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"Du bist die Welt für mich"

Am 22. Januar 1935 absolvieren Richard Tauber und Joseph Schmidt bei einem Faschingskonzert der Wiener Philharmoniker im großen Musikvereinssaal in Wien ihren wohl berühmtesten gemeinsamen Auftritt. Ihre große Sängerkarriere in Deutschland ist wegen der politischen Vorgänge bereits zu Ende gegangen, ihre Werke stehen seit zwei Jahren auf dem Index.

Von Andreas Kloner | 21.12.2013
    Kombination aus zwei Bildern: Links der rumänische Sänger (Tenor) Joseph Schmidt (undatiert), rechts der österreichische Kammersänger Richard Tauber in einer undatieren Aufnahme.
    Joseph Schmidt und Richard Tauber (picture alliance / dpa / Fotoreport Electrola / Ullstein)
    Vor der Machtergreifung Hitlers waren die beiden Sänger unerreichbare Superstars. Richard Tauber, unehelicher Sohn eines Schauspielers und einer Operetten-Soubrette, eroberte sich schon in seinen jungen Jahren die größten Opernbühnen und später mit den eigens für ihn geschriebenen "Tauber-Liedern" die Herzen des Publikums. Eine Unzahl an Plattenaufnahmen verstärkten diese Popularität. Dem 13 Jahre jüngeren Josef Schmidt blieb wegen seines allzu kleinen Wuchses eine Karriere als Kantor in der Synagoge zu Czernowitz und als Sänger auf der großen Bühne verschlossen.
    Das junge Medium Radio kannte derartige Vorurteile nicht und ermöglichte dem Sänger eine beispiellose Karriere. Gemeinsam ist Richard Tauber und Joseph Schmidt die bis heute anhaltende Popularität, die sie auch bei einer jüngeren Fangemeinde genießen. In der "Langen Nacht" werden zwei Sänger wieder zu hören und zu entdecken sein, deren Repertoire nicht nur aus "Dein ist mein ganzes Herz" und "Ein Lied geht um die Welt" bestand.
    Es soll auch an den exzellenten Komponisten, Instrumentalisten und Dirigenten Richard Tauber erinnert werden; ebenso an die religiösen Gesänge in deutscher, hebräischer und aramäischer Sprache, die in der Interpretation von Joseph Schmidt dem Hörer regelrecht durch Mark, Bein und Herz gehen.
    Auszug aus dem Manuskript:
    Im schweizerischen Oberdürnten, wenige Kilometer von Girenbad entfernt, dem Sterbeort Joseph Schmidts, betreibt der Schweizer Tenor Alfred Fassbind das Joseph-Schmidt-Archiv. 1.000 Autokilometer voneinander entfernt, aber auf dem exakt selben Längengrad liegend, eingebettet in die Moorlandschaft von Altbachenbruch, nächst Cuxhaven, steht das Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert, in dem sich der Fotograf Marco Rosenkranz niedergelassen hat. Seine Leidenschaft gilt vor allem dem Sänger Richard Tauber. Marco Rosenkranz und Alfred Fassbind sind einander noch nie begegnet, werden aber in der zweiten Stunde dieser Langen Nacht gemeinsam zu Wort kommen und ihre Lieblingsschellacks von Joseph Schmidt und Richard Tauber zu Gehör bringen.
    Marco Rosenkranz: "Der Zugang zu Tauber hat mehrere Gründe. Da ist zum einen Tauber selbst, seine Profession, seine Stimme, seine Kunst. Die ich so, wie sie ist, als einzigartig bezeichnen würde. Es gibt andere große Stimmen, andere große Künstler, aber das, was Tauber gemacht hat und das, was Tauber war, ist einzigartig. Und dann gibt es einen Zugang durch meine Großmutter, die mir schon als kleinen Jungen erzählt hat, was für eine faszinierende Persönlichkeit sie live gesehen hat in Karlsbad, diesen Richard Tauber. Und ich habe schon als kleiner Junge nachvollziehen können, dass an den Mann was Besonderes sein muss. Ich konnte nicht verstehen, was das war, oder warum es so war, aber irgendwas war da, weil so habe ich meine Großmutter sonst nie strahlen sehen, wenn sie erzählt hat. Und als ich später begonnen habe, Schellack-Platten zu sammeln, ist mir Richard Tauber relativ früh in dieser Zeit auch als Platte über den Weg gelaufen. Ich habe diese Platte aufs Grammophon gelegt und in dem Moment fügte sich das zusammen. Ich habe in dem Moment verstanden, was man die Großmutter meinte."
