Dienstag, 16. April 2024

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Duftendes Gold aus Bulgarien

Noch ist offen, ob Bulgarien bereits im Januar 2007 der Europäischen Union beitreten wird oder erst im Jahr 2008 – das hängt ganz davon, ob Bulgarien die Beitrittskriterien noch rechtzeitig erfüllt oder nicht. In einem Punkt aber macht den Bulgaren niemand etwas vor: Seit Jahrhunderten schon wird im Herzen des Landes das berühmte Rosenöl gefertigt. Die Düfte der internationalen Haute Volée werden grundiert von bulgarischem Rosenöl, und das lassen sich die Chanels und Diors dieser Welt auch etwas kosten: Ein Liter dieses kostbaren Destillats wird mit über 4000 Euro gehandelt.

Eine Sendung von Wibke Starck und Sören Harms. Moderation: Bettina Nutz | 09.09.2006
    Es ist die Magie eines Augenblicks, für den Rosen ihren Duft verströmen. Selbst wenn man ihren Wohlgeruch nur ahnt, etwa beim kurzen Schnuppern an einem Parfümzerstäuber. Für diesen Moment geben Rosenblüten ihr kostbares Öl preis. Und ohne diesen natürlich gewonnenen Rohstoff wären selbst die besten Parfümeure der Welt niemals in der Lage, legendäre Kreationen hervorzubringen: wie Chanel No 5, Shalimar oder L'Air du temps. Parfüm schafft es sogar, Kinokarriere zu machen.

    "Wer die Gerüche beherrschte, der beherrschte die Herzen der Menschen" - schreibt Patrick Süskind in seinem Weltbestseller "Das Parfüm", der jetzt als Romanvorlage für die Leinwand dient. Bulgarien zumindest beherrscht den Weltmarkt, wenn es um die Rosenöl-Produktion geht. In Europa ist das Land einer der größten Exporteure von ökologisch angebauten Heilkräutern.

    Bulgariens Tal der Rosen liegt im Herzen des Landes, rund um die Stadt Kazanlak. Auf weiten Feldern wird die Blume der Blumen angebaut. Ihr Destillat gilt unter Fachleuten als das Beste der Welt. Bis das Öl aber zu den Duftkomponisten der legendären Parfümhäuser in Frankreich, Italien oder den USA gelangt, wird hart gearbeitet. Schließlich währt die Erntesaison nur kurze drei Wochen im Jahr. Dann braucht es rund 3000 kg Blüten für einen einzigen Liter Rosenöl. Grobe Maschinen können die zarten Blüten nicht vertragen. Und so sind es Pflückerinnen wie Dinka Vasileva und Miriam Ahmedova, die - umhüllt von süßlichen Aromen - Akkordarbeit leisen.


    Pflücken im Akkord
    Dinka und Miriam sammeln Rosenblüten noch vor Sonnenaufgang


    Zwischen üppigen Dornenranken recken sich flinke Hände nach kleinen rosa Blüten. Die Finger umfassen die kaum aufgeblühten Knospen, knicken sie stillos ab und greifen zur nächsten. Schnell ist eine Handvoll in der sackartigen Schürze verschwunden. Hinter dem Gewirr aus Grün und Rosa kommt das braungebrannte Gesicht von Dinka Vasileva zum Vorschein, umrahmt von windzerzaustem Haar, in dem silberne Strähnen schimmern. Dinka blinzelt gegen die noch tiefstehende Morgensonne.

    " Man pflückt die Blüte als Ganzes, nicht nur die Blütenblätter. Und zwar alle gerade aufblühenden Knospen. Sind sie geschlossen, geben sie noch nichts her. Je mehr Blütenblätter entfaltet sind, umso höher ist der Ölgehalt, besonders früh morgens, wenn sie noch mit Tau behaftet sind. Später am Tag haben sie schon sehr viel Duft verströmen lassen und dann sind sie nicht mehr so kostbar. Wir stehen also um 4 Uhr auf und um halb fünf oder spätestens um fünf beginnen wir. Denn wir müssen uns beeilen, um bis 10 Uhr möglichst alle aufgeblühten Rosen gepflückt zu haben. "

    Dinka ist 57, Frührentnerin und schon seit 20 Jahren pflückt sie in Rosovo die duftenden Blüten. Anfangs um ihr Gehalt als Brigadeleiterin der Firma Arsenal aufzubessern, heute weil die Rente von 135 Lewa - knapp 70 Euro - nicht reicht. Viele Bulgaren müssten sich etwas hinzu verdienen, sagt Dinka.

    " Wenn wir hierher kommen, sind wir manchmal noch ein bisschen schläfrig, aber es dauert nicht lang und die Müdigkeit fällt von uns ab, der Duft hat eine erfrischende Wirkung. Er vertreibt sogar Kopfschmerzen: Du wirst einfach munter! Und je mehr du pflückst, umso mehr Lust hast Du zu pflücken. "

    Dinka entleert ihre vollgepflückte Schürze in einen weißen Plastiksack. Dicht an dicht liegen die rosa Blütenköpfe beieinander. Eben noch strahlende Pracht, sehen sie nun ein wenig so aus, als hätten sie Dinkas Müdigkeit in sich aufgenommen. Es duftet lieblich, süß - ein ganz klein bisschen nach Honig.

    " Wenn wir nach Hause kommen, duschen wir uns, aber trotzdem riechen wir noch nach Rosen. Auch wenn ich im Bus sitze, sagen alle, dass ich nach Rosen dufte. "

    Die Frau an der Waage schreibt eine 40 in ihr verwittertes Heft. 40 Kilo hat Dinka heute geschafft. Die Heilkraft, die der Rosa Damascena nachgesagt wird, scheint Dinka ebenfalls über den geringen Verdienst hinweg zu helfen. 50 Stodinki - 25 Eurocent - erhält sie pro Kilo gepflückter Blüten. Berühmte bulgarische Rose hin oder her: auf viel mehr als 2 Euro pro Stunde kommt sie selten. Die großen Gewinne machen sicher die Destillateure, vermutet sie gleichmütig.

