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Edathy vor Gericht
Von Vorverurteilung und Geheimnisverrat

Am Montag beginnt im niedersächsischen Verden der Prozess gegen Sebastian Edathy. Dem ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten wird der Besitz kinderpornografischer Bild- und Videodateien vorgeworfen. Zwar nicht offiziell Bestandteil der Verhandlung, aber irgendwie immer im Raum: Wurde Edathy im Vorfeld gewarnt?

Von Gudula Geuther und Claudia van Laak | 20.02.2015
    Sebastian Edathy, hier eine Aufnahme vom 15.01.2015, in der öffentlichen Anhörung im Untersuchungsausschuss des Bundestages
    Der Fall Edathy. Steht der Vorwurf der Kinderpornografie im Raum, versagen offenbar die Sicherungen des Rechtsstaates - von der Unschuldsvermutung bis zum Amtsgeheimnis. (Bernd von Jutrczenka,dpa picture-alliance)
    Dem Landgericht Verden dürfte ab Montag eine für das niedersächsische Städtchen ungewohnte Aufmerksamkeit zuteil werden. Bisher sind neun Verhandlungstage angesetzt für das Verfahren gegen Sebastian Edathy. Ihm wird der Besitz kinderpornografischer Bilder und mindestens eines Films vorgeworfen. Das SPD-Mitglied Edathy war einst Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, Vorsitzender des NSU-Ausschusses, der untersuchte, warum die rechtsextremistische Mordserie nicht früher als solche erkannt wurde.
    Als vor zweieinhalb Jahren im Bundeskriminalamt der Name Edathy auf einer Liste von Kunden einer kanadischen Firma auftauchte, die unter anderem kinderpornografisches Material verkaufte, fiel das in der Behörde nicht auf. Der Name sei nicht so bekannt gewesen, dass ihn die Mitarbeiterin hätte bemerken müssen, hieß es zur Erklärung. Das dürfte sich geändert haben. Viele Medienkonsumenten werden den Namen Edathy heute erkennen – und ihn mit dem Konsum von Kinderpornografie in Verbindung bringen. Das Urteil der Öffentlichkeit war gesprochen, lange bevor der Prozess begonnen hat. Da fällt es kaum noch auf, wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel in einem Interview im Zusammenhang mit Edathy sagt: "Der Umgang mit Kinderpornografie, finde ich, ist entsetzlich, allemal für einen Sozialdemokraten."
    Wurde Edathy gewarnt?
    Die Vorverurteilung ist nur eines der Probleme, die auf dem Strafverfahren lasten. In Berlin beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss mit vielen Fragen, die rund um den Fall Edathy aufgetaucht sind. Es geht um politische Verantwortlichkeiten, Ränke und Loyalitäten, die für das Verdener Verfahren keine Rolle spielen. Aber es geht im Kern auch um die Frage, ob Edathy gewarnt wurde.
    Die öffentliche Empörung über den Fall liegt sicherlich auch darin begründet, dass das abstrakte Gut der Unschuldsvermutung nicht ankommt gegen die Assoziationen, die das Wort Kinderpornografie auslöst. Sie liegt aber auch an Edathy selbst. Nach Medienveröffentlichungen und einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Hannover musste er einräumen, Filme von nackten Minderjährigen – keine Pornografie, sondern nach allem was bekannt ist, nach damaliger Rechtslage legales Material – bei der kanadischen Firma Azov gekauft zu haben. Es ist nicht dieses Material, um das es jetzt in dem Strafverfahren geht.
    " ... solange es legal ist, prinzipiell niemand anderen etwas angeht"
    Im ersten großen Interview, kurz nachdem die Käufe öffentlich bekannt geworden waren, zeigte Edathy keine Einsicht, beschwor die Tradition von Nacktbildern auch von männlichen Kindern und Jugendlichen in der Kunstgeschichte. Viel später, in einem denkwürdigen Auftritt vor der Bundespressekonferenz im vergangenen Dezember, bedauerte er, Menschen enttäuscht zu haben.
