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Eher Europäer als Spanier

Salvador de Madariaga gehört wohl zu den wenigen spanischen Universalgelehrten der Neuzeit. Als Historiker und politischer Essayist prägte der Karlspreis-Träger das Spanienbild von Generationen und verlor dabei nie den europäischen Zusammenhang aus den Augen. Vor 125 Jahren wurde er in La Coruña geboren.

Von Julia Macher | 23.07.2011
    Er sei als Beobachter nach Spanien gekommen, nicht, um vorschnell zu urteilen, sagte Salvador de Madariaga, als er 1976 nach 40 Jahren Exil in sein Heimatland zurückkehrte. Auf die Kunst der distanzierten Betrachtung verstand sich der greise Gelehrte: Seine historischen Studien, politischen Essays und literarischen Schriften hatten im europäischen Ausland seit den 30er-Jahren das Spanien- und Lateinamerikabild von Generationen geprägt. Enric Ucelay da Cal, Zeithistoriker an der Universität Pompeu Fabra:

    "Das Interessante an Madariaga ist der Blick: Er blickt zugleich von außen und von innen auf das Geschehen: In Spanien geboren wird er in Frankreich zum Ingenieur ausgebildet, geht dann nach Großbritannien und heiratet. Er ist also dreisprachig. Er kennt Spanien gut, betrachtet das Land aber aus der Distanz: mehr als Europäer denn als Spanier."

    Nicht nur darin war Salvador de Madariaga, geboren am 23. Juli 1883 in La Coruña als Sohn eines Obersts, eine Ausnahmeerscheinung. In einem Land wie Spanien, das in den 1930er-Jahren wie kaum ein anderes europäisches in ein rechtes und linkes Lager gespalten war, bekannte er sich zum Liberalismus - und blieb diesem politischen Credo bis zu seinem Lebensende treu.

    "Der Liberalismus ist die einzige Form zivilisierter Politik. Alles andere führt zu Ohrfeigen und (...) die enden in Schüssen und im Bürgerkrieg, einem Krieg, der das Volk ermordet. Heute ersetzt man das Wort Freiheit durch Demokratie, aber ohne Freiheit verfällt der menschliche Geist. Demokratie ist ein Bündel an Methoden, das auch wichtig ist, aber eben nicht so essenziell wie die Freiheit."

    Politisch brachte ihm das Bekenntnis zu einem "dritten Weg" kein Glück: Weil er das allgemeine Wahlrecht für eine Fehlentwicklung hielt, verscherzte er es sich mit der Linken. Die Rechte misstraute ihm, weil er die Legalität der zweiten spanischen Republik verteidigte. Auch als Vertreter Spaniens beim Völkerbund provozierte der Freigeist seine Landleute: Er war einer der wenigen Politiker, der internationale Interessen über einzelstaatliche stellte. Mit Beginn des Bürgerkrieges 1936 emigrierte Madariaga nach Oxford, um dort spanische Literatur und Geschichte zu lehren.

    Dem Politiker in ihm sollte erst Anfang der 60er-Jahre Anerkennung zuteilwerden: Beim von ihm mitinitiierten Europäischen Kongress in München diskutierten erstmals Vertreter Exil-Spaniens und der inneren Opposition über die Zukunft nach Francos Tod, erwogen eine konstitutionelle Monarchie als Staatsform: Das schien auch Madariaga die sinnvollste Option.

    "Versammelt man alle Europäer um einen Tisch und stellt sie vor ein Problem, teilen sie sich in zwei Gruppen. Die einen fragen: 'Was sollen wir tun?', die anderen: 'Wer soll es tun?' Diejenigen, die nach dem 'Was' fragen, sind meiner Auffassung nach die wahren Republikaner, die anderen Monarchisten. Die Spanier fragen nach dem 'Wer'. Es kümmert sie nicht, was die Regierung macht, sondern wer an der Regierung ist ..."

    Für solch pointierte Blicke auf die Besonderheiten seines Landes und sein unumstößliches Bekenntnis zu Europa erhielt Salvador de Madariaga 1973 den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen. Vizekanzler Walter Scheel lobte in seiner Hommage:

    "Sie, sehr verehrter Preisträger, haben vor allem das Ihre dazu getan, dass das literarische Spanien mitten unter uns war. (...) Sie haben das mit einer Gedankenfülle getan, die nie eine spanische oder angelsächsische Sonderrolle herausarbeitete, sondern das Familiengespräch in Europa vertiefte."

    In Spanien selbst blieb der Weltbürger Madariaga ein Fremder. Die neue Linke stieß sich an seinem vehementen Antimarxismus; das breite Publikum wusste mit den Schriften des Intellektuellen wenig anzufangen. Am 14. Dezember 1978 starb der viel begabte Historiker und Essayist hochbetagt in der Schweiz.