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Durchbruch der Moderne
Das Bauhaus und seine Wurzeln

Bewegungen wie Arts und Crafts oder der Jugendstil wollten Kunst und Handwerk miteinander verbinden. Doch erst der Deutsche Werkbund, der als Vater des Bauhauses gilt, schaffte den Schulterschluss mit der Industrie. Und damit praktische, bezahlbare Lösungen für die Industriegesellschaft.

Von Peter Leusch | 10.01.2019
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    Studierende machen sich mit den Bauhaus-Design-Prinzipien vertraut (Bauhaus Imaginista)
    "Das Bauhaus erstrebt die Sammlung alles künstlerischen Schaffens zur Einheit, die Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen – Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk – zu einer neuen Baukunst. (…) Das letzte, wenn auch ferne Ziel des Bauhauses ist das Einheitskunstwerk - der große Bau -, in dem es keine Grenze gibt zwischen monumentaler und dekorativer Kunst."
    So heißt es im Manifest des "Staatlichen Bauhauses in Weimar", jener ebenso berühmten wie lange umstrittenen Kunstschule, die im April 1919 gegründet wurde. Im Geburtsjahr der ersten deutschen Demokratie will auch die Kunst einen radikalen Neubeginn. Radikal, aber eben auch im wortwörtlichen Sinne: Rückgang und Rückbesinnung auf die Wurzeln künstlerischen Schaffens. "Architekten, Bildhauer, Maler - wir alle müssen zum Handwerk zurück" fordert Walter Gropius, der erste Direktor des Bauhauses.
    Zurück zum Handwerk
    In der Katastrophe des Ersten Weltkrieges waren die alten Ordnungen zerbrochen - politisch, ökonomisch, aber auch kulturell. Wenn Gropius vom neuen Bau der Zukunft spricht, so meint er nicht nur Architektur und Kunst, vielmehr soll das Bauhaus mitwirken an der Erneuerung des Menschen, an der Errichtung einer neuen Gesellschaft. Als erstes galt es den Irrweg des 19. Jahrhunderts zu korrigieren, der die hohe Kunst von dem vermeintlichen niederen Handwerk getrennt hatte. Der pathetische Aufruf zur Rehabilitation des Handwerklichen beruhte auf ganz einfachen Erfahrungen, erläutert die Münchener Kunsthistorikerin Hildegard Kretschmer:
    "Man hat festgestellt, salopp gesprochen: die Handwerker haben keine Ahnung von Gestaltung, und machen schlechte Dinge, wenn auch handwerklich gut, und die Künstler - da ist es genau umgekehrt: die wollen etwas, aber sie haben vom Handwerk keine Ahnung, und daher ist ein duales Prinzip eingeführt worden: es gab immer einen Formmeister und einen Handwerksmeister, die gleichzeitig die Schüler unterrichtet haben."
    Das Bauhaus brach dabei auch mit einer anderen Leitidee des 19. Jahrhunderts, dem romantischen Mythos vom einsamen Künstler, dem Geniekult. Stattdessen proklamierte man, dass die Kreativität beim Kollektiv liegt, - nicht zufällig erinnert der Name Bauhaus an die Bauhütte des Spätmittelalters, wo Handwerker verschiedener Zünfte bei Großprojekten, etwa beim Bau der gotischen Kathedrale zusammenwirkten.
    Das moderne Bauhaus und die spätmittelalterliche Bauhütte
    "Die großen Aufgaben der ersten Nachkriegszeit waren nach der Auffassung der Bauhaus-Gründer nur zu bewältigen durch kollektive Kunstübung, man proklamierte das Ende des Künstlergenies und stellte sich auf den Standpunkt, dass lediglich integratives Schaffen den Aufgaben der Zukunft und der Gegenwart gewachsen war. Und dafür gab dieses anscheinend kollektive Bauen des Mittelalters in den Hütten das trefflichste Vorbild." (Norbert Nußbaum)
    Aber der Vergleich mit der spätmittelalterliche Bauhütte stößt an Grenzen, erklärt Professor Norbert Nußbaum, der Architekturgeschichte an der Universität Köln lehrt. Das Bauhaus hat ganz andere Ziele und Adressaten als die Bauhütte des Mittelalters.