    10.00 Uhr, Feierabend für heute - zumindest auf dem Rosenfeld. Dinka fährt mit ihrem Mann nach Hause. Der Pferdewagen schaukelt über den Feldweg und biegt hinter einem vorbeisausenden Mercedes auf die Teerstraße.

    Einige Kilometer weiter wird noch gepflückt. Die Sonne hat die Blütenpracht explodieren lassen, die Arbeiter der Farm bei Tarnicheni kommen kaum hinterher. Ein Vorarbeiter ruft durch ein Megafon, um sie anzuspornen. Heute müssen alle länger bleiben.

    Eine junge Pflückerin wischt sich mit dem Arm über die verschwitzte Stirn. Anders als in Dinkas Kooperation "Isgrev" arbeiten hier neben Bulgaren und Türken auch viele Roma wie Miriam Ahmedova. Einige Haarsträhnen haben sich aus ihrem schwarzen Zopf gelöst und kleben in dem jungen, tiefbraunen Gesicht. Miriam ist 25. Sie lässt die Blüten in einen Plastiksack fallen und blickt auf ihre zerstochenen Hände. Schöne Rosen stechen eben, sagt sie und lächelt verschmitzt. Für einen Moment zeigt sich eine Zahnlücke.

    " Die Frau dort hat sich eigene Handschuhe mitgebracht. Die, die wir bekommen sind aus Nylon und beim Pflücken schwitzt man darin. Sie sind einfach nicht bequem. "

    In den Hochglanzbroschüren für Touristen tragen die Pflückerinnen kunstvoll bestickte Blusen mit weiten Ärmeln und lange, bunte Trachtenröcke, sie haben Rosenkränze im Haar und einen Korb voller rosa Blüten unter dem Arm. Miriam trägt Jeans und Turnschuh und trotz der Hitze eine ausgebeulte Trainingsjacke, um zumindest die Arme gegen Dornen zu schützen. Es ist nicht leicht, als Roma Arbeit zu finden, sagt Miriam.

    " Sie gucken, wie du angezogen bist, sie achten darauf, wie du sprichst. Zum Beispiel gibt es Roma, die ganz schlecht Bulgarisch sprechen. Oft sind sie kaum zur Schule gegangen, sind zu wenig ausgebildet und werden deshalb abgewiesen. "

    Dass ihr 10-jähriger Sohn heute die Schule schwänzt und ebenfalls seine Ausbildung gefährdet, daran scheint Miriam gerade nicht zu denken. Dreiviertel aller Romakinder in Bulgarien gehen nur unstetig in die Schule.

    " Hier macht man keine Unterschiede, hier werden sogar vorwiegend Roma genommen. Die Bulgaren pflücken wenig. Sie gehen oft früher, weil sie noch eine andere Arbeit haben. Und wenn es regnet, verstecken sie sich. Wir Roma pflücken bei Regen, bei Sonne, jederzeit - wir pflücken bis zum Schluss. Aber wenn wir eine richtige Anstellung suchen, dann bevorzugt man Bulgaren. Roma sind da nicht gefragt. "


    Das Tal der Rosen wird im Norden durch das Balkangebirge vor eisigen Winden geschützt. Der Wechsel von viel Sonne und reichlich Niederschlägen, dazu das milde Klima Bulgariens: das sind optimale Bedingungen für das Gedeihen der Rosa Damascena. Sie soll aus Indien stammen, sieht ein bisschen aus wie eine heimische Heckenrose, verbreitet aber einen Duft, der lieblich und süß in die Nase steigt. In Bulgarien wird sie seit mehr als dreihundert Jahren angebaut. Ob als Rohstoff für die edlen Parfüms oder als therapeutisches Aromaöl - Rosen wie die Damascena, wie die Zentifolie, die Tee- oder Bourbonrose verströmen Sinnlichkeit und Harmonie, glauben ihre Liebhaber. Und im Tal geben sie den Menschen Arbeit.

    Ein Exportschlager war das Dornengewächs schon immer. Zu sozialistischen Zeiten brachte es westliche Devisen ins Land. Erst nach der Wende und mit der großen Wirtschaftsdepression Mitte der neunziger Jahre tauchten Probleme auf. Kaum jemand wollte in die Betriebe investieren, solange die Eigentumsverhältnisse nicht geklärt waren. Als auch der andere große Arbeitgeber der Gegend, die Waffenfabrik Arsenal in Kazanlak, nach und nach abgewickelt wurde, standen Tausende Menschen vor dem Nichts. Heute geht es wieder bergauf, die Rosenöl-Produktion liegt weitgehend in privaten Händen. Und die ehemaligen Kooperativen des EU-Anwärters Bulgarien bereiten sich eifrig auf die abermals neuen Zeiten vor - die Zeit nach dem Beitritt.


    Ivan und die Brigade
    Ein Rosenbauer schwärmt von sozialistischen Zeiten

    Ivan Kitschukov ist überall. Er weist den Kutscher an, den Rand des Rosenackers abzufahren und Blütenbeutel einzusammeln. Er greift zum Handy und telefoniert mit der Rosenöl-Destillerie. Er schenkt Kaffee aus. Und jetzt nimmt er Dinka und ihrer Freundin die Säcke ab, die sie durch das hohe Gras heranschleifen, und stellt sie selber auf die Waage. Gequetschte Blüten schimmern rosa durch das Plastik, Mitleid erregend fast, doch dafür hat Ivan keinen Blick. Erstens hat er schon tausende solcher Säcke gesehen mit Millionen gequetschter Blüten. Und zweitens hat er es eilig.

