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Dunkler Disco-Thor, teuflische Nonne

Die großen Hollywoodstudios bringen in diesen Wochen die Filme in Position, denen die größten Oscar-Chancen eingeräumt werden. "Thor " gehört indes ebenso wenig dazu wie "Die Nonne", die Musikerbiografie "Der Teufelsgeiger" oder die deutsche Tragikomödie "Ich fühl mich Disco". Die Filme der Woche.

Von Jörg Albrecht | 30.10.2013
    " ... Euer Spiel ist wahrhaftig außergewöhnlich. ..."

    Spielen kann David Garrett fürwahr. Selbstverständlich nicht wie Menuhin oder Stern. Darin sind sich die Musikgelehrten und -kritiker einig. Für sie ist der 33-Jährige eher einer, der die Show liebt und sein Image als Rockstar der Klassik pflegt. Aber auch sie werden zugeben müssen: Spielen kann David Garrett. Zumindest die Violine.
    Komplett vergeigt dagegen hat Garrett sein Schauspieldebüt. Dabei hätte es doch so schön sein können. Geigenvirtuose von heute spielt Geigenvirtuosen von früher: den Geigenvirtuosen schlechthin. David Garrett wird zu Niccoló Paganini, aber dummerweise nicht zum Schauspieler.

    "Was kümmert mich das Jenseits?! Es gibt nur das Hier und Jetzt. Und ich sage: Lasst uns die Welt im Sturm erobern. Nach meinem Tod mag kommen was wolle."

    Ohne Ausdruck und ohne Stimme vermag es Garrett nicht einmal ansatzweise Paganini zum Leben zu erwecken. Gleiches muss über den gesamten Film gesagt werden. Regisseur Bernard Rose, der schon vor knapp 20 Jahren eine ärgerliche Beethovenbiografie abgeliefert hat, zieht auch diesmal keine anderen Saiten auf. Sein "Teufelsgeiger" ist nur kostümierter Mief: Episodenhaft. Konzeptlos. Enttäuschend.

    "Der Teufelsgeiger": Enttäuschend

    Für all jene, die der Sprache der dunklen Elfen nicht mächtig sind: Übersetzt bedeuten die Sätze so viel wie "Der Äther erweckt uns. Die Konvergenz kehrt zurück." Im Klartext: Der Feind der Götter von Asgard sinnt auf Rache und will das Universum in ewige Dunkelheit stürzen. Ein Fall für den Typen mit dem Hammer.

    "Die Struktur der Realität wird quasi zerrissen. – Ich finde einen Weg uns zu retten."

    Wenn sich Hollywood in der nordischen Mythologie bedient, sind wir im Comic-Universum von Marvel gelandet und den Superheldenabenteuern von Thor. Dessen zweiter Soloauftritt "Thor - The Dark Kingdom" wartet mit denselben Bildern auf und Actionsequenzen, die wir zur Genüge aus anderen "Spider-Super-Iron-und-Batman"-Streifen kennen. Fehlanzeige bei den Alleinstellungsmerkmalen, aber ganz unterhaltsam und damit akzeptabel.

    "Thor - The Dark Kingdom": Akzeptabel

    "Deine Eltern haben mich darum gebeten, dich aufzusuchen. Du sollst dein Ordensgelübde ablegen. - Wie bitte? ... Ich strebe kein Gott geweihtes Leben an."

    Suzanne ist entsetzt über die Nachricht ihrer Eltern. Eigentlich sollte ihr Klosteraufenthalt zeitlich begrenzt sein. Jetzt aber sieht es so aus, als solle die 16-Jährige den Rest ihres Lebens hinter Klostermauern verbringen. Obwohl sie sich widerwillig dem Willen ihrer Familie beugt, rebelliert Suzanne. Die Konsequenz: Schikanen und Erniedrigungen durch die Mutter Oberin sind an der Tagesordnung.

    "Ich will hier raus. Ich will hier raus. ... Mein armes Kind! Aus dir spricht der Leibhaftige. Er ist in dich gefahren. Du bist besessen. ... Madame, Ihr wollt doch keinen Eklat. Gebt mir bloß die Freiheit!"

    "Die Nonne" von Guillaume Niclaux basiert auf dem Ende des 18. Jahrhunderts veröffentlichten Briefroman von Denis Diderot. Ganz bei seiner Hauptfigur, die von Pauline Étienne verkörpert wird, gelingt Niclaux ein zeitloses Drama über das Recht auf Selbstbestimmung und die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Trotz der bewegenden Geschichte ist "Die Nonne" ein wohltuend unsentimentaler Film, der mit Martina Gedeck und Isabelle Huppert bis in die Nebenrollen glänzend besetzt ist. Empfehlenswert.

    "Die Nonne": Empfehlenswert

    "Wie seht denn ihr aus? Guck dich mal an! ... Guck mal, wie fett du geworden bist! Du machst in kaputt. - Du passt auch nicht mehr da rein. – In seinem Alter war ich nicht so fett."

    Wer meint, der deutsche Film würde nur die immer gleichen Geschichten mit den immer gleichen Gesichtern erzählen, der kennt Axel Ranisch noch nicht. Nach seinem Überraschungserfolg "Dicke Mädchen" legt der junge Berliner Regisseur jetzt mit der Tragikomödie "Ich fühl mich Disco" nach. In der autobiografisch angehauchten Geschichte erzählt Ranisch von Florian, der zu dick ist, eine Zahnspange trägt und die Realität am liebsten mit einer knallbunten Schlagerwelt eintauschen würde. Für Vater Hanno ist Florian eine Enttäuschung. Verständnis für die Tagträume seines Sohns hat er keines. Und noch weniger für Florians sexuelle Neigungen. Aber Hanno gibt sich Mühe und schießt – wie schon so häufig – auch diesmal über sein Ziel hinaus.

    "Ich denke, er ist verknallt in dich. - Wie? Verknallt? – Ist er nicht, Papa. - Was hast du für eine Scheiße erzählt? ... Ich bin doch ganz tolerant. Ist überhaupt nicht schlimm. ... Alles machst du immer kaputt. ..."

    Selten haben sich in letzter Zeit Tragik und Komik so wundervoll die Hand gereicht wie in diesem Film. Axel Ranisch hat ein ähnlich großes Herz für seine Figuren wie Andreas Dresen. Dazu noch die Schrillheit eines Rosa von Praunheim, der einen amüsanten Kurzauftritt hat. Zusammen ergibt das eine unwiderstehliche Mischung und den schönsten deutschen Film dieses Jahres. "Ich fühl mich Disco": Empfehlenswert.

    "Ich fühl mich Disco": Empfehlenswert"