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"Druck hilft doch"

Die Resolution der UN-Vetomächte gegen den Einsatz der syrischen Chemiewaffen sei gut, werde aber nicht ausreichen, mahnt der Politologe Volker Perthes. Es müsse gleichzeitig ein Ende des Bürgerkriegs eingeleitet werden, sonst werde es Syrien in seiner jetzigen territorialen Form bald nicht mehr geben.

Tobias Armbrüster im Gespräch mit Volker Perthes | 27.09.2013
    Tobias Armbrüster: Viele haben schon nicht mehr daran geglaubt, aber in der vergangenen Nacht kam dann tatsächlich die Nachricht: Russland und die USA haben sich auf eine Syrien-Resolution geeinigt. In dem Text, der noch nicht vorliegt, aber zu dem Einzelheiten bekannt sind, wird Syrien dazu verpflichtet, seine Giftgas-Bestände aufzugeben. Eine Drohung mit militärischen Sanktionen ist darin allerdings nicht enthalten.

    Am Telefon ist Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Er verfolgt nicht nur die Entwicklung in Syrien sehr genau, sondern auch die internationale Syrien-Diplomatie der letzten zweieinhalb Jahre. Schönen guten Morgen, Herr Perthes.

    Volker Perthes: Schönen guten Morgen!

    Armbrüster: Herr Perthes, diese Resolution, wenn sie denn tatsächlich heute oder morgen kommt, wie viel ist sie wert?

    Perthes: Ja, wenn sie kommt, die Resolution, dann ist es gut, dass es eine gibt. Dann ist es gut, dass Russland hier erstmals ganz offiziell und aktiv Mitverantwortung, Miteigentümerschaft für einen Prozess übernimmt, der auf Lösung in Syrien orientiert ist, und gleichwohl wird die Resolution defizitär bleiben. Die von Ihnen gerade zitierte UN-Botschafterin der USA, Frau Power, hat recht: Ohne dass gleichzeitig über ein Ende des Bürgerkrieges nicht nur geredet wird, sondern ein Ende des Bürgerkrieges eingeleitet wird, wird man auch die Abrüstung der syrischen Chemiewaffen nicht durchführen können. Sie können ja nicht Hunderte Inspekteure in ein Kriegsgebiet schicken und glauben, dass die dann in Ruhe die Chemiewaffenbestände erfassen und sichern und vernichten können.

    Armbrüster: Das ist jetzt so leicht dahergesagt, den Krieg stoppen, den Krieg beenden. Wie lässt sich der denn beenden? Oder könnte diese Resolution möglicherweise das Ende erleichtern?

    Perthes: Resolutionen stoppen keinen Krieg, das ist schon richtig. Aber auch im UN-Sicherheitsrat hat vor einem knappen Jahr der Vermittler der UN, Lakhdar Brahimi, gesagt, die lokalen Kräfte alleine können ihn nicht mehr stoppen, die sind viel zu sehr verstrickt in ihre Kämpfe. Da gibt es Angst, da gibt es Hass. Es ist die Aufgabe des UN-Sicherheitsrats und aller externen Kräfte, die die eine oder andere Partei stoppen, sich jetzt zusammenzufinden und ihren jeweiligen Klienten in Syrien mitzuteilen, dass eine militärische Lösung nicht mehr vorgesehen ist, dass man darauf hinarbeiten wird, dass es einen politischen Übergang gibt, wie der auf der ersten Genf-Konferenz über Syrien in Grundrissen gezeichnet worden ist: also die Bildung einer Übergangsregierung aus den beiden Hauptkriegsparteien und die volle politische Verantwortung für eine solche Übergangsregierung, sodass der amtierende Präsident, ob er nun in seinem Palast bleibt oder nicht, jedenfalls keine Exekutivvollmachten mehr hat. Darauf muss man sich einigen und da muss man auch von außen den Kriegsparteien mitteilen, dass sie keine Unterstützung gewärtigen können, wenn sie weiter auf militärische Lösung setzen.

    Armbrüster: Haben die beiden Seiten, also die Rebellen und das Regime von Assad, denn ein Interesse daran, diesen Krieg so zu beenden?

