Gichtbühne zeigt Ihnen, dass ein Aufzug alle Rohstoffe zu den Öfen brachte, was damals schon einmalig war, diese Konstruktion. Röschling hatte die geniale Idee 1911 umgesetzt, einen Aufzug zu bauen. 1965 haben 17.200 Menschen hier gearbeitet. Mit der ersten Stahlkrise Mitte der 1970er-Jahre kam es zum Rückbau, 1986 zur Schießung des Werks. 1994 wurden wir als erstes Industriedenkmal weltweit überhaupt Weltkulturerbe."
    Der Rundgang beginnt in der Sinteranlage. Wir stehen auf dem Kohlegleis.
    Allein die Mengen an Stahl, die in der Konstruktion der Anlage verbaut wurden, sind überwältigend. Auf Brücken überqueren wir gigantische trichterförmige Schüsseln.
    "Es gibt keine andere komplett erhaltene Eisenhütte, wo von der Anlieferung der Rohstoffe bis zur Roheisenerzeugung komplett die Anlage erhalten ist. 24.000 Tonnen Material pro Tag wurden dort umgeschlagen."
    Einige Tonnen des Staubs, der dabei anfiel, sind noch zu sehen.
    "32.000 Tonnen Staub gab es jeden Tag in den Himmel von Völklingen. Und wie es hier drinnen aussah, sehen Sie an den Scheiben hier. Die Männer, die hier gearbeitet haben - Sie können sich vorstellen, wenn die 10, 15 Jahre hier gearbeitet haben, dann war in der Regel die Gesundheit nicht mehr die beste. Es gab Atemwegs- und Lungenerkrankungen."
    Die Arbeitsbedingungen waren unvorstellbar. Neben Staub entsetzlicher Lärm und höllische Hitze.
    "Unten am Ofen, wenn der Abstich erfolgte, waren's für die Männer immer noch 100 Grad und mehr. Früher hatten die keine Schutzanzüge, die kamen mit ihrer Filzjacke und Filzhut."
    Wir müssen Schutzhelme aufsetzen, bevor wir weiter über eine Wendeltreppe hinaufsteigen, an Förderbändern und Trichtern mit Schwenkarmen vorbei auf eine Art Brücke oder Galerie, ehe die Gichtbühne erreicht ist.
    "Wir stehen jetzt in 27 Metern Höhe auf der Gichtbühne, wo die Rohstoffe in die Anlage gegeben wurden."
    Das Transportsystem der Hängebahnwagen ist hier zu sehen, dahinter ein Hochofen, in dem die Eisenschmelze stattfindet, wobei gefährliches Gas entsteht.
    "Wir haben hier unten den Abstich des Ofens und der Ofen wurde alle zweieinhalb Stunden geöffnet. Das geschah mit Hammer und Meißel, später mit Pressluft."
    So stellt man sich das Tor zur Hölle vor. Die Rahmen unserer Fahrräder sind auch aus Stahl gelötet, denke ich, als wir wieder am grünen Ufer der Saar radeln, und weiß es zu schätzen. Wir haben E-Bikes ausgeliehen, E-Velo oder Pedelecs auf Französisch; sie sind superleicht zu radeln auch ohne Motor am Fluss entlang.
    Keramiktradition
    Bis Mettlach geht's am nächsten Tag. Ausflugsdampfer ziehen vorüber in der imposanten Schleife, die die Saar durch die hügelige grüne Landschaft fließt. Dahinter liegt am rechten Ufer die Alte Benediktiner-Abtei von Mettlach. Ein prächtiger, langgestreckter Barockbau aus roten Ziegelsteinen. Seit 1809 residiert hier der traditionsreiche Keramikproduzent Villeroy & Boch. Wie in Sarreguemines war für die Keramiker die Nähe zum Wasser wichtig.
    "Man hat auf der Töpferscheibe gearbeitet, mit Wasserkraft angetrieben."
    Esther Schneider führt uns durch die Schausäle des Museums. In wandhohen Glasvitrinen sind Kacheln und Geschirre anzuschauen. Sie erzählen die Geschichte der Keramikproduktion und der beiden Fabrikantenfamilien Villeroy und Boch. Steingut in allen Farben und Formen ist zu sehen, mit Tieren, Blumen und Blüten garniert oder bemalt, darunter auch manche Kuriositäten. Ebenso bei den Fliesen, die in viereckigen, Kuchenmodeln ähnlichen Schablonen hergestellt werden.
    "Wenn Sie im Kölner Dom sind, die Mosaikfußböden, die Sie dort finden, die sind von uns. Ludwig der Zweite Herrenchiemsee, die Außenfassade ist Villeroy & Boch. Wir haben ganz viele prominente Adressen. Das zum Beispiel war das Waschgeschirr von Ludwig dem Zweiten von Bayern, mit dem wir Neu Schwanstein 1882 ausgestattet haben. Und das ist die Preußische Version für vier unterschiedliche Herrscher, wo dann jeweils auch die kompletten Schlösser ausgestattet wurden mit Waschgarnituren."
    Alle Stilrichtungen bis hin zur Bauhausmoderne sind im Keramik-Design wiederzufinden. Das technische Verfahren zur Herstellung viereckiger Teller, wie sie derzeit Mode sind, hat übrigens auch original Villeroy & Boch entwickelt. Von solchen Tellern speisen wir hie und da Köstlichkeiten der saarländisch-lothringischen Küche in gemütlichen Landgasthöfen, in denen wir auch weich und ruhig schlafen, um am nächsten Morgen fit aufs Fahrrad zu steigen.
