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Duft
Ermittlung im Unbewussten

Ständig erreichen uns Gerüche. Dabei fluten tausende von Signalen in zigfacher Kombination unser Gehirn, ohne dass wir viel davon mitbekämen. Wie beeinflussen uns Düfte? Forscher haben gerade erst mit der Entschlüsselung begonnen.

Von Magdalena Schmude | 11.12.2016
    Teilnehmer der angeblich "Ersten Pheromon-Party Deutschlands" schnüffeln an Shirts, die andere Teilnehmer getragen haben
    Welchen Einfluss haben Gerüche auf unsere Wahrnehmung und unser Verhalten? Teilnehmer der angeblich "1. Pheromon-Party Deutschlands" schnüffeln an Shirts, die andere Teilnehmer getragen haben (imago / David Heerde)
    Der Geruchssinn ist der älteste Sinn des Menschen - und gleichzeitig am wenigsten erforscht. Erst vor gut zwanzig Jahren entdeckten Wissenschaftler, wie aus flüchtigen Stoffen Sinneseindrücken entstehen. Inzwischen ist klar, dass der Körpergeruch des Menschen eine Vielzahl von Signalen enthält, die warnen, anlocken, kooperativ oder kampfbereit machen und dabei direkter wirken, als alles, was wir sehen oder hören. Doch welches Molekül löst welches Verhalten aus? Und welchem Signal können wir garantiert nicht widerstehen? Die Suche nach den Düften ist eine schwierige Expedition in den Untergrund unserer Wahrnehmung.
    Benoist Schaal: "Gerüche sind wie ein Teil von uns, der zurückbleibt, wenn wir einen Raum verlassen oder eine Straße entlanggehen."
    Mats Olsson: "Fast so, als wolle der Körper Gerüche verströmen, um andere zu erreichen."
    Benoist Schaal: "Einige Leute sagen mir, dass sie glauben, dass Menschen mit dunklen Haaren anders riechen als rothaarige oder blonde Menschen."
    Mats Olsson: "Oder dass sie riechen können, wenn jemand Angst hat oder krank ist."
    "Wir wissen noch sehr wenig"
    Am Karolinska-Institut im Nordosten von Stockholm füllt das rhythmische Schnaufen einer Kühlpumpe den Raum. Auf dem fahrbaren Tisch liegt eine junge Frau, den Kopf schon fast in der Röhre eines Magnetresonanztomographen. Emilia Johansson drückt ihr einen kleinen roten Ball in die Hand:
    "Das ist der Panik-Ball. Falls Du Angst bekommst oder sonst etwas ist - drück ihn, wenn Du raus willst."
    Vom Hosenbein der Probandin führt ein durchsichtiger Schlauch bis zum Kinn, teilt sich in zwei dünne Röhrchen und verschwindet in ihren Nasenlöchern.
    "Okay, bereit um reinzugehen? Dann schließ die Augen.
    Jetzt kannst Du sie wieder aufmachen. Bereit, ja?"
    Durch den Schlauch werden gleich Gerüche strömen. Sie werden die Nase, die Schleimhäute erreichen, dort Andockstutzen finden. Dann wird der chemische Reiz zum elektrischen Impuls, läuft weiter über den Riechnerv ins Gehirn, weckt Erinnerung. Ganze Welten können hier entstehen: Ein Herbstspaziergang im Wald, frisch gebackener Apfelkuchen - Angst. Johan Lundström:
    "Das Gehirn ist so geschaltet, dass es Gerüchen keine große Aufmerksamkeit schenkt. Es ignoriert die meisten Gerüche erstmal. Es sei denn, sie stehen für etwas sehr Gefährliches oder sehr Lohnendes. Wir bemerken vermutlich nur etwa zehn bis zwanzig Prozent der Gerüche in unserer Umgebung."
    Lange hielt sich deshalb das Dogma, Gerüche hätten wenig Bedeutung für uns. Obwohl schon Föten im letzten Drittel der Schwangerschaft Duftstoffe im Fruchtwasser wahrnehmen und später wiedererkennen. Erst im Jahr 1991 entdeckten zwei amerikanische Wissenschaftler, wie unsere Nase Düfte wahrnimmt, berichtet Johan Lundström:
    "Wir wissen noch sehr wenig. Selbst so grundlegende Dinge wie die Frage, ob wir mit einem oder beiden Nasenlöchern, also in stereo riechen, sind noch immer umstritten. Solche Dinge waren für das Sehen schon vor hundert Jahren bekannt, aber beim Geruchssinn fangen wir erst jetzt an, sie zu untersuchen. Es gab einfach keine Finanzierung für diese Forschung. Die Einstellung war: 'Wen interessiert schon der Geruchssinn? Der funktioniert ja eh nicht.'"
