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Eifel
Barrierefrei wandern mit Kinderwagen und Rollstuhl

Der "Wilde Weg" im Nationalpark Eifel ist seit zwei Jahren begehbar. Er misst etwa 1,5 Kilometer. Und das Besondere: Er kann auch mit dem Rollstuhl oder dem Kinderwagen barrierefrei erwandert werden.

Von Christiane Enkeler | 06.11.2016
    Naturpark Eifel
    Verwunschener Urwald in der Eifel (Imago / Westend61)
    Sebastian: "Also, wir sind angekommen! Juppieyeah!"
    Es ist ein heißer Sommertag. Mit zwei Autos fahren wir zu acht in die Eifel, in die Natur, zwei befreundete Familien und ich. Wir wollen testen, wie gut wir mit Rollstuhl und Kinderwagen wandern können, auf dem sogenannten barrierefreien Naturerkundungspfad "Wilder Weg”. Und wie wild der dann wohl noch ist?
    Martha, vier, und ihr Bruder Nepomuk, zwei Jahre alt, passen nebeneinander in den Kinderwagen. In den Rollstühlen sitzen Sebastian, neun, und sein Vater Sven. Sven und Sebastian sind wegen ihrer Glasknochen "außergewöhnlich gehbehindert".
    Auf dem Parkplatz erwartet uns schon ein Ranger des Nationalparks: ausgebildete Forstwirte mit Berufserfahrung und noch einer Zusatzausbildung. Sie pflegen die Landschaft und die Wege und führen Besucher herum. Unser Ranger heißt Roland Wollgarten. Also: Roland. Er führt uns über den Erlebnispfad.
    - "Wenn Sie nix dagegen haben, tun wir uns duzen, ne?"
    - "Ja, sehr gerne."
    Roland wird an diesem Tag viel Geduld beweisen mit uns. Aber das wissen wir direkt nach dem Start noch nicht.
    Sebastian: "Wir sind nämlich gerade am Anfang von diesem "Wilden Weg" und der erste Eindruck ist, es ist ziemlich schön!"
    Sebastians Mutter schiebt ihn.
    "Was ist denn das Besondere daran, Sebastian?"
    "Ja. Normalerweise sind Wege auf dem Boden. Und der hier ist in zwei, eineinhalb, zwei Metern Höhe. So ungefähr. Deswegen kann man das von oben betrachten."
    Wir fahren barrierefrei auf einem hohen Steg aus Holzbohlen über einen wilden Waldboden, links und rechts ein Geländer aus dickem Stamm und Seilführung, schwebend über Brombeersträucher, Buchen, Holunder, Birken.
    In 250 Jahren soll hier ein Urwald sein
    In rund 250 Jahren soll der Wald zu einem Urwald geworden sein. Auch die ersten Erlebnisstationen liegen noch auf diesem Steg. Wir erfahren von Roland, warum der Specht keine Kopfschmerzen bekommt, obwohl er so schnell und viel mit seinem Schnabel auf Holz hämmert. Wäre Roland nicht bei uns, könnten wir Knöpfe drücken, um mehr zu erfahren.
    Hörstation: "Baumhöhlen sind wahre Schatzkammern des Waldes, die von einer Vielzahl unterschiedlicher Tierarten genutzt werden."
    Roland: "Wir werden uns das jetzt nicht alles anhören, sonst brauche ich ja gar nichts mehr zu erzählen, ja?"
    Wenn man das jetzt auf leichte Sprache hört, merkt man, dass er viele Sachen zum Teil weglässt. Und er macht bedeutend mehr Pausen.
    Hörstation: "Baumhöhlen sind sehr wichtig im Wald."
    "Es gibt 8.000 Tier- und Pflanzenarten im Park. 2.000 davon stehen auf der Roten Liste und sind bedroht, mal mehr, mal weniger", sagt Roland.
    Inzwischen rollen und gehen wir weiter über den Steg zu einer Käferstation. Wir legen unsere Hände auf warm-metallische Käfermodelle, um ein Vielfaches vergrößert. Und tasten Rillen von Fraßgängen im Holz ab.
    - Julia: "Guck mal, die sehen ja sehr symmetrisch aus."
    - Sven: "Das sieht aus wie Borkenkäfer."