    Ein Vater Europas - Robert Schuman
    An der Saarschleife biegen wir auf einen der beschilderten Grenzenlos-Radwege ab Richtung Westen und strampeln über die grünen Hügel Lothringens. Bergab und bergauf - elektrisch unterstützt ein großes Vergnügen! Die Mirabellenbäume blühen, die Sonne scheint! In dem Winzerdorf Schengen, im südlichsten Zipfel Luxemburgs treffen wir auf die Mosel und folgen ihr flussaufwärts Richtung Süden nach Scy-Chazelles in einen Vorort von Metz. Hier wohnte der französische Politiker Robert Schuman in einem bescheidenen Landhaus aus dem 19. Jahrhundert mit zauberhaftem Garten. Das Ziel unserer Fahrradtour. Robert Schuman gilt als Vater Europas.
    "Er hat immer ganz einfach gelebt. Er hing auch an Lothringen. Seine Mutter war luxemburgische und sein Vater war von der Moselle."
    Robert Schuman wurde 1886 in Luxemburg geboren. Er studierte Jura, Philosophie und Wirtschaft in Bonn, München, Berlin und Straßburg, promovierte und eröffnete 1912 eine Anwaltskanzlei in Metz. Seine politische Karriere begann 1919 als Abgeordneter für das Departement Moselle. 1926 erwarb er das Anwesen in Scy-Chazelles nahe einer alten Wehrkirche, in der er 1963 beerdigt wurde.
    "Er liebte allein zu sein. Trotzdem hat er berühmte Leute hier empfangen. Zum Beispiel Jean Monnet, Adenauer,, auch Jean-Marie Belt, und noch andere."
    Die Führung beginnt in der Eingangshalle. Von dort geht es in die Küche und ins angrenzende schlichte Esszimmer.
    "Er war nicht verheiratet. Er hatte eine Haushälterin, sie heißt Marie Kenne. Sie hat für ihn während mehr als 40 Jahre gearbeitet. Sie hatten auch Hühner und am Ende der Woche, als er zurückkam, machte sie ihm gerührte Eier mit Schnittlauch, das war seine liebste Speise."
    Eine Holztreppe führt hinauf in den ersten Stock zur Bibliothek. Die Wände stehen voller Bücher, darunter viele dicke, in Leder gebundene alte Folianten.
    "Ein Büchernarr. Er sammelte alte Bücher, schon ganz jung mit seine Mutter hat er diese Sammlung angefangen. Als er gestorben ist, hat man hier 8.000 Bücher gezählt. Viele alte Bücher, seltene Bücher, einige vom Mittelalter, Inkunabeln auch. Französisch, Deutsch, Italienisch, Englisch, Latein und Griechisch. Er sprach alle Sprachen. Wie alle anderen Sachen wurden diese Bücher alle verkauft, versteigert nach seinem Tod. Seit einigen Jahren versuchen wir, diese Bücher zurückzufinden und zu kaufen. Heute sind ungefähr 5.000 Bücher im Haus."
    Das Robert-Schuman-Anwesen gehört heute dem Departement Moselle. In einem modernen Anbau wurde ein interaktives Dokumentationszentrum zur Geschichte Europas und zu Leben und Werk Schumans eingerichtet.
    "Während der Zweite Weltkrieg wurde Robert Schuman von der deutschen Armee verhaftet in Neustadt, wo er geflohen ist. Er war versteckt und während diese Zeit hat die deutsche Armee hier gelebt, und sie haben die Zentralheizung eingebaut. Und als er zurückgekommen ist, war das eine gute Überraschung und er sagte allen seinen Freunde: Ich habe nicht alles verloren während dem Krieg. Ich habe Zentralheizung."
    Nach dem Zweiten Weltkrieg übte Robert Schuman mehrere Ministerämter aus, von 1948 bis 1953 war er Außenminister Frankreichs. In seinem Büro in Scy-Chazelles liegen Dokumente und mit Schreibmaschine getippte Briefe auf seinem Schreibtisch. Auf dem Kaminsims steht ein altes Radiogerät.
    "Das wichtigste Zimmer vom Haus. Er arbeitete viel, er verbrachte viel Zeit hier. Und auch sehr symbolisch, weil man kann sagen, dass Europa hier geboren ist. Er hat hier das Projekt von Jean Monnet studiert und seine Erklärung hat er hier angefangen, die Erklärung vom 9. Mai."
    In der historischen Rede am 9. Mai 1950 vor der Nationalversammlung stellte Schuman seinen Plan zur Einigung Europas vor, aus dem ein Jahr später die Montanunion hervorging, die Europäische Gemeinschaft für Stahl und Kohle. Von 1958 bis 1960 war Schuman erster Präsident des Europäischen Parlaments in Straßburg. Im internationalen Ausland wurde er hoch geschätzt, in Frankreich jedoch dauerte es eine Weile nach drei Kriegen in weniger als 100 Jahren.
    "Die Französischen waren nicht bereit für eine Versöhnung mit Deutschland. Deswegen auch war Robert Schuman nicht erkannt und er war auch ein Deutscher. Aber für ihn seine Karriere war nicht wichtig. Wichtig war wieder Frankreich und Deutschland zu versöhnen, dass keinen Krieg mehr gibt. Er war ein Humanist."