    Das hat sich geändert. Seitdem im Jahr 2004 der Nobelpreis für die Entschlüsselung des Geruchssinns vergeben wurde, hat die Forschung Fahrt aufgenommen. Johan Lundström ist Neuropsychologe und einer der Pioniere:
    "Alles was wir anfassen, ist komplett neu. Das ist anders als beim Sehsinn, wo es nur noch um winzig kleine Details geht, die eigentlich keinen interessieren. Wir dagegen finden jeden Tag neue Dinge. Große Dinge."
    Mittlerweile ist klar, dass der Mensch in der Lage ist, mehr als 10 000 verschiedene Duftstoffe zu unterscheiden. Dabei nehmen wir bestimmte Gerüche sogar besser wahr als Hunde oder Ratten, die Meister des Riechens.
    Der Geruchssinn ist auch für die Steuerung unserer Gefühle und Stimmungen wichtig, was sich erst dann zeigt, wenn er fehlt. Menschen, die geruchsblind geboren wurden, haben häufiger Depressionen, sind unsicherer im Umgang mit anderen. Ihnen entgehen die unsichtbaren Geruchs-Botschaften ihrer Mitmenschen.
    Für diese Ebene der zwischenmenschlichen Kommunikation interessiert sich inzwischen auch die Forschung. Den Code zu knacken, ist nicht einfach. Denn Düfte sind Diven - lichtscheu und temperaturempfindlich.
    Ob es Pheromone auch beim Menschen gibt, ist umstritten
    "Wir lagern jetzt unsere Düfte wirklich in einem großen Kühlraum, wo es jetzt also wirklich relativ kalt ist jetzt hier drin machen wir mal das Licht an, und hier sind die ganzen Dosen voller Düfte."
    Hanns Hatt zieht eine Kiste aus dem Regal. Darin silberne Döschen in verschiedenen Größen, jede einzelne ordentlich etikettiert:
    "Amylzimtaldehyd, das riecht also jetzt wahrscheinlich ein bisschen nach Zimt, Geraniol, das ist zum Beispiel ein toller Blumenduft, oder Isoeugenol, das ist Nelke oder so ein nelkenähnlicher Duft, Benzylalkohol, das ist Banane, ein bisschen in diese Richtung, das sind immer Komponenten aus den Naturdüften, die eben dann auch erkannt werden von der menschlichen Nase."
    Die Duftsensoren in der Nase von Säugetieren erkennen nur Stoffe, die chemisch zu ihnen passen. So weiß das Gehirn, ob es nach Banane oder Brathähnchen riecht.
    Gerüche rufen Erinnerungen wach oder warnen uns. Doch eine kleine Gruppe von Düften kann noch mehr. Die sogenannten Pheromone, soziale Botenstoffe. Beim Empfänger lösen sie eine körperliche Reaktion aus. Das können verborgene Effekte sein wie der Anstieg einer Hormonkonzentration oder die Veränderung von Hirnströmen. Aber auch direkte Einflüsse auf das Verhalten.
    Pheromone machen aggressiv oder paarungsbereit, locken an oder treiben in die Flucht. Bei Tieren hat man einige Pheromone gefunden.
    Ob es sie auch beim Menschen gibt, darüber streiten sich Forscher leidenschaftlich. Natürlich gibt es auch beim Menschen Pheromone, meint etwa Hanns Hatt, Zellphysiologe an der Ruhr-Universität Bochum. Die Indizien sprächen für sich:
    "Wir haben die Sensoren für diese Pheromone, die sehr spezifisch sind und ganz anders ausschauen wie die Sensoren, die man für normale Düfte braucht. Und wenn man die Sensoren hat, geht man auch davon aus, dass die auch funktionieren."
    Fünf unterschiedliche Sensortypen, die Pheromone erkennen können, besitzt der Mensch. Nicht viel im Verhältnis zu den insgesamt rund 350 Typen von Riechsensoren in der Nase. Doch Hanns Hatt glaubt, dass die Pheromon-Sensoren noch immer gebraucht werden, denn warum hätte die Evolution sie sonst erhalten sollen?
