Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Ego-Shooter stumpfen die Spieler nicht ab

Was treibt einen Amokläufer wie in Winnenden oder jüngst an einer Grundschule in den USA zu seiner Tat? Eine These lautet: Computerspiele und Ego-Shooter lassen die Täter abstumpfen. Ein Forscherteam aus Hannover hat diese Hypothese überprüft, aber keine Belege entdeckt, die sie stützen.

Von Marieke Degen | 13.02.2013
    Ein Mann, der vor einem Computer sitzt und arbeitet. Ein altes Paar, das sich anlächelt. Oder die blutverschmierte Leiche eines Unfallopfers. Es waren Bilder wie diese, die sich die 56 Probanden an der Medizinischen Hochschule Hannover anschauen mussten. 28 von ihnen waren ganz normale junge Männer. Die anderen 28 routinierte Spieler von Ego-Shootern.

    "Wobei diese Nutzer sehr intensive Nutzer gewesen sind, die im Durchschnitt ca. vier Stunden täglich diese Computerspiele genutzt haben, und zwar für die Dauer von mindestens zwei Jahren, im Durchschnitt 13 Jahre, im Vergleich zu diesbezüglich normalen Kontrollprobanden."

    Gregor Szycik leitet das Labor für kognitive Neuropsychiatrie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Was könnte dazu führen, dass die Computerspieler selbst aggressiv werden, wollte er wissen. Und was passiert dabei in ihrem Kopf? Es gibt dazu eine Reihe von Hypothesen. Eine davon lautet: Die Spieler werden desensibilisiert.

    "Das heißt, in einfachen Worten ausgedrückt, wenn jemand ganz häufig aggressive Inhalte in Medien anschaut, dass er dann gegenüber solchen aggressiven Inhalten abstumpft."

    Und genau diese Desensibilisierungshypothese haben Gregor Szycik und sein Team jetzt überprüft. Sie sind zu folgendem Ergebnis gekommen:

    "Im Rahmen unserer Studien konnten wir diese Hypothese nicht bestätigen."

    Die Studienteilnehmer haben sich viele verschiedene Bilder angeschaut, die mal mehr, mal weniger aufwühlend waren. Ihre Gehirne wurden dabei im Kernspintomografen durchleuchtet, sodass die Forscher beobachten konnten, wie die Probanden auf die Bilder reagieren. Es gibt Hirnareale, die besonders emotionale Inhalte verarbeiten. Normalerweise sind sie bei schlimmen Bildern wie dem Unfallopfer besonders aktiv. Wenn die Desensibilisierungshypothese gestimmt hätte, dann hätten die Extrem-Computerspieler auf die schlimmen Bilder anders reagieren müssen, als die Kontrollgruppe. Doch:

    "Also wir haben letztendlich für die Präsentation dieser Bilder unabhängig von der experimentellen Gruppe zeigen können, dass die Bilder durchaus Reaktionen im Gehirn hervorriefen, diese Reaktionen sich aber zwischen beiden Gruppen nicht unterschieden haben."

    Das heißt aber nicht, dass gewalthaltige Computerspiele völlig harmlos sind. Das exzessive Spielen von Ego-Shootern kann unter Umständen sehr wohl dazu beitragen, dass sich ein Mensch auch im realen Leben aggressiv verhält. Darauf weisen diverse Studien hin.

    "Die Möglichkeit der Induktion aggressiven Verhaltens bei gewalthaltigen Computerspielen kann über unterschiedliche Hypothesen erklärt werden. Und eine davon ist nur die Desensibilisierungshypothese, und für die fanden wir zurzeit keine Bestätigung. Aber durchaus, die Ergebnisse der Metaanalysen ließen sich womöglich über andere Hypothesen erklären, die müssten dann in der Zukunft untersucht werden."

    Es könnte zum Beispiel sein, dass die Spieler am Computer eine ganz bestimmte Reaktion immer wieder trainieren. Etwa sofort zu schießen, wenn ein Gegner auftaucht. Das könnte dazu führen, dass die Spieler in einer ähnlichen Situation im realen Leben genauso aggressiv reagieren. Das erlernte Verhalten wird einfach automatisch abgespult. Eine andere Erklärung: Bei gewalthaltigen Computerspielen sind Begegnungen grundsätzlich aggressiver Natur. Extremspieler könnten das auf die reale Welt übertragen und hinter jeder Begegnung einen Angriff vermuten. Gregor Szycik sagt aber auch:

    "Ich gehe davon aus, dass man nicht per se sagen kann, dass die Nutzung von gewalthaltigen Computerspielen direkt und unabdingbar zu gewalthaltigen Handlungen führt."

    Natürlich wird längst nicht jeder Ego-Shooter-Fan zum Gewalttäter. Da spielen noch ganz andere Faktoren eine Rolle - wie Familie, Freunde, die Schulbildung und das soziale Netz.