    "Ich will hinzufügen, dass sicherlich nicht jede meiner öffentlichen Äußerungen in den letzten Monaten glücklich gewesen ist, denke aber von mir behaupten zu dürfen, dass ich mich seit Anfang des Jahres in einer sehr außergewöhnlichen Situation befinde."
    Welche Äußerungen er meinte, blieb offen. Und auch die Distanzierung von den Film-Käufen überzeugte wenige im Saal.
    "Ich habe eingeräumt, und glauben Sie mir, das ist etwas, das nicht besonders leicht fällt – das war ein Fehler. Das war rechtmäßig wie es aussieht in Ordnung. Aber es war moralisch nicht in Ordnung, wie ich mich verhalten habe. Andererseits will ich sehr deutlich sagen: Mein Verständnis von einem Rechtsstaat umfasst auch, dass das was Menschen in ihrem Privatleben tun, solange es legal ist, prinzipiell niemand anderen etwas angeht."
    Gleichwohl: Das Ausmaß von Vorverurteilung und fortwährendem Medien-Aufschrei wäre nicht möglich gewesen, ohne eine ganze Reihe vermeintlicher oder echter Skandale, die mit dem Fall verbunden sind – Fragen nach dem Vorgehen der Ermittler und: Er wäre nicht möglich gewesen ohne eine beispiellose Serie von Indiskretionen.
    Zuletzt wurde mehreren Journalisten Edathys gesamte Ermittlungsakte zugespielt. "FAZ" und "Bild" berichteten breit über Funde, Verdachtsmomente, Vermutungen der Ermittler – und zwar auch, sogar überwiegend, über solche, die nicht in die Anklage eingeflossen sind – also über Vorwürfe, von denen offenbar auch die Staatsanwaltschaft nicht glaubt, sie gerichtsfest ohne Verfahrensfehler belegen zu können.
    Armin Schuster ist Obmann der Union im Untersuchungsausschuss. Für ihn steht der Kampf gegen Kinderpornografie im Vordergrund. Gleichwohl sagt auch er:
    "Dass eine Straf-Ermittlungsakte in die Öffentlichkeit gerät, sprich: an die Presse, das ist schon ein Stück weit skandalös. Schwerwiegender kannst Du die Intimsphäre eines Beschuldigten, vielleicht auch nur eines Verdächtigen, kaum verletzen."
    Heute teilte Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz dem Landtag in Hannover mit, dass die Staatsanwaltschaft Göttingen gegen den Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Celle ein Verfahren eröffnet hat. Gegen Frank Lüttig besteht demnach der Anfangsverdacht, Dienstgeheimnisse verraten zu haben. Unter anderem betrifft das das Verfahren gegen Edathy. Nähere Details gibt es derzeit nicht, also auch nicht, ob es um die Inhalte der Ermittlungsakte geht.
    Die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (r, Bündnis 90/Die Grünen) und der Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Celle, Generalstaatsanwalt Frank Lüttig
    Die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (r, Bündnis 90/Die Grünen) und der Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Celle, Generalstaatsanwalt Frank Lüttig (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Ungewöhnlich ist auch, dass die Ermittlungsakte während des laufenden Verfahrens dem Rechtsausschuss im niedersächsischen Landtag vorliegt.
