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Edmund de Waal
Das "Weiße Gold" und die Gier

Mit "Der Hase mit den Bernsteinaugen" landete der Engländer de Waal 2011 einen überraschenden Bestseller. In "Die weiße Straße" erzählt er nun von seiner großen Leidenschaft: Porzellan. In China, Sachsen und England sucht er den Stoff, der Könige und Kaiser in seinen Bann zog. Es geht um Hoffnung, Obsessionen und die dunkle Seite unserer Träume.

Von Christoph Schröder | 16.02.2017
    Der preisgekrönte Autor Edmund de Waal bei einer Ausstellung in London.
    Der preisgekrönte Autor Edmund de Waal bei einer Ausstellung in London. (Imago/Bettina Strenske)
    Die wichtigste Frage lautet: Warum, um Himmels Willen, sollte man sich für die Feinheiten des Töpferhandwerks interessieren? Was geht uns das an?
    Und dann beginnt man, in Edmund de Waals durchaus umfangreichen Buch zu lesen – und wird sofort hineingezogen. Von de Waals einnehmenden, eleganten Stil. Von seiner umfassenden Bildung und Belesenheit. Von der Sprunghaftigkeit seines Erzählens, das es sich erlaubt, Assoziationen zu folgen und abzuschweifen. Und es gilt festzustellen: Ja, de Waal schreibt über Porzellan. Ja, er ist ein Experte mit einem höchst speziellen Fachwissen. Immerhin war er Professor für Keramik an der Universität von Westminster.
    Und doch geht die Faszination, die de Waal hegt, weit über seinen eigentlichen Gegenstand hinaus: "Die weiße Straße" ist ein Hybrid; eine Mischung aus Kulturgeschichte, Ästhetik und künstlerischer Selbstbeobachtung.
    Weiß wie Jade, dünn wie Papier
    Die Ausgangslage erklärt der Autor in seiner Einleitung: Drei Orte möchte er besuchen, an denen das Porzellan erfunden oder entscheidend weiter entwickelt wurde: Die chinesische Stadt Jingdezhen mit ihren weißen Bergen, wo vor rund 1000 Jahren erstmals Porzellan gebrannt wurde. Sachsen, wo der Alchimist Johann Friedrich Böttger im Auftrag August des Starken zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Meißener Porzellanmanufaktur aufbaute Und Plymouth in England. Dort arbeitete der Quäker William Cookworthy einige Jahrzehnte später an der Entwicklung des englischen Porzellans.
    De Waal ist an beidem interessiert, an der Haptik und dem Herstellungsprozess. Und an der Erhabenheit der Produkte. Und so steht er eines Tages in China in einem aufgegebenen Bergwerk:
    "Die Abbaustätten sind heute verlassen. Einst waren hier wohl Stollen, kreuz und quer durch den Berg, Arbeiter, die sich in diese weichen weißen Adern hineinhackten, Körbe voller Kaolin, die hinauf und hinaus zu den Abhängen gereicht wurden, um dann nach unten geschleppt zu werden. Jeder Bergbau hat etwas Schauriges, aber ich frage mich, wie es sein müsste, weit unten in der Tiefe diese Weichheit zu fühlen, dieses Nachgeben des Porzellantons in der Hand."
    "Weiß ist eine Art, neu zu beginnen"
    Die Weichheit des Materials. Und die Farbe des gebrannten Porzellans. Das Weiß. Von ihm ist de Waal auf geradezu magische Weise angezogen. Das Weiß ist für ihn eben nicht das Symbol der reinen Schönheit. Es ist ambivalent. Es ist in China die Farbe der Trauer. Die "schwarze Milch der Frühe" in Paul Celans "Todesfuge" deutet de Waal als eine Transformation, als die totale Umkehrung; als, wie er schreibt, "die gänzliche Verwandlung von etwas Weißem."
    Und nicht ganz zufällig hat der studierte Anglist de Waal seinem Buch ein Zitat aus Hermann Melvilles "Moby Dick" voran gestellt: "What is the thing of whiteness?" In "Moby Dick", so de Waal, träten die Gefahren einer Obsession für die Totalität des Weißen offen zutage.
    Als de Waal selbst anlässlich einer Ausstellung seiner eigenen Arbeiten sein Verhältnis zum Farbton des Materials reflektiert, charakterisiert er sein Schaffen als Teil eines Prozesses der Selbsterkenntnis:
    "Bei der Eröffnung werde ich dann gefragt: `Wie kann man weiße Dinge machen?´ Darauf antworte ich, dass Weiß eine Art ist, neu zu beginnen. Es geht nicht um guten Geschmack, weiße Gefäße zu machen hatte nie mit gutem Geschmack zu tun; Porzellan herstellen ist eine Art, neu zu beginnen, seinen Weg zu suchen, eine Route und einen Umweg zu sich selbst."
    Über 1000 Jahre Forschergeist, Macht und Magie
    Doch es geht nicht nur um Selbstreflexion und Ästhetik. Über weite Strecken ist "Die weiße Straße" auch ein spannend zu lesendes Buch, das den Forschungs- und Experimentiergeist des 18. Jahrhunderts zu den feudalen Machtstrukturen ins Verhältnis setzt.
    Ein Glanzstück ist mit Sicherheit die Schilderung des Lebensweges von Johann Friedrich Böttger. Der zwielichtige gelernte Apotheker und Alchimist wird zunächst von August dem Starken mit der Kunst des Goldmachens betraut, bevor er beginnt, mit Tonerde zu experimentieren und damit die Porzellanherstellung in Deutschland begründet.
    Ganz gleich, wo – stets ist die Herstellung von Porzellan mehr als ein handwerklicher Akt. Bei de Waal bekommen das Töpfern und Brennen eine magische Dimension:
    "Die Brennofentür wird aufgebrochen, die Proben werden entnommen, und es stellt sich sofort heraus, dass eine Probe anders ist. Es ist ein einfaches Gefäß, ein Schmelztiegel zum Goldmachen, und es ist ungewöhnlich hart. Zudem ist es unversehrt. Es ist kompakt und rotbraun, fühlt sich eher wie ein vom Bachbett geholter Stein als Terrakotta an; wenn man mit den Fingern darüber streicht, ist es kühl. Und es ist schön. Verblüffend schön."
    Noch einmal: Warum also sollen wir uns für all das interessieren? Ganz einfach: Weil es um mehr geht, als nur um eine subjektive Passion. Hier schreibt kein Nerd, sondern ein Universalgelehrter. De Waal erzählt von Hoffnungen, Gier, Obsessionen und Erfolgen. Und von den dunklen Seiten unserer Träume.
    Edmund de Waal: Die weiße Straße. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016. 464 Seiten. 26,- Euro