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Ebola in Westafrika
Experimenteller Wirkstoff als letzte Rettung?

Medizinethik. - Die Ebola-Epidemie in Westafrika ist weiterhin außer Kontrolle. Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen haben sich rund 800 Menschen mit dem Virus infiziert, um die 500 sind bislang gestorben. Es gibt experimentelle Wirkstoffe, die in Tests an Affen gut gewirkt haben und jetzt die ersten Tests an gesunden Menschen durchlaufen. Jetzt fordern Wissenschaftler, dass diese Wirkstoffe in Westafrika zum Einsatz kommen sollten.

Von Marieke Degen | 11.07.2014
    Den Patienten isolieren, ihm Flüssigkeit geben und Medikamente, die den Kreislauf stabilisieren – viel mehr können Ärzte bei einer Ebola-Infektion nicht machen. Und das ist zu wenig, findet Jeremy Farrar. Der Tropenmediziner ist der Direktor des Wellcome Trust, einer der weltweit größten Stiftungen für medizinische Grundlagenforschung. Der Nachrichtenagentur Reuters sagte er im Interview:
    Es gibt inzwischen mehr als 450 Tote – und alles, was den Infizierten angeboten wird, sind lauwarme Kopfwickel und die Aussicht auf ein hübsches Begräbnis. Das ist schlicht inakzeptabel.
    Der Grund: Es gibt bereits Medikamente und Impfstoffe gegen Ebola – sie sind nur noch nicht für den Menschen zugelassen. Farrar:
    Es ist lächerlich, dass diese experimentellen Wirkstoffe nicht schon längst am Menschen erprobt werden - und sie den Betroffenen nicht wenigstens angeboten werden.
    Stephan Günther vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut sieht das ähnlich. Der Virologe hat den Ebola-Ausbruch in Westafrika von Anfang an vor Ort beobachtet.
    "Gerade weil der Ausbruch so lange dauert, sollten wir uns über Operational Research, wie man das nennt - also Forschung im Ausbruch - durchaus Gedanken machen. Und zwar wenigstens in der Hinsicht, dass sozusagen Planungen in die Wege geleitet werden. Wenn dieser Ausbruch jetzt noch deutlich länger dauert als bisher, könnte es durchaus sein, dass man mit diesen Medikamenten oder Vakzinen gegebenenfalls was erreichen könnte."
    Keine Wunderwaffe
    Es gibt im Moment eine Handvoll Impfstoffe und Medikamente, die relativ weit gediehen sind. Sie alle sind schon an Affen erprobt worden - die Forscher wissen also grob, wie gut sie wirken und welche Nebenwirkungen sie haben. Ein Medikament - es heißt Tekmira Ebola - wird sogar schon am Menschen getestet, an gesunden Probanden in einer klinischen Phase-1-Studie.
    "Es handelt sich dabei um ein winziges Molekül, das das Virus davon abhält, sich zu vermehren und neue Viruspartikel zu bilden."
    Tom Geisbert ist Virologe an der Universität von Texas. Vor ein paar Jahren hat er mit dem Wirkstoff Affen behandelt, die mit Ebola infiziert waren. DieTiere blieben gesund:
    "Die Affen waren zu100 Prozent vor dem Virus geschützt."
    Allerdings ist Tekmira-Ebola keine Wunderwaffe. Die Forscher hatten es den Affen sehr früh injiziert, etwa einen Tag nach der Infektion. Die Versuchstiere hatten noch keine Krankheitssymptome.
    "Ob eine Therapie anschlägt oder nicht, hängt entscheidend davon ab, wie schnell jemand behandelt werden kann. Wenn die Patienten erst ins Behandlungszentrum kommen, wenn die Infektion schon fortgeschritten ist, werden sie wahrscheinlich sterben. Keine Therapie der Welt kann sie dann noch schützen."
    Finanzielle und ethische Hürden
    Wenn man die Impfstoffe und Medikamente früh genug einsetzt, könnte man die Menschen in Westafrika möglicherweise vor Ebola schützen oder sogar heilen. Und das würde nicht nur das Vertrauen in die ausländischen Ärzte stärken. Es würde auch die Ebolaforschung weiterbringen, sagt Stephan Günther.
    "Ein wichtiger Aspekt ist, dass wir nur in einer Ausbruchssituation diese Medikamente oder Vakzine wirklich auf ihre Wirksamkeit testen können. Das heißt, es hätte nicht nur Konsequenzen für den Ausbruch jetzt, sondern im Prinzip auch für zukünftige Ausbrüche."
    Sollte man die experimentellen Wirkstoffe also einsetzen? Die Entscheidung liegt bei den Regierungen der betroffenen Länder und bei der Weltgesundheitsorganisation. Selbst wenn die Mittel für den Notfalleinsatz genehmigt würden: Der organisatorische Aufwand wäre enorm. Die Mittel sind sehr teuer, sie müssten richtig gelagert und verteilt werden. Dafür bräuchte man zusätzliche Helfer und noch mehr Geld - beides ist ohnehin schon knapp. Dazu kommen noch die ethischen Hürden.
    "Weil die meisten Medikamente - also experimentellen Medikamente - natürlich gar nicht im ausreichenden Maße zur Verfügung stehen, das heißt, man kann sie erstmal nur an kleineren Gruppen von Patienten prüfen, man müsste natürlich dann auch Kontrollgruppen haben, die die Placebo oder keine Medikamente oder keine Vakzine bekommen, um den Wirksamkeitsnachweis zu erbringen – also da sind enorme ethische Erwägungen vorher notwendig. Aber ich denke, man muss zumindest das mal auf die Tagesordnung setzen und sich da drüber Gedanken machen, ob diese Probleme überwindbar sind."
    Der nächste Ausbruch kommt bestimmt
    Die WHO hat sich dem Deutschlandfunk gegenüber nicht geäußert. Offenbar ist der Einsatz von experimentellen Wirkstoffen kein Thema - auf einer Krisensitzung der WHO, die letzte Woche in Ghana stattfand, wurde wohl noch nicht einmal darüber gesprochen. Die WHO setzt weiter auf Quarantäne und eine bessere Aufklärung der Bevölkerung.
    "Ich hoffe, dass der Ebola-Ausbruch in Westafrika das Bewusstsein dafür schärft, dass wir die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen vorantreiben und Strategien haben müssen, wie wir mit solchen Situationen in Zukunft umgehen",
    sagt Tom Geisbert. Selbst wenn es gelingen sollte, diesen Ausbruch ohne Medikamente einzudämmen:
    "There will be another outbreak."
    Der nächste Ausbruch kommt bestimmt.