    "Jetzt vor dem Rosenfest gibt es für mich nur eine Aufgabe, nämlich meine Rosen zu pflücken. Ich muss allein dafür 200 Kilo Rosenblüten liefern."

    Die Dekoration zum Fest haben sie früher schon beigetragen, die Rosenbauern von Rosovo südlich von Kazanlak, früher, als sie die Rosen noch für den Staat gedeihen ließen. Heute sind sie selbstständig, ihre Kooperation heißt "Isgrev", "Aufgang", die Sonne dazu gibt es gratis jeden Tag am Himmel. Aber natürlich sind es nicht nur Ivans Rosen, und natürlich pflückt er auch nicht selber.

    20 Kilo, sagt die Frau hinter der Waage, der Sack ist aber leicht; na ja, er ist ja nicht richtig voll. Auf manchen Rosenfarmen, sagt Ivan und hievt dabei den zweiten Sack auf den Wiegeteller, auf manchen Rosenfarmen werden die Säcke kontrolliert, ob Steine hineingeraten sind - rein zufällig natürlich nur und nicht, um mehr Lohn herauszuschlagen. Da brauche er aber bei seinen Pflückerinnen keine Sorge zu haben.

    Der Chef der Kooperation ist 61, ein kleiner Mann mit grauen Haaren und einem geradem Rücken in einem weißen Hemd, und für ihn ist es kein Wunder, dass bulgarisches Rosenöl so gut und so kostbar ist.

    "Die klimatischen Bedingungen sind hier bestens kombiniert, Boden, Temperatur, Luft. Deswegen ist die Qualität der Blüten so gut. Und dann muss das Wasser zum Blütenkochen hart sein wie bei uns. Trotzdem sind Rosen unterschiedlich, auch Rosen vom selben Feld geben nicht immer dasselbe Öl. Es gibt immer kleine Unterschiede."

    Früher hatte Ivan Kitschukov den Geruch von Schwarzpulver in der Nase, drüben bei Arsenal, als er in der Waffenfabrik noch Kalaschnikovs zusammensetzte. Seit sechs Jahren genießt er die Arbeit draußen, besonders Anfang Juni, wenn die Felder der Kooperation sanft rosarot duften. Vielleicht trägt ja auch die manuelle Lese der Blüten zur gerühmten Qualität bei? Ivan Kitchukov runzelt die Stirn, hinter einer 80er-Jahre-Sonnenbrille lassen sich kluge Augen erkennen. Nein, sagt er und nickt dabei mit dem Kopf, wie es alle Bulgaren tun, wenn sie etwas verneinen. Vor der Wende habe es durchaus Vorteile gegeben:

    "In der Landwirtschaft zum Beispiel war der Staat sehr fortschrittlich. Er hatte die Felder zusammengelegt als Voraussetzung für eine effektive Bearbeitung. Die Politiker nach der Wende wollten das Alte zerstören und haben die Felder wieder zerstückelt, bis zu einem halben Hektar und sogar noch kleiner - das erschwert jetzt die Bearbeitung des Landes. Die Produktion auf zerstückelten Feldern hat keine Perspektive."

    Große Felder lassen sich eben rationeller pflügen, spritzen, abernten, mit größeren Maschinen, sagt Ivan. Das gelte für Bulgarien ebenso wie für die anderen Länder Osteuropas, in denen Kolchose-Strukturen reprivatisiert wurden. Man hätte eben den früheren Besitzern nicht das Land zurückgeben, sondern sie entschädigen sollen, meint er. Doch zumindest das Öl profitiert tatsächlich vom vorsichtigen, erfahrenen Rosenpflücken mit der Hand. Ivan bringt aber auch hier erneut alte Zeiten ein, diesmal: Arbeitsbrigaden.

    "Ich habe als Schüler Rosen gepflückt, ich habe Erdbeeren gepflückt, ich habe Weintrauben gepflückt. Brigaden sind nichts Schlimmes. Landwirtschaft funktioniert nun mal saisonal: Es gibt Arbeit im Frühling, wenn wir Rosen pflücken, und dann wieder, wenn Kirschen und Hagebutten reif sind. Für den Rest der Zeit gibt es keine Arbeit, man kann deshalb die Leute nicht durchgängig engagieren. Bei uns zum Beispiel sind in der Grundproduktion nur 10, 15 Leute beschäftigt. Wenn es aber etwas zu pflücken gibt, dann ist es normal, wenn viele Leute kommen, und das geht am besten in einer Brigade. Sie werden sehen, früher oder später werden die Brigaden wieder ins Leben gerufen."

    Ivan lächelt jetzt, sein Blick schweift in die Ferne. Die Silhouette der Balkankette, die das Tal vor den eisigen Nordostwinden schützt, ritzt Zacken in den Morgenhimmel. Die goldene Kuppel des Shipka-Klosters am Berghang. Und davor Istok, ein grauer vieläugiger Würfel aus Plattenbauten am Ostrand Kazanlaks. Ivans Blick geht schon in die Zukunft, und er denkt dabei nicht nur an Rosen.

    "Die Erdbeeren; die Kirschen; die Tomaten aus der Türkei, aus Griechenland, aus Italien sehen zwar auf den ersten Blick genauso aus - aber das Obst und Gemüse hier vom Feld ist viel schmackhafter. Und nächstes Jahr, falls wir dann schon der EU beitreten und unsere Kirschen, unsere Erdbeeren, Himbeeren und Tomaten auf den europäischen Markt gelangen, werden alle ganz sicher nur noch die haben wollen. Und genauso unsere Weine."

