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Eagle-Eye Cherrys Comeback
Wie ein Bär, der aus seinem Winterschlaf erwacht

Er habe sich bewusst eine längere Auszeit von seinen Leben im Rampenlicht nehmen wollen, sagte der schwedische Musiker Eagle-Eye Cherry im Dlf. Nun meldet er sich mit "Streets Of You" zurück. Inspiration für das Album fand er in der Country-Metropole Nashville. Seinem Stil sei er dennoch treu geblieben.

Eagle-Eye Cherry im Corsogespräch mit Christoph Reimann | 17.11.2018
    Egale Eye Cherry 2018
    "Einen Schritt nach dem anderen machen, und dann mal gucken, wie weit ich komme": Eagle-Eye Cherry anno 2018 (Viktor Flume)
    Eagle-Eye Cherry: Musik wird immer Teil meines Lebens sein. Darum ging’s nicht. Die Frage war vielmehr, ob ich weiterhin der Künstler im Rampenlicht sein wollte. Die Anonymität, die mir meine lange Auszeit beschert hat, habe ich sehr genossen - endlich mal ein normales Leben führen, ohne auf der Straße erkannt zu werden. Nur habe ich es sehr vermisst, auf der Bühne zu stehen. Das hat letztlich zu meinem Entschluss geführt, zurückkommen zu wollen.
    Christoph Reimann: War Ihre Auszeit auch eine Auszeit vom Musikmachen?
    Cherry: Nein. Ich habe mich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Musik habe ich weiterhin gemacht. Und es gab eine Reihe von Nebenprojekten, die ich gestartet habe, zum Beispiel mit den SOS-Kinderdörfern ...
    Reimann: Ein Musikprojekt?
    Cherry: Nicht in erster Linie. Aber ein Kamerateam ist nach Manila gereist, wo ich bedürftige Kinder besucht habe. Aus dieser Erfahrung ist ein Song entstanden. Ich habe viel gemacht in den letzten paar Jahren. Und wenn ich es gebraucht habe, habe ich auch ein paar Konzerte gegeben, in Brasilien zum Beispiel, da habe ich oft gespielt.
    Reimann: Da sind Sie ja auch eine ziemlich große Nummer.
    Cherrry: Ja. Die mögen meine Musik da. Das Tolle an Brasilien ist, dass man da auch ohne Anlass, ohne neues Album, auftreten kann. Ich war also die ganze Zeit über beschäftigt, allerdings nicht so fixiert auf eine Sache, anders als jetzt mit dem neuen Album.
    Reimann: Die meisten Musiker, mit denen wir sprechen, können es sich ganz einfach nicht leisten, solange von der Bildfläche zu verschwinden. Immerhin hat sich die Musikindustrie stark verändert. Sie waren da in den goldenen Jahren, Sie sind jetzt wieder da. Was macht das mit Ihnen?
    Cherry: Ich hatte Glück mit meinem ersten Album. Ich habe einen Fuß in die Tür bekommen, kurz bevor sich die Musikindustrie dramatisch verändert hat.
    Reimann: In den späten 90ern.
    "Die Musikwelt hat sich weitergedreht"
    Cherry: Das war Glück. Und wenn ich das Geld bräuchte, hätte ich mich wohl auch früher zurückgemeldet. Aber mein früher Erfolg bringt immer noch genug rein. Im Moment fühlt es sich für mich so an, als sei ich ein Bär, der aus seinem Winterschlaf erwacht und zum ersten Mal nach langer Zeit die Höhle verlässt. Die Musikwelt hat sich weitergedreht. Ich lerne gerade, mit Social Media umzugehen. Ich finde es super, direkt mit meinen Fans kommunizieren zu können. Das ist großartig.
    Reimann: Wie wollen Sie künftig dem Rummel um Ihre Person im Zaum halten, wenn Sie sogar Social Media selbst betreuen?