    Fest steht: Bei den Vorwürfen, über die ab Montag verhandelt wird, geht es nicht um Bilder oder Filme des kanadischen Händlers Azov Films, über den die Ermittler auf den Fall aufmerksam geworden waren. Das hat Edathy selbst in der Pressekonferenz im Dezember bestätigt. Nach der ausführlichen Pressemitteilung des Landgerichts Verden geht es um ein Buch und eine CD, die in einem seiner Büros gefunden wurden. Es ist offenbar das einzige Büro, für das es einen rechtmäßigen Durchsuchungsbefehl gab. Und es geht um – nach Ansicht der Staatsanwaltschaft - kinderpornografische Bild- und Videodateien, die Edathy über seinen Dienst-Laptop heruntergeladen haben soll. Den Laptop hat Edathy zwar als gestohlen gemeldet. Die Ermittler haben aber die Logdateien des Deutschen Bundestages ausgewertet – keine Bilder also, sondern Angaben über Datenströme. Der Angeschuldigte sei dieser Taten hinreichend verdächtig, heißt es. Das bedeutet: Der Freispruch ist nicht wahrscheinlicher als die Verurteilung. Edathy selbst wollte zu diesen Vorwürfen keine Angaben machen:
    "Es gibt eben eine Anklage, und Sie werden ja nicht erwarten, dass ich hier im Rahmen einer Bundespressekonferenz eine Anklageerwiderung vornehme."
    Vergleichsweise wenige Taten
    Auch Edathys Anwalt Christian Noll war dazu nicht zu sprechen. Zu den ausführlichen Medienveröffentlichungen teilte er der "FAZ" mit, die Inhalte eines Strafverfahrens sollten nicht über die Medien geklärt werden, sondern innerhalb des Verfahrens, sonst könne man die Gerichte abschaffen.
    Die aktuellste polizeiliche Kriminalstatistik, die von 2013, führt rund 4.000 Tatverdächtige im Zusammenhang mit dem Besitz oder der sogenannten Verschaffung von Kinderpornografie auf. Der Fall Edathy – das geht aus der Mitteilung des Landgerichts hervor – wäre, auch wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten sollten, kein besonders schwerer. Dort ist von vergleichsweise wenigen Taten mit einer noch begrenzten Anzahl an Zugriffen auf kinder- und jugendpornografische Darstellungen die Rede. Die Debatte über die legalen Filme von nackten Minderjährigen machte deutlich, dass die Grenzen anders verliefen als viele dachten, dass es Graubereiche gibt. Erst im Jahr 2008 war das Strafrecht verschärft worden. Strafbar ist Besitz oder Verschaffung von Bildern oder Filmen seitdem, wenn ein nacktes Kind aktiv eine unnatürliche aufreizende Haltung einnimmt, das sogenannte Posing. Nicht strafbar war aber auch nach dieser Verschärfung der Umgang mit schlichten Nacktfotos – oder -filmen – auch nicht solchen, die der Hannoveraner Leitende Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich in der Pressekonferenz zu Edathy beschrieb:
    "Es handelt sich um nackte Knaben, die vermeintlich in natürlichen Lebensposen toben, spielen, sitzen irgendwo, sich darstellen. Alles aber letztlich mit Bezug zu den Genitalien."

    Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich von der Staatsanwaltschaft Hannover
    Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich von der Staatsanwaltschaft Hannover (dpa / Julian Stratenschulte)
    Inzwischen hat der Gesetzgeber das Recht verschärft. Seit Anfang dieses Monats steht der Handel, auch der Kauf, von Nacktbildern Minderjähriger generell unter Strafe. Edathys Verfahren betrifft das allerdings nicht mehr.
