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Dutschkes deutschlandpolitische Position

Bedeutende Rolle in der Studentenbewegung der 60er-Jahre hatte neben Rudi Dutschke der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker, als Teilnehmer der Revolte haben in ihrem Buch die Position Dutschkes und die Deutschlandpolitik des SDS nachgezeichnet.

Von Helge Buttkereit | 29.08.2011
    Wer sich ein wenig mit der Geschichte und vor allem den Inhalten der außerparlamentarischen Opposition Ende der 1960er-Jahre befasst, die oft auf die der Studenten und das Jahr 1968 reduziert wird, kann an die von einigen Seiten behauptete Stasi-Unterwanderung nicht glauben. Fakt ist, dass sich die DDR als sozialistisch verstand und der Studentenbund als Wortführer der Bewegung sich "Sozialistischer Deutsche Studentenbund" nannte. Beim Wort sozialistisch hören die Gemeinsamkeiten allerdings auch schon fast auf, denn der SDS hatte sich einen "freiheitlichen Sozialismus" zum Ziel gesetzt. Er rang in vielen Diskussionen um die Inhalte und die Wege zur Verwirklichung dieser Idee, wobei die DDR für die übergroße Mehrheit im Verband ein abschreckendes Beispiel war. Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker haben nun in ihrem Buch über das Verhältnis der Revolte zur DDR nicht nur die Position Rudi Dutschkes nachgezeichnet, sondern vor allem die Deutschlandpolitik des SDS. Sie beginnen ihre Darstellung bei dessen Gründung als Studentenverband der SPD, befassen sich ausführlich mit seiner kritischen Haltung zur DDR und schließlich mit den Problemen der Linken mit der sogenannten "nationalen Frage". Beide Autoren haben bereits eine "Kleine Geschichte des SDS" vorgelegt und sind als Teilnehmer der Revolte parteiisch. Sie stehen nach wie vor zu ihrem Handeln von damals und sehen sich bestätigt. Tilman Fichter:

    "Mit irgendwelchen FDJlern, mit denen wir da Seminare gemacht haben, haben wir immer denen privat dann noch die Räteliteratur gegeben und so - und mir haben später dann Leute erzählt, die dann in der Bürgerbewegung noch mal eine gewisse Rolle gespielt haben, dass die Auswirkungen der Debatten, die der SDS losgetreten hat in der FDJ-Generation Ende der 60er-Jahre doch eine relativ große Rolle gespielt haben."

    Der SDS habe sich anders als die Bundesregierung unter Adenauer oder auch die SPD lange Zeit nicht faktisch mit der Teilung Deutschlands abgefunden, erläutert Tilman Fichter und zieht eine erstaunliche Parallele.

    "Wenn ich ad hoc zwei Politiker nennen sollte, oder politisch bedeutende Menschen, im gespaltenen Deutschland, die an der Einheit festgehalten haben, dann sind es die beiden Todfeinde Rudi Dutschke und Axel Cäsar Springer."

    Dutschke und Bild-Verleger Springer in einem Atemzug. Das erscheint schon aufgrund ihrer inhaltlichen Differenzen und den Auseinandersetzungen Ende der 1960er-Jahre fast grotesk.

    "Aber sie haben in diesem einen Punkt, dass die Deutschen das Recht haben, auch nach Hitler selbst zu bestimmen, ob sie in einem Land oder in mehreren Ländern leben wollen, festgehalten. Während die meisten Politiker, auch Kohl, der später sicherlich seine Verdienste hatte für die Einheit, die Spaltung schöngeredet haben."

    Zwar ist der erläuternde Abschnitt zu Dutschkes deutschlandpolitischen Vorstellungen etwas knapp geraten. Aber das Buch enthält auch zahl- und aufschlussreiche Dokumente. Dadurch wird insbesondere die Position von Rudi Dutschke für den Leser gut nachvollziehbar. In einer Rede fasste er sie 1968 zusammen, nachdem er wieder einmal dazu aufgerufen worden war, er solle doch rüber gehen.

    "Die Bürger in der DDR, genauer die jungen Arbeiter und Studenten in der DDR haben auch eine politische Revolution gegen die Bürokratie durchzuführen. Das ist ihre Aufgabe. Aber für uns existiert nicht die Alternative, willst Du hier nicht ruhig sein, so gehe doch in die DDR. Dieses Argument ist für uns ein Relikt des Kalten Krieges, damit sind wir nicht einverstanden, für uns ist nicht mehr die Alternative die Idiotie des Ost-West-Gegensatzes, sondern für uns ist die Alternative, was ist heute historisch möglich und was wird uns verweigert, verweigert von den Herrschenden."

    Dutschke kam von "drüben", er durfte in der DDR nicht studieren, weil er den Wehrdienst auch mit der Begründung verweigert hatte, er wolle nicht im Ernstfall auf Deutsche schießen müssen.

    "Wir kritisieren die DDR und wir haben die Aufgabe, die kapitalistische Herrschaft in der Bundesrepublik zu stürzen, um ein Gesamtdeutschland zu ermöglichen, was nicht identisch ist mit der DDR, was wirklich nichts mehr gemeinsam hat mit der heutigen Bundesrepublik, sondern ein Gesamtdeutschland, wo die Produzenten, die Schüler und die Arbeiter, die Hausfrauen, die verschiedenen Schichten des Volkes wirklich ihre Interessen vertreten können."

    Das konnte weder den Politikern in der Bundesrepublik, noch denen in der DDR gefallen. Eine politisch wirksame Unterwanderung der Bewegung, die die Stasi mit verschiedenen Spitzeln versucht hatte, war laut Fichter und Lönnendonker spätestens mit dem Aufstieg der Antiautoritären um Rudi Dutschke gescheitert. Dass dieser auch in den 1970er-Jahren an der gesamtdeutschen Perspektive festhielt, machen die Autoren in ihrem Buch klar. Es gebührt ihnen der Verdienst, dass sie die heute kaum mehr bekannte, ohne Zweifel streitbare aber auf jeden Fall ganz eigene deutschlandpolitische Position Dutschkes und des gesamten SDS wieder thematisieren. Die weitergehende These der Autoren, dass die Linke der Bundesrepublik vor 1989 die "nationale Frage" ignorierte und tabuisierte und es deshalb nach 1989 schwer hatte, im wiedervereinigten Deutschland Fuß zu fassen, ist nicht von der Hand zu weisen. Sie müsste allerdings noch weiter präzisiert werden. Denn Fichter und Lönnendonker selbst neigen als Zeitzeugen dazu, sich im Anekdotischen zu verzetteln. Aber insbesondere der reichhaltige Anhang ihres Buches mit heute schwer zugänglichen Dokumenten macht dieses Manko wett.

    Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker: Dutschkes Deutschland. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund, die nationale Frage und die DDR-Kritik von links
    Klartext Verlag, 318 Seiten, 19,95 Euro
    ISBN: 978-3-837-50481-1