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Durchsicht ist keine Neuübersetzung

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat eine Durchsicht der Lutherbibel beschlossen. Der Theologe Jens Schröter glaubt, dass es in einige Bereichen durchaus zu Veränderungen kommen könne, da jetzt Handschriften vorlägen, die Luther nicht zur Verfügung standen.

Jens Schröter im Gespräch mit Rainer Bertold Schossig | 03.08.2010
    Rainer Bertold Schossig: Die Wege der Schriftwerdung von Gottes Wort sind dunkel, uralt und bedürfen heute wissenschaftlicher Begleitung. Daher hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland kürzlich einen Lenkungsausschuss zur Durchsicht der Lutherbibel gegründet. Und der hat jetzt beschlossen, neu gefundene Textfragmente womöglich in die Heilige Schrift aufzunehmen.

    Bei dieser Eingemeindung geht es allerdings nicht ums Alte oder Neue Testament, sondern um den Bereich der sogenannten apokryphen Schriften. Dort könnte in einer bis 2017 kommenden Neufassung am meisten eingefügt werden, heißt es. Zu den wichtigsten Textfragmenten, die dafür infrage kommen, zählen die in den 40er- und 50er-Jahren entdeckten Schriftrollen von Qumran. Welche Rolle die für die derzeit laufende Bibeldurchsicht spielen, darüber habe ich vor der Sendung gesprochen mit Jens Schröter, Theologe an der Humboldt-Universität Berlin. Bei Ihrem Projekt, Herr Schröter, handelt es sich um eine sogenannte Durchsicht, nicht um eine Revision der Lutherbibel. Was heißt das konkret?

    Jens Schröter: Das betrifft den Bereich der sogenannten Apokryphen, also einige Bücher, die nicht im Kanon des Alten Testamentes sind, also etwa Bücher wie Tobit, Judit, Ester, das erste und zweite Makkabäer-Buch und Jesus Sirach. Diese Texte haben insofern einen gewissen Sonderstatus, weil sie von Luther beziehungsweise von seinen Mitarbeitern zum Teil aus dem Lateinischen und zum Teil aus dem Griechischen übersetzt worden sind, inzwischen aber einige hebräische Fragmente, vor allem bei einem Buch, beim Buch Jesus Sirach entdeckt worden sind, Ende des 19. und dann bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

    Schossig: In den sogenannten Qumran-Rollen?

    Schröter: Zum Teil in den Qumran-Rollen, zum Teil auch bei anderen Schriftfunden, also zum Teil aus einer Höhle, aus einer Kairoer Höhle, sogenannte Geniza – Geniza ist so eine Höhle, in der jüdische Schriftrollen aufbewahrt werden. Und da hat man Ende des 19. Jahrhunderts bestimmte Fragmente gefunden, dann noch einmal im Qumran und auch an einer anderen Stelle, in der Nähe vom Toten Meer in Masada. Und die Frage ist jetzt, inwiefern diese hebräischen Texte auch eine Rolle spielen sollten, wenn man die Textgrundlage dieses Buches – wie gesagt, es handelt sich nur um ein Buch dabei, um das Buch Jesus Sirach –, also wenn man dieses Buch jetzt übersetzt, inwieweit da diese hebräischen Fragmente einbezogen werden sollten.

    Schossig: Es geht also nicht nur um Veränderung, sondern auch eventuell um das Schließen von Lücken oder das heißt auch um sozusagen ganz neue Bedeutungen in den Texten entdecken zu können?

    Schröter: Also es handelt sich ja nicht um eine grundsätzliche Neuübersetzung, und von daher wird man in diesen speziellen Fällen diskutieren müssen, wie man solche Textfunde ins Verhältnis setzt zu demjenigen Text, der im griechischen Sprachbereich vorhanden ist und aus dem Luther übersetzt hat.

    Schossig: Was glauben Sie, sind am Ende Ihrer Arbeit vielleicht doch größere Veränderungen der Lutherbibel zu erwarten? Das wäre ja auch von theologischer Bedeutung.

    Schröter: In manchen Bereichen kann das sein. Es ist eben so, dass in diesem Bereich der sogenannten Apokryphen zum Teil eben gar nicht aus den griechischen Texten, in denen die Schriften eigentlich vorliegen, übersetzt wurde, sondern schon aus Übersetzungen, nämlich aus lateinischen Übersetzungen ins Deutsche übersetzt wurde. Das ist schon ein Problem, was länger diskutiert wird in der Frage der Revisionen der Lutherbibel. Im Bereich des Neuen Testamentes gibt es ein vergleichbares Problem bei der Offenbarung des Johannes. Da ist es so, dass auch teilweise zu Luthers Zeiten kein griechischer Originaltext vorgelegen hat, der war zum Teil nicht erhalten, und da hat damals Erasmus von Rotterdam teilweise Texte aus dem Lateinischen einfach ins Griechische zurückübersetzt. Da sind wir heute in einer ganz anderen Situation, weil es eine große Anzahl von Handschriften gibt, die im 16. Jahrhundert nicht bekannt waren, und die könnten natürlich auch Veränderungen in der Übersetzung zur Folge haben. Das muss man jetzt im Einzelfall mal sehen, wie sich das auswirken wird, aber in denjenigen Fällen, wo die Textgrundlage sich in größerem Maßstab verändert, da könnte es sein, dass es auch größere Auswirkungen auf die Durchsicht hat.

    Schossig: Es gab nicht wenige Kritiker Ihres Projekts – wie sieht es aus in der evangelischen Kirchen, bei den evangelischen Theologen, gibt es immer noch ernst zu nehmende Kollegen, die sagen, die Heilige Schrift ist das Wort Gottes, oder sind doch alle mittlerweile überzeugt, dass es sich um ein von Menschen geschriebenes Dokument handelt?

    Schröter: Ja, also das muss ich nicht ausschließen. Also dass es bei den Texten um von Menschen geschriebene Schriften handelt, das wird niemand bestreiten wollen, das kann man ja auch zeigen, also dass die natürlich durch die Zusammenstellung zu einem Korpus von Schriften, auf das sich die christliche Kirche beruft, eine ganz besondere Bedeutung haben und einen Wahrheitsanspruch haben, das ist die eine Seite, das schließt aber überhaupt nicht aus, dass man sich mit ihnen in historisch-kritischer Weise beschäftigt. Also von dieser Seite her wäre eine Kritik an diesem Projekt auch völlig unsinnig, denn eine Beschäftigung mit den biblischen Texten in der Form von Übersetzung, wie Luther sie selber vorgenommen hat, und in der Form von Revisionen einer Übersetzung hat es schon immer gegeben.

    Schossig: Probleme bei der Durchsicht der Heiligen Schrift. Der Theologe Jens Schröter mit Auskünften über die Eingemeindung von Schriftenfunden in die kommende, neu durchgesehene Lutherbibel.