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"Dringend notwendig, einmal die Staaten von den Finanzmärkten abzukoppeln"

Oskar Lafontaine erinnert daran, dass die Linke bereits vor einigen Jahren Euro-Bonds vorgeschlagen hat. Damals habe die Regierung das abgelehnt. Doch "das ist eben jetzt eine ganz neue Situation".

Oskar Lafontaine im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 17.08.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Live am Telefon begrüße ich jetzt den Vorsitzenden der Linksfraktion im saarländischen Landtag, schönen guten Morgen, Oskar Lafontaine!

    Oskar Lafontaine: Guten Morgen!

    Heckmann: Merkel und Sarkozy setzen sich für eine echte Wirtschaftsregierung der Eurozone ein, deren Chef EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy werden soll, zunächst zumindest. Auch eine Finanztransaktionssteuer gehört zum Vorschlagspaket. Das müsste Musik sein in Ihren Ohren, oder?

    Lafontaine: Zunächst einmal: Die Wirtschaftsregierung, die wird ja schon seit 20 Jahren gefordert. Jacques Delors hat immer darauf hingewiesen, dass der Euro nicht funktionieren kann, wenn es nicht eine solche Regierung gibt. Insofern ist es gut, dass das wieder einmal erwähnt wird, man wolle es vielleicht tun. Aber auch wenn eine Wirtschaftsregierung eingerichtet wäre, wäre es nicht ausreichend, denn es kommt ja darauf an, welche Politik sie macht. Und die Politik, für die Merkel und Sarkozy stehen in den letzten Jahren, die führt eben zur Krise, und deshalb ist die Wirtschaftsregierung allein nicht ausreichend. Man muss eben noch die Ursachen der Krankheit bekämpfen. Die Hauptursache wird weltweit nicht angegangen, das ist das marode Bankensystem. Solange die Banken Zockerbuden und Spielbanken sind, wird es überhaupt keine Genesung geben, es wird auch der Euro nicht gerettet werden können. Erste Aufgabe ist also, diese verdammte Finanzwirtschaft neu zu ordnen. Das Zweite ist, ...

    Heckmann: Pardon, wenn ich da kurz einhaken darf, Herr Lafontaine: Die meisten Experten sind sich darüber einig, dass nicht die Banken das eigentliche Problem sind, sondern vor allem die Schuldenpolitik der europäischen Staaten.

    Lafontaine: Ja, das sind keine Experten, sondern Ahnungslose, oder diejenigen, die seit 20 Jahren dummes Zeug reden an dieser Stelle. Es ist nun einmal so: Ohne eine Neuordnung des Bankensektors, ohne die Ordnung der Zockerbuden und Spielbanken gibt es keine Erholung der Weltwirtschaft, gibt es auch keine Sanierung des Euro. Das Zweite ist: Wir müssen eine Wirtschaftspolitik in Europa machen, die alle Interessen berücksichtigt. Wenn die größte Volkswirtschaft in Europa Fehler macht – das sind die Deutschen –, indem sie Lohndumping und Steuerdumping betreibt, dann wird das Eurosystem auseinanderbrechen. Das hat eine Minderheit von Experten schon vor vielen Jahren gesagt. Wir sind jetzt kurz davor. Wir haben seit zehn Jahren hier in Deutschland eine Lohnpolitik, die eben unsere Nachbarländer in große Schwierigkeiten bringt. Diese Lohnpolitik muss im Rahmen einer Wirtschaftsregierung koordiniert werden, das heißt, alle Länder in Europa müssen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistung auch die Löhne steigern, denn eines müssten auch alle Experten wissen: Wenn die Löhne auf breiter Front sinken, kann keine Wirtschaft sich erholen.

    Heckmann: Die Leitung ist ein bisschen schlecht, Herr Lafontaine, dennoch die Frage: Glauben Sie denn im Ernst, dass es eine realistische Forderung ist, die Lohnpolitik auf europäische Ebene zu verlagern?