    - Henrike: "Das ist das Muster, was der Käfer in den Baum reinfrisst sozusagen, in das Holz reinfrisst, so wie hier. Den Gang, den er hinterlässt, wenn er sich durchs Holz frisst."
    So richtig zum Wandern kommen wir eigentlich nicht. Alle paar Schritte bleiben wir stehen, drücken auf Knöpfe und Platten oder tasten etwas ab. Die vielen Schilder sind so angebracht, dass Sven sie auch vom Rollstuhl aus gut lesen kann. Und neben den Knöpfen finden sich Hinweise in Blindenschrift. Bei der Pilzstation machen wir unsere erste erschöpfte Esspause, da sind wir gerade 300 Meter weit – und immer noch auf dem Steg.
    Roland: "Was du jetzt hier siehst, das ist der Fruchtkörper."
    Martha: "Mama, welcher Pilz ist das?"
    Julia: "Das ist der Kuhmaul!"
    - "Das ist ja ein lustiger Name."
    Die Ranger, erzählt Roland, schnitzen die Modelle selbst. Es ist noch keines geklaut worden. Mit Vandalismus hat der Nationalpark keine Probleme. Bis wir kommen. Und uns auch für echte Käfer interessieren. Waldmistkäfer.
    - Sven: "Was ist das für einer?"
    - "Bist du jetzt über den drübergerollt?"
    - Sven: "Nein, natürlich nicht!"
    - Ranger: "Dann wär der platter."
    - Sven: "Bin da dran vorbei!"
    - Ranger: "So, pass mal auf. Wir gucken jetzt mal. Das ist also ein Waldmistkäfer."
    Ranger Roland nimmt den kompakten Käfer zwischen beide hohlen Hände und hält ihn uns so ans Ohr. Er ärgert ihn ein bisschen und schüttelt vorsichtig.
    "Aber jetzt kommt das Besondere. Der ist so stark, das kannst du dir nicht vorstellen! Ja? Mama macht jetzt mal so'n Schäufelchen, Mama macht das zweite Händchen auch als Schäufelchen. Und dann macht die das so zu. So zumachen. Richtig fest, richtig fest zumachen, richtig fest zumachen, ja? Und dann muss die Mama dir erklären, was der Kleine macht."
    - Julia: "Der versucht, da rauszukommen, aber."
    - Roland: " Sobald der jetzt ein bisschen Licht sieht, denkt der, ah, da ist die Sonne. Und fängt an zu graben. Und fängt an zu graben! Mama macht aber große Löcher, muss ich sagen."
    - Martha: "Mama, ich möchte auch mal machen"
    - Roland: "Möchtest du das auch mal machen?"
    - Julia: "Der versucht sich da auszugraben. Oh, jetzt ist er richtig dabei! Versucht wirklich, sich da irgendwie rauszudrücken."
    - Roland: "Eine Kraft drin."
    - Martha: "Mama."
    - Julia: "Ja, du musst die zumachen, Martha."
    - Roland: "Soll ich mal festhalten?"
    - Nepomuk: "Noch weiter! Weiter! Weiter! Da ist noch ein Tier über."
    Diesmal sehen wir auf einer offenen Lichtung neben dem Weg auch Wolf, Bär und Wisent. Wisente gibt es wirklich wieder in der Eifel.
    - Martha: "Mama, ich habe einen Hirsch gemalt. In der Kita."
    - Roland: "Das ist zum Beispiel auch wieder so eine Sache. Zum Thema Malen: Die sind alle mal ein bisschen angemalt."
    - Martha: "Und ein Eichhörnchen!"
    - Roland: "Uns ist das egal."
    - Martha: "Und einen Igel"
    - Roland: "Stahl verschleißt nicht."
    Wir sind nicht die ersten Menschen mit Kindern, die den Metalltieren begegnen. Jemand hat ihnen Augen und Fell gemalt. Hier liegen Steine, mit denen man malen kann. Die man aufschichten und klopfen kann. Es gibt viele Verhaltensregeln für einen Nationalpark. Aber das hier sieht der Ranger gelassen.