    "Wir haben mit dem frühen Bauhaus es zu tun mit einer sehr stark sozialistisch orientierten Stellungnahme: Es geht um das Erstellen eines Gesamtgewerkes, eines Einheitsbauwerkes, sagt Gropius, für die breite Masse, für das danieder liegende Wohnungswesen, während die Hütten des Spätmittelalters im wesentlichen Großbauten für eine Klientel bauten, die entweder der kirchlichen oder der weltlichen Aristokratie angehörte."
    Rückbesinnung auf handwerkliches Können war nicht neu
    Die Rückbesinnung auf handwerkliches Können, das die Bauhaus-Gründer forderten, war nicht neu, stand vielmehr in einer Reihe von Reformbemühungen, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzten, bezeichnenderweise zuerst in England, dem Mutterland der Industrialisierung. Hier zeigte sich ein eklatanter Widerspruch zwischen den industriellen Massenprodukten und dem historistischen Stilkitsch, mit dem sie drapiert wurden. Dagegen wandte sich die so genannte Arts and Crafts-Bewegung, ihr Initiator William Morris rief zur Erneuerung des Kunsthandwerks auf. Hildegard Kretschmer:
    "Angefangen hat es als Morris aufgrund seiner Heirat ein Haus bauen wollte und feststellte, das war um 1860, dass er auf dem Markt keine für ihn brauchbaren Möbel fand, weil die alle geschmacklos waren. Und da hat er sich mit seiner Künstlergemeinschaft zusammengesetzt und sie haben dann wirklich dieses Haus ausstaffiert. Und aus dieser Gemeinschaftsarbeit ist dann auch ein Unternehmen entstanden. Ziel von Morris war es, mit dieser neuen Gestaltung, mit diesem wieder handwerklichen Produzieren auch die Gesellschaft zu verändern. Aber die Produkte waren viel zu teuer, das ist ihm nicht gelungen."
    Reformbewegung in England: Arts and Crafts
    Die Vertreter der Arts and Crafts-Bewegung entwarfen Möbel, Glasfenster, Teppiche, Stoffe, sogar komplette Inneneinrichtungen, d.h. sie trugen hohe kunsthandwerkliche Qualität in die Alltagskultur ein, aber sie erreichten nicht die Breite der Gesellschaft. Die Arts and Crafts-Bewegung brach mit dem Ballast an historistischen Ornamenten, wählte stattdessen für ihre Gegenstände Motive aus der Natur. Andere Reformbewegungen sollten ihr in diesem Punkt folgen - an erster Stelle der Jugendstil, eine Reformbewegung, die um 1890 einsetzte.
    "Es gibt eine ganze Reihe von Jugendstil-Architekten, die eine Ausbildung als Kunstmaler hatten, also Van de Velde oder Riemerschmidt zum Beispiel, und die dann feststellten, das befriedigt sie nicht. Sie wollen etwas machen, was mit dem Leben zu tun hat, also eine Reformbewegung, die sich auseinandergesetzt hat mit den Verwerfungen der Industrialisierung und nicht nur mit dem Fortschritt. Das Ideal ist dann entstanden als Gesamtkunstwerk, das war vom Entwurf her das Haus bis im Idealfall hin zur Kleidung der Hausfrau." (Hildegard Kretschmer)
    Jugendstil heißt in Frankreich Art Nouveau
    Der künstlerische Aufbruch eroberte unter verschiedenen Namen Europa, in Deutschland hieß er nach einer Zeitschrift Jugendstil, in Frankreich Art Nouveau, in Österreich Sezessionsstil. Hildegard Kretschmer:
    "Es gab zwei Richtungen, die florale und die geometrische. Bei der floralen denkt man an die Metrozugänge in Paris von Hector Guimard, bei der geometrischen an die Wiener Stadtbahnstationen von Otto Wagner. Aus dieser geometrischen Richtung hat sich dann eine Überleitung in die Formensprache der Moderne entwickelt."