    Lafontaine: Ja, das muss koordiniert werden, das ist ja eben auch das, was dann [...] auf Nationalebene sollen, denn ohne das geht es nicht. Früher war es so: Die Wechselkurse waren die Stoßdämpfer der Volkswirtschaft. Wenn ein Land die Löhne zu stark erhöht hat, dann wurde die Währung abgewertet, und wenn ein Land die Löhne, wie Deutschland, immer wieder zu wenig erhöht hat, dann wurde die Währung aufgewertet. Diese Stoßdämpfer stehen nicht mehr zur Verfügung, also muss man einen anderen Mechanismus finden. Der einzige andere Mechanismus, der möglich ist, ist eine koordinierte Lohnpolitik. Das Zweite, was Sie noch angesprochen haben, die Schuldenbremse – das ist ja ein wunderbares Wort –, wenn man aber die Schuldenbremse verbindet mit weiteren Steuersenkungen, dann ist das irgendwie eine gewisse Idiotie. Ich habe also den Bulletins entnommen, dass man beispielsweise bei den Unternehmenssteuern hingehen will und die Körperschaftssteuer Deutschlands und Frankreichs anpassen will, aber eben die französische an die deutsche, das bedeutet also Steuersenkungen, und wie das aufgehen soll, das muss man eigentlich einem Grundschüler erläutern, dass man auf der einen Seite sagt, ich will keine Schulden machen, aber meine Einnahmen senke ich – das geht so nicht. Das heißt, ohne eine grundsätzliche Neuorientierung der Wirtschaftspolitik wird es keine Lösung geben. Was wir in den letzten Jahren erleben, ist ja erbärmliches Stolpern von Jahr zu Jahr, von Krise zu Krise, jetzt gewissermaßen von Monat zu Monat, weil kein Einsehen ist, dass eben mit einer völlig falschen Wirtschafts- und Finanzpolitik keine Lösung der Probleme zu erreichen ist.

    Heckmann: Kommen wir mal zur sogenannten Finanztransaktionssteuer, also die Steuer, die auf Bewegungen am Kapitalmarkt erhoben werden soll. Die wurde ja schon mehrfach angekündigt, passiert ist bisher nichts. Was würden Sie denn machen, um zum Beispiel die Briten davon zu überzeugen, mitzumachen? Würden Sie auch die Kavallerie ausreiten lassen?

    Lafontaine: Nein, das wäre wahrscheinlich der falsche Weg, aber ob die Briten mitmachen oder nicht, ist nicht so das Entscheidende. Entscheidend ist, dass die Europäer es wirklich machen, und insofern ist die Ankündigung selbstverständlich zu begrüßen, aber diese Ankündigungen haben bereits, um daran zu erinnern, Sie haben ja auch darauf hingewiesen, Schröder und Jospin gemacht - das liegt schon einige Jahre zurück, passiert ist in Wirklichkeit gar nichts. Hier kommen wir wieder zum Ausgangspunkt: Wer regiert eigentlich, und wer bestimmt die Politik? Das ist in Amerika so, wie in Deutschland [...]: Die Banken bestimmen die Politik und nicht die Politik das Gebaren der Banken. Solange das so bleibt, wird es auch keine Transaktionssteuer geben, und die Banken verdienen an den unkontrollierten Finanzbewegungen über die Ländergrenzen.

    Heckmann: Bundeskanzlerin Merkel ist ja weiterhin strikt gegen diese sogenannten Euro-Bonds. Sie sind dafür, obwohl sie laut Expertenschätzung rund 50 Milliarden Euro im Jahr kosten sollen. Sollen die Deutschen also in Zukunft die Schulden ihrer Nachbarn übernehmen und sollten sie das dann nicht auch offen sagen?

    Lafontaine: Die Euro-Bonds waren ein Vorschlag vor einigen Jahren. Ich habe als Vorsitzender der Partei Die Linke vor einigen Jahren diesen Vorschlag gemacht. Man hätte mit den Euro-Bonds verhindern können, dass die Zinsen in den sogenannten Schwachländern nach oben explodierten. Vor einigen Jahren hat man das abgelehnt, allen voran Merkel und damals Steinbrück. Das ist jetzt eben eine ganz neue Situation. Ich glaube, zurzeit ist es einfach dringend notwendig, einmal die Staaten von den Finanzmärkten abzukoppeln. Deswegen hat die Linke vorgeschlagen, vielleicht in zehn Jahren werden die anderen Parteien das aufgreifen, dass man eine öffentlich-rechtliche Bank hat, die eben dann nicht der Deutschen Bank Geld gibt für 1,25 Prozent und die Deutsche Bank leiht das also dann an Griechenland weiter für über zehn Prozent, solange man diesen Mechanismus hat, der eigentlich unverständlich ist, so lange wird es auch hier keine Verbesserung geben. Wir brauchen also eine öffentlich-rechtliche Bank, die die europäischen Staaten von dem Geschäftsgebaren der privaten Geschäftsbanken entkoppelt.

    Heckmann: Wir sprechen mit Oskar Lafontaine, dem Vorsitzenden der Linksfraktion im saarländischen Landtag. Herr Lafontaine, wir müssen auch über Ihre Partei sprechen in diesen Tagen. 50 Jahre nach dem Bau der Mauer streitet die Linke darüber, wie diese zu bewerten ist. Fragen Sie sich nicht auch manchmal, welcher Partei Sie da eigentlich angehören?

    Lafontaine: Ja, ich halte diese Diskussion für völlig überflüssig, denn Sie spielen ja darauf an, dass ich ...

    Heckmann: Aber sie ist ja da.

