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Durcheinandergeraten: Socken, Träume und Liebhaber

In einer Krise gibt es nichts Besseres als Freunde, denen es richtig mies geht. Und von denen gibt es in diesem Roman gleich vier - Betty,Martha, Henning und Jon.

Von Hartmut Kasper | 10.12.2010
    "Wege zum Ruhm", heißt der erste Teil von Lucy Frickes Roman "Ich habe Freunde mitgebracht". Zählt man den Mitbringer mit, sind in diesem Roman insgesamt vier Freunde unterwegs. Sie heißen Betty, Martha, Henning und Jon.

    Nachnamen haben sie auch, aber die sind kaum im Gebrauch. Und so klingt das Ganze ein wenig wie von Enid Blyton, klingt nach "Fünf Freunden" oder "Drei ???", nach "Wilden Hühnern", "Wilden Kerlen" und was es sonst an Mädchen-, Jungen- oder Rasselbanden mehr gibt.

    Allerdings sind die mitgebrachten Freunde dieses Romans in die Jahre gekommen, und zwar in diese ganz besonderen Jahre, wo sich die meisten Bekannten aus dem Abenteuer Jugend mit Kindern ins bürgerliche Leben absetzen haben und die eigene Karriere sich unaufhaltsam einem Scheideweg nähert.

    Die Stimmung ist denn auch nicht ganz so unbeschwert wie in den heiteren Kinderbüchern, in denen Probleme sich nur stellen, um kurzerhand gelöst zu werden. Die Stimmung ist eher so:

    "Betty zog einen dicken Pullover über bevor sie sich setzte und auf den Platz hinausblickte. Ein Taxi ohne Licht rollte vorbei, Schrittgeschwindigkeit (...). Die Kirche lud zum Orgelkonzert, doch außer den Freunden des Organisten schien niemand zu kommen, und Freunde hatte ein Organist hier nur wenige."

    Betty ist Schauspielerin. Während der Weltruhm noch ein wenig auf sich warten lässt, vertreibt sie sich die Zeit mit Affären:

    "Selbst die Namen wiederholten sich schon. Thomas, Christoph, Stefan, Tom, Christian, Thomas. Sie könnte den Kulturkreis wechseln, mal woanders scheitern, wäre vielleicht hübscher dort. Was sollt sie schon machen, außer immer weiter."

    Bettys beste Freundin ist Martha. Martha ist Journalistin. Sie lebt mit Henning zusammen, den sie - denn Beziehungen brauchen ihre Rituale -jedes Jahr im Frühsommer zu verlassen versucht.

    Henning ist ein in Brüssel ausgebildeter Comic-Zeichner. Er ist zurzeit zwar nur in einem Trickfilmstudio beschäftigt, arbeitet aber auf eigene Rechnung an den Abenteuern eines neuen und von ihm erdachten Superhelden. Hoax heißt der Held; er kann sich entstofflichen, in die Datenströme einfädeln,

    "konnte Geldströme umleiten, die Börsen beeinflussen und mindestens die Welt retten."

    Der Verlagsvertrag ist unterzeichnet, ein erstes Album auf dem Weg. Neuerdings soll Henning, geistiger Vater von Hoax, auch leiblicher Vater werden, denn Martha ist schwanger: Henning freut sich:

    "Das musste alles anders werden jetzt. Da musste ein Haus gekauft, eine Lebensversicherung abgeschlossen, ein Bett gebaut, ein Wagen besorgt, eine Mütze gehäkelt, da muss geheiratet werden"."

    Hennings Freund Jon ist Schauspieler, sogar einer der gefragtesten Leichendarsteller im deutschen Fernsehen. In den Rollen Lebender dagegen ist er eher selten zu sehen. Aber nun ist er in einem Casting erfolgreich; das Drehbuch kommt; Jon findet es mangelhaft und - Feuer und Flamme - beginnt mit der Überarbeitung.

    Selbst Betty ist auf einem - wenn auch eigentümlichen - Weg zum Ruhm: Nachdem ihr aktueller Liebhaber ihr den Laufpass gegeben hat, rastet sie bei den Dreharbeiten aus. Dieser Ausraster ist gefilmt worden und wird zum Hit auf Youtube. Immerhin. Sie zieht sich in ihre Wohnung zurück, dort in ihr Bett, und

    ""hoffte, dass es einfach an der Tür klingeln würde und sie dem neuen Leben nur zu öffnen brauchte, obwohl sie ahnte, dass ein neues Leben nur in Ausnahmefällen die Tür benutzte. Schon gar nicht im zweiten Stock."

    Natürlich geht es auch bei den anderen Freunden nicht gut. Martha erleidet eine Fehlgeburt. Hennings Superheld Hoax scheitert wenn schon nicht in den Datenströmen des globalen Netzes, so doch im Buchhandel. Jon, der sich innerlich bereits für den Deutschen Fernsehpreis nominiert hat, wird gekündigt.

    "Null zu vier" heißt denn auch der zweite Teil, das Halbzeitergebnis, eine Klatsche für das Quartett. Kein Wunder, dass die vier Freunde nichts mehr hält. Der Rest ist rasch erzählt: Jon will heim zu seiner Mutter, hoch in den Norden, und er bringt seine Freunde mit. Man raucht, man trinkt ein Bier, man schwimmt im Meer und tut, was man halt tut, bis man sich unversehens zusammengerauft hat und bereit findet zu einem noch größeren, grundsätzlicheren Aufbruch:

    Die Freunde kaufen ein voluminöses Wohnmobil und fahren los, sozusagen dem Sonnenuntergang entgegen. Ob sie je ankommen? Wer weiß. Die letzten Worte der Erzählung lauten:

    "Da! Dahinten ist einer!"
    "Wo?"
    "Dahinten rechts."
    "Wo? Das hier? Da passen wir doch nie rein."
    "Natürlich passen wir da rein."
    "Hab ich doch gesagt, dass wir hier nie einen Parkplatz finden."

    Lucy Frickes Roman ist eine bestrickende Sommer- oder Herbstkomödie. Vielleicht steckt die Erzählung noch zu sehr voller Kunstfiguren, die in der journalistisch-künstlerischen Phantomzone gefangen sind, das Ausdrucksproletariat der Gesellschaft. Betty, Martha, Henning und Jon müssen viel Ausgedachtes tun und wohl Kalkuliertes erleiden. Wenn Hennings Held Hoax heißt - Hoax wie Trick oder Streich oder Falscher Alarm - , dann wirkt das wie ein Augenzwinkern in Richtung Leser, wie ein heimliches Aufgepasst!, dieser Hoax und sein Herr Papa werden scheitern, die Welt bleibt mal wieder ungerettet. Als Leser sieht man: Soviel ist klar. So ein Sommertheater wird ja auch nicht geschrieben, damit es schwer durchschaubar, schwer verdaulich wirkt.

    Fricke formuliert immer klar und meistens geradeaus. Man liest ihre Sätze und denkt zunächst: Da weiß man ja, wo das hinführt. Aber dann nehmen diese Sätze eine Wendung ins völlig Unerwartete und Überraschende, und man freut sich ihrer leuchtenden Pointen. Der Text hat Witze, sogar Witz, und weder dieser Witz noch diese Witze scheinen billig. Lucy Fricke ist ohne Zweifel ein großes, komödiantisches Talent, und dieser Roman ist - bei aller über die Figuren verhängten Schwermut - ein jederzeit lesenswerter, wunderbar leichtherziger Roman.

    Lucy Fricke: Ich habe Freunde mitgebracht,191 Seiten, Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010