    Perthes: Es gibt auf beiden Seiten in diesem Krieg mehr und mehr Stimmen, die sagen, wenn wir den Krieg immer weiterführen, dann wird es das Syrien, was wir kennen, bald nicht mehr geben. Wir können militärisch nicht gegen die jeweils andere Seite siegen. Das sieht man auch seit einiger Zeit, es gibt keine echten Veränderungen mehr der Frontlinien. Hier oder da gewinnt das Regime, hier und da gewinnen die Rebellen ein paar Kilometer oder ein Dorf unter ungeheueren Verlusten, und die syrische Gesellschaft zerlegt sich. Wir haben Millionen von Flüchtlingen innerhalb und außerhalb des Landes und die Wirtschaft des Landes ist am Boden, und wenn dies noch ein halbes Jahr, ein Jahr, zwei Jahre weitergeht – zweieinhalb Jahre haben wir jetzt schon diesen Bürgerkrieg -, dann wird es Syrien möglicherweise auch in seiner territorialen Form nicht mehr geben.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns, Herr Perthes, noch mal kurz auf die Resolution kommen. Wenn sie denn tatsächlich kommt, können wir dann sagen, dass der eigentliche große Gewinner Baschar al-Assad ist, weil er auf einmal wieder ein diplomatischer Player hier ist?

    Perthes: Ja, das versucht das syrische Regime natürlich selber auch, so in die internationale Öffentlichkeit zu projizieren. Ich glaube, das stimmt nicht, allenfalls kurzfristig. Allenfalls ist das ein Punktsieg, weil er Zeit gewonnen hat. Aber es zeigt sich natürlich auch, dass Baschar al-Assad schwach ist, sobald er von militärischen Drohungen (aus den USA in diesem Falle) und politischem Druck aus Russland bedroht ist. Dann gibt er sofort nach. Insofern zeigt sich eine einfache Lehre manchmal in der internationalen Politik: Druck hilft doch.


    Staatspräsident von Syrien, Baschar al-Assad, ist auf einer syrischen Briefmarke abgebildet.
    Staatspräsident von Syrien, Baschar al-Assad, ist auf einer syrischen Briefmarke abgebildet. (picture alliance / dpa / Arno Burgi)

    "Wir haben da alle ein Stück weit Einfluss, jedenfalls, wenn wir zusammenarbeiten."



    Armbrüster: Was kann denn das Ausland tun, um dieser Resolution zum Erfolg zu verhelfen?

    Perthes: Na ja, es geht wirklich darum, jetzt weiterzugehen und zu sagen, wir haben eine Resolution über die Vernichtung der Chemiewaffen. Das ist wichtig, damit ist auch die Ächtung von Chemiewaffen ein Stückchen weiter durchgesetzt worden. Es ist tabliert worden, wer Chemiewaffen einsetzt, der wird dafür bestraft, zumindest durch den Verlust dieser Waffen, und soll zur Rechenschaft gezogen werden. Und jetzt geht es darum, nicht nur es möglich zu machen, dass dieser Plan auch umgesetzt wird, sondern gleichzeitig etwas für die Grundursache zu tun, weswegen dann ja Chemiewaffen eingesetzt worden sind, nämlich den Bürgerkrieg in Syrien, und das geht im Wesentlichen nur über Einflussnahme auf die Kräfte, die in Syrien miteinander kämpfen, die ja alle von der einen oder anderen Seite regional oder international unterstützt werden: von Saudi-Arabien und Iran, von Russland, von den Europäern, von den USA. Wir haben da alle ein Stück weit Einfluss, jedenfalls, wenn wir zusammenarbeiten.

    Armbrüster: Wie optimistisch sind Sie denn, dass wir mit dieser Entwicklung der vergangenen Nacht dem Ende dieses Krieges ein Stück nähergekommen sind?

    Perthes: Ich bin überhaupt nicht optimistisch, aber ich glaube, es gibt Situationen in der Welt, wo die Diplomaten, auch wenn die Chancen sehr gering sind, auch wenn man nur 10, 20 Prozent auf einen Erfolg sieht, versuchen müssen, daraus 50, 60 Prozent einer Erfolgschance zu machen.

    Armbrüster: Herr Perthes, wir sollten noch über ein anderes Ereignis der vergangenen Nacht in New York sprechen, was auch als Sensation gewertet wird: das Treffen zwischen dem amerikanischen Außenminister John Kerry und seinem iranischen Amtskollegen, das erste dieser Art seit 30 Jahren. Ist das, was wir da gesehen haben und was wir da aus New York hören, wirklich schon ein Tauwetter zwischen den USA und dem Iran?