    Allerdings steckte der Jugendstil ebenso wie die schon die Arts and Craftss-Bewegung in einem Dilemma. Er entwickelte zwar künstlerische Angebote für einen gehobenen bürgerlichen Lebensstil, aber er lieferte keine Lösungen für eine veränderte Gesellschaft, keine Antworten darauf, wo und wie ein rasant wachsendes Industrieproletariat denn leben und wohnen sollte.
    Aufbruch an Rhein und Ruhr
    Aber der Jugendstil war auf anderen Wegen sehr erfolgreich. Denn er trug seine Reformvorschläge und Ideen in die Gesellschaft hinein, beeinflusste die nachfolgende Künstlergeneration in ihren Schulen und Ausbildungsstätten, nicht nur an den späteren Bauhauszentren Weimar, Dessau und Berlin. Professor Thomas Schleper, Kunsthistoriker, koordiniert unter dem Titel "100 Jahre Bauhaus im Westen" eine Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe, die von den beiden Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe sowie dem NRW-Kultusministerium getragen wird.
    "Man sollte die Kunstgewerbeschulen erwähnen, die in vielen Städten an Rhein und Ruhr schon neue Programme auflegten, immer wieder die Suche nach der Verbindung von Kunst und Leben, Kunst und Arbeit, Kunst und Industrie. Wir haben ganz besonders in diesem Bauhausjahr mit Peter Behrens zu tun, der nicht zu den Avantgardekünstlern des Bauhauses gehörte, aber viele Grundlagen gelegt hat. Bei ihm waren dann Gropius, Mies van der Rohe, sogar Le Corbusier im Atelier in Berlin, vorher aber war er in Düsseldorf Direktor der Kunstgewerbeschule ab 1902 bis 1907. Die Leute, die dort unterrichtet wurden, sollten nicht verhungern, sie sollten mit ihrer Kunst Brot verdienen: Naturstudien, Buchführung, Rechnungswesen, also ganz praktische Dinge, die man im Leben braucht und - jetzt kommt's: 1904 hatte er durchgesetzt, dass auch Damen teilnehmen durften an dem Unterricht, das war ganz revolutionär im Kaiserreich."
    Der Aufbruch der Künstler blieb nicht isoliert. Er fand nach der Jahrhundertwende einen neuen starken Verbündeten – in der Industrie. Die Reformkräfte hatten sich zusammengeschossen im so genannten Deutschen Werkbund.
    Deutscher Werkbund – der Vater des Bauhauses
    "Der Deutsche Werkbund ist eigentlich der Vater des Bauhauses, gegründet wurde er 1907 in München. Das waren zwölf Architekten und zwölf Unternehmer, bei den Architekten war unter anderen Peter Behrens dabei, Riemerschmidt und Josef Hoffmann, also Jugendstilkünstler. Die wollten die deutschen Produkte, egal von der Architektur bis zum Gebrauchsgegenstand - das Schlagwort war vom Sofakissen bis zum Städtebau - das wollten sie auf ein höheres Niveau bringen, weil deutsche Waren auf dem Weltmarkt einen schlechten Ruf hatten. Made in Germany ist 1887 in England eingeführt worden als Warnung - das waren eben billige, schlechte Produkte." (Hildegard Kretschmer)
    Teilweise waren die Produkte durchaus hochwertig, aber eine Teekanne als modern zu verkaufen, die aussah wie ein russischer Samowar von anno Pief, - das funktionierte nicht. Die deutsche Industrie hatte ein ganz handfestes Interesse an Innovationen, an einer neuen Formensprache, die die industriell-technische Herkunft nicht versteckte, sondern umgekehrt damit glänzte.
    Praktische Produkte für ein neues Lebensgefühl
    Man förderte Produkte, die einfach und praktisch waren und einem neuen Lebensgefühl Ausdruck gaben, zum Beispiel die Stahlrohrmöbel. Thomas Schleper:
    "Da wird eine Sitzgelegenheit gebaut mit neuen Materialien, mit Stahlrohr, Breuer war einer der wichtigen Leute, die das erfunden haben, angeblich hatte er sich das an einem Fahrradlenker abgeguckt. Also man setzt sich in diesen Stuhl hinein und man hat das Gefühl, man sitzt in einem Schlitten, also die Bewegung, die Bewegungsfähigkeit, das Raus aus den fest gefügten Positionen, das war eben auch eine symbolische Handlung."
