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Ebola-Epidemie
Versagen auf vielen Ebenen

Die Maßnahmen gegen den Ebola-Ausbruch in Westafrika haben bislang kaum Wirkung gezeigt. Örtliche Regierungen, regionale Staatenbünde bis hin zu internationalen Organisationen haben offenbar lange gehadert und jetzt die Kontrolle über den Ausbruch der Epidemie verloren.

Von Volkart Wildermuth | 07.09.2014
    Frauen in Liberia sitzen auf Plastikstühlen und lesen Informationsblätter über den Schutz vor dem Ebola-Virus
    Die Bevölkerung in den betroffenen Staaten glaubt den einheimischen und internationalen Institutionen nicht. (picture alliance / dpa/ Ahmed Jallanzo)
    Eigentlich wissen die Verantwortlichen genau, was zu tun ist, hätten das Problem schnell in den Griff bekommen können. Anfangs schienen die Konzepte auch zu greifen, aber spätestens im Mai wurde den Helfern vor Ort klar: dieser Ebola-Ausbruch verhält sich völlig anders. Inzwischen haben auch die Vereinten Nationen eingesehen, dass sie die Situation falsch eingeschätzt hatten. David Nabarro, UN-Koordinator für Ebola:
    "Wir wissen, wir haben nicht genug unternommen. Der Ausbruch gerät außer Kontrolle."
    Es gibt offenbar strukturelle Probleme und zwar auf vielen Ebenen Eigentlich sollte die WHO längst in der Lage sein, eigenständig auf Krisen zu reagieren. 2011 gab es den Plan dafür einen eigenen Fond einzurichten, doch der wurde nie finanziert.
    "Die internationalen Organisationen haben viel zu lange gezögert. Aber auch die Regierungen in Sierra Leone und in Guinea haben das Problem nicht ernst genommen",
    sagt der Politologe Mats Utas vom Nordischen Afrika-Institut in Schweden. Er hat lange in den Ländern Westafrikas geforscht und gelehrt.
    "Die Regierung in Guinea hat schnell die Weltgesundheitsorganisation um Hilfe gebeten. Dort gibt es Erfolge. Liberia hat dagegen gesagt, das schaffen wir allein, was definitiv nicht stimmte. Und die WHO hat nicht eingegriffen."
    Bevölkerung misstraut Regierungen und Institutionen
    Gerade Liberia wurde nach dem Ende des langen Bürgerkriegs 2005 von der internationalen Gemeinschaft großzügig unterstützt. Eine UN-Mission vor Ort übernimmt bis heute viele staatliche Aufgaben und auch die Regierung hat umfassende Hilfszahlungen erhalten.
    Utas: "Mit diesen Hilfsgeldern hätte Liberia viel mehr aufbauen können. Die Leute dort fragen sich, wo ist das Geld geblieben? Sie misstrauen ihrer Regierung. Und in Folge davon auch den internationalen Organisationen, die sie als Komplizen betrachten. Von den NGOs bis hin zu den Vereinten Nationen."
    "Es gibt eben hohe Korruptionsraten und es geht meistens darum, dass über soziale Beziehungen Dinge ausgehandelt werden, informell, und dass man sich sozusagen auf wenig formal verlassen kann, wenn man jemanden nicht kennt, ist erst einmal Misstrauen angebracht."
    Judith Vorrath von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Über die Folgen wurde hinreichend berichtet: Patienten verstecken sich und verbreiten so das Virus weiter. Eigentlich sollten sie sich so schnell wie möglich behandeln lassen, doch es fehlt an Ärzten und Schwestern. Zum Teil auch, weil die in Afrika ausgebildeten Mediziner im Westen arbeiten, in ihren Heimatländern fehlen die Perspektiven. Die vorhandenen Kräfte bekommen oft kein Geld, und wollen sich der Ansteckungsgefahr nicht länger aussetzen. Letztlich, sagt der indische Arzt Amit Sengupta vom People's Health Movement, geht es bei dem Ebola Ausbruch nicht in erster Linie um ein besonders aggressives Virus.
    "Ebola ist nicht der Kern des Problems. Ebola ist das Symptom. Die Ursache ist ein unfähiges Gesundheitssystems, nur deshalb konnte sich diese Epidemie entwickeln. Das ist eine Tragödie und ein Problem für uns alle."
    Epidemie trifft problematische Strukturen
    Die Wurzel liegt seiner Meinung nach in der Kolonialzeit. Seit damals konnten sich in Westafrika keine stabilen staatlichen Strukturen etablieren.
    Mats Utas: "Das gilt speziell für Liberia. Es gibt dort ein halb privates, halb staatliches Gesundheitssystem. Eine zentrale Kontrolle über die Gesundheitszentren und Hospitäler existiert nicht. Das ist bei diesem Ebola Ausbruch ein großes Problem."
    Dieser Ebola Ausbruch hat die Weltöffentlichkeit jetzt aufgerüttelt, zumindest für kurze Zeit. Aber in dieser Region sterben ständig Menschen an vermeidbaren Krankheiten, ein Skandal, der übersehen wird, beklagt Amit Sengupta.
    "Diese andauernde Epidemie von Malaria, von Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten plagt den Kontinent und speziell diese Region. Sie werden nicht verschwinden, wenn der Ebola Ausbruch beendet ist, weil das Gesundheitssystem einfach nicht funktioniert. Darauf müssen wir auf lange Sicht das Augenmerk richten."
    Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Größere Forschungsanstrengungen zu Ebola wurden nach 9/11 auf dem Weg gebracht. Die ersten Wirkstoff-Kandidaten gehen darauf zurück. Die Angst vor Biowaffen war wirkungsvoller als all die Ausbrüche, die in Afrika regelmäßig Tote fordern.
    Sengupta: "Ebola ist eben eine Krankheit der Armen, sie können nicht viel bezahlen für eine Behandlung."
    Seit auch westliche Helfer erkrankt und gestorben sind, ist die Ebola-Angst im globalen Bewusstsein angekommen. Der erste Impuls war Abschottung. Flüge wurden eingestellt, Grenzen geschlossen. Kontraproduktiv auch das für die Organisation einer wirkungsvollen Hilfe. Die Ebola-Epidemie von Westafrika ist die Quittung für ein lange vernachlässigtes Strukturproblems. betont der Vertreter Sierra Leones bei den Vereinten Nationen Vandi Chan Minah.
    "Was auf den ersten Blick wie ein Gesundheitskrise aussieht, entwickelt sich zu einer humanitären und einer Entwicklungskrise."