    "Dann ist die Frage: wenn man die Sensoren aktiviert durch den richtigen Duft, was passiert dann beim Menschen?"
    Der Geruchsforscher Hanns Hatt steht am 26.02.2014 in Bochum (Nordrhein-Westfalen) im Botanischen Garten der Ruhr-Universität Bochum.
    Geruchsforscher Hanns Hatt (picture alliance / dpa / Caroline Seidel)
    In einer Ecke seines Büros kramt Hanns Hatt ein Schraubfläschchen aus einer Tüte.
    "Hedione hier riecht so ein bisschen jasminartig, ein ganz ganz beliebter Duft bei Parfumeuren. Die sagen schon immer, das hat irgendwas Besonderes, wenn man einen Parfumeur fragt, sagt der immer: ‘Ja, das Hedione, das nehmen wir auf jeden Fall dazu, das gibt so eine menschliche Komponente‘. Das fand ich schon spannend, so kamen wir auch drauf, dass wir den mit testen müssen, diesen Duft."
    Im Labor können Hanns Hatt und seine Mitarbeiter testen, welcher Duft welchen Sensortyp aktiviert. Das haben sie auch mit den Pheromonsensoren gemacht. Es ist die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen:
    "Es ist sozusagen ein Try-and-error-Prinzip. Und man muss halt Glück haben. Also A braucht man eine große Duftsammlung, das haben wir hier, mehrere tausend Düfte im Lager, und die haben wir jetzt alle mal auf diesen Sensor geschüttet, um eben dann festzustellen, es ist tatsächlich einer darunter, der in der Lage war, diesen Pheromonrezeptor zu aktivieren."
    Hedione, der Lieblingsduft der Parfumeure, verfing sich tatsächlich in einem Pheromonrezeptor. Kein anderes Molekül aus der Mischung blieb hängen.
    Zwar ist Hedione ein synthetisch hergestellter, pflanzlicher Duftstoff und kann deshalb nicht das gesuchte menschliche Pheromon sein. Aber die Wissenschaftler konnten damit zum ersten Mal untersuchen, was im Gehirn von Probanden passiert, wenn ein Pheromon-Sensor aktiviert wird.
    Erste Hinweise auf Verhaltensänderung
    Neben den Hirnregionen, die für das Riechen zuständig sind, reagierte auch ein Gebiet, das sonst von Düften nicht angesprochen wird, berichtet Hanns Hatt:
    "Wir konnten dann im Kernspin zeigen, dass wenn Frauen diesen Duft riechen, dieses spezielle kleine Gebiet im Gehirn der Frauen enorm stark aktiviert wird, das eben für die Hormonsteuerung zuständig ist. Und damit waren wir schon wieder einen Schritt weiter, das heißt dieser Duft hat offensichtlich irgendwas mit den Hormonregulationen bei Frauen vor allem, aber auch bei Männern, wenn auch nicht ganz so intensiv, zu tun."
    Auch erste Hinweise auf eine Verhaltensänderung haben die Wissenschaftler gefunden. Was sie dagegen noch immer nicht kennen, ist das passende menschliche Duftmolekül:
    "Das ist auch der kleine Schwachpunkt an dieser Geschichte, weil wir einen Ersatzduft gefunden haben für diesen Rezeptor, denn der eigentliche, der richtige Duft, der diesen Pheromonrezeptor aktiviert, das müsste ja ein Duft sein, den wir Menschen abgeben, den müsste man suchen."
    Er könnte in Körperflüssigkeiten wie Urin oder Schweiß vorkommen, doch ihn darin zu finden, ist anspruchsvoll:
    "Ja, das ist immer sehr schwierig, weil Schweiß eine wahnsinnig komplexe Mischung ist, da haben schon viele Leute sich die Zähne ausgebissen, muss man sagen, diesen Schweiß zu analysieren. A unterscheidet der sich doch bei jedem Menschen so ein bisschen, B sind hunderte, es sind wirklich hunderte von Duftstoffen drin im Schweiß, die natürlich auch mit dem Essen zu tun haben und mit allen möglichen anderen Dingen, die nun gar nicht diese chemische Kommunikation machen."