    Der Beitritt zur Europäischen Union hat für Bulgarien nicht nur eine ökonomische Dimension. Teil des Balkans zu sein, nicht des Westens, der als Europa der Kulturnationen gilt - das ist die historische Eigenwahrnehmung der Bulgaren. Sie hat sich entwickelt aus einem halben Jahrtausend türkischer Fremdherrschaft. Nach ihrem Ende, im späten 19. Jahrhundert, war es nicht leicht, zu einer eigenen kulturellen Identität zu finden. Damals wurde Bai Ganju zur klassischen Nationalfigur in Bulgariens Literatur und ist es bis heute. Aleko Konstantinov erfand die Satire über den Rosenölhändler, der seinen türkisch-bulgarischen Ziegenhaarumhang gegen einen belgischen Mantel tauscht. Schon glaubt er, er habe sich zum "echten Europäer" gewandelt und reist in die Welt.

    "Passt auf, jetzt werde ich euch von meiner Begegnung mit Bai Ganju erzählen", meldete sich Stoitscho zu Wort.(...)
    Das war in Wien. Sitze ich da eines Morgens so im Kaffeehaus, bei Mendl, habe mir einen Tee bestellt und bin gerade dabei, unsere bulgarischen Zeitungen durchzublättern. (...) Ich bin mit meinen Gedanken ganz bei dem, was ich lese, als plötzlich über meinem Ohr ein ,Oooh, guten Tag!' gebrüllt wird und eine schweißige Hand meine Rechte packt. Ich sehe auf: ein breitschultriger, dunkeläugiger, dunkelhaariger und sogar dunkelhäutiger Herr mit gezwirbeltem Schnurrbart und vorstehenden Backenknochen, das Gesicht rasiert, aber schon wieder stoppelig, bekleidet mit (was meint ihr wohl?), mit einem nicht zugeknöpften Gehrock, unter der Weste schaut zwei, drei Fingerbreit der rote Wickelgurt hervor, mit einem weißen Hemd (was man bei uns eben so weiß nennt), ohne Krawatte, mit einer schwarzen, schiefsitzenden Pelzmütze, in Stiefeln, einen Wrazaer Stock unter den Arm geklemmt. Ein noch junger Mann, allerhöchstens dreißig.
    ,Verzeihen Sie, mein Herr', sage ich mit höflichem Erstaunen, ich habe nicht das Vergnügen, Sie zu kennen.'
    ,Was? Sie kennen mich nicht? Du bist doch ein Bulgare?'
    ,Ja, das bin ich."
    ,Na?'
    ,Na?'
    ,Na los, steh auf, wir wollen Spazieren gehen! Was willst du hier herumhocken? Ich heiße Ganju. Auf!'
    Er hätte mir gar nicht mehr zu sagen brauchen, dass er Bai Ganju war.
    ,Entschuldigen Sie, Herr Ganju, aber ich habe jetzt keine Zeit.'
    ,Was sitzt du dann im Kaffeehaus herum, wenn du keine Zeit hast?' (...)
    Ins Bad sollte ich ihn führen! Ich begann langsam ärgerlich zu werden, beherrschte mich aber und nicht nur das, ich musste auch lachen. Bai Ganju hatte tatsächlich ein Bad dringend nötig: schon von weitem roch er säuerlich. Was blieb mir weiter übrig? Schließlich war er ein Landsmann - ich musste ihm behilflich sein."



    Für die legendäre Modermacherin Coco Chanel war ein Parfüm ein "Gefühl, ein Traum, das ultimative Accessoire" der selbstbewussten Frau. Ein Image, das die Kosmetikindustrie reich gemacht hat. Sie ist eine gierige Branche: als die bulgarische Rosenöl-Industrie Ende der neunziger Jahre in ihrer größten Krise war, drängten vor allem die großen Parfüm-Hersteller im Westen darauf, mehr Ölzu produzieren. Die Rosenbauern konnten mit Hilfe von EU-Geldern neue Felder für den wachsenden Bedarf anlegen. Das Geschäft ist schnelllebig und hart umkämpft: etwa 80 neue Duftnoten werden jedes Jahr auf den Markt gebracht.

    Den bulgarischen Destillateuren ist das nur recht. Mit einer Produktion von etwa 1,5 Tonnen Rosenöl jährlich sind sie die Nummer 1 auf dem Weltmarkt - noch vor der Türkei und Indien. Das klingt nicht viel, ist es aber, wenn man sieht, wie viele zehntausend Blüten für ein einziges Kilo Öl benötigt werden. Ansonsten kann man den Umfang des lukrativen Geschäfts nur ahnen. Namhafte Kunden, astronomische Preise und schließlich die sorgsame Prozedur des Abfüllens von reinstem Rosenöl bleiben mehr oder weniger geheim.


    Duftendes Gold
    Destillateure und das geheimnisvolle Geschäft mit dem Rosenöl
    Ein junger Mann in blauer Arbeitsjacke und Schlabberhose, ein alter Mann in Strickpulli und Jogginghose mit Löchern. Schmutzig die Kleidung, die Ärmel hochgeschoben. Sie greifen einen Plastiksack nach dem anderen, gleichmäßig, bedächtig, und schütteln diese in die Luke eines großen Kupferkessels. Sie schwitzen.

    "500 Kilo Rosen gehen da hinein, dazu Wasser, und dann kochen wir. Bei 100, 130 Grad. Das ist gewöhnliches Wasser, ohne Zusätze. Wir schließen die Luke des Tanks, und der Prozess beginnt."

    Der Jüngere der beiden klappt den Messingdeckel zu und fixiert ihn mit faustgroßen Flügelschrauben. Im Grunde ist alles ganz einfach, sagt Mladen Miladinov. Die Rosen werden drei Stunden gekocht, der Wasserdampf steigt auf und reißt dabei die ätherischen Ölmoleküle aus den Blüten, das Destillat wird gekühlt, Öl und Wasser wieder getrennt.

    Für alles, was komplizierter ist in der Destillerie Bulattars 30 Kilometer westlich von Kazanlak, ist Mladen zuständig. Der 56jährige schiebt ein kleines Bäuchlein vor sich her, als er durch die halboffene Halle vorangeht und den Weg des Öls durch all die Rohre und Kessel erläutert. Mladen ist eben Ingenieur, begeistert von den Details und routiniert zugleich. Und er trinkt Rosenwasser.

