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Ehrliches Bemühen um Versöhnung

Dieses Buch schildert das Lebensgefühl und Selbstbewusstsein der jüdischen Familie um den Landschafts- und Porträtmaler Eugen Spiro sehr anschaulich, anekdotenreich und farbenfroh - gelegentlich beinahe gemütlich. Doch der Autor, der Sohn des Malers, "schweigt" in vieler Hinsicht.

Von Sabine Peters | 23.07.2010
    Der Landschafts- und Porträtmaler Eugen Spiro, der von 1874 bis 1972 lebte, war während der Weimarer Republik einer der Präsidenten der berühmten Berliner Secession. Politiker, Industrielle und Künstler-Kollegen schätzten seine vom französischen Impressionismus beeinflusste Arbeit, und er porträtierte er im Lauf seines Lebens so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Max Planck, Leni Riefenstahl, Ernst Toller, Albert Einstein, Erich Kleiber, Thomas Mann und Gerhart Hauptmann. Dabei hatte ihn seine Mutter vor der künstlerischen Laufbahn gewarnt: "Du wirst Hunger haben wie ein Öchslein, aber nur zu essen wie ein Vögelein". Doch der Erfolg stellte sich bald ein, und Eugen Spiro führte lange Zeit ein großbürgerliches Leben zwischen Paris und Berlin.

    Peter Spiro, gelernter Ingenieur, Jahrgang 1918, der Sohn des berühmten Malers, hat jetzt ein Buch unter dem Titel "Nur uns gibt es nicht wieder" veröffentlicht. Es umfasst die Erinnerungen des Sohnes an eine weitverzweigte jüdische Familie, an die "goldenen zwanziger Jahre" und schließlich an die Zeit im Exil, zwischen Frankreich, England und den USA.
    Es ist die Welt des jüdisch-deutschen Großbürgertums, von der Peter Spiro erzählt. Er selbst wurde als Kind von Dienstboten betreut; die häufige Abwesenheit seiner extravaganten Mutter fiel ihm nicht auf. Bitter war nur, dass die Mutter dem medizinischen Irrglauben anhing, zu viel Flüssigkeit trinken schade dem Herzen – das Kind trank also heimlich Wasser aus der Waschtischkanne des Dienstmädchens.

    Peter Spiro scheint allerdings eine glückliche Kindheit erlebt zu haben; mit Genuss schildert er Details aus dem Alltag, die Schlaglichter auf die Zeit werfen. Neben großen Aufträgen und neben dem Malunterricht nahm sein Vater Eugen auch kleinere Arbeitsaufträge an: Während der 20er-Jahre ließen diverse Firmen ihre Werbeplakate häufig von Künstlern entwerfen, und Eugen Spiro gestaltete unter anderem eine Staubsauger-Reklame.

    Neben dem Staubsauger sitzt ein Säugling, der von der Harmlosigkeit dieser modernen technischen Errungenschaft überzeugen soll ... Peter Spiro berichtet von den Bällen der Secession, von den Liedern, die damals gesungen wurden: "Schatz, gib dein letztes Hemdchen her, ich hab kein Geld für Leinwand mehr."

    Den Aufstieg der Nationalsozialisten wollte man in den assimilierten Kreisen um Eugen Spiro nicht allzu ernst nehmen. Der junge Peter Spiro hatte bereits ein stolzes patriotisches Bewusstsein entwickelt, er malte als Schüler Bilder, die die deutsche Niederlage von 1918 rückgängig machen sollten. Jüdische Kultur, jüdische Religion? Zionismus? Seine Eltern wollten, dass er als Freidenker oder als Lutheraner aufwachsen sollte. Man schmückte den Weihnachtsbaum, sammelte Ostereier, und die Mutter hatte besonders für die frommen "Ostjuden" nur snobistische Verachtung übrig. Kurz: Es waren die Nazis, die aus den Kreisen um die Spiros Juden machten.