    Es ist noch nicht einmal sicher, dass ein einzelner menschlicher Duftstoff allein diese Effekte auslöst. Vielleicht ist es auch eine Mischung aus verschiedenen Komponenten, die noch dazu in einem bestimmten Mengenverhältnis zusammenkommen müssen. Das macht die Suche nicht einfacher. Hanns Hatt:
    "Also es gibt viele, viele Möglichkeiten und das ist eben das Schwierige bei der Pheromonforschung, nun das alles auszuloten: Was ist jetzt kulturell? Was ist vererbt? Was ist erlernt? Und was bezieht sich nun direkt auf das Pheromon?"
    Chemische Kommunikation hat einige Vorteile. Anders als Geräusche bleibt ein Geruch über längere Zeit in der Luft, auch wenn der Absender des Signals schon verschwunden ist. Gerüche sind auch im Dunkeln erkennbar. Und sie können vom Wind verteilt werden und so auch weiter entfernte Empfänger erreichen.
    Tiere nutzen diese Art der Kommunikation, um ihr Revier zu markieren, Sexualpartner anzulocken oder Artgenossen vor Gefahr zu warnen. Entsprechend gut erforscht sind Pheromone bei Insekten, Mäusen oder Schweinen.
    Die Wirkung bei Menschen eindeutig nachzuweisen ist dagegen schwierig, denn unser Verhalten ist deutlich komplexer als das eines Nachtfalters oder einer Ziege.
    "Wenn Angstgeruch wahrgenommen wird, handelt man zum Beispiel weniger kooperativ"
    "Wir haben hier einmal den Geruch aus der ängstlichen Situation, der gestressten Situation", sagt Matthias Hoenen und richt: "Man riecht, der ist nicht sonderlich intensiv, man nimmt da nicht direkt etwas wahr, der Geruch riecht vielleicht leicht nach Schweiß, aber es riecht jetzt erstmal nicht speziell nach Angstschweiß oder ähnlichem."
    Matthias Hoenen steht in seinem Büro vor einem mit Papierstapeln bedeckten Schreibtisch und hält zwei runde Aluminiumschälchen in der Hand. Darin liegen kleine weiße Wattebäusche. Je 0,3 Gramm, exakt abgewogen und getränkt mit Schweiß:
    "Insbesondere wenn man das mit dem anderen Geruch vergleicht, der zeigt jetzt auch keine besonders starke Intensität. Nichtsdestotrotz können wir halt in unseren Experimenten zeigen, dass das eine Wirkung hat."
    Am Lehrstuhl für Biologische Psychologie und Sozialpsychologie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf erforscht Matthias Hoenen, wie sich fremder Körpergeruch auf die Gefühle anderer Personen auswirkt. Dafür muss er zu seinen Probanden auch mal fies sein, wie er selber sagt. Er lässt sie unter Zeitdruck in 17er-Schritten von 2073 rückwärts rechnen oder bringt sie in nachgestellten Bewerbungsgesprächen ins Schwitzen:
    "Dann werden die Schweißproben abgewogen, dass wir immer die gleiche Menge an Watte haben und die gleiche Menge an Schweiß in der Watte, und dann wird das ganze über ein sogenanntes Olfaktometer den Teilnehmern der Studie präsentiert."
    Beeinflusst der Geruch von Angstschweiß, wie wir Bilder wahrnehmen? Im Experiment wurden Gesichtsausdrücke präsentiert, deren Gefährlichkeit die Teilnehmer einschätzen sollten:
    "Es kommt raus, dass sich die Wahrnehmung von Bildern verändert, dass beispielsweise im Kontext von Angstgeruch verstärkt dann auch negative Gesichtsausdrücke wahrgenommen werden, positive Gesichtsausdrücke nicht mehr so gut wahrgenommen werden, oder dass auch eigentlich neutrale Situationen plötzlich als potentiell gefährlich wahrgenommen werden."
    Auch körperlich überträgt sich der Stress auf die Testpersonen, berichtet Matthias Hoenen:
    "Der Schreckreflex ist stärker ausgeprägt, wenn Angstgeruch wahrgenommen wird und dass sich auch das Verhalten gegenüber den Spielern in diesen sozialen Spielen verändert, dass man dann zum Beispiel weniger kooperativ handelt."