    "Wenn Sie Literatur suchen und alte Rezepte auf Kräuterbasis, dann finden Sie immer Rosenöl darin. Auch die neue Kräuterkunde basiert darauf. Eigentlich ja mehr auf Rosenwasser und weniger auf Öl, das ist viel zu konzentriert."

    Rosenwasser ist zwar durchsichtig und sieht damit harmlos aus, schmeckt aber reichlich ölig-eklig. Mladen muss wirklich an die Heilkraft glauben, denn er trinkt eine ganze Menge davon.

    "So 20, 30 Liter pro Jahr. Ich mache das, weil ich es herstelle und weiß, dass es rein ist. Das löst Nierensteine auf, reinigt den Darm usw."

    Rosenöl benötigt Zeit, Arbeit und Geduld. 20 Säcke haben die Männer in den Kessel geschüttelt, eine halbe Tonne Blüten; am Ende gewinnt die Destillerie daraus genau ein Wasserglas voll Öl. Für dieses eine Glas hat Pflückerin Dinka zuvor zehn Tage lang zarte rosa Blüten gesammelt. Zehn Tage. Mladen deutet auf das, was aus ihnen geworden ist: Ein brauner Brei, schlapp, welk und abgeduftet liegt neben den Kesseln im Rinnstein.

    "Was wir wegwerfen, ist die Maische. Mit dieser Anlage trenne ich das Rosendestillat von den Resten, den gekochten Blüten. Diese Reste lagern wir in speziellen Betoncontainern und füttern kalifornische Würmer damit, um Dünger herzustellen. Und mit dem düngt man wieder die Rosenfelder."

    Obwohl die Halle halboffen ist, erfüllt sie ein dichter, süßlich-konzentrierter Geruch. So lieblich Rosen einzeln riechen, tausendfach konzentriert benebelt ihr Duft. Seit der Wende arbeitet Mladen für die Öl-Fabrik. Auch Lavendel destillieren sie dort, doch Höhepunkt seiner 16 Jahre hier war stets der Zeitraum Mai/Juni, in dem, ganz am Ende der Rohre, das Rosenöl wie warmer Honig in einen Glaszylinder fließt.

    Morgen, morgen erst werden sie wieder Öl abfüllen, sagt Mladen, dann ist der Zylinder voll, dann stimmt die Qualität. Sie werden das Siegel am Zylinder entfernen, den Hahn öffnen, fünf Kilo abfüllen und die Flaschen gleich in den Firmentresor packen. Denn was sie da abfüllen, ist duftendes Gold.

    "Der Preis ist jedes Jahr anders", "

    sagt Plamen Stankowski.

    " " Das ist ein Naturprodukt, das stark vom Klima abhängig ist. In den vergangenen Jahren hatten wir während der Ernte zu wenig Regen und daher geringen Ertrag. Da ging der Preis hoch - das Kilo kostete mehr als 4000 Euro."

    Plamen, der Chef von Bulattars, ist hinzugetreten mit Duftstreifen aus Papier, die er in Glasröhrchen tunkt und den Besuchern unter die Nase hält.

    "Das hier ist ganz neues Öl, durch die Lagerung wird es noch besser werden. Ganz reines Öl, unverdünnt, so wie es in dieser Halle produziert wird."


    Süß, fast stechend steigt die Essenz auf. Der Geruch explodiert zwischen den Augen. Das also ist der Duft, aus dem die Träume der Parfümeure gewoben sind. Es ist verdammt viel Geruch für eine gewöhnliche Nase: Über 360 Aromastoffe enthält das Öl der Damaszenerrose.

    "Es riecht noch gar nicht so sehr nach Rosen, eher nach Honig. Das Ziel ist nicht, dass man den Duft einer Rose erhält - es soll schon ein blumiges Aroma sein, aber tatsächlich hebt das Rosenöl vor allem die übrigen Aromen eines Parfüms hervor, verstärkt sie und macht sie dauerhafter."

    Ob wir morgen zum Abfüllen wiederkommen können? Da schwankt der Kugelkopf des Duft-Chefs ein wenig, er windet sich, na ja, sie wüssten den Zeitpunkt nicht, und, ach nein, vielleicht wird es auch gar nicht morgen sein.

    200 Kilo produziert Plamens Destillerie im Jahr, und noch mal soviel verkauft er als Vertriebspartner für andere Destillerien hier im Rosental. 400 Kilo also, und jedes mehrere 1000 Euro wert. Ebenso gut könnte man wohl den Direktor einer Bankfiliale fragen, ob man beim Geldtransport zur Zentrale dabei sein darf. Und auch sonst ist das Geschäft der Parfümeure tendenziell geheimnisvoll:

    "Unsere Kunden sind die größten Abnehmer von Naturaromaprodukten, sie stellen Nahrungsessenzen und Parfümerieprodukte her. Internationale Unternehmen in Europa, USA und Japan. Ich möchte keine Namen nennen. Aber wir arbeiten mit sechs der zehn wichtigsten Firmen in dieser Branche."

    Die Parfümeure suchen ihre Bezugsquellen nicht preiszugeben, und daran hält sich auch Plamen. Denn wie Ivan Kitschukov sagte: Jedes Rosenfeld ist unterschiedlich, und auch jeder Destillateur arbeitet ein bisschen anders. Die Supernasen reisen Monate später an, wenn das Öl abgelagert ist, sie werden ihr Öl auswählen und anschließend für die großen Parfümlabels nutzen - um den einen, echten, großen Duft nach ihrer streng geheimen Formel zu mixen.


