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Dynamit und hochdotierte Preise

Was haben Wilhelm Conrad Röntgen, Albert Einstein, Mutter Theresa, Ernest Hemingway und das Internationale Rote Kreuz miteinander gemeinsam? Sie alle haben irgendwann einen Nobelpreis erhalten. Die wohl berühmteste und hochangesehenste Auszeichnung der Welt wird alljährlich am Todestag Alfred Nobels in Stockholm und Oslo verliehen. Heute vor 175 Jahren wurde der Stifter des Preises in Schweden geboren.

Von Kay Müllges | 21.10.2008
    Ein Unternehmer bittet seinen Bruder ihm doch eine Kurzbiografie zu schicken, die er in seine geplante Familiengeschichte aufnehmen will. Der Bruder antwortet lapidar:

    "Hauptverdienste: Er hält seine Nägel sauber und fällt der Öffentlichkeit nicht zur Last. Hauptfehler: ohne Familie, heiter und ein Vielfraß. Größte und einzige Bitte: nicht lebendig verbrannt zu werden. Größte Sünde: betet den Mammon nicht an. Bedeutende Ereignisse in seinem Leben: keine."

    Das war wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Denn der Autor dieser Zeilen war ein berühmter Erfinder und der reichste Mann Europas. Sein Name: Alfred Nobel.

    Das sein Leben so verlief, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater Immanuel ging mit einer Gummifabrik in Schweden in Konkurs und musste vor den Gläubigern nach Russland fliehen. Sein dritter Sohn Alfred, geboren am 21. Oktober 1833, war da gerade vier Jahre alt und ein stets kränkliches Kind.

    "Meine Wiege glich einem Totenbett, und jahrelang wachte meine Mutter in ewig angstvoller Liebe, um das zitternde Flämmchen zu hüten, so gering die Hoffnung auch war."

    1842 siedelt die gesamte Familie in die damalige russische Hauptstadt
    St. Petersburg über. Der junge Alfred assistiert seinem Vater im Chemielabor von dessen neugegründeter Fabrik. Anfangs laufen die Geschäfte gut, doch nach dem Krimkrieg muss Immanuel erneut Konkurs anmelden und zieht zurück nach Schweden. Gemeinsam mit Alfred beschäftigt er sich mit einem erst wenige Jahre zuvor entdeckten Sprengstoff, dem Nitroglyzerin. Das ist in seiner flüssigen Form hochexplosiv. Und eben deshalb sehr gefährlich zu handhaben.

    Alfred kommt auf den Gedanken das Nitroglyzerin nicht direkt anzuzünden, sondern die Ladung indirekt durch einen gesonderten Zünder zur Explosion zu bringen. Erst mit diesem Prinzip der Initialzündung lässt sich der Sprengstoff halbwegs gefahrlos verwenden. Allerdings nur halbwegs, wie die Nobels am eigenen Leib erfahren mussten, als ihre neue Fabrik in Heleneborg 1864 in die Luft flog. Zu den fünf Todesopfern zählte auch Alfreds jüngster Bruder Emil. Trotz dieser Katastrophe wird Nobels Sprengöl, wie es damals heißt, vielfach und oft sehr sorglos eingesetzt. Der schwedische Ingenieuroffizier Claas Adelsköld schrieb darüber später in seiner Autobiografie:

    "Und was mir jeden Tag meines Lebens unbegreiflicher wird, ist, dass wir uns in diesen Tagen nicht täglich wenigstens fünfzig Mal selbst in Atome zersprengt haben."

    Drei Jahre später hat Alfred die rettende Idee, er mischt das flüssige Nitroglyzerin mit einem porösen und saugfähigen Stoff, dem sogenannten Kieselgur und macht es dadurch fest. Das so entstandene Pulver füllt er in Pappröhrchen, die er mit einem Zünder versieht. Den neuen Sprengstoff nennt er Dynamit. Mit dieser Erfindung wird Nobel zum Industriemagnaten, denn Dynamit wird weltweit gebraucht.

    Mit seiner Hilfe wird der Gotthard-Tunnel in der Schweiz gebaut, der Kanal von Korinth durchstochen oder der East River bei New York schiffbar gemacht. Und natürlich wird der neue Sprengstoff von den Militärs geschätzt. Allein am deutsch-französischen Krieg 1870 und 1871 verdient die Firma Nobel, die beide Seiten beliefert, 31 Millionen Kronen. Die bilden den Grundstock für das sagenhafte Vermögen, aus dessen Zinsen bis heute die berühmtesten Preise der Welt verliehen werden.

    "Wie der Nobelpreis, sobald wir ihn aller Feierlichkeit entkleiden, auf der Erfindung von Dynamit fußt, das, wie andere menschliche Kopfgeburten, sei es die Spaltung der Atome, sei es die gleichfalls noblierte Aufschlüsselung der Gene, das Wohl und das Wehe in die Welt gesetzt hat","

    dozierte der frischgebackene Literaturnobelpreisträger Günter Grass 1999 und erinnerte damit an das Janusgesicht des Preises. War es reiner Idealismus oder vielleicht doch das schlechte Gewissen, das Alfred Nobel ein Jahr vor seinem Tod veranlasste, die nach ihm benannte Auszeichnung testamentarisch zu stiften? Wir wissen es nicht. Nobels Verwandte und seine Ex-Geliebte jedenfalls waren empört. Erst einige Jahre nach Nobels Tod waren alle juristischen Streitigkeiten um seinen letzten Willen beigelegt.

    Seit 1901 werden jedes Jahr am Todestag Alfred Nobels in Stockholm die Preise für Chemie, Physik, Medizin, Physiologie und Literatur verliehen. Der Nobelpreis für Wirtschaft ist erst in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts dazu gekommen.

    Und in Oslo wird der Preis vergeben, auf den die Menschen in aller Welt vielleicht am sehnsüchtigsten warten: der Friedensnobelpreis für denjenigen,
    ""der am meisten oder besten für die Verbrüderung der Völker gewirkt hat, für die Abschaffung oder Verminderung der stehenden Heere sowie für die Bildung und Verbreitung von Friedenskongressen."