    Aber nicht nur das Strafrecht, auch die Ermittlungspraxis im Fall Edathy hat zu Diskussionen geführt. Wieder entzündete sich die Debatte nicht an dem, wofür Edathy sich jetzt vor Gericht verantworten muss, sondern an dem, was er in Kanada bestellt hatte, bei der Firma Azov Films. Kanadische Fahnder hatten in der sogenannten Operation Spade die Kundenliste von Azov beschlagnahmt. Im Oktober 2011 hatten sie die Daten, die Deutsche betrafen, dem Bundeskriminalamt übergeben. Erst mehr als zwei Jahre später landeten die Akten bei der Staatsanwaltschaft. Viel zu spät, fanden Kritiker, auch diese lange Verzögerung ist ein Grund dafür, dass in Berlin der Untersuchungsausschuss tagt. Bei der Operation Spade spielte eine Rolle, dass das Bundeskriminalamt mit diesem und einem anderen Großverfahren belastet war – allein die Spade-Liste umfasste über 800 IP-Adressen. Der Name Edathy lenkte dabei nur den Blick auf diese Schwierigkeiten. Zu wenige Ermittler müssen zu vielen Spuren nachgehen – das dauert, wie ein Besuch beim Landeskriminalamt Berlin zeigt:
    Kriminalhauptkommissar Thorsten Ivers steigt aus dem silberfarbenen Kleintransporter, unter dem Arm einen beschlagnahmten Rechner. Der stellvertretende Leiter des Kommissariats zur Bekämpfung von Kinderpornografie kommt gerade von einer Hausdurchsuchung. Jetzt erst mal abrüsten, sagt Ivers, legt seine schwere Schutzweste beiseite, geht in den Waffenkeller und entlädt seine Pistole.
    "Also wir schreiben erst einmal einen Bericht über das, was wir gemacht haben. Wir drucken eine Fotomappe aus über den Durchsuchungsort, dass wir den weitestgehend ordentlich und ohne Sachbeschädigung hervorzurufen verlassen haben, dann schicken wir einen Antrag an unsere Kriminaltechnik, dass die Datenträger durch unsere EDV aufzubereiten sind."
    Sind die Daten aufbereitet, müssen Thorsten Ivers und seine Kollegen sie auswerten. Welche Bilder, welche Videos sind strafbar, welche nicht?
    Eine belastende Arbeit. Um sich gegenseitig zu unterstützen, sitzen oft zwei Ermittler gemeinsam vor dem Rechner. Für Kriminalhauptkommissar Ivers – selber Vater zweier Söhne – ist das Auswerten von Chat-Protokollen die unangenehmste Tätigkeit.
    "Also, da steht drin, was die wollen. Also man kann auch nur wirklich hoffen, dass die das nicht in die Tat umsetzen. Da kann ich jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Aber da stehen bestialische Dinge drin. Was sich Männer vorstellen, was sie mit Kindern jeglichen Alters anstellen. Das nimmt einen dann schon mit."
    Thorsten Ivers zeigt die Asservatenkammer im Keller des Berliner Landeskriminalamtes. An den Wänden hohe Metallregale, in denen ein Rechner neben dem anderen steht. In großen Pappkartons auf dem Boden: Videokassetten, DVDs, USB-Sticks, Laptops, Smartphones. Was wie der unaufgeräumte Keller eines Computerhändlers aussieht, birgt in Wirklichkeit Ungeheuerliches. Millionen digitaler Fotos, für die nackte Jungen und Mädchen zu aufreizenden Posen gezwungen, Babys vergewaltigt wurden.
    Kinderpornografie ist dokumentierter Missbrauch, sagt Kriminalhauptkommissar Ivers, und die Datenmengen werden immer größer.
    "Und wenn man dann so Rechner hat wie diesen hier, das ist so ein typischer Gaming-Rechner, da hat man dann alleine in einem Gehäuse vier bis sechs Festplatten drin. Da kann man sich dann vorstellen, dass die Auswertung entsprechend länger dauert, weil dann eben diese vier oder sechs Festplatten ausgewertet werden müssen."
    Ein Kampf gegen Windmühlen
    Die Ermittler werden der Datenfülle kaum Herr, die Verfahren stapeln sich. Von der Hausdurchsuchung bis zur Erhebung der Anklage – oder einer Einstellung des Verfahrens - vergehen in Berlin durchschnittlich eineinhalb bis zwei Jahre. Polizei und Staatsanwaltschaft haben zu wenig Personal, kritisiert Anke Benrath. Die 52-Jährige ist Staatsanwältin in der Spezialabteilung Sexualstrafrecht und verbotene Pornografie.