    Vorsichtig hütet auch Bai Ganju auf seinem Streifzug durch Europa die mitgebrachten Rosenöl-Flakons. Sie sollen als Reisekasse dienen. Schlitzohr Bai Ganju versteht es, den Schatz aufzubewahren und sich stattdessen von seinen Landsleuten aushalten zu lassen. Aleko Konstantinov zeichnet einen bulgarischen Anti-Helden: oberflächlich, borniert, ohne Manieren und doch mit einem kraftstrotzenden Selbstbewusstsein ausgestattet - er hat nichts gemein mit dem "zivilisierten" Europa.


    "Wir machten uns auf und gingen in ein Schwimmbad, das ein großes Bassin hatte.(...) Wir nahmen zwei benachbarte Kabinen. Ich zog mich rasch aus und stieg in das kühle Wasser. Schweigend, nur unter leichtem Prusten, bewegten ein paar Deutsche darin wohlgesittet ihre Glieder.

    Bai Ganju ließ lange auf sich warten(... ) Schließlich wurde der Vorhang aufgezogen, und er erschien in natura, mit behaarter Brust und Beinen, auf die die Strümpfe abgefärbt hatten. In der Hand hielt er ein Bündel: das waren seine in ein nicht allzu sauberes Tuch eingewickelten kostbaren Rosenölfläschchen, die er nicht in der Zelle zu lassen wagte. "Woher soll man wissen, ob die Wände fest sind, zu guter Letzt reißen sie noch ein Brett los und dann kannst du hinter ihnen her rennen." Er mustert die Wände des Ganges und sucht einen Nagel, um sein Bündel aufzuhängen; er meint, wo eine Wand ist, da müssen auch Nägel sein, und wendet sich an mich:

    ,Sind doch ein dummes Volk, diese Deutschen, so weit reicht ihr Verstand nicht, dass sie einen Nagel einschlagen, und dann behaupten sie, wir seien dumm.'

    Nachdem er sich endgültig von der Dummheit der Deutschen überzeugt hatte, legte Bai Ganju das Tuch mit den Rosenölfläschchen zögernd vor den Eingang seiner Kabine, damit er es während des Badens sehen konnte.(...) ,Da, schau her... Gott steh mir bei... Hopp!...' Und die Beine an den Leib gezogen, stürzte er sich - plumps! - mitten ins Bassin."



    17 Destillerien produzieren heute im Rosental. 12.000 Menschen haben dank der Damascener Rose wieder dauerhaft Arbeit gefunden. In der Pflück-Saison zwischen Ende Mai und Mitte Juni sind es noch viel mehr, sagt das Roseninstitut in Kazanlak. Dennoch: die Landflucht hält an. Viele Bulgaren sehen immer noch zu wenig Perspektive für sich. Vor allem junge Menschen wandern aus - ganz oder für einige Jahre. Die Folge: jeder fünfte Akademiker hat Bulgarien hat im vergangenen Jahrzehnt verlassen.

    Die, die gegangen sind, bewegen sich zwischen zwei Welten und das ist nicht leicht. Preslava Nenova lebt in London, studiert dort Anthropologie. Eigentlich stammt sie aus Sofia und vermisst ihre Heimat sehr. Da ist die Diplomarbeit, die sie schreiben muss, ein willkommener Anlass, zurückzukehren. Wenigstens für eine kurze Zeit.



    Das Tal der Rosen (noch) ohne Perspektive?
    Junge Migranten und die Sehnsucht nach den Bergen
    "Da lang", sagt Preslava Nenova, "da lang", sie weist mit dem Finger nach rechts. Der alte Citroen rumpelt über einen Feldweg. Keine Wolke am Himmel. Im Rosental verspricht es warm zu werden.

    "Ja, es wird sicherlich sehr heiß heute hier."

    Der Feldweg läuft direkt auf den 2200 Meter hohen Triglav-Berg zu, doch rechts und links liegt die ganze Weite des Tals: brachliegende Wiesen, gesprenkelt mit dem Rotblaugelb von Mohn, Kornblumen und Hahnenfuß; dann wieder ein Feld junger Rosensträucher.

    "Sie haben gesagt, dass die Rosen in diesem Jahr ganz plötzlich aufgeblüht sind, es gab sehr schnell viele Blüten auf einmal. Die Ernteperiode wird wohl kürzer werden."

    Preslava, genannt Pepi, wird gleich Rosen pflücken, aber nur nebenbei. Im Hauptberuf ist sie Studentin der Anthropologie in London, und für ihre Diplomarbeit interviewt sie Pflückerinnen bei der Arbeit.

    "Es sind vor allem Roma, viele von ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze. Die meiste Zeit des Jahres sind sie von Sozialhilfe abhängig. Sie sind nur während der Rosenernte hier, manche auch noch im Sommer zur Bodenbearbeitung für den Lavendel. Aber im Winter gibt es kaum Arbeit für diese Leute."

    Echte Feldforschung macht Pepi also. Sie schaut allerdings noch ein bisschen müde. Es ist acht Uhr morgens.

    Ein Mann in Armee-Jacke steht an der Verladestation und ruft über sein Megaphon jemanden aus.

    "Gestern haben sie mir gesagt, dass hier ein Mädchen singt. Ich hatte danach gefragt, das Singen ist verbreitet hier - früher haben alle gesungen beim Pflücken. Heute wollen sie mir das Mädchen vorstellen."

    Eine junge Frau tritt auf sie zu, beide knoten sich Schürzen um und verschwinden im Rosenfeld. Während der Interviews möchte Pepi lieber allein sein mit den Pflückerinnen. Unter vier Augen spricht es sich leichter. Pepi ist zwar Bulgarin, doch seit zehn Jahren lebt sie in Englands Hauptstadt - das schafft Unterschiede, zumal zu den ländlich aufgewachsenen Roma. Manche Pflückerin öffnet sich da zögerlich wie eine Rose bei Kälte.

    Am Abend sitzt Pepi auf der Terrasse und tippt die Gespräche in ihr Notebook. Das Roma-Mädchen hat noch nicht in Pepis Diktaphon gesungen, aber vielleicht tut sie das noch in den kommenden Tagen. Erstmal Vertrauen fassen.