    Lafontaine: ... dass ich SPD-Vorsitzender war und dass ich die Mauer schon verurteilt habe als Schüler, das war 1961, als sie gebaut wurde. Also das muss man nicht jedes Jahr wiederholen.

    Heckmann: Das sehen aber offenbar nicht alle Ihrer Parteimitglieder so.

    Lafontaine: Ja, es gibt in jeder Partei Diskussionen, die also mit einigen Fragezeichen zu versehen sind, aber hinsichtlich des Mauerbaus ist also die Haltung der großen Mehrheit der Mitglieder klar. Im Übrigen ist das ja auch ein Instrument, diese Diskussion, um die Linke zu diskreditieren. Ich würde gerne mit der ehemaligen FDJ-Agitatorin, der FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda, Frau Merkel, über die Mauer diskutieren, das wäre dann eine spannende Diskussion.

    Heckmann: Aber was sagen Sie denn, das Teile der Linken in Mecklenburg-Vorpommern die Mauer als alternativlos und als Grundlage für eine friedliche Koexistenz bezeichnet haben?

    Lafontaine: Ja, es gibt immer wieder solche Diskussionen im Osten, natürlich auch einige eben, die mit ihren Biografien nicht fertig werden. Aber für die große Mehrheit der Partei Die Linke ist die Beschlusslage völlig klar, es gibt keinen Grund, ein solches Bauwerk zu rechtfertigen, und für viele ehemalige Sozialdemokraten, Grüne und Gewerkschafter in der Partei Die Linke ist das sowieso kein Thema.

    Heckmann: Zahlreiche Intellektuelle, Herr Lafontaine, und ehemalige DDR-Bürgerrechtler haben einen offenen Brief geschrieben an Die Linke und sie aufgefordert, ihre Unterstützung der "Jungen Welt", der Zeitung, etwa durch Inserate oder Interviews einzustellen. Der Grund ist: Am 13. August schrieb sie auf der Titelseite über dem Foto bewaffneter Kampfgruppenangehöriger in Großbuchstaben: "Wir sagen an dieser Stelle einfach mal danke." Herr Lafontaine, ist es nicht Zeit für ein klares Signal?

    Lafontaine: Ich habe das als Satire verstanden, insofern weiß ich auch nicht, ob das Intellektuelle sind, die da geschrieben haben, denn wenn man bei einer Satire verlangt, dass man eben sich von einem kleinen Blatt distanziert, das ist ja wohl etwas merkwürdig.

    Heckmann: Das heißt, Sie weisen das zurück, diese Forderung?

    Lafontaine: Ich bin nicht verantwortlich für die Schlagzeilen irgendwelcher kleinen Presseorgane.

    Heckmann: Aber mit verantwortlich für Inserate oder Interviews, die Ihre Parteimitglieder in dieser Zeitung bringen.

    Lafontaine: Wissen Sie, wenn wir also die gesamte deutsche Presse durchgehen, wie sich [...] gewissen Inhalten [...], dann hätten wir viele Diskussionen über Inserate oder Nicht-Inserate.

    Heckmann: Herr Lafontaine, abschließend gefragt: Parteichefin Gesine Lötzsch, die sorgte zuletzt mit zweideutigen Aussagen für Aufmerksamkeit, sie hat die Teilung Deutschlands als Folge des Zweiten Weltkriegs bezeichnet jetzt in diesen Tagen des Jahrestags des Mauerbaus, und auch für Irritationen gesorgt mit ihren Überlegungen zu Wegen des Kommunismus. Fünf von sieben Landtagswahlen sind danebengegangen. Sind die bevorstehenden Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ... entscheiden die über das politische Schicksal des Duos Lötzsch/Ernst?

    Lafontaine: Das sind sie mit Sicherheit nicht, denn Landtagswahlen werden ja auch mit landespolitischen Argumenten bestritten, und nach den Umfragen wird es also ... ist da die Chance, dass leichte Verbesserungen unserer Ergebnisse sind. Ich würde in Hinsicht der Gesamtdiskussion über die Partei Die Linke sagen: Es gab eine Reihe von Fehlern, die sind ja auch öffentlich eben diskutiert worden, auf der anderen Seite ist Die Linke nach wie vor das erfolgreichste Projekt der letzten Jahre, wir haben also einen enormen Aufschwung genommen, und ich möchte darauf hinweisen, was also viele bei der Berichterstattung überhaupt nicht sehen, dass wir stärker sind als die Partei Die Grünen im Deutschen Bundestag. Insofern wäre es eben ganz gut, wenn eben bei der öffentlichen Wahrnehmung der Parteien auch eine gewisse Fairness ...

    Heckmann: Wir müssen an der Stelle leider einen Punkt machen. Wir haben gesprochen mit Oskar Lafontaine, dem Chef der Linksfraktion im saarländischen Landtag. Besten Dank für das Gespräch, sorry für die schlechte Tonqualität.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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