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Effizient genug für klinische Studien

Medizin. - Bei der Keimbahntherapie werden die Zellen des Patienten genetisch verändert. Die krankmachenden Gene werden schon in der Eizelle oder der Samenzelle vollständig ausgetauscht, so dass die Krankheit gar nicht entsteht. Die Veränderung wird an zukünftige Generationen weiter gegeben. Der Eingriff ist ethisch umstritten, wurde aber bereits in zahlreichen Tiermodellen getestet. Nun ist eine Form der Keimbahntherapie erfolgreich bei menschlichen Zellen und bei Rhesus-Affen ausprobiert worden. In "Nature" werden die Versuche vorgestellt.

Von Michael Lange | 25.10.2012
    Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle. Sie versorgen die anderen Zellstrukturen mit Energie. Ihre Besonderheit: Sie besitzen eigene Gene. Das verleiht den Mitochondrien eine gewisse Unabhängigkeit vom Zellkern. Wenn eines dieser Mitochondrien-Gene defekt ist, führt das zu seltenen, aber schwerwiegenden Krankheiten, insbesondere Stoffwechselkrankheiten oder Störungen im Nervensystem. Etwa eines von 5000 bis 10.000 Neugeborenen ist betroffen. Shoukhrat Mitalipov von der Oregon Health and Science University in Portland will diese Krankheiten verhindern, bevor sie überhaupt entstehen. Dazu überträgt er das Erbmaterial im Zellkern von Eizellen – und zwar aus einer Zelle mit kranken Mitochondrien in eine Zelle mit gesunden.

    "Wir können die Erbmoleküle aus dem Zellkern einer unbefruchteten Eizelle entnehmen und in eine andere Eizelle überführen. Deren Zellkern haben wir zuvor entfernt, so dass sie nur noch die Erbinformation in ihren Mitochondrien besitzt."

    Der Zellkern wird also von einer Eizelle in eine andere überführt. So entsteht eine Eizelle, deren Erbinformationen zu über 99 Prozent aus dem Zellkern von Mutter Nummer 1 stammt und zu weniger als einem Prozent aus den Mitochondrien von Mutter Nummer 2. Wenn die Eizelle befruchtet wird, entsteht also ein Embryo mit zwei genetischen Müttern. Die Technik entspricht weitgehend der Klontechnik, wie sie beim Klonschaf Dolly oder bei bislang wenig erfolgreichen Versuchen zum so genannten therapeutischen Klonen zum Einsatz kam. Nun aber wird sie nicht zum Klonen, sondern zum Auswechseln von Genen eingesetzt. Der Klonpionier Shoukhrat Mitalipov wird so zum Gentherapeuten.

    "In dieser Studie haben wir menschliche Eizellen verwendet, insgesamt 106. Sie stammten von freiwilligen Spenderinnen. Nach der Übertragung des Zellkerns haben wir die Eizellen im Labor künstlich befruchtet, und es entwickelten sich 13 Embryonen. Im Blastocysten-Stadium haben wir die Entwicklung abgebrochen und aus den Embryonen menschliche embryonale Stammzellen gezüchtet."

    In Deutschland wären diese Versuche aus mehreren Gründen verboten. Die Eizellenspende zu Forschungszwecken ist ebenso wenig erlaubt, wie das Töten menschlicher Embryonen zur Stammzellengewinnung. Die wichtigste ethische Frage aber ist eine andere: Dürfen Wissenschaftler in das Erbgut von Menschen eingreifen, um schwere Krankheiten zu verhindern? Dass es funktioniert, konnte Shoukhrat Mitalipov bei Rhesus-Affen bereits demonstrieren. Ihre kranken Mitochondrien konnte er mit Hilfe der Klontechnik durch gesunde Mitochondrien ersetzen. Die kleinen Rhesus-Äffchen waren gesund und wiesen keinerlei Folgeschäden auf. Nach Ansicht von Shoukhrat Mitalipov ist die Zeit reif für erste Versuche am Menschen.

    "Die Technik ist effizient genug, um mit klinischen Studien zu beginnen. Wir brauchen für eine Behandlung nicht mehr als zehn bis 15 Eizellen von gesunden Spenderinnen. Durch künstliche Befruchtung können wir dann zwei bis vier Embryonen erzeugen, und die werden in die Gebärmutter der Empfängerin übertragen."

    Bevor die erste klinische Studie beginnen kann, muss allerdings die zuständige Zulassungsbehörde in den USA, die FDA, ihre Zustimmung erteilen. Das wird noch mindestens drei Jahre dauern, glaubt Shoukhrat Mitalipov. Die Diskussion über die neue Technik hat gerade erst begonnen. Immerhin würde es sich um die erste Keimbahntherapie am Menschen handeln – oder anders ausgedrückt um die ersten genmanipulierten Menschen.