    Die braunen Locken, die sie heute morgen zum Pflücken mit einem Haargummi gebändigt hatte, fallen Pepi jetzt links über die Schulter.

    "In den letzten 15 Jahren hat die bulgarische Gesellschaft einen großen Wandel vollzogen zu 'der' Demokratie, wie die Leute hier sagen. Soziale Gruppen haben sich gelöst von ihren alten Formen. Die erste Zeit nach dem Zusammenbruch des Kommunismus war Chaos und Anarchie, so wurde es zumindest empfunden, auch von mir selber. Viele meiner Interviewpartner hier bezeichnen diese Zeit als eine Art Schock, sich nun alleine um sich kümmern zu müssen und ihr Leben neu zu etablieren."

    Für einige Wochen lebt Pepi bei einer Familie in Tarnicheni, einem Dörfchen 25 Kilometer westlich von Kazanlak. Auch hier gibt es eine Rosenöl-Destillerie, Bonchev heißt sie, und auf Bonchevs Feldern erforscht Pepi die Entwicklung des Rosentals seit der Wende. Pepis Wirt Jordan arbeitet bei Arsenal, der Waffenfabrik in Kazanlak; nebenher produziert er mit seiner Familie Gemüse, Honig, Milch, Butter, Rosenschnaps. Über Jordans Kuhstall und Bienenstöcken ballen sich Gewitterwolken.

    "Viele lokale Produzenten haben Angst, dass der EU-Beitritt Restriktionen für sie bringt (Motor röhrt), vor allem was die Alltagskultur auf den Dörfern betrifft. So was wie das Schnapsbrennen und -Destillieren, also die tägliche Herstellung von Lebensmitteln, informeller Handel, Austausch, soziale Netze - all das haben die Leute hier seit Jahrhunderten."

    Dass die Europäische Union wenigstens für Bulgariens Rosenöl-Produktion keine Auflagen plant, dies hat Pepi vom Direktor des staatlichen Roseninstituts in Kazanlak erfahren.

    Mitte der 90er Jahre musste Pepi Sofia gegen London eintauschen, ihr Vater sah als Geophysiker nur im Westen eine Perspektive. Nach 15 Jahren Sofia plus 10 Jahren London fühlt sie sich als kultureller Hybrid, sagt Pepi.

    "Das hier ist für mich ein neuer Ort, auch wenn ich aus Bulgarien stamme. Obwohl ich wie gesagt in Bulgarien 15 Jahre gelebt habe und jeden Sommer hierher zurückkomme und mehrmals im Winter auch, ist es wirklich erstaunlich, diesen Ort zu sehen - Rosen zu pflücken, mit den Leuten zu arbeiten, tatsächlich soviel Kontakt zu den Roma zu haben wie nie zuvor, das ist großartig."

    Pepi hat zum Handy gegriffen. Sie schaut nieder und zugleich nach innen; wie ein schützender Vorhang fallen ihr die Haare vors Gesicht. Sie spricht mit der Vergangenheit.

    "Meine Oma vom Dorf da oben. Sie hat einige Tage nicht angerufen. Aber es ist gut zu wissen, dass sie sich um mich sorgt."

    Die Großmutter, sagt Pepi, sie wohnt oben in den Bergen. Sie sorgt sich um die Enkelin. Vielleicht ahnt sie, was Pepi im Westen fehlt.

    "Ich bin sehr verletzlich durch mein kulturelles Erbe aus Bulgarien. Ich persönlich vermisse so viele Dinge - das Essen, die Musik, die Folklore, die Landschaft ist wirklich wunderschön, ich vermisse die Berge. Ich vermisse wirklich diese Art zu leben, ganz nah mit der Natur zu leben, abhängig von den Ressourcen zu sein. Und das ist vor allem der Grund, weshalb ich jetzt hier bin."

    Aleko Konstantinov, der bulgarische Satiriker des 19. Jahrhunderts, fand, seine Landsleute seien "Europäer, aber nicht ganz." Eine Ambivalenz, die gerade junge Bulgaren auch im 21. Jahrhundert noch empfinden. Viele lachen über den dumm-dreisten Rosenölhändler Bai Ganju. Zumal seit der Wende, als viele das Ziegenhaarfell mit dem kapitalistischen Schlips schmückten.

    "Das ganze Bassin brodelte. (...) Und indem er sich auf den Rücken legte, begann er mit den Beinen so unbarmherzig auf die Oberfläche des schäumenden Wassers zu schlagen, dass die Spritzer bis an die Decke flogen. Er vollführte mit den Armen rasche kreisförmige Bewegungen, um das Rad des Dampfers nachzuahmen. ,Tuck-puck, tuck-puck, füüüt' machte er und pfiff.
    Die Deutschen verharrten wie versteinert an ihren Plätzen. Sie hielten meinen Begleiter höchstwahrscheinlich für einen Neuankömmling aus dem Orient, den man versäumt hatte, ins Irrenhaus zu stecken, und ich bemerkte auf ihren Gesichtern weniger Unwillen als Mitleid. Bai Ganju jedoch las in ihren Mienen offenbar grenzenloses Staunen über seine Kunst, deshalb stieg er rasch die Treppe hinauf, stellte sich breitbeinig hin, musterte die Deutschen von oben herab, schlug sich wie ein Held auf die behaarte Brust, brüllte siegesbewusst:
    ,Bulgar! Bulgaaar!' und schlug sich dabei noch kräftiger auf die Brust.
    Der selbstbewusste Ton, in dem diese Vorstellung erfolgte, sagte alles; dieser Ton brachte zum Ausdruck: "Da ist er, seht ihn euch an, den Bulgaren. Das ist er, so sieht er aus. Ihr kanntet ihn bisher nur vom Hörensagen, den Helden von Sliwniza, das Genie des Balkans!"