    "Da kommen wir personell und technisch an unsere Grenzen im Verfolgungsbereich, machen wir uns nichts vor. Wir sind teilweise dazu übergegangen, externe Internetfirmen mit der Auswertung der Datenträger zu beauftragen."
    Wir könnten uferlos ermitteln, sagt Staatsanwältin Benrath. Je mehr man suche, umso mehr finde man. Der Kampf gegen die Kinderpornografie sei ein Kampf gegen Windmühlen, es sei kaum möglich, die Hintermänner zu schnappen.
    "Es ist leider Gottes so, dass das Netz bestückt wird aus allen Winkeln der Erde. Alle sind sie unserer Strafverfolgung letztendlich entzogen. Wir können nur die Konsumenten verfolgen, die hier in unserem Bereich sitzen und die sich diese Dinge runterladen und in ihren Besitz übernehmen, womit sie sich dann strafbar machen."
    95 Prozent der Fälle landeten nicht vor Gericht, sondern endeten mit einem Strafbefehl, schätzt die Berliner Staatsanwältin. Die Verfahren müssten verkürzt, die Strafen für Besitz und Handel mit kinderpornografischem Material verschärft werden.
    "Wir haben viele Fälle, in denen wir durchsucht haben, und dann nach eineinhalb Jahren zu einer Abschlussentscheidung kommen. Und bereits vorher schon wieder ein neues Verfahren gegen denselben Beschuldigten haben, der mittlerweile neue Computer hat und im selben Feld weiterhin unterwegs ist. Von daher: soviel zur Abschreckung."
    Im Fall der kanadischen Operation stellte der Untersuchungsausschuss in Berlin kritische Fragen: Warum dauerte es so lange, bis die Listen ausgewertet wurden, welche möglichen Pannen gab es in der Zusammenarbeit mit den Ländern? Die Abgeordneten stellten aber auch konstruktiv die Frage: Was brauchen die Ermittler, um mit den Massen an Daten, die bei der Verfolgung von Kinderpornografie anfallen, effektiver umgehen zu können? Mehr als heute, glaubt Frank Tempel, Obmann der Linkspartei und wie alle Obleute im Ausschuss von Haus aus Polizist.
    "Wenn an Verfahren mit möglicherweise 800 Beschuldigten ein bis zwei Mitarbeiter – je nach Zeit – daran nur arbeiten, weil einfach nicht mehr Ressourcen da sind, dann dauert das so lange."
    Der Punkt ist im Ausschuss weitgehend abgehandelt, das mediale Interesse hielt sich in Grenzen. Das hat sich gründlich geändert, seit der Untersuchungsausschuss das zweite große Thema behandelt. Hier soll geklärt werden, was in dem Verfahren durchgestochen wurde, wer wen informiert hat. Es geht nicht einfach um Geschwätzigkeit in der Politik, sagt der stellvertretende Ausschussvorsitzende Michael Frieser, CSU:
    "Je mehr von einem Problem Bescheid wissen, desto größer ist natürlich auch die Gefahr, dass es seinen Weg an die Medien findet. Und jeder weiß auch, dass bei einem Thema – wenn nur der Gedanke oder der Begriff Kinderpornografie auftaucht, eine Vorverurteilung immer stattfindet."
    Von der möglichen Warnung des Beschuldigten ganz abgesehen. Bekannt ist: Der damalige BKA-Präsident Jörg Ziercke unterrichtete den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, CSU. Der wiederum informierte SPD-Chef Sigmar Gabriel, weshalb Friedrich später von seinem Amt als Landwirtschaftsminister zurücktreten musste.