    Perthes: Das ist tatsächlich eine etwas mehr versprechende Entwicklung, eine, die mich etwas optimistischer macht. Wir haben, wie Sie richtig gesagt haben, nach fast 35 Jahren Funkstille auf hoher Ebene ein direktes Treffen, an dem die Außenminister teilnehmen, und wir haben, was viel wichtiger ist, ein relativ starkes Bekenntnis der iranischen Seite, dass man den Atomkonflikt, der der Wiedereingliederung, wenn Sie so wollen, Irans in die internationale Gemeinschaft im Wege steht, dass man diesen Atomkonflikt jetzt beenden will durch Diplomatie. In der Substanz kann man sagen, hat Iran schon immer gesagt in den letzten Jahren, wir wollen keine Atomwaffen. Das sagt Präsident Rohani auch. Aber der Kontext ist ein ganz anderer. Man ist eben bereit, sich mit den Amerikanern zu treffen, man drängt selber auf Geschwindigkeit, was man vorher nicht getan hat. Der iranische Präsident sagt und wird dabei vom obersten religiösen Führer unterstützt, dass er alle Kompetenzen hat, einen Kompromiss zu schließen. Das ist ein sehr viel besserer Kontext und ich glaube, die Situation, die Zeit war noch nie so günstig, sich tatsächlich um eine diplomatische Lösung dieses Konflikts zu bemühen, wie heute.

    Armbrüster: Unter wie viel politischem Druck steht Rohani denn in seiner Heimat, im Iran?

    Perthes: Rohani steht unter Druck der eigenen Gesellschaft, die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bringen, Iran wieder auf die Füße zu bringen, und letztlich hat er deswegen auch die Wahlen gewonnen. Insofern ist das ein Druck, der auch auf seine Gegner ausgeübt wird von der Gesellschaft. Die Gesellschaft, wenn Sie so wollen, sagt, wir haben Rohani gewählt, weil er versprochen hat, Iran aus der Isolation zu bringen. Um die Wirtschaft wieder nach vorne zu bringen, muss Iran die Sanktionen, die internationalen Sanktionen los werden. Um die internationalen Sanktionen los zu werden, muss es sich mit den Staaten der Weltgemeinschaft um eine echte diplomatische Lösung des Atomkonflikts bemühen. Dies ist der Hintergrund, dies ist ein starker Hintergrund, und er hat eine starke Mehrheit, eine für die Hardliner im Iran ja überraschend starke Mehrheit bei den Wahlen gehabt, auf die er sich jetzt stützen kann.

    Armbrüster: Herr Perthes, über diese Hardliner im Iran, über die haben wir ja jahrelang auch hier im Deutschlandfunk immer wieder gesprochen und berichtet. Heißt das, die Zeit von denen, auch von der Politik des Vorgängers Ahmadinedschad, die sind vorbei?

    Perthes: Ahmadinedschad und seine Anhänger sind wirklich politisch ziemlich erledigt im Iran, weil sie das Land, wie viele sagen, wirtschaftlich und auch außenpolitisch auf den Grund befördert haben. Gleichwohl gibt es die Hardliner, die verschwinden nicht einfach. Es gibt eine sehr starke, extrem konservative Tendenz im Iran. Aber auch die haben gesehen, dass sie keine Lösungen anzubieten haben, und wir sehen ganz interessante Entwicklungen hier, wenn zum Beispiel Rohani mit der Unterstützung des religiösen Führers den Revolutionsgarden, sozusagen dem bewaffneten Arm der Hardliner, wenn Sie wollen, wenn Rohani den Revolutionsgarden sagt, wir respektieren alles, was ihr getan habt für das Land, den Krieg gegen den Irak, Schutz der Sicherheit Irans, aber haltet euch aus der Politik raus, das ist meine Angelegenheit, damit habt ihr nichts zu tun. Das geht ihm durch, das wäre seinem Vorgänger oder Vor-Vorgänger vielmehr, Khatami, nicht durchgegangen.

    Armbrüster: Herr Perthes, ganz zum Schluss und mit Bitte um eine kurze Antwort. Ich muss da noch mal ganz kurz auf Ihre persönliche Einschätzung zu sprechen kommen. Wie optimistisch sind Sie denn in diesem Fall, Thema Iran, dass wir ein Ende der Sanktionen erleben?

    Perthes: Ich glaube, hier sind die Chancen sehr viel höher. Ein Ende der Sanktionen werden wir nicht unmittelbar erleben, aber in einem diplomatischen Prozess, der eine klare Agenda, einen klaren Ablauf der Verhandlungen vorgibt, da kann man dann schrittweise auch die Sanktionen zurückfahren.

    Armbrüster: Volker Perthes war das, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, live bei uns hier heute Morgen im Deutschlandfunk. Besten Dank, Herr Perthes, für das Gespräch.

    Perthes: Sehr gern! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.