Dienstag, 23. April 2024

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Dürer, Rembrandt und die üblichen Verdächtigen

Die großen graphischen Sammlungen der Museen, etwa das Berliner Kupferstichkabinett, sind Orte des Verborgenen, nur selten werden die empfindlichen Arbeiten auf Papier: Zeichnungen, Gouachen, Druckgrafiken für kurze Zeit ausgestellt - meist dienen sie der Forschung. Umso schöner, wenn einmal Glanzstücke daraus öffentlich gemacht werden, so wie jetzt, zur Feier des 1902 erworbenen Besitzes der Zeichnungssammlung von Adolf von Beckerath, der von 1834 bis 1916 lebte, seit Beginn der fünfziger Jahre in Berlin. Beckerath, aus einer alten Krefelder Familie von Seidenindustriellen stammend, war selbst Seidenhändler; der polyglotte Kunstliebhaber suchte auf seinen zahlreichen Reisen, vor allem nach Italien und in die Niederlande selbst aus, was ihn interessierte; er beriet die Berliner Museen bei ihren Ankäufen, was deren großmächtigen Direktor Wilhelm von Bode nicht immer freute. Beckerath, kein Kunsthistoriker, sondern ein hochgebildeter Bürger, hatte ein enorm sicheres Auge und den Geschmack des aufgeklärten Connaisseurs, dem alle Übertreibungen verhasst waren. Das hat auch seine Sammlung, neben wertvollen, heute in alle Welt zerstreuten Kleinplastiken und kunsthandwerklichen Arbeiten, fast dreieinhalbtausend Blätter mit Zeichnungen, bestimmt: es gibt darin kaum manieristische Arbeiten, wenig Barockes, dafür eine überwältigend schöne Kollektion von Zeichnungen der Früh- und Hochrenaissance, einiges "Altdeutsche", eine große niederländisch-flämische Gruppe rund um ein Rembrandt-Konvolut erster Qualität und dann wieder französisches 18. Jahrhundert, etwa Watteau, Lorrain, Boucher.

29.11.2002
    Die hundertvierzig nun ausgestellten Stücke aus seiner Sammlung, die von Beckerath gegen eine Leibrente 1902 den Berliner Museen übereignete, folgen den Vorlieben des Sammlers. Das beginnt mit einer "Frau auf einer Bank" von Gentile di Fabriano, um 1400 entstanden und, wenn die Kunsthistoriker recht haben, eine der ersten Zeichnungen nach der Natur überhaupt. Daneben ein herrliches Blatt von Mantegna, eine bewegte "tanzende Muse" und eine nur vierzig Jahre später nach dem spontanen Augeneindruck schnell skizzierte Jagdszene von Stefano da Verona. Als Beckerath in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu sammeln begann, waren die Blätter der "Großen" kaum noch aufzufinden, die hatten sich schon früher meist fürstliche Aufkäufer gesichert. Doch es gelang ihm, noch einige Florentiner, zum Beispiel Ghirlandaio, Verocchio, Botticelli aufzuspüren, ein besonders kostbares, schönes Studienblatt von Raffael sowie einen herrlichen Signorelli, auf dem ein Männerakt von der Vorder- und Rückseite abgebildet ist, der jeweils eine andere Figur auf dem Rücken trägt. Reizvoll auch eine Zeichnung von Filippino Lippi, die auf der Vorderseite einen Heiligen, auf der Rückseite einen Männerakt zeigt, gleich als habe der Künstler genau wissen wollen, wie es unter dem Gewand aussieht. Auch von Dürer hat er einen Akt gekauft.

    Nur wenige Blätter aus dieser frühen Zeit sind als autonome Arbeiten entstanden, die meisten sind Werkstattstudien für größere Bilder, auch wenn es schon damals Sammler für derlei gab. Doch gerade dieser Status des Vorläufigen macht die Bilder aufschlussreich, ikonografische Festlegungen spielten darin nur eine geringe Rolle, die Künstler konnten "frei" improvisieren, etwas ausprobieren. Es gehört ja zu den spannenden Aspekten von Künstlerzeichnungen, dass wir sie infolge ihres fragmentarischen, skizzenhaften Charakters als etwas empfinden, was uns nahe kommt, da werden Verwandtschaften buchstäblich bloß gelegt, die in den großen Gemälden sich allenfalls versteckt äußern können. Wie nahe kommt die penible Zeichnung eines Apostels von Rembrandt Zeichnungen von Degas oder Menzel! Wie ähnlich ist eine Federzeichnung von Lorenzo Lotto oder eine Porträtskizze von Gentile Bellini den schnell hingeworfenen Sebastianstudien von Tizian, den Figuren von Adam Elsheimer oder Rembrandts "Quacksalber", seiner "Auferweckung des Lazarus" und dem eminenten Blatt mit Figurenstudien von Adriaen Brouwer! Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass Beckerath solche Arbeiten bevorzugt in seine Sammlung aufnahm: sie zeigen den Prozess der Kunstproduktion, der ihm offenbar ungleich wichtiger war, als jedes Sujet. Das entsprach seinem beinah naturwissenschaftlichen Interesse an der Herstellung von Kunst, der ihn etwa auch beim Erwerb der Arbeiten des Niederländers Saenredam leitete.

    Diese Kollektion, deren Spitzenstücke jetzt zu sehen sind, ist nicht nur von herausragender künstlerischer Qualität, sie ist auch ein Zeugnis für die leidenschaftliche Kennerschaft einer Epoche, für die die Auseinandersetzung mit dem europäischen Erbe Gebot war. Später nannte man das dann Historismus. Doch die Vorlieben des Großbürgers, in dem sich rationale, händlerische Intelligenz mit dem Mut zu den eigenen Erkenntnissen paarte, sie gehören eben auch zu den sogenannten "Gründerjahren", sie sind – weit entfernt von ostentativem Prunk und Großmannssucht - sein bestes Teil. Man kann diese mustergültige, von einem genau gearbeiteten Katalog begleitete Ausstellung als eine Sammlung besonders kostbarer Zeichnungen genießen, man kann sie aber auch als Widerspiegelung einer Zeit und ihrer besten Köpfe nehmen, die so fern noch gar nicht ist. Was sind schon hundert oder hundertfünfzig Jahre! Mit der Hommage an Adolf von Beckerath, einen der großen Förderer der Berliner Museen, hat der neue Direktor des Kupferstichkabinetts, Heinz Theodor Schulze Altkappenberg, einen vielversprechenden Einstand gegeben.

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