    Alfred Fassbind: "Ich erinnere mich: Lange vor dem Schulalter, ich kann es eingrenzen zeitlich: Ich war noch nicht ganz 5, immer, wenn ich diese Stimme hörte, dann berührte mich irgendetwas, ich konnte es nicht erklären, ich weiß es – oh, der singt wieder! Und es war das Lied "Heut ist der schönste Tag in meinem Leben". – Die Stelle, wo er da am Schluss über den Chor drüber singt, das hat mir als Kind unglaublich Eindruck gemacht, weil ich dachte, Mensch, ist das toll! Ist das schön! – Und dann habe ich das wieder vergessen irgendwie. Und ich war bereits in der Berufslehre, als mal ein Kollege sagte, ich habe eine Platte von "Heut ist der schönste Tag in meinem Leben!" zu Hause. – Und da frage ich erst, ja, wer singt denn da? – Und er nennt einen "Joseph Schmidt", und der hat mir diese kleine Platte, mit diesen vier Stück aus dieser Serie von Odeon "Unvergänglich/unvergessen" mitgebracht, und so hat das Ganze angefangen. Da war ich 15. – Und ich erinnere mich, dass da hinten draufstanden, weitere Titel von diesen kleinen Schmidt-Platten, von dieser Serie, und die habe ich mir damals alle bestellt; obwohl, ich hatte nicht der Mann einem Plattenspieler.
    Es gibt so Stellen, die man, selbst wenn man so involviert ist, wie ich. Und ich bin kein Gefühlsdussel in dem Sinne. Aber wenn ich dann so Sätze wiederhole, wie "Ach, hier möchte ich schlafen!" - Das ist irre. Einfach irre. (Kurbeln vom Grammophon.) Also es war mit Sicherheit diese Platte, die ich mir als Kind so ins Ohr stach. Weil es war ein Chor dabei, und es muss das gewesen sein.
    Der Schweizer Tenor Alfred Fassbind betreibt in Oberdürnten ein Archiv über Joseph Schmidt. 2012 erschien in einer überarbeiteten Neuauflage sein Buch über Joseph Schmidt: "Sein Lied ging um die Welt" (Römerhof-Verlag), die auch eine CD mit einem Auszug der bemerkenswertesten Lieder Joseph Schmidts enthält.
    Der Fotograf und Schellacksammler Marco Rosenkranz beschäftigt sich im Besonderen mit der Gesangskunst Richard Taubers. Auf seiner Webseite ist eine Vielzahl an Richard-Tauber-Liedern von Original-Schellackaufnahmen abzurufen. Eine große Anzahl an Fotografien, Zeitungsartikeln und Dokumenten, die im Zusammenhang mit Richard Tauber stehen, können ebenfalls dort betrachtet werden. Von speziellem Interesse ist ein Beitrag von Daniel O'Hara, der eine sehr ausführliche Chronologie über Richard Tauber erstellt hat. Darin ist bis auf wenigen Ausnahmen das Leben Richard Taubers Tag für Tag zu verfolgen, von seinen zahlreichen Auftritten bis hin zu seinen häufigen Indispositionen. Diese Chronologie wird von O'Hara laufend aktualisiert.
    Musik auf CDs zu Richard Tauber und Joseph Schmidt erschienen in den letzten Jahren in den unterschiedlichsten Editionen, häufig auch in Zehner-Boxen zu Diskontpreisen.
    Einer besonderen Zusammenstellung darf sich die Edition "Berliner Musenkünstler" rühmen. Auf der Doppel-CD "Richard Tauber. Wie gern möcht' ich dich verwöhnen" finden sich weniger bekannte Aufnahmen des Ausnahmekünstlers, einerseits Berliner Aufnahmen 1929-1932, andererseits Londoner Aufnahmen 1933-1945.
    Unter diesen Londoner Aufnahmen finden sich unter anderem auch drei Cole-Porter-Songs und als besondere Rarität: "White Christmas", interpretiert von Richard Tauber.
    Der polnische Star-Tenor Piotr Beczala nahm im Winter 2012 in einem Londoner Studio eine CD mit Richard-Tauber-Liedern auf. Während seiner zahlreichen Opernauftritte tritt er in speziellen Konzerten als Richard-Tauber-Interpret auf. 2014 werden einige Termine in London folgen.
    Das folgende Interview mit Piotr Beczala wurde für die "Lange Nacht" im Juli 2013 geführt, nach einem Richard-Tauber-Konzert, das am Linzer Domplatz über die Bühne ging.
