Nur wenige Blätter aus dieser frühen Zeit sind als autonome Arbeiten entstanden, die meisten sind Werkstattstudien für größere Bilder, auch wenn es schon damals Sammler für derlei gab. Doch gerade dieser Status des Vorläufigen macht die Bilder aufschlussreich, ikonografische Festlegungen spielten darin nur eine geringe Rolle, die Künstler konnten "frei" improvisieren, etwas ausprobieren. Es gehört ja zu den spannenden Aspekten von Künstlerzeichnungen, dass wir sie infolge ihres fragmentarischen, skizzenhaften Charakters als etwas empfinden, was uns nahe kommt, da werden Verwandtschaften buchstäblich bloß gelegt, die in den großen Gemälden sich allenfalls versteckt äußern können. Wie nahe kommt die penible Zeichnung eines Apostels von Rembrandt Zeichnungen von Degas oder Menzel! Wie ähnlich ist eine Federzeichnung von Lorenzo Lotto oder eine Porträtskizze von Gentile Bellini den schnell hingeworfenen Sebastianstudien von Tizian, den Figuren von Adam Elsheimer oder Rembrandts "Quacksalber", seiner "Auferweckung des Lazarus" und dem eminenten Blatt mit Figurenstudien von Adriaen Brouwer! Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass Beckerath solche Arbeiten bevorzugt in seine Sammlung aufnahm: sie zeigen den Prozess der Kunstproduktion, der ihm offenbar ungleich wichtiger war, als jedes Sujet. Das entsprach seinem beinah naturwissenschaftlichen Interesse an der Herstellung von Kunst, der ihn etwa auch beim Erwerb der Arbeiten des Niederländers Saenredam leitete.
Diese Kollektion, deren Spitzenstücke jetzt zu sehen sind, ist nicht nur von herausragender künstlerischer Qualität, sie ist auch ein Zeugnis für die leidenschaftliche Kennerschaft einer Epoche, für die die Auseinandersetzung mit dem europäischen Erbe Gebot war. Später nannte man das dann Historismus. Doch die Vorlieben des Großbürgers, in dem sich rationale, händlerische Intelligenz mit dem Mut zu den eigenen Erkenntnissen paarte, sie gehören eben auch zu den sogenannten "Gründerjahren", sie sind – weit entfernt von ostentativem Prunk und Großmannssucht - sein bestes Teil. Man kann diese mustergültige, von einem genau gearbeiteten Katalog begleitete Ausstellung als eine Sammlung besonders kostbarer Zeichnungen genießen, man kann sie aber auch als Widerspiegelung einer Zeit und ihrer besten Köpfe nehmen, die so fern noch gar nicht ist. Was sind schon hundert oder hundertfünfzig Jahre! Mit der Hommage an Adolf von Beckerath, einen der großen Förderer der Berliner Museen, hat der neue Direktor des Kupferstichkabinetts, Heinz Theodor Schulze Altkappenberg, einen vielversprechenden Einstand gegeben.
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