    Wanderung mit Rollstuhl klappt gut
    Endlich Schatten. Wir stehen in einem Buchenwald. Wind kommt auf. Es ist bedeutend kühler als direkt daneben in der Sonne. Eine wirklich große Buche kann pro Tag 400 Liter Wasser verdampfen. Dadurch entsteht über dem Wald eine Luftzirkulation, die wie eine Klimaanlage wirkt. Rechts neben dem Weg geht ein ganz kleiner Rundweg ab. In der Mitte des Kreises steht ein Baum. Wenn diese Buche 300 Jahre alt ist, soll ihre Krone den Umfang des Kreises umfassen. Dieser Wald wächst noch.
    Sven: "Ich probiere Gefälle aus. Und Steigung danach. Weil, immer, wenn's runter geht, geht's auch wieder hoch. Aber glücklicherweise informiert ja die Tafel da oben, dass das Gefälle von sechs bis acht Prozent ist. Da weiß man schon vorher, was auf einen zukommt."
    Wie ist denn das Rollstuhlrollerlebnis auf dem barrierefreien Wanderweg?
    - Sven: "Rollerlebnis ist total gut."
    - Sebastian: "Ich bin ja noch nicht viel selber gefahren."
    - Sven: "Ich aber."
    - Henrike: "Das lässt sich ändern."
    - Sebastian: "Aber auch mit Schieben: eigentlich sehr gut."
    - Sven: "Ja. Der Boden ist auch echt gut. Also, kein Geröll drauf und so, sehr angenehm, zu rollen."
    Aber nicht alles klappt so perfekt. Zwei metallische Hörtrichter im Wald sollen die Geräusche fürs Ohr bündeln. Nepomuk versteht die Vorrichtung anders.
    - Martha: "Das ist zu groß für mich"
    - Henrike: "Da kommt ihr bestimmt dran."
    - Julia: "Man denkt ja oft: Barrierefrei, da muss man irgendwie Abstriche machen oder Kompromisse eingehen, aber dieser Brückenweg, der ist ja für alle total schön, nicht nur für Rollifahrer. Wenn es jetzt irgendwie so Trichter für Rollifahrer gibt, dann kommen auch Kinder dran."
    Für Sebastian, für einen Kinderrollstuhlfahrer, ist auch der niedrige Trichter trotzdem noch ein bisschen zu hoch. Sebastian bewegt sich gerne durch den Wald. Das scheint aber mit einem Rollstuhl eine eher anstrengende Angelegenheit zu sein, wenn die Wege nicht barrierefrei sind wie hier.
    - Sebastian: "Die sind zum Teil schrottig, also die sind auch ab und zu, wenn so ein heißes Wetter ist, noch schlammig, was ich mir gar nicht erklären kann, als ob das irgendwie extra wäre, aber es geht schon meistens. Es liegt am Schlamm, und woran noch, wenn's trocken ist?"
    - Sebastian: "Schlamm und einfach Hügel. Und dass halt noch viel mehr Gestein rumliegt als hier jetzt. Die sind geschottert, oft."
    - "Ja."
    - "Meinst du das? Und das geht nicht gut."
    - "Das geht so gar nicht gut. Weil, da kannst du nicht schnell fahren, schnell fahren mag ich. Und wenn ich nicht schnell fahren kann, bin ich genervt. Und dann ... ich mochte Schotter aber noch nie. Weil es ist einfach ein schlechter Untergrund zum Rollstuhlfahren, find ich."
    Und dann treten wir mir Ranger Roland wieder aus dem Wald heraus.
    - Roland: "So, meine lieben Kinder und meine Damen, meine Herren, wir kommen allmählich zum Ende unseres "Wilden Weges". Ihr könnt jetzt entscheiden, ob ihr noch zum Hirschley gehen möchtet, diese Richtung, ungefähr vier Kilometer eine Rundreihe, das ist ein Aussichtspunkt. Oder in diese Richtung. Ungefähr 250 Meter zum Parkplatz. Da wir aber schon fast vier Stunden unterwegs sind: Ich schätze mal stark, dass wir gemeinsam zum Parkplatz gehen. Und dann werde ich mich da von euch verabschieden. Und dann gucken wir weiter, ja?"
    Er hat Recht: Wir fahren nach Hause. Völlig erschöpft, aber doch recht zufrieden und entspannt nach heißen, ereignisreichen eineinhalb Kilometern durch die Natur.