    Wie sind Sie auf Richard Tauber gestoßen?
    Das war reiner Zufall. Mitte der 80er-Jahre habe ich, bevor ich zu studieren begann, mich auf das Examen vorbereitet. Da habe ich im Radio zufällig eine Stimme gehört und war ganz verblüfft. Ich dachte: Das ist Caruso, aber es wurde auf Deutsch gesungen, also stimmte doch irgendetwas nicht. Da habe ich ein bisschen recherchiert und bin auf Richard Tauber gestoßen. Dann befasste ich mich schon als Student mit der leichten Muse und Operette und bin nach und nach mehr auf das Repertoire von Richard Tauber gestoßen. Und dann wurde ich in Linz unter Vertrag genommen.
    Was ist das Besondere an Richard Tauber?
    Eine besondere Rolle bei Richard Tauber spielt die Ursprungsinterpretation bei den Operetten. Franz Lehár hat weder für Joseph Schmidt noch für Fritz Wunderlich oder andere komponiert, sondern für Richard Tauber. Damit wurde Tauber zum Paten der Lehár-Operetten und Lehár-Lieder. Alle anderen Tenöre haben das im Nachhinein interpretiert. Deswegen ist es so wichtig für mich, Richard Tauber als Modell dieser Interpretationsform zu betrachten. Man kann bei anderen Musikrichtungen Ähnliches betrachten, etwa die Ursprungsinterpretationen bei Verdi, oder bei Caruso, was die frühesten Schallplatten betrifft. In der Operette war es Tauber. Und dann erst der Rest.
    War Richard Tauber ein Tenor des hohen C?
    Also ein B hatte sicher gehabt. Wenn er als Kernrepertoire den schweren Verdi, wie "Troubadour" oder "Aida" sang, musste er einfach ein großartiges B haben, das gehört zum Job, zur Charakteristik der Stimme. Ich muss es ebenfalls haben. Aber um die Tauberlieder zu singen, muss ich auch meine Stimme umstellen, auf eine ganz andere Farbenpalette. Und da brauche ich auch kein hohes C. Das ist das Schwierige eigentlich dabei. Ich bin Opernsänger, ich muss dafür meine Stimme umstellen, um diese Art des Klanges zu erreichen, der nötig ist, und diese Musik richtig zu interpretieren. Man kann das nicht so wie bei "Rigoletto" oder was auch immer singen, das ist eine völlig andere Stilrichtung.
    Wie war es, auf Ihrer CD "gemeinsam" mit Richard Tauber zu singen?
    (Lacht.) Das war wirklich eine sehr interessante Sache. Ich habe eigentlich nur gescherzt, dass es doch Fälle wie Nathalie Cole, die gemeinsam auf einer Aufnahme mit ihrem schon lange verstorbenen Vater, Nat King Cole, gesungen hat. Und da hieß es: Kein Problem, technisch sei das möglich. – Das sage ich, aha, wirklich? Dann versuchen wir es. – Es war dann tatsächlich möglich und ich habe mich dem Gesang Richard Taubers angepasst. Wir haben nach seiner Aufnahme per Kopfhörer den ganzen Orchesterpart aufgenommen, und dann habe ich dazu gesungen. Das war wirklich interessant. "Du bist die Welt für mich" war seine eigene Komposition aus seiner Operette "Der singende Traum". Da hat er sich in der Interpretation wirklich jede Freiheit der Welt genommen. Zurecht. Und da hatte ich ein bisschen zu kämpfen mit den Rubati, aber ich finde, es ist sehr gut gelungen. Außerdem ist es kein Duett, sondern wir besingen einfach eine Frau.
    Was macht den Unterschied zwischen Richard Tauber und Joseph Schmidt aus?
    Das sind eigentlich zwei verschiedene Stimmen. Richard Tauber ging von diesem Baritonklang als Basis aus und Joseph Schmidt war einfach ein typischer Belcanto-Tenor für mich, mit einer unglaublichen Höhe. Aber beide haben ein sehr ähnliches Repertoire gesungen, manchmal transponiert in verschiedene Stimmen, aber von der Herangehensweise an das Repertoire waren sie sehr, sehr ähnlich.
    Was macht die Stimme Joseph Schmidts so einzigartig?