    Der Deutsche Werkbund lud 1914, noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, zu einer großen internationalen Ausstellung nach Köln ein.
    "Wo man der Welt zeigen wollte, was man alles schaffen kann, wo dann auch Gropius seine Fabrik gebaut hat mit dem Bürogebäude, wo van der Velde ein Theater gebaut hat, wo andere große Künstler aufgetreten sind, wo man auch Ausstellungen zu Industriebauten realisiert hat in diesem Areal, das eines der größten Ausstellungen der damaligen Zeit war, und wegen des Krieges vorzeitig beendet werden musste." (Thomas Schleper)
    Der Erste Weltkrieg stoppte die Ausstellung, er kappte die internationalen Beziehungen auch unter den Künstlern, der Belgier van der Velde wurde ebenso ausgewiesen wie der Russe Wassily Kandinksy.
    Bauhaus startet mit dem Rückenwind der Demokratie
    Der Krieg unterbrach den schon angelaufenen Reformprozess, aber er zerstörte ihn nicht. Mit dem politischen Neuanfang, mit dem Rückenwind der Demokratie, gewann auch der künstlerische Aufbruch wieder an Fahrt: Und einen Meilenstein bildete die Gründung des Weimarer Bauhauses im April 1919. Dort kam es nach einer kurzen experimentierfreudigen und individualistischen Phase zu einer Mutation:
    "1921/1922 hat Theo van Doesburg - das ist der theoretische Kopf der de Stijl- Bewegung in Holland gewesen - am Bauhaus nicht als Lehrer, aber privat Kurse abgehalten, und die haben das Bauhaus enorm geprägt. Es hat einen Wandel gegeben, nicht mehr Kunst und Handwerk, sondern Kunst und Technik. Künstlerisch schaffen war nicht mehr mit Einfühlung etwas kreieren, sondern wirklich etwas konstruieren auf rationaler Basis." (Hildegard Kretschmer)
    Zu De Stijl in Holland gehörte der Maler Piet Mondrian. Nach seiner Vorstellung basiert Kunst nicht auf Individualität, sondern auf Universalität. Ihre Bausteine sind die geometrischen Figuren, Quadrat, Dreieck, Kreis; ihre Elemente die Grundfarben Rot, Blau und Gelb. In Weimar übertrug man diese rationale und konstruktivistische Sicht auf das neue Bauen insgesamt. In dieser Phase formte sich jenes Bild des Bauhauses, das sich uns eingeprägt hat: Bauten mit Flachdach, frei von Ornamenten, dominiert von geometrischen Grundformen, das Ganze atmet ein nüchtern kühles Flair. Vielen Zeitgenossen damals schien das eine Zumutung. Hildegard Kretschmer:
    "Es gab sicher welche, eher so eine intellektuelle Schicht, die begeistert war, die dann tatsächlich auch Stahlrohrmöbel aus dem Bauhaus in ihre Wohnzimmer gestellt hat, aber es gab sehr viele, die das zu nüchtern fanden und zu ungemütlich. Die Sehgewohnheiten waren einfach überhaupt nicht angepasst. Was man auch dazu sagen muss, speziell in Deutschland waren wir immer sehr genial, alles gleich zu ideologisieren. Diese Formensprache ist dann auch einfach als links und bolschewistisch und marxistisch von den Nazis verteufelt worden".
    Zeitgleich mit der Demokratie in Deutschland zerstörten die Nazis 1933 auch das Bauhaus. Viele Bauhauskünstler emigrierten, vor allem nach England und in die USA. Ihre Ideen aber nahmen sie mit und verhalfen dem Bauhaus - unter all den verschiedenen künstlerischen Reformbewegungen seiner Zeit - zu besonderer Berühmtheit und Weltgeltung, die dem Bauhaus bei einer Fortexistenz in Deutschland vielleicht nicht in diesem Maße zuteil geworden wäre.