Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Droge Faust"

Einar Schleef war Autor, Essayist, Maler, Bühnenbildner, Regisseur. Gedankencollagen waren seine Inszenierungen. In seinem Essay "Droge Faust Parsifal" las er Goethes Faust als Chor-Text. Dieses Buch hat nun der Regisseur Armin Petras zum Materialfundus für einen Theaterabend gemacht.

Von Michael Laages | 01.04.2011
    Nicht bloß historisch und theoretisch, sondern handfest und praktisch begann das Theater-Universum des Einar Schleef in der Antike - im Gegeneinander von Solo und Chor, wie es die allerersten Zeugnisse europäischer Bühnenkultur beschworen, sah er den ewigen Konflikt zwischen Individuum und Masse, zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft wieder kehren; konsequent und radikal verankerte er diese Konfrontation in allen Arbeiten für die Bühne: als Einzelgänger, der sich keinem Stil, keiner Epoche, keinem Ismus zuordnen ließ und so das Eigene kreierte - niemandem verpflichtet als sich selber, rauschhaft, entrückt, exzessiv. Und immer wieder in den mehr als zehn Jahren seit dem allzu frühen Tod ist gefragt worden, was denn wohl Schleefs Vermächtnis, was die haltbare Wirkung dieses monumentalen, monströsen Theaterwerks sei; und "Droge Faust Parsifal”, das Buch von 1997, blieb allemal Steinbruch und Fundgrube für die Schleef-Erkundung.

    Armin Petras allerdings macht es sich erschreckend leicht; der Umgang, den er in der jüngsten Leipziger Arbeit mit Schleef pflegt, ist -freundlich formuliert- fahrlässig. Mit Blick auf den tantiemehascherischen Begriff "Uraufführung” ließe sich auch sagen: unverfroren. Denn "ur” ist an "Droge. Faust” schlicht gar nichts.

    Das Petras-Team hat bloß den originalen Text des ersten Teils der "Faust”-Tragödie auf etwas mehr als eine Stunde eingedampft; in einer Goethe-Bearbeitung der rabiateren Sorte, die vom Material im wesentlichen nur die drei zentralen Funktionsfiguren Gretchen, Faust und Mephisto übrig lässt. Dann wurden eine Handvoll wertende, deutende, beschreibende Schleef-Texte hinzu gefügt - wie Regie-Anweisungen, wie dramaturgische Hilfestellungen, die sich sonst in Programmheften finden. Das aber waren Schleefs Texte nun gerade nicht - hier, in dieser armseligen Ratgeber-Rolle, schrumpfen sie zu mehr oder minder überzeugenden Klein- und Kleinst-Behauptungen, wie hergeholt und an den Haaren herbei gezerrt. So lassen sich etwa in den ersten Szenen des "Faust”-Dramas mit einiger Absicht und ohne sonderlich viel Fantasie mehrere Momente ausmachen, in denen der verzweifelte Akademiker Faust mit potenziell bewusstseinserweiternden Substanzen in Berührung kommt; daraus müsste sich aber nicht automatisch eine Drogen-Theorie entwickeln, wenn nicht Schleef sie entwickelt und formuliert hätte ...

    Als Autor einer x-beliebigen dramaturgischen Gebrauchsanweisung, wie er hier bei Petras erscheint, schrumpft Schleef zum kleinkrämerischen, spinös eigenwilligen Null-Acht-Fuffzehn-Dramaturgen; der große Zugriff im Schleef-Werk ist nicht mal zu ahnen. Und wer mal schnell Schleefs Buch zur Hand nimmt (um zum Beispiel zu überprüfen, welche Stellen denn die Leipziger "Uraufführung” tatsächlich benutzt), der stellt mit Staunen über so viel Chuzpe fest, dass sich fast der ganze Petras-Schleef schon im Vorwort findet. Das Buch hat fast 500 Seiten.

    Derlei Umgang mit einem Autor ist schon bemerkenswert frech. Und keinen einzigen Uraufführungs-Euro wert.

    Zu sehen ist dabei in Leipzig eine durchaus ansehnliche Aufführung: "Faust” im Schnelldurchlauf, mit ein wenig Schleef-Orientierung; wenn eine Frau und ein Mann zu Beginn beim Meister vorsprechen, wie zum Interview. Der sitzt vorerst stumm an einem Tisch voll Flaschen und ist zunächst eher daran interessiert, dass ihm die Frau hilft, einen Knopf an die Jacke zu nähen. Dann übernimmt Thomas Lawinky den Faust- und Anja Schneider den Gretchen-Part, der Stumme am Tisch, vielleicht Schleef, wird Mephisto; und die drei erzählen in Rudimenten die Geschichte - vor starken, von Rebecca Riedel montierten Videos, etwa einer Orgie unter gierigen Vampiren (Schleef spricht ja viel vom Gral und von Blut-Opfern), in der trickreichen Bühne von Patricia Talacko, deren schönstes Kunststück ein Marktplatz ganz aus Pappe ist. Gretchens "Meine Ruh' ist hin!”-Monolog geht ganz einsam in die Webcam eines Laptops, Faust schluckt zum Schluss Unmengen von Pillen - all das ist möglich, denk- und machbar mit "Faust”, keine Frage. Nur "Uraufführung” darf das nicht heißen, es ist eine "Inszenierung” wie dutzende andere auch.

    Was aber viel schlimmer ist - Schleef kommt kaum vor. Und wird nicht ernst genommen: kein monströser, selbstquälerischer Monolog nirgends, ja es gibt nicht mal einen kleinen Chor der drei Protagonisten. Wer "Schleef” über diesen Abend schreibt, macht sich der Rosstäuscherei schuldig und bietet eine Mogelpackung. Das hat Leipzig nicht verdient, Berlin auch nicht - und vor allem nicht Schleef.