    Es gibt in der jüdischen Liturgie sehr viele Melismen, Abläufe und Skalen. Wenn man das als natürlich betrachtet, kann man das wunderbar in der Oper präsentieren. Etwa die Kadenz von "La donna é mobile", in der Aufnahme von Joseph Schmidt – keiner hat das so perfekt gesungen, nicht einmal Pavarotti, weil Joseph Schmidt hat diese Abläufe, so vermute ich, einfach in der Stimme gehabt, das war für ihn sehr einfach, eine Oktave runter und raufzukommen. Das ist verblüffend. Man kann so etwas üben, solange man will, wie etwa diese Vierteltöne in Indien oder die Rhythmen in Griechenland, es wird einem nicht in dieser natürlichen Weise gelingen. Ein guter Musiker kann es in seinem Studium lernen, aber wenn jemand aus Indien oder Griechenland kommt, fällt es ihm leicht. Und diese verblüffende Einfachheit in der Höhe war bei Joseph Schmidt wirklich ganz speziell. Damals hat wirklich kaum jemand so gesungen. Nicht einmal Jan Kiepura hatte ein derartig hohes D.
    Bibliothek:
    Heinz Ludwigg [Hg.]
    Richard Tauber.
    Berlin, 1928
    Diane Napier-Tauber
    Richard Tauber.
    London, 1949.
    Willi Korb
    Richard Tauber.
    Biographie eines unvergessenen Sängers.
    Wien, 1966
    Otto Schneidereit
    Richard Tauber: ein Leben – eine Stimme.
    Berlin, 2000.
    Michael Jürgs
    Gern hab' ich die Frauen geküsst.
    Berlin, 2001.
    Evelyn Steinthaler
    Morgen muss ich fort von hier.
    Richard Tauber: Die Emigration eines Weltstars.
    Wien, 2011.
    Am 16. Mai 2011 jährt sich der Geburtstag Richard Taubers, des österreichischen Ausnahmetenors, zum 120. Mal. Tauber, der bis heute als wichtigster Tenor neben Enrico Caruso gilt, war der Lehár- & Mozart-Interpret der 1920er- bis 1940er-Jahre. Der Wahl-Berliner liebte die Inszenierung seiner Auftritte, riss dabei die hohen Mauern zwischen E- und U-Musik nieder und wurde der erste internationale Popstar des 20. Jahrhunderts. Tauber prägte wie kein anderer das Musikgeschäft der Zwischenkriegszeit über sein eigenes Wirken hinaus: Ohne den begnadeten Belcanto-Tenor aus Linz wären Opernstars wie Pavarotti, Carreras und Domingo kaum in den Stadien rund um den Globus aufgetreten. Im Leben des vielumjubelten Sängers gab es aber auch dunkle Seiten: Nach der Vertreibung aus Deutschland 1933 verlor Tauber 1938 mit dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland seine eigentliche Heimat und wurde Opfer der niederträchtigen NS-Propaganda. --- Diese neue Biografie erzählt eindrücklich von Richard Taubers Exil in Wien und England, von seinen Weggefährten Marlene Dietrich, Benjamino Gigli, Joseph Schmidt, den Berliner Theaterdirektoren Alfred und Fritz Rotter, Vera Schwarz, Franz Lehár, Oscar Straus u. a. und von der Zerstörung der Operette durch den Nationalsozialismus.
    Karl und Gertrud Ney-Nowotny
    Joseph Schmidt.
    Das Leben und Sterben eines Unvergesslichen.
    Wien, 1962
    Alfred Fassbind
    Joseph Schmidt.
    Ein Lied geht um die Welt.
    Spuren einer Legende.
    Zürich 1992
    Alfred Fassbind
    Joseph Schmidt.
    Sein Lied ging um die Welt.
    Zürich, 2012. (Überarbeitete Neuauflage)
    Joseph Schmidt, einer der ersten großen Musikstars des 20. Jahrhunderts, sang sich mit "Ein Lied geht um die Welt" und "Ein Stern fällt vom Himmel" in die Herzen der Menschen in aller Welt.
    Das nationalsozialistische Regime machte seiner Karriere ein jähes Ende und zwang den Publikumsliebling zur Flucht durch ganz Europa. Einst von Millionen geliebt, starb der Sänger und Filmstar Joseph Schmidt am 16. November 1942 im Schweizer Exil - erst 38 Jahre alt.
    Auf eindrückliche Weise schildert Alfred A. Fassbind die ergreifende Geschichte einer der eindruckvollsten Stimmen des letzten Jahrhunderts - befreit vom Dickicht der Legenden und zweifelhafter Anekdoten, die Schmidt bereits zu Lebzeiten begleiteten. Die Biographie ermöglicht den Blick auf Joseph Schmidt als Menschen und zeigt das Bild eines einzigartigen Künstlers in einer dunklen Zeit.