    Eugen Spiro musste nach 1933 von zahlreichen Ämtern zurücktreten; die Aufträge kamen spärlicher, es gab ein Ausstellungsverbot für jüdische Maler. Als die immer noch begüterte Familie 1935 nach Frankreich umzog – Peter Spiro schreibt, dass dieser Vorgang in ihrem Fall tatsächlich noch ein Umzug und weniger eine Flucht war – als die Familie also umzog, warf ihr ein jüdischer Nachbar "Verrat" am deutschen Volk vor. Die Spiros wurden auseinandergerissen, lebten zwischen Frankreich, England und den USA, aber dann fanden sie später immer wieder zusammen.

    Peter Spiro erzählt, dass er das Trauma der Entwurzelung bewältigen wollte, und dass diese Bewältigung mit der Euphorie verbunden war, "sein" Deutschland wieder zu finden, zuerst 1948, dann bei weiteren Besuchen. Er reiste nach Breslau, in die Stadt, aus der sein Vater und seine Großeltern kamen. Dort, und auch in London kamen Ausstellungen von Eugen Spiros Werk zustande.

    Der Sohn erzählte seiner Mutter von diesen Reisen; die alte Frau hörte auch seine Berichte vom zügigen Wiederaufbau in Berlin und stellte fest: "Das gibt es wieder und das gibt es wieder, alles gibt es wieder, nur uns gibt es nicht wieder." Tatsächlich ist der Maler Eugen Spiro in Deutschland heute kaum mehr bekannt. Der Sohn sagt, in Berlin sei keine Straße nach dem berühmten Maler-Vater benannt, keine Gedenktafel erinnere an ihn, die letzte Retrospektive liege mehr als 40 Jahre zurück.

    "Nur uns gibt es nicht wieder", dieses Buch schildert das Lebensgefühl und Selbstbewusstsein der Familie Spiro sehr anschaulich, anekdotenreich und farbenfroh – gelegentlich beinahe gemütlich.

    Dabei gibt es Beobachtungen, die sich beim Lesen wie eine Art Widerhaken in einem festsetzen: Ein Förderer und enger Freund der Familie paukte zu Beginn der Nazizeit mit den Kindern das nationalsozialistische Horst-Wessel-Lied in dem Glauben, dann könne ihnen nichts zustoßen. "Grotesk", nennt Peter Spiro das aus dem Rückblick; und doch wirken seine Erinnerungen und Reflexionen teilweise so, als kreise dieser Autor um eine Leerstelle, die nicht genannt werden darf. Der Maler und Schriftsteller Peter Weiss, nur zwei Jahre jünger als Peter Spiro, hat diese Leerstelle genannt.

    Möglicherweise sind sich Spiro und Weiss sogar einmal begegnet, denn Weiss begann Anfang der 30er unter Anleitung von Eugen Spiro zu malen. Auch Peter Weiss kam aus einer gutbürgerlichen assimilierten Familie, auch er erhielt erst spät Kenntnis von seinen jüdischen Wurzeln, auch er ging ins Exil. In seinem Text "meine Ortschaft" von 1964 hieß es:
    "Der Ort, für den er bestimmt war und dem er entkam, das sei Auschwitz."

    Ohne dass man es bewerten könnte oder sollte, fällt auf: Peter Spiros Text, so beredt und bildreich er ist, "schweigt" in vieler Hinsicht. Bei einem Besuch in Deutschland 1953 besteht Spiro darauf, ein heimkehrender Deutscher zu sein, und auch am Ende seines Berichts ist der Autor um Versöhnung bemüht: Seine Wunde werde nie heilen, schmerze aber mit zunehmendem Alter nicht mehr so sehr. Und man begreift, dass es für diesen über 90-jährigen Zeitzeugen Namen und Ortschaften gibt, die für ihn ein Tabu sind, unaussprechlich.

    Peter Spiro: Nur uns gibt es nicht wieder. Erinnerungen.
    Edition Memoria, 160 Seiten,
    32 Farbtafeln, 29,80 Euro