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EHEC: Grünen-Umweltministerin fordert geordnetes und gezieltes Vorgehen

Ein klares EHEC-Bekämpfungsprogramm vermisst Ulrike Höfken, Landwirtschafts- und Umweltministerin von Rheinland-Pfalz. Besonders die Erzeuger litten darunter, dass es nicht gelinge, Verdachtsquellen systematisch auszuschließen, kritisiert die Grünen-Politikerin.

Ulrike Höfken im Gespräch mit Friedbert Meurer | 08.06.2011
    Friedbert Meurer: In Europa ist man sauer auf die Deutschen. Es ist nicht die Rede vom Atomausstieg, nicht vom Euro, sondern von der EHEC-Epidemie. Gestern wurde im Kreis der EU-Landwirtschaftsminister in Brüssel offenbar Tacheles geredet. Einige sind regelrecht wütend darüber, dass in Deutschland ohne Beweise vor dem Verzehr von Gurken, Tomaten, Salat gewarnt wird und darunter dann die Bauern in Spanien, in Holland und in Belgien massiv zu leiden haben. Die EU-Kommission zückt jetzt das Portemonnaie, die Bauern sollen mit 150 Millionen Euro entschädigt werden. In Berlin gibt es heute ein Krisentreffen.

    Also die Verbraucher sind weiter in Sorge. Betroffen sind aber auch wirtschaftlich die Gemüsebauern in Europa, in Deutschland und auch in Rheinland-Pfalz. Hier zwei Frauen aus der Nähe von Ludwigshafen, die das alles nicht fassen können.

    O-Ton: "Da sind jetzt die Gurken reif, keiner will die Gurke, die Tomaten kommen in drei Wochen!" – "Dort drüben ein Bauer, also das einem das Herz geblutet. Ein Riesenfeld, ein erstklassiger Kopfsalat, so schön, musste alles umzackern, nix gange."

    Meurer: Das Herz blutet ihnen, wenn sie sehen, wie keiner mehr Gurken, Salat oder Tomaten will. – Ulrike Höfken hat das jetzt auch ohne meine Übersetzung verstanden. Sie ist nämlich seit drei Wochen Landwirtschafts- und Umweltministerin in Rheinland-Pfalz, von den Grünen. Guten Morgen, Frau Höfken.

    Ulrike Höfken: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Können Sie das alles noch fassen?

    Höfken: Na ja, ich will nichts verharmlosen und ich will auch nicht den vorsorgenden Verbraucherschutz infrage stellen. Aber das Herz blutet mir genauso, angesichts dieser Wegwerforgien, die da zurzeit passieren, und natürlich hätten wir es gerne alle anders und für die Bauern ist das eine ganz furchtbare Situation.

    Meurer: Sind die Wegwerforgien unvermeidlich?

    Höfken: Na ja, also ich will da in diese Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes nicht eingreifen. Was aber vielleicht nötig wäre, das wäre eine insgesamt bessere Koordination, ein, ich sage mal, klares EHEC-Bekämpfungsprogramm, was systematisch dann eben Verdachtsquellen auch ausschließt, um eine gewisse Orientierung zu geben für alle, die da irgendwie betroffen sind.

    Meurer: Was genau, Frau Höfken, kritisieren Sie, dass jeder irgendetwas gesagt hat und was anderes gesagt hat, oder dass zu leichtfertig vor dem Verzehr von bestimmten Lebensmitteln gewarnt worden ist?

    Höfken: Also ich will nicht sagen, dass es da ein Patentrezept gibt und dass ich das jetzt alles besser könnte, sondern das ist natürlich schwierig, wenn man so wie in dem Fall bei diesem Erreger EHEC im Nebel stochert. Aber trotzdem ist natürlich etwas unklar, es treffen sich heute die Verbraucher- und Gesundheitsminister. Es ist auch wichtig, dass das in die Hand genommen wird von der Bundesebene, von Herrn Bahr hat man noch nicht so viel gehört, es treffen sich nicht die Landwirtschaftsminister, und ganz viele Untersuchungsanforderungen die kommen eigentlich auch in diesen Bereich, ob das jetzt das Waschwasser für das Gemüse ist, oder Oberflächen-Beregnungswasser, Gülle ist angesprochen worden, Gärreste. Also auch da müsste es eine Koordination geben, um bestimmte Eintragungsquellen auszuschließen.

    Meurer: Noch mal kurz zu den Warnungen. Entschuldigung, Frau Höfken. In der EU-Kommission heißt es, ich zitiere mal, "Infektionsquellen sollen erst dann angegeben, oder sollen nicht angegeben werden, solange sie nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt sind". So war es aber in diesen Fällen. Das war ja sozusagen das Ergebnis von Befragungen, es waren Wahrscheinlichkeiten, Annahmen, keine Beweise. Soll erst dann gewarnt werden, wenn wissenschaftliche Beweise vorliegen?

    Höfken: Also erst einmal haben wir an diesen Befragungen erhebliche Kritik, weil sie unseres Erachtens nicht zielgerichtet genug waren und auch nicht konsequent genug. Das betrifft diese Frage, das ist das eine. Das Zweite ist: Nein, man kann nicht sagen, dass Verbraucher nicht gewarnt werden sollen, wenn ein Verdacht besteht. Das wäre in manchen Fällen dann auch fahrlässig. Aber man muss die Sachen zusammenbinden, und da hakt es eher dran, das heißt, was die Erzeuger erwarten können. Die sind ja im Moment, finde ich, arg außen vor gelassen und sehen mit Entsetzen diesem ganzen Geschehen zu. Man muss eigentlich möglichst massiv eingrenzen, um dann auch ein Stück weit sagen zu können, da und da haben wir aber auch nichts gefunden, da können wir wieder ein Stück weit Entwarnung geben, und das ist ein Stück weit zu vermissen.

