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EHEC: Das ist keine Nadel, das ist ein ganzer Nähkasten im Heuhaufen

Christian Floto äußert Zweifel daran, ob die Koordination der Maßnahmen gegen die EHEC-Infektion "Bund-Länder-mäßig eigentlich wirklich funktioniert". Wenn man die circa 1000 Erkrankten gezielt nach ihren Einkaufs- und Essgewohnheiten befragen würde, sollte man der Infektionsquelle auf die Spur kommen, so Floto.

Christian Floto im Gespräch mit Anne Raith | 01.06.2011
    Anne Raith: Seitdem eine Quelle für den EHEC-Erreger ausgemacht schien, wurden tonnenweise Salatgurken vernichtet, in den Supermärkten aus dem Sortiment und in Kantinen vom Speiseplan genommen. Wenn auch nicht Entwarnung, so war doch zumindest Erleichterung zu spüren, zumindest eine mögliche Quelle gefunden zu haben. Gestern nun gab das Institut für Hygiene und Umwelt in Hamburg bekannt, dass die mit EHEC belasteten Salatgurken vom Hamburger Großmarkt offenbar nicht für die schweren Darmerkrankungen verantwortlich sind. Die Suche geht also weiter, unabhängig davon wirft die aktuelle EHEC-Welle viele Fragen auf, die uns auch in den kommenden Jahren noch beschäftigen werden. – Im Studio ist nun Professor Christian Floto, Leiter unserer Wissenschaftsredaktion. Herr Floto, zunächst einmal: Warum ist es so schwer, diesem Erreger auf die Spur zu kommen?

    Christian Floto: Es gibt zu viele Quellen, in denen er sich verstecken kann, und er bringt ja auch genetisch große Problematik mit. Es ist eigentlich ursprünglich ja ein normaler Darmkeim gewesen, völlig harmlos, wir alle haben ihn, aber er ist irgendwann mal genetisch infiziert worden von sogenannten Bakteriophagen, die haben Erbgut eingeschleust und dieses produziert eben halt diese gefährlichen Toxine, und solche Neukombinationen können auch jederzeit wieder entstehen. Selbst wenn man heute da hingehen könnte und könnte dort, wo er vorkommt, in der Tierwelt, ihn beseitigen, ihn eradizieren, also ihn zum Verschwinden bringen, dann müssen wir immer damit rechnen, dass was Neues dort an der Stelle wieder entsteht.

    Raith: Wie beurteilen Sie denn das bisherige Krisenmanagement?

    Floto: Ich glaube, da muss man unterscheiden: einmal zwischen der epidemiologischen Suche, die jetzt wieder auf null dort kommt, und da wird schon ein bisschen auch unter den Fachleuten, den Mikrobiologen, Unruhe spürbar, ob da die Koordination Bund-Länder-mäßig eigentlich wirklich funktioniert. Das Robert-Koch-Institut hat eine Beratungsfunktion gegenüber den Ländern, die Länder müssen ganz bestimmte Entwicklungen und Zahlen auch melden. Aber ob da die vielen Institutionen wirklich optimal zusammenarbeiten, wir haben da noch unsere Zweifel. Alle erinnern wir uns an die Schweinegrippe und die Impfstoffsituation und all die Lektionen, die wir danach lernen wollten. Also ein paar Fragezeichen machen die Experten dort. Man kann ja jetzt mal die Zahlen betrachten: Es sind etwa 1000 Menschen, die ohne diese schwerwiegende Komplikation diese Infektion überstanden haben. Wenn ich die alle wirklich ganz gezielt und koordiniert befrage, dann ist das keine Nadel mehr im Heuhaufen, die ich suche, das ist ein ganzer Nähkasten, und da müsste ich doch irgendwann mal fündig werden. Gleichzeitig ist es eine große Stunde praktischer klinischer Medizin mit Heilversuchen. Man sieht, was Medizin heute leisten kann, wozu Medizin auch fähig und bereit ist. Und ich denke, da erleben wir eine Stunde, die auch mal Wegweisung bedeuten kann für einen möglichen Perspektivwechsel in der Forschungsförderung und überhaupt im Blick auf Forschung, die ja sehr stark die Grundlagenforschung in den Blickpunkt genommen hat, aber offenkundig die Therapie, die klinische Therapieforschung ein Stück weniger stark gefördert hat und weniger auch wertgeschätzt hat.

    Raith: Das heißt, mehr zurück zur Praxis. – Herr Floto, in einigen Kliniken werden die Dialyseplätze inzwischen knapp, ebenso die Betten. Hätten sich die Krankenhäuser überhaupt besser rüsten können oder müssen?

    Floto: Können glaube ich nicht, rüsten hätten sie sich bestimmt besser wollen. Nur wir haben einen Gedanken nicht mehr in unserem Krankenhaussystem, nämlich den Gedanken der Vorhaltung, dass für ganz bestimmte Fälle wirklich auch Kapazität vorgehalten wird, die eben nicht täglich belegt wird, die nicht über das Rechnungs- und Finanzierungssystem auch abgedeckt ist. Wir brauchen dort eine neue Betrachtungslogik und möglicherweise dort auch eine öffentliche Förderungslogik. Ich glaube, das ist evident im Moment.

    Raith: Lassen Sie uns zum Schluss noch auf den neuen Schnelltest blicken, der ja helfen soll, die EHEC-Erkrankung zu diagnostizieren. Was ist von diesem Test zu halten?

    Floto: Das ist eine großartige Leistung, wenn man mal bedenkt, in wie kurzer Zeit er entwickelt worden ist. Es sind drei Wochen verstrichen, bevor überhaupt dieser Forscher die ersten Proben bekam, um diesen Test auch zu entwickeln. Die Frage ist, wie schnell verbreitet er sich jetzt in die Praxis, ja eigentlich auch in die ambulante Praxis. Die große Frage ist ja jetzt auch, es gibt mittelschwer erkrankte Patienten, schwer kranke Patienten, es gibt auch welche, die einen anderen Durchfall haben, wo man abklären muss, wie das ist. Die große Frage ist, was macht eigentlich der ambulante Sektor, in den wir ja auch sehr viel Geld dort stecken? Wird er einen solchen Test verfügbar haben, oder muss dort dann zwei, drei Tage gewartet werden, bevor die Antwort da ist? Es ist also eine große Chance, dieser Test, man wird sehr viel mehr Proben, die gezogen werden, jetzt auch sehr schnell untersuchen können. Also ich hoffe, dass er für die epidemiologische Quellenforschung wirklich eine große Hilfe ist und auch zur Abklärung der Patienten.

    Raith: Einschätzungen von Professor Christian Floto, dem Leiter der Deutschlandfunk-Wissenschaftsredaktion. Vielen Dank dafür.