    Cherry: Einen Schritt nach dem anderen machen, und dann mal gucken, wie weit ich komme. Mir ist bewusst, dass einem dieser Job viel abverlangt. Aber ich weiß auch, dass es sich auszahlt, wenn man nur hart genug arbeitet. Man muss da eine Balance finden. Ein Unterschied ist, dass ich heute älter und reifer bin als zum Anfang meiner Karriere. Damals wusste ich nicht, dass man auch mal nein sagen darf. Wenn ich jetzt das Gefühl haben, mal für eine Minute Pause machen zu müssen, dann mache ich das. Und bisher läuft's.
    Reimann: Was werden Sie künftig nicht mehr machen?
    Cherry: Ein Beispiel: Als ich mal in den USA war, haben wir vor den Konzerten immer noch irgendwelche Radiosender besucht, jeden Tag. Man spielt also ein Konzert, steigt in den Bus, legt sich hin, schläft vier Stunden, und dann gibt man schon wieder Radio-Interviews, dann Soundcheck, dann Konzert, und dann wieder von vorne. Und wenn man das wochenlang macht - das haut jeden um.
    Die Leute erinnern sich immer nur an "Save Tonight"
    Reimann: Es gibt ja diesen einen Song, den die Leute mit Ihnen verbinden.
    Cherry: Welchen Song meinen Sie? Was meinen Sie? Keine Ahnung.
    Reimann: Genau. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Song "Save Tonight" zwei Seiten einer Medaille haben kann. Er hat sie dorthin gebracht, wo Sie heute sind. Andererseits wollen die Leute dieses Lied jeden Abend hören. Wie kommen Sie damit klar?
    Cherry: Ich bin froh, dass es ein guter Song ist. Ich mag das Lied. Ich bin stolz drauf. Und wenn so ein Lied dein größtes Problem ist, dann bitte. Das Schöne ist, dass der Song gut gealtert ist. Die Leute mögen ihn ja heute noch. Und: Das ist einer der ersten Songs, die Gitarrenschüler auf ihrem Instrument lernen - weil er mit vier Akkorden ziemlich leicht ist. Das einzig Frustrierende ist, dass ich auch andere gut und erfolgreiche Singles hatte. Aber die Leute erinnern sich immer nur an "Save Tonight".
    Reimann: Allein schon wenn man an die Tantiemen denkt, muss sich der Song ja bis heute lohnen. Der wird ja immer noch im Radio gespielt.
    Cherry: Ja. Selbst aus den USA kommen immer wieder nette Schecks angeflogen. Der Song fühlt sich daher wie ein guter Freund an, der sich gut um einen kümmert.
    Eagle Eye Cherry 2018
    "Der Song 'Save tonight' ist wie ein guter Freund, der sich um einen kümmert": Eagle-Eye Cherry (Viktor Flume)
    In Nashville wurde klar wie das Album klingen soll
    Reimann: Die Songs auf dem neuen Album sollten zunächst in LA entstehen. Aber das funktionierte nicht so richtig. Dann sind Sie nach Nashville gereist, und dort haben Sie mit verschiedenen Songwritern zusammengearbeitet. Wie lief das ab?
    Cherry: Ich wollte einfach nicht alleine in meinem Studio hocken. Ich wollte Leute treffen. Ich machte mich also auf nach New York, aber da lief es dann nicht richtig. Dasselbe in Los Angeles. Ich fand keine Inspiration. In Nashville kam ich dann sehr gut zurecht. Es sind gar nicht mal so viele Songs da entstanden. Aber der Austausch mit anderen Musikern, die Gigs, die Treffen, die Musikkultur da, das hat mir gezeigt, dass ich das auch wieder will, dass ich wieder zurück ins Business muss. Und in Nashville wurde mir dann auch klar, wie das Album klingen sollte.
    Reimann: Aber wie läuft das da ab? Es ist ja eine Stadt voller Songwriter, nicht nur Country, alle Genres. Trifft man sich zu Jamsession, oder bieten Ihnen die Leute fertige Songs an?