    Meurer: Essen Sie im Moment Gurke?

    Höfken: Nein, ich auch nicht und ich finde, wenn das Robert-Koch-Institut diese Warnungen ausspricht, dann gilt das erst mal. Aber die Bauern erwarten eine klare Entschädigung und sie erwarten eben auch eine klare Unterstützung bei dem, was sie tun und was sie lassen sollen. Da hakt es eher.

    Meurer: Bevor wir über die Entschädigung reden, Frau Höfken, um die Krise kümmern sich – das hat mal jemand zusammengeschrieben – zwei Bundesministerien, 32 Landesministerien, drei Bundesinstitute, 32 Landesämter. Brauchen wir eine Superbehörde?

    Höfken: Sie haben noch die Kommunen vergessen!

    Meurer: Na gut, dann sind wir in den Hunderten oder in den Tausenden. – Brauchen wir die Superbehörde?

    Höfken: Also ich habe auch als Bundestagsabgeordnete schon oft die Tücken des föderalen Systems kritisiert, was nicht heißt, dass man Abstand nehmen muss von den föderalen Strukturen, nur dass auf Bundesebene eine übergeordnete Struktur aufgebaut werden muss, die enger ist und stringenter ist als das, was wir bisher haben. Ich finde, das steht außer Zweifel. Die Länderminister sind doch alle kooperationsbereit, genauso wie die beteiligten Behörden und Kommunen.

    Meurer: Wie könnte das auf Bundesebene aussehen?

    Höfken: Na ja, es gibt solche Einrichtungen, die nennen sich AVV RÜb und sind gewisse Koordinierungselemente. Aber es müsste einfach für solche Fälle eine Struktur geben, die dann zu schaffen wäre, die das geordnete und gezielte Vorgehen, auch das rasche Vorgehen deutlicher unterstützt.

    Meurer: AVV RÜb, was ist das?

    Höfken: Ach das sind so allgemeine Verwaltungsverordnungen, im Zusammenhang sind die geschaffen worden damals, ich glaube, ausgehend von BSE und anderen Entwicklungen. Das war damals auch der Versuch von Frau Künast, hier solche Strukturen zu schaffen. Ist nicht einfach in Deutschland, trotzdem muss man daran arbeiten und EHEC zeigt, wie nötig das ist.

    Meurer: Reden wir über die Entschädigungen der Bauern. 150 Millionen Euro will die EU-Kommission lockermachen, am Anfang hieß es ja, es soll gar nichts bezahlt werden, jetzt entspricht das wohl einem Drittel des Verlustes der Bauern. Reicht Ihnen das?

    Höfken: Na ich glaube, für die Betroffenen ist das allenfalls ein kleiner Anteil. Die andere Nachricht war ja auch, der Bund will nichts zahlen, was, wie ich glaube, nicht ganz funktionieren kann. Also ich glaube erst einmal, es ist gut, dass Frau Aigner es erreicht hat, miterreicht hat, dass es hier eine Summe gibt, dass Deutschland einen kleinen Teil davon abbekommt, die Länder müssen jetzt melden, das soll sich ja an den Marktpreisen orientieren, also dieser Verlustausgleich, davon etwa 30 Prozent. Da können sie alle sehen, dass da keiner von reich wird oder gar eine volle Entschädigung erhält.

    Meurer: Ist denn Rheinland-Pfalz bereit, was zu bezahlen?

    Höfken: Rheinland-Pfalz hat das gleiche Problem wie alle Bundesländer auch: Wir sind Betroffene im Bundesland. Der Finanzminister und die Landesregierung beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, die die Landesregierung hat, kann man zum Beispiel Liquiditätsprogramme machen, aber man muss ganz klar sagen: Im Fall der Landwirtschaft ist man sehr eingeengt durch die Vorschriften auf den EU-Ebenen. Man darf nicht einfach so Beihilfen auszahlen, sondern das muss die Bundesministerin regeln. Und auch die Finanzen, die kann ein Land nicht so ohne Weiteres zur Verfügung stellen.

    Meurer: Jetzt rätseln ja einige, wie denn die Auszahlung organisiert werden soll. Zum Beispiel ist es auch so, dass Gemüse oder Obst nicht mehr verkauft wird, das eigentlich mit der ganzen EHEC-Krise im Moment zumindest noch nichts zu tun hat. Es werden weniger Erdbeeren gekauft, es wird weniger Paprika gekauft. Sollen auch die Hersteller von Paprika entschädigt werden, weil sie Umsatzeinbußen haben?

    Höfken: Ja das ist natürlich in der Diskussion. Auf der anderen Seite sind die Mittel begrenzt. Also tatsächlich ist es auch bei uns so, dass die Verbraucher nicht mehr unterscheiden, ist es jetzt Obst oder Gemüse, und ich sage mal in Klammern (gesunde Ernährung übrigens ist immer noch das Beste, was man tun kann für sich selber, und auch Gemüse kann man kochen). Aber es ist natürlich sinnvoll, sich jetzt auf die Produkte zu konzentrieren, Tomaten, Gurken, Salat, die wirklich massivst betroffen sind in den Absatzeinbrüchen. Sonst hat man für keinen mehr überhaupt noch eine akzeptable Summe zur Entschädigung.

    Meurer: Ulrike Höfken, Landwirtschafts- und Umweltministerin von Rheinland-Pfalz von Bündnis 90/Die Grünen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören nach Mainz.

    Höfken: Ja, vielen Dank auch.