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"Eigentlich bräuchte man kein Gesetz"

Medizin.- Präimplantationsdiagnostik: für die einen ist sie Garant für gesunden Nachwuchs, für die anderen der Gipfel des Unmoralischen. Die Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen erläutert im Interview mit Ralf Krauter die genaue Funktionsweise des Verfahrens.

18.10.2010
    Ralf Krauter: Zunächst aber zu einem ganz anderen Thema, das hierzulande die Gemüter erhitzt: Stichwort Präimplantationsdiagnostik, kurz PID. PID, das ist ein genetischer Gesundheitscheck von im Reagenzglas gezeugten Embryonen, bevor diese in eine Gebärmutter eingepflanzt werden. Die FDP findet das okay, Bundeskanzlerin Angela Merkel allerdings nicht. Am Wochenende erklärte sie, die PID sollte in Deutschland verboten werden. Jahrelang war sie das auch, doch im Juli wurden die Karten neu gemischt. Denn da sprach der Bundesgerichtshof einen Arzt frei, der die umstrittene Methode angewandt hatte. Frage an die Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen: Was genau hatte der Mediziner aus Berlin denn gemacht?

    Marieke Degen: Der Arzt hat drei Paare behandelt, bei denen ein sehr schwerer genetischer Defekt vorlag - ein Defekt, den sie ihrem Kind hätten vererben können und durch den das Kind im Mutterleib schwerst geschädigt worden wäre oder vielleicht sogar gestorben wäre. Und in einem Fall war zum Beispiel eine Frau betroffen, die schon dreimal eine Fehlgeburt hatte und der Arzt hat sich deshalb für eine Präimplantationsdiagnostik entschieden. Das heißt, er hat aus den Eizellen und Spermien künstlich Embryonen hergestellt. Dann hat er diesen Embryonen Zellen entnommen und das Erbgut in den Zellen auf den Gendefekt hin untersucht. Und dann hat er die gesunden Embryonen in die Gebärmutter eingepflanzt und die kranken in der Petrischale absterben lassen.

    Krauter: Eigentlich ist das laut Embryonenschutzgesetz verboten. Mit welcher Begründung sprach der Bundesