Freitag, 29. März 2024

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Ehe für alle
Abschied vom Eheabstandsgebot

Vom ersten Oktober an dürfen Frauen Frauen und Männer Männer heiraten. Diese Verbindung heißt nun Ehe und nicht mehr Lebenspartnerschaft. Innerhalb der Kirchen gibt es Widerstände. Warum sind im Namen ein und derselben Religion so unterschiedliche Positionen möglich? Was sagt der Blick in die Geschichte?

Christiane Florin im Gespräch mit Gerald Beyrodt | 29.09.2017
    Die Regenbogenflagge über dem Brandenburger Tor nach der Abstimmung über die Ehe für alle.
    Mit der Ehe für alle hat der Bundestag ein Gesetz für die Gleichberechtigung aller Bürger*Innen beschlossen (imago - ZUMA Press)
    Gerald Beyrodt: Frau Florin, die ganz große Aufregung in Deutschland ist ausgeblieben. Wie kommt das?
    Christiane Florin: Sie haben Recht. Wenn Sie es mit Frankreich vergleichen, wo Hunderttausende unter dem Namen "Manif pour Tous" gegen die "Ehe für Alle" auf die Straße gegangen sind, dann sind die paar wilden Tage vor der Parlamentsabstimmung in Deutschland sehr wenig. Es ging in Frankreich nicht allein um eine Demo für die traditionelle Ehe, es war auch ein allgemeiner Unmut über die Regierung und die Zumutungen der Moderne. Das ist in Deutschland nicht gelungen. Es gibt eine "Demo für alle", auch gegen die "Homo-Ehe" und die "Frühsexualisierung", aber es ist nicht gelungen, den gesamtgesellschaftlichen Unmut auf dieses Thema zu lenken. Laut Meinungs-umfragen ist eine Mehrheit der Deutschen dafür, dass Männer Männer und Frauen Frauen heiraten dürfen und dass das auch "Ehe" heißen soll und nicht Lebenspartnerschaft. Das gilt quer durch alle Parteien, mit Ausnahme der AfD, die in dieser Frage gespalten ist.
    Beyrodt: Also ein Stück deutscher Konsenskultur. Der Konsens hörte in den Kirchen auf. Da gab es kontroverse Debatten auch bei den Protestanten. Können Sie uns das ein bisschen aufblättern?
    Florin: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Heinrich Bedford-Strohm war regelrecht euphorisch. Hören wir mal, was er im Juli nach einem Freiluftgottesdienst in Fürth gesagt hat. Die Begeisterung ist groß, die Tonqualität bescheiden.
    "Die haben diesen Segen auch verdient"
    Heinrich Bedford-Strohm: "Ich sage Ihnen ehrlich, und wir können da diskutieren, ich sage: Ich kann nicht sagen, "Sie dürfen keinen Segen kriegen". Die haben diesen Segen aus meiner Sicht auch verdient. Und sollen das bekommen. Für mich sind die Aussagen Jesu über die Ehe, die wunderbaren Aussagen über die Ehe, Aussagen, die sagen: 'Wirf Deinen Partner, Deine Partnerin nicht weg, wenn er Dir nicht mehr gefällt, sondern steh zu ihm, sei treu! Auch dann, wenn es ihm schlecht geht, stehst Du zu ihm, so wie Gott zu Dir steht, jeden Tag!' Das ist die Ehe. Deswegen ist die Ehe ein Zukunftsmodell, ein wunderbares Angebot. Und meine Hoffnung ist, dass die Diskussion um gleichgeschlechtliche Liebe und den Segen dafür, dass die dazu führt, dass wir alle miteinander dieses wunderbare Angebot einer lebenslangen Treue von zwei Menschen neu entdecken."
    Florin: Heinrich Bedford-Strohm sieht die "Ehe für alle" als Werbung für die Institution Ehe an sich. Als Zukunftsmodell, hat er gesagt. Die Ehe wurde schon oft totgesagt, es gibt reichlich Buchtitel, reichlich Zeitungsartikel, in denen das Wort "Auslaufmodell" vorkommt. Die Ehe galt 1968 als spießig, freiheitsberaubend, manchen sogar als faschistisch. Jetzt ist sie wieder attraktiv und zwar im Namen der Emanzipation. Das freut den Ratsvorsitzenden und sein Publikum hörbar.
    Aber die evangelische Kirche ist kein monolithischer Block, es gibt auch bei evangelischen Christen Vorbehalte. Die hat die Pastorentochter Angela Merkel nach der Abstimmung im Bundestag ganz gut zusammengefasst.
    Angela Merkel: "Für mich ist die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau. Und deshalb habe ich heute auch diesem Gesetzentwurf nicht zugestimmt."
    Sünde und Sakrament
    Florin: Angela Merkel beruft sich aufs Grundgesetz, das ist erst einmal kein religiöser Bezug, aber natürlich schwingt da die christliche Vorstellung mit, dass die Ehe der Bund von Mann und Frau war, ist und bleiben sollte, weil nur aus der Beziehung von Mann und Frau leibliche Kinder hervorgehen können. Das sagt Angela Merkel so dezidiert nicht. Sie drückt ein Befremden aus, sie möchte das Eheabstandgebot wahren, rechtlich gleichgestellt sollen homosexuelle Beziehungen werden, aber sie sollen eben nicht Ehe heißen.
    Dann es mehr als ein Befremden, regelrecht bekämpft wird die Ehe für alle in Teilen des Evangelikalen Lagers. Da wird gern auf Stellen im Alten Testament verwiesen, besonders auf das Buch Levitikus, in dem Homosexualität zwischen Männern verdammt wird. Jesus kann man allerdings nicht zitieren, denn der hat gar nichts zur Homosexualität gesagt.
    Beyrodt: Wird denn im katholischen Lager die Ehe für alle genauso vehement bekämpft wie im evangelikalen Lager. Oder ist es abgeschwächt?
    Florin: Abgeschwächt ist es nicht. Die katholische Kirche ist deutlich dagegen, sie hat ja ohnehin ein problematisches Verhältnis zur Homosexualität. Praktizierte Homosexualität gilt als Sünde und die Ehe ist ein Sakrament - da ist ein Spannungsverhältnis. Die katholische Kirche beansprucht aber darüber hinaus auch eine Definitionshoheit über die weltliche Ehe, über die zivile Ehe. Einen Teil davon hat sie schon lange verloren, weil in der zivilen Ehe Scheidung und Wiederheirat möglich sind, aber bisher galt für den Staat, wie in der katholischen Lehre, dass es zwei Menschen verschiedenen Geschlechts sind. Das sagt der Erzbischof von Berlin, der in der Bischofskonferenz für Familie und Ehe zuständig ist, Heiner Koch:
    Heiner Koch: "Für uns gibt es diese Ehe nicht, kirchlich sakramental gibt es diese Ehe für alle nicht. Für uns ist die Ehe ganz klar Mann und Frau, die ein Leben lang zusammenbleiben und die offen sind für die Weitergabe des Lebens durch Kinder, die die direkten Eltern auch sind. Das ist bei denen nicht lebbar, insofern ist das als Ehe für uns im kirchlichen Bereich so nicht lebbar."
    Nur die Liebe zählt
    Florin: Die Ehe ist nach katholischem Verständnis nur dann eine Ehe, wenn Kinder daraus hervorgehen können. Er hat an einer anderen Stelle gesagt, das sei Etikettenschwindel. Er hat das mit Wein und Limo verglichen. Die Ehe, aus der Kinder hervorgehen können, ist Wein, jetzt werde die Flasche auskippt und Limo eingefüllt. Das ist auch sprachlich aufschlussreich.
    Das weicht stark von der gesellschaftlichen Auffassung von Ehe ab. Wenn Sie sozio-empirische Daten anschauen, dann bekommen Sie von Menschen, die heiraten, die Antwort, dass sie aus Liebe heiraten, nicht aus steuerlichen Gründen oder aus religiösen Gründen, sondern aus Liebe. Und diesen Schritt – "nur die Liebe zählt" –, da tut sich die katholische Kirche sehr schwer, den mitzugehen.
    Beyrodt: Nur die Liebe zählt, das sehen auch die christlichen Befürworter der Ehe für alle so. Trotzdem verwundert es: Christentum - ein und dieselbe Religion. Und dann sind da Standpunkte, die sich ausschließen wie Feuer und Wasser. Wie kann das sein, dass man in ein und derselben Religion dieses Thema so wahnsinnig unterschiedlich sieht?