    Cherry: Mein Manager hat sogenannte Writing Sessions organisiert, mit Leuten, die zu mir passen würden. Und dann sitzt man ein paar Stunden zusammen und denkt sich einen Song aus.
    Reimann: Richtig mit Stoppuhr?
    Cherry: Ja, man trifft sich, sagen wir mal um zehn, und dann sitzt man da und schreibt einen Song. Viele Songs, die so entstanden sind, sind allerdings nicht auf meiner Platte gelandet. Aber ich habe ein paar Leute kennengelernt, mit denen ich mich später wieder getroffen habe. Sie sind jetzt auch zum Teil auf dem Album zu hören. Auch in LA arbeitet man viel mit Writing Sessions. Aber da ist dann oft von Anfang an ein Produzent involviert, der einen Sound kreiert, noch bevor der erste Song geschrieben ist. Mir gefällt es besser, erst mal Songs auf der Gitarre zu schreiben.
    Reimann: Fällt es Ihnen dann auch leichter, Ihren typischen Sound beizubehalten? Denn man läuft ja Gefahr, dass der abhanden kommt, wenn andere Leute mit dabei sind.
    Cherry: Ja, aber ich habe mich ja nicht neu erfunden. Wenn die Songs fertig sind, geht man ins Studio - und das habe ich ja mit meinen eigenen Leuten nach meinen Vorstellungen gemacht. Und natürlich macht meine Stimme viel aus, da kann ich gar nichts machen. Mir ist es wichtig, dass sich die Lyrics in der Musik spiegeln.
    Der Familienmensch
    Reimann: Einer der berührenden Songs auf dem neuen Album heißt "Mother Never Told Me". Da geht es um eine Person, die über ihren Vater nachdenkt, den sie nie kenngelernt hat. Geht es da um Don Cherry, Ihren Vater?
    Cherry: Im Song heißt es: Mutter hat mir nie erzählt, dass sie die Asche meines mir unbekannten Vaters verlegt hat. Und das mit der Asche ist meiner Mutter echt mal passiert mit einem Familienmitglied. Sie hat die Urne irgendwo abgestellt und konnte sich dann nicht mehr erinnern, wo. Aber der Rest des Songs ist nicht autobiografisch. Ich kannte meinen Vater sehr gut und stand ihm sehr nahe. Für mich fühlen sich Songs oft mehr nach einem Skript an, das ich schreibe. Wenn man erst mal einen guten Plot hat, schreibt sich ein Song fast wie von selbst. Es geht in dem Song darum, seinen Vater nicht zu kennen. Eine Mutter zu haben, die dich nicht ermutigt, raus in die Welt zu gehen. Das macht sie, weil sie schon ihren Ehemann verloren hat und deshalb umso mehr an ihrem Sohn hängt.
    Neneh Cherry 2018
    Seine Stiefschwester ist Neneh Cherry (Wolfgang Tillmans)
    Reimann: Sind Sie ein Familienmensch? Ihre Stiefschwester ist Neneh Cherry, ebenfalls Musikerin. Wie sieht das aus bei Familientreffen, machen die Cherrys da zusammen Musik, unter dem Weihnachtsbaum zum Beispiel?
    Cherry: Wir alle singen dann "Kumbaya" zusammen.
    Reimann: Oder "Save Tonight".
    Cherry: Wir haben zwar ein Klavier, aber ... eigentlich nicht. So sind wir nicht. Was wir aber machen: Wir besitzen immer noch das Haus, in dem ich viele Jahre meiner Kindheit verbracht habe. Das liegt mitten im Nirgendwo von Schweden, weit draußen auf dem Land. Unsere Eltern sind ja leider tot, aber wir Kinder haben noch das Haus. Und da treffen wir uns oft. Und es steht da immer noch die Plattensammlung meiner Eltern, die wir ständig erweitern - die ultimative Musiksammlung. Und was wir machen, ist: Wir kochen zusammen, hören zusammen Musik und feiern. Es läuft also immer Musik, aber nicht unbedingt von uns gemacht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.