    Am 26. September will die EU-Kommission ihre Empfehlung darüber abgeben, ob Bulgarien mit dem Beginn des kommenden Jahres oder erst 2008 Mitglied der Europäischen Union wird. Das hängt davon ab, wie weit das Land die Beitrittskriterien erfüllt haben wird. Da bleibt noch viel zu tun. Doch fragt man Wirtschaftsexperten, dann könnte Bulgarien mit einiger Ausdauer Erfolg haben mit einer ausgewogenen Mischung aus Industrie-, Landwirtschaft und Tourismus.

    Rund um Kazanlak schreibt die Rosenzucht bereits eine kleine Erfolgsgeschichte. Und touristisch hat die Region einiges zu bieten, das an die französische Provence erinnert: duftende Lavendel- und Rosenfelder wechseln sich ab mit Wein, Wacholder und Pfefferminz. Umrahmt wird das Tal vom Balkan- und dem Sredna-Gora-Gebirge. Bis jetzt kommen die ausländischen Gäste vor allem zur Saison im Juni. Zum traditionellen Rosenfest. Dazu gehören die bunte Parade, eine echte Rosenkönigin mit zwei Vize-Königinnen und - in diesem Jahr erstmals - auch der bulgarische Staatspräsident.

    Ein Blick in die Zukunft
    Kazanlak, die Rosenkönigin und der Tourismus
    Heute wird das Volk endlich die Königin sehen. Heute wird sie ‚geboren werden' aus einer Rose, flüstert die geheimnisvolle Stimme aus Lautsprechern dem Publikum zu. Auf der Freiluftbühne flattert ein Konstrukt aus roten und rosa Seidentüchern im Kunstwind: eine überdimensionale Stoff-Rose, worin die Schöne noch verborgen ist. Die Zuschauer stehen dicht gedrängt.

    Mädchen in langen rosa Gewändern tanzen elfengleich um das Stoffgebilde. Die Rosenkönigin darin ist wie jedes Jahr bei einem Schönheitswettbewerb gewählt worden. Und in diesem Augenblick wird sie dem Volk präsentiert.

    Die flatternde Seidenrose sinkt zu Boden, daraus hervor schreitet die "Rosata 2006". Die beiden Vizeköniginnen - Platz 2 und 3 der Misswahl - an ihrer Seite, winkt sie lächelnd ins Volk. Einen König hat sie nicht.

    " Die jungen Männer achten eben mehr auf eine Rosenkönigin. Die Frauen fast genauso. Und es gibt ja einen König, den Thraker-König, Sevt der Dritte. Er wird von einem Schauspieler dargestellt. Er ist der König für jede Königin. Den König wählt man nicht, er ist ja schon gewählt. "

    Denitza Lutzkanova verweist auf den filzbärtigen Dickwanst, der alljährlich bei der Straßenparade die Rosenkönigin zu ihrem Thron geleitet. Denitza ist eine der beiden Vizeköniginnen, sie hat bei der Wahl den zweiten Platz gemacht. Die Nummer Eins speist gerade mit dem Präsidenten und gewährt keine Audienzen mehr. Die Vizekönigin rutscht auf dem Tigerfellsofa in ihrer Lieblingskneipe nach vorn und erklärt, was es mit der Legende und der Rolle der ‚Rose' auf sich hat.

    " Also, zuerst gab es den historischen König Sevt den Dritten. Jahrhunderte später erschien der Legende nach eine Rose. Sie war sozusagen seine Königin. "

    Die 19-jährige schlägt verführerisch die langen Wimpern nieder, um im nächsten Moment verlegen wieder aufzublicken. Ihr ebenmäßiges Gesicht kommt durch die streng zurückgebundenen Haare voll zur Geltung. Gezupfte Augenbrauen, viel Make-up und Lippenstift, Silberringe an Ohren, Fingern, um Arm und Hals. Diese Legenden, die sich um die Thrakergeschichten gebildet haben, könnten für den Tourismus noch viel mehr genutzt werden, überlegt Denitza.

    " Die Leute hier haben viele Ideen. Wenn ich jetzt ins Detail gehe, würde das zuviel Zeit kosten. Mit einem Wort: Ich würde diese Feier noch frischer machen. Vielleicht sogar mit der Wahl eines Königs. "

    Aber wichtiger sind die eigenen Zukunftspläne. Sie will nach Paris, in die Stadt von Yves St. Laurent, Chanel, Dior. Aber nicht, um dort bulgarisches Rosenöl zu teuren Parfümkreationen zu verarbeiten, sondern der Mode wegen. Modedesign ist ihr Ziel.

    " Ich hab viel vor. Zuerst möchte ich meine Ausbildung fortsetzen. Auf jeden Fall möchte ich niemals stehen bleiben, sondern immer aktiv sein. Und natürlich die notwendigen Prüfungen fürs Ausland ablegen. "

    Obwohl sie in die Ferne schweift, gehört das Herz der Vizekönigin der - in vieler Hinsicht - dann eben doch rosigen Heimat.

    " Hoffentlich passieren schöne Sachen für Bulgarien. Ich persönlich beschäftige mich nicht so viel mit Politik, aber ich hoffe, dass wir bald das Niveau anderer Länder erreichen und nicht immer allem so hinterher hinken. Ich hoffe darauf wirklich sehr, aber dafür braucht es wohl noch viele, viele Jahre. "

    Literatur:
    Aleko Konstantinov, Der Rosenölhändler. Unwahrscheinliche Geschichten über einen bulgarischen Zeitgenossen [Baj Ganju. Neverojatni razkazi za edin savremenen balgarin, Sofia 1895]. Aus dem Bulgarischen von Egon Hartmann, Berlin: Aufbau 1959. Duftendes Gold aus Bulgarien. Rosenöl vom Balkan für die Parfüms der Welt