    Florin: Das hat damit zu tun, dass in beiden Konfessionen die Frage der Homosexualität so ideologisch besetzt ist. Wie ja überhaupt Identitätsdebatten, also Debatten über das So-Seins, des Menschsein, ideologisch verhärtet geführt werden. Wer homosexuell ist, der möchte von seiner Kirche angenommen werden, so wie er oder so wie sie ist. Und wenn eine Kirche das nicht macht, dann macht sie sich unglaubwürdig. Wer sich aber in den Kirchen für Gleichberechtigung einsetzt, dem wird ganz schnell vorgeworfen, er verrate die Bibel, passe sich dem Zeitgeist an, mache ein Kniefall vor der Beliebigkeit. Dann kommen noch so Sachen wie: "Demnächst wird noch die Ehe mit Tieren erlaubt", solche Unmöglichkeiten. Gerade von der Kirche wird erwartet, dass sie als Bastion gegen den Zeitgeist steht. Sie können den Eindruck gewinnen, dass sich am Nein zur Homosexualität die gesamte Glaubenstreue entscheidet.
    Scheidungen gab es schon im Alten Babylon
    Beyrodt: Es fällt auch auf, dass die Gegner der Homo-Ehe ganz genau zu wissen glauben, was die Ehe ist, nämlich Mann, Frau, basta. Wenn wir in die Geschichte der Ehe blicken, hat sich die Ehe verändert oder ist sie dieselbe Institutuion gewesen?
    Florin: In der ganzen Debatte fällt auf, dass die meisten, die sich daran beteiligen, nur wenige Jahrzehnte überschauen. Man überschaut halt das eigene Leben und hat vielleicht noch die Ehe der Eltern vor Augen. Der Maßstab sind oft die 1950er Jahre, eine Zeit, als 90 Prozent der erwachsenen Deutschen verheiratet waren. Dieses Jahrzehnt ist aber historische betrachtet eine Ausnahme. Ich habe mich für ein Buch intensiver mit der Geschichte der Ehe beschäftigt. Die Erkenntnis ist vielleicht banal, aber dennoch erwähnenswert. Die Ehe ist sehr alt, sie ist älter als das Christentum. Erste Zeugnisse eines Eherechts haben wir aus dem Alten Babylon, übrigens auch ein Scheidungsrecht. Die Ehe regelte Besitzverhältnis, sie ist immer schon eine effiziente Sozialeinheit gewesen, sie war auch ein Herrschaftsverhältnis des Mannes über die Frau. Das war auch die christliche Ehe, obwohl sie nach den Worten Jesu hätte anders sein sollen.
    Beyrodt: Aber was man doch sagen muss: In dieser ganzen Geschichte, die Sie aufblättern, hat es noch nie eine Ehe zwischen zwei Frauen oder eine Ehe zwischen zwei Männern gegeben, auch im alten Griechenland nicht.
    Florin: Das stimmt. Aber man muss sich klarmachen, dass die Ehe ein Menschenrecht ist, jeder Mensch hat das Recht, sich seinen Partner auszusuchen, so heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Und zur Geschichte der Ehe gehört sehr wohl, auch zur Geschichte der Ehe in Deutschland, dass sich der Kreis der Ehe-Berechtigten kontinuierlich vergrößert hat. Es war jahrhundertelang armen Leuten nicht möglich, eine Ehe einzugehen. Knechte, Mägde durften erst gar überhaupt nicht heiraten, dann nur mit Zustimmung des Gutsherren. Es gab eine Fülle an Ehehindernissen, die erst spät abgebaut wurden. So betrachtet, fällt wieder ein Ehehindernis weg.
    Beyrodt: Wenn sich katholische Würdenträger in den Fünfziger Jahren so dezidiert gegen eine Sache eingesetzt hätten wie jetzt gegen die Ehe für alle, hätte das sicher mehr Effekt gehabt. Wenn man jetzt die Diskussion betrachtet, muss man da sagen: Das ist auch eine Geschichte vom schwindendenden Einfluss der katholischen Kirche?
    Florin: Ja, kann man so sagen. Die Hoheit über die Betten ist weg, die Hoheit über die Gewissen ist weg. Und auch die Hoheit über die CDU.