    Angstschweiß überträgt also ein Warnsignal, das den Empfänger in Alarmbereitschaft versetzt. Er wird aufmerksamer und nimmt mögliche Gefahren besser wahr. Der Körper wird auf eine schnelle Flucht vorbereitet:
    "Das spannende ist, wie diese Information vermittelt wird, nämlich ohne dass uns das Ganze bewusst wird. Wenn wir jemand mit einem Angstausdruck sehen, wissen wir, dass diese Person Angst hat. Das ist besondere am Geruchssinn ist, dass eine Information vermittelt wird, ohne dass sie uns bewusst wird, ohne dass diese Information aber auch verfälscht werden kann.
    Ein Angstausdruck kann nachgespielt oder überdeckt werden. Bei Geruch ist das eben nicht möglich."
    Die unbewusste Verarbeitung spart Zeit und Ressourcen. Die Kehrseite: Die subtilen Effekte sind auch besonders schwer nachzuweisen, erklärt Matthias Hoenen:
    "Im Labor gibt es diese Effekte, diese Effekte werden aber unter sehr stark kontrollierten Bedingungen gezeigt, wo sehr viele weitere Einflussfaktoren einfach ausgeschaltet sind. Im Alltag wirken aber noch wesentlich mehr Mechanismen zusammen, der Geruchssinn hat da mit Sicherheit einen gewissen Einfluss, aber letztendlich ist das nur eine Begünstigung einer bestimmten Verhaltensweise, und es spielen da natürlich noch wesentlich mehr Faktoren, die in der Umwelt vorhanden sind, eine Rolle."
    Ob wir eine Situation schon einmal erlebt haben und deshalb rational einordnen können, zum Beispiel. Oder wie motiviert wir sind. Und nicht zuletzt sorgen auch die übrigen Sinne und unsere Fähigkeit alle Informationen bewusst zu verarbeiten dafür, dass wir nicht Hals über Kopf davonlaufen, wenn wir Angstschweiß riechen. Regelrecht fernsteuern werden uns Gerüche wohl kaum, meint auch Matthias Hoenen:
    "Das stimmt. Es ist kulturell sehr stark verankert der Begriff des Pheromons, eben weil das so mysteriös ist, und sich immer auch dieser Mythos hält, dass ganz direkt Verhalten beeinflusst werden kann und das Pheromon direkt dafür ausschlaggebend ist für ein Verhalten und Menschen zu bestimmten Handlungen zwingen kann, was halt nicht der Realität entspricht, aber sich kulturell so gehalten hat."
    Begriffsstreit: "Pheromon" versus "soziale Chemosignale"
    Mit dem Begriff "Pheromon" geht Matthias Hoenen deshalb vorsichtig um. Wie viele andere Geruchsforscher spricht er lieber von "sozialen Chemosignalen":
    "Genau. Da gibt es eine bewusste Abgrenzung zwischen Chemosignalen und Pheromonen, Chemosignale ist weiter gefasst, weil das einfach sagt, wir haben da einen Geruch, und der überträgt eine Information, deshalb ist das ein Signal."
    Für Johan Lundström keine befriedigende Lösung:
    "Die Leute benutzen Euphemismen wie Chemosignale oder Allemone, die letztlich aber nur umschreiben, was die Allgemeinheit als Pheromon kennt. Ich glaube eher, dass der Begriff Pheromon falsch ausgelegt wird. Laut Definition ist das ein einzelnes Molekül, das eine immer gleiche Reaktion auslöst.
    Wenn man ein ‘Nach-rechts-gehen-Pheromon‘ hat, muss man jedes Mal nach rechts gehen, wenn man es riecht. Wenn man auch nur ein Mal nach links geht, ist es widerlegt, dass das ein Pheromon ist. Das gilt so noch nicht einmal bei Insekten."
    Am Karolinska-Institut hat Emilia Johansson die junge Frau verkabelt. Jetzt steht sie auf der anderen Seite der Scheibe, im Kontrollraum des Magnet-Resonanztomographen. Ein Mausklick - und es geht los.
