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Edgar Degas
Der mit den Klassikern tanzte

Die Kunsthalle Karlsruhe zeigt Werke des französischen Malers Edgar Degas. Die Ausstellung "Klassik und Experiment" konzentriert sich auf seine Kopien des damaligen Kanons. Die zogen sich wie ein roter Faden durch sein Schaffen - und erwachten hier teilweise zu neuem Leben.

Von Christian Gampert | 11.11.2014
    Ein Besucher der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (Baden-Württemberg) betrachtet am 06.11.2014 das Werk "Die Ballettklasse" aus den Jahren 1880 _ 1900 von Edgar Degas.
    Edgar Degas malte in Variation Ballettmädchen. (picture alliance / dpa - Uli Deck)
    Es ist ziemlich schwierig, über Edgar Degas etwas Neues zu sagen. Und noch eine Schau nur mit Ballettmädchen im Tutu funktioniert nicht. Der Kurator Alexander Eiling geht den Meister deshalb von der technischen Seite an. Ihm war aufgefallen, dass Degas wie besessen den Kanon kopierte - und dass die kopierten Themen und Stile seine eigenen Werke nicht unwesentlich prägten.
    "Wir haben schon bei der Vorbereitung gesehen, dass Degas unheimlich reich kopiert hat; es gibt ja 700, 800 Kopien, die er gemalt hat, gezeichnet hat, in der Druckgrafik angefertigt hat. Und die sich nicht nur am Anfang seines Lebens, als Teil der künstlerischen Ausbildung manifestieren, sondern die sich durch seinen Schaffensprozess durchziehen."
    Kopie ist der rote Faden der Ausstellung
    Dass die Kopie der rote Faden der Ausstellung, aber vielleicht auch des Werks ist, wird schon im ersten Saal klar: Auf der Rückseite eines frühen Selbstbildnisses von 1854 befindet sich eine Bleistiftskizze nach Parmigianino. Und dass Degas ein großes, düsteres, aber eher unbekanntes Porträtwerk in allen Techniken geschaffen hat, belegen die folgenden Säle.
    Die meisten seiner Kopien, egal ob nach Mantegna oder nach Uccello, nach Signorelli, Michelangelo oder Ingres, behielt Degas im Atelier, wo er auch sonst fast ausschließlich arbeitete, im Gegensatz zu den Impressionisten, denen er sich nur lose verbunden fühlte. Er ging nicht auf die Rennbahn, er kopierte, stilisierte, bearbeitete und erfand Pferde neu, die er zum Beispiel vom Parthenonfries kannte, und versetzte sie dann in imaginierte oder erinnerte Landschaften, die auch Longchamp heißen konnten.
    Diese verborgenen Folien der Degas-Werke will die Ausstellung sichtbar machen, und das gelingt manchmal vorzüglich, manchmal ist es auch fragwürdig. Die ganze Ambivalenz des Unternehmens zeigt sich in dem zentralen Kapitel, und das heißt "von Sparta auf den Montmartre". Degas hatte in jungen Jahren versucht, mit Historienbildern in den Salon zu kommen. Seit 1860 beschäftigte er sich in mehreren Varianten mit den "Spartanerinnen", die die Knaben zum Wettkampf herausfordern, und in den pathetisch-theatralischen Gebärden dieses von ihm ganz klassizistisch konzipierten Gemäldes sah offenbar Degas und sieht nun auch die Karlsruher Ausstellung die Keimzelle für die doch leicht veränderte, verflüssigte Körpersprache seiner Balletttänzerinnen. Die hat zwar auch etwas Theatralisches, ist aber in ihrer lockeren Absichtslosigkeit und Anmut von einer ganz anderen Freiheit beseelt als die klassischen Leiber. Natürlich haben diese modernen Bilder des Pariser Lebens, aus Oper, Theater und Café Concert, in ihrer Gestik auch etwas Expressives. Aber die von Degas dort absichtsvoll erzeugte schwüle Atmosphäre ist die einer libertären Unterhaltungskultur.
    Degas bediente den Kunstmarkt selektiv
    Die Ausstellung heißt "Klassik und Experiment", und das Experimentelle hat bei Degas durchaus auch eine ökonomische Seite. Er bediente den Kunstmarkt selektiv. Als er nach 1870 die Verbindlichkeiten seiner immens verschuldeten Familie bezahlen musste und die Bilder der Ballettmädchen gut gingen, wurden sie in sorgsam geplanten Etappen in den Markt eingespeist und erzielten hohe Preise. Und er nutzte reproduktive Techniken wie die Radierung, um bewährte Themen mit Pastell zu überarbeiten: Das Werk ist schon da und wird oft nur neu koloriert, bisweilen aber auch variiert.
    Natürlich spielen die Bewegungsstudien des Fotografen Eadweard Muybridge für Degas ebenso eine Rolle wie der japanische Holzschnitt, dessen Schatten man in den sich kämmenden Badezimmer-Akten wiedererkennt. All das erzählt diese schöne und reiche Ausstellung (vorzüglicher Katalog!). Aber obgleich er seine Bilder in sehr langen Arbeitsphasen malte, interessierte sich Degas doch vor allem für den Augenblick, das Spontane, Nervöse, Ungewollte, den Moment vor dem Auftritt bei den Tänzerinnen. Deren Silhouetten und Gesten mögen (auch) einem reichen Kopier-Fundus geschuldet sein. Aber die Stilmittel der Dynamisierung, die blassfarbige Leichtigkeit, die flirrende Schraffur, die alles in Bewegung setzt - das ist pure anbrechende Moderne. Der Rückenakt, der bei Degas aus dem Bade steigt, braucht keinen mythologischen oder historischen Rahmen mehr: Er oder vielmehr sie ist einfach nur Körper und Sex, und das ist genug.