    Der frühere BKA-Chef Jörg Ziercke
    Der frühere BKA-Chef Jörg Ziercke (dpa/picture alliance/Arne Dedert)
    Gabriel gab sein Wissen weiter an die SPD-Fraktionsspitze. Der SPD-Politiker Johannes Kahrs sprach später im Ausschuss ohne nähere Angaben von einer Gerüchteküche. Sebastian Edathy und sein Anwalt stellten sarkastisch die Frage, ob wohl auch die Putzhilfe des heutigen Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann im Bilde war. Bekannt ist aber auch, dass die Polizei in Niedersachsen auf verschiedenen Ebenen informiert war. Für die Ausschussmitglieder steht inzwischen auch mehr oder weniger fest, dass Edathy gewarnt wurde. Ob durch seinen früheren Fraktionskollegen Michael Hartmann, wie die meisten Obleute glauben, untersucht die Staatsanwaltschaft Lüneburg; sie prüft, ob es einen Anfangsverdacht der Strafvereitelung gibt, ohne dass sie ein Ermittlungsverfahren eröffnet hätte.
    Aber noch ganz andere ungewöhnliche Kommunikationswege gab es im Fall Edathy. Bekannt ist, dass Thomas Oppermann Jörg Ziercke anrief, angeblich flossen in dem Gespräch keine Auskünfte, Oppermann behauptete gleichwohl später in einer Pressemitteilung, Ziercke habe ihm die Informationen bestätigt. Eine Aussage, die er zurücknahm. Michael Hartmann wiederum räumte ein, Kontakt zum Präsidenten des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz gehabt zu haben. Dieser sagte im Ausschuss aus, Hartmann habe ihn drei Mal angerufen um nach dem Umgang mit dem Pornografie-Großverfahren zu fragen – erfolglos.
    "Nähe wächst auch in der Politik", sagt der CSU-Politiker Michael Frieser über das Verhältnis zwischen Innenpolitik und Ermittlern.
    "Wenn man ständig mit Fachleuten, mit Behördenleitern, mit Vertretern von Ermittlungsbehörden, bei Kongressen, bei Veranstaltungen, aber auch im ganz normalen Politikalltag zusammen ist, dann verschwimmt manchmal diese Grenze."
    Was selbstverständlich nicht gehe. Und der Linkenpolitiker Frank Tempel sagt auf die Frage, ob solcher Kontakt zwischen Politik und Ermittlern normal sei:
    "Vielleicht nutzt dieser Skandal dazu, zu sensibilisieren, dass genau das nicht geht. Wir wollen ja auch Handlungsempfehlungen für die Zukunft geben. Es ist jetzt thematisiert worden. Niemand kann sich später mehr darauf hinausreden, dass er sich nichts dabei gedacht hätte – und dann hofft man, dass man aus dem Vergangenen lernt."
    Welche politischen Enthüllungen der Fall Edathy in all seinen Facetten noch zur Folge haben wird, ist offen. In der Zwischenbilanz gibt es auch Positives: Über die Arbeit des Untersuchungsausschusses können Ermittler, vor allem beim Bundeskriminalamt, auf mehr Aufmerksamkeit der Politik hoffen. Auch die Änderung des Strafrechts lässt sich zumindest rechtfertigen – auch wenn die Diskussion darüber vor einem anderen Hintergrund vermutlich sachlicher verlaufen wäre.
    Dagegen ist die ernüchternde Erkenntnis nach allem, was wir bisher wissen: Steht der Vorwurf der Kinderpornografie im Raum, versagen offenbar die Sicherungen des Rechtsstaates, von der Unschuldsvermutung bis zum Amtsgeheimnis. Und die Affäre wirft ein bezeichnendes Licht auf Kommunikationsformen hinter den Kulissen des politischen Betriebes – offenbar zuweilen hart am Rand der Legalität. All das wird weiter diskutiert werden, nicht zuletzt im Untersuchungsausschuss in Berlin. Vor dem Landgericht Verden dagegen wird es ausschließlich um eines gehen: um Sebastian Edathys persönliche Verantwortlichkeit nach dem Strafgesetzbuch.