    Vom Olfaktometer strömt ein Duft nach dem anderen durch den Schlauch in die Nase der Probandin. Immer wenn sie eine der scharf riechenden Substanzen erreicht, erscheint auf einem Monitor über ihrem Kopf ein Gesicht, das sie wütend, angewidert, traurig oder unbeteiligt ansieht. Johan Lundström:
    "Man kann die Probanden nicht fragen, was sie empfinden, denn Düfte werden unbewusst verarbeitet und wir haben keinen Zugang zu dieser Information. Wir messen deshalb entweder die autonome Reaktion, also ob jemand physisch erregt wird, wenn er einen bestimmten Duft riecht, oder wir messen die Reaktionszeit, ob jemand nach einem bestimmten Reiz zum Beispiel schneller reagiert oder langsamer. Und wir messen die Hirnaktivität, entweder die Hirnströme oder wie hier mit dem Magnetscanner."
    Im Kontrollraum verfolgt Johan Lundström auf dem Monitor, was im Gehirn der jungen Frau vor sich geht. Die aktiven Hirn-Regionen leuchten gelb-orange auf, während die übrigen Teile grau bleiben. Johann Lundström kann so erkennen, wie die Probandin die verschiedenen Gesichtsausdrücke wahrnimmt und ob einer der Düfte diese Wahrnehmung beeinflusst:
    "Das spannendste, was wir bisher gefunden haben, war, dass Frauen, die den Körpergeruch eines Neugeborenen riechen, eine starke Aktivität im Belohnungszentrum haben, vergleichbar mit der Reaktion auf kleine Mengen eines starken Rauschmittels. Obwohl die Frauen einfach nur im Scanner lagen und den Körpergeruch eines Babys eingeatmet haben.
    Wir sind jetzt stark daran interessiert, aus dem komplexen Körpergeruch eines Babys genau die Chemikalien zu isolieren, die diesen Effekt auslösen. Wir arbeiten mit Chemikern zusammen und versuchen auszutüfteln, was die wirksamen Bestandteile sind.
    Zuerst teilen wir die Duftstoffe im Baby-Geruch in zwei Hälften, von denen eine noch eine Reaktion auslöst. Die teilen wir dann wieder und so weiter. Das ist ziemlich aufwendig und braucht eine Menge Zeit."
    Doch der Aufwand könnte sich lohnen. Mit dem isolierten Duftstoff könnte man ein Nasenspray gegen Depressionen entwickeln, bei dem die Wirkstoffe über den Riechnerv direkt ins Gehirn gelangen. Auch andere soziale Gerüche könnten zu präzisen Waffen im Dienst der Medizin werden.
    Das Stress-Signal aus Matthias Hoenens Experimenten könnte man vielleicht einsetzten, um Menschen mit sozialen Ängsten zu desensibilisieren, ähnlich wie bei Allergikern. Oder genau umgekehrt, den Körpergeruch einer vertrauten Person als Sicherheitssignal nutzen.
    All diese Anwendungen sind aber weit von den Fernsteuerungs-Düften entfernt, als die Pheromone gerne verkauft werden:
    "Der Begriff Pheromon selbst ist stark beschädigt, zum Beispiel durch die Parfümindustrie. Aber nur den Begriff zu ändern wird die Situation nicht ändern. Wir brauchen eine klare Arbeitsdefinition, die festlegt, was ein Duftstoff können muss, um ein Pheromon zu sein und was ihn von anderen Reizen unterscheidet. An diese Definition müssen wir uns dann halten."
    Auf der Suche nach dem Mutter-Pheromon
    Ein Kaninchen mit drei Jungtieren im Korb
    Bei Kaninchen wurde nachgewiesen, dass die Muttermilch ein Molekül enthält, dass die Jungtiere zum Saugen anhält. Gibt es ein ähnliches Pheromon auch beim Menschen? (imago/blickwinkel)
    Benoist Schaal spricht nur ungern von Pheromonen. Gleichzeitig gilt der Franzose unter Geruchsforschern als derjenige, der die größten Chancen hat, tatsächlich eines zu finden.
    "Bis jetzt gibt es keinen überzeugenden Nachweis eines menschlichen Pheromons. Aber ich denke durchaus, dass es sie geben könnte. Am ehesten in Situationen, in denen es um das Überleben geht.
    Das Zusammenspiel von Mutter und Kind, besonders der allererste Kontakt eines Babys mit dem Körper der Mutter, wäre für mich so eine Situation, wo es evolutionär sinnvoll wäre, ein Signal zu haben, das bedingungslos anziehend und anregend ist.
    Die Situation an der Brust ist neu für das Baby, alle möglichen Reize strömen ein. Deshalb wäre es sinnvoll, dort einen starken Reiz zu haben, der die Aufmerksamkeit auf das richtet, was für das Baby am wichtigsten ist. Die Brustwarze. Die Brustwarze ist in diesem Moment überlebenswichtig für ein Neugeborenes und für das Überleben der Spezies insgesamt, denn nur so kommt Milch von der Mutter zum Kind."
    Bei Kaninchen haben Benoist Schaal und seine Kollegen am Centre des Sciences des Goût et de l'Alimentation in Dijon gezeigt, dass in der Milch selbst ein Molekül enthalten ist, das die Jungen zum Saugen anregt. Auch beim Menschen könnte es ein solches Mutter-Pheromon geben. Die Montgomery-Drüsen, die als kleine Erhebungen im Warzenhof um die Brustwarze verteilt liegen, geben nach der Geburt eine milchige Flüssigkeit ab:
    "Wenn wir diesen Reiz unter die Nase eines Neugeborenen bringen, bewegen die Babys verstärkt den Mund, es ist also ein anregendes Signal. Außerdem regt der Geruch die Atmung an. Die Drüsen haben also eine Wirkung auf zwei ziemlich grundlegenden Funktionen, wenn das Baby an der Brust der Mutter trinken soll.
    Sie lösen den Saugreflex aus und verändern die Atmung. Saugen, Schlucken und Atmen müssen koordiniert werden, damit das Trinken funktioniert. Und wir glauben, dass dieser Duftreiz dabei hilft."
    Bei den Versuchen spielte es keine Rolle, ob das präsentierte Sekret von der Mutter des Babys stammte oder von einer anderen Frau, die ebenfalls vor kurzem ein Kind geboren hatte. Und auch Babys, die bisher nur die Flasche bekommen hatten, also noch nicht mit dem Sekret in Kontakt gekommen sein konnten, reagierten darauf. Damit sind zwei wichtige Bedingungen für ein Pheromon erfüllt: Das Signal wirkt bei allen Individuen gleich, ist also nicht für jedes Mutter-Kind-Paar spezifisch. Und die Reaktion auf den Duft ist angeboren, erklärt Benoist Schaal:
    "Jetzt beschäftigen wir uns mit der Chemie und versuchen das zu isolieren, was darin wirksam ist. Von einer komplexen Mischung, die diese Reaktion auslöst, zu einer einzelnen Substanz oder einem kleinen Set von Substanzen in einem bestimmten Verhältnis zu gelangen, das immer noch die gleiche Reaktion erzeugt, ist ein langer Prozess voller Chemie und Verhaltensstudien.
    Das wird eine echte Herausforderung. Aber unsere Erfahrungen mit den Kaninchenbabys machen mich zuversichtlich, dass es möglich ist."
    Beim Kaninchen hat es sieben Jahre gedauert, um das entsprechende Molekül zu identifizieren. Jetzt wollen die Forscher es in vier Jahren schaffen. So lange reicht das Geld. Ein ambitionierter Zeitplan, denn eigentlich ist Geruchsforschung eher etwas für die Langstrecke. Johan Lundström:
    "Ich glaube, erst wenn die Rechenleistung von Computern groß genug ist und wir außerdem gut genug verstehen, wie unser Gehirn und die Rezeptoren arbeiten, so dass wir nichts mehr messen müssen sondern einfach die Vorgänge simulieren können, erst dann wird es einen Durchbruch geben, denn dann können wir einfach alles Wissen über unser Verhalten wie mit einer Suchmaschine durchgehen, und müssen dann nur noch die Signale testen, die damit in Verbindung stehen."
    Gut möglich, dass auch das nicht reichen wird: Johan Lundström kennt Kollegen, die seit zwanzig Jahren nach der chemischen Signatur des Immunsystems suchen, ohne sicher zu wissen, ob sie auf dem richtigen Weg sind:
    "Und mittlerweile glauben sie, dass es nicht so sehr darum geht, welche da sind, sondern es könnte das Fehlen bestimmter Substanzen sein, das viel wichtiger ist. Ich glaube, dass wir früher ziemlich naiv waren zu denken, dass es auch bei Säugetieren eine simple Lösung gibt. Die gibt es einfach nicht."
    Es sprachen: Edda Fischer und Thomas Lang
    Ton und Technik: Christoph Bette
    Regie: Axel Scheibchen
    Redaktion: Christiane Knoll
    Online: Felix von Massenbach
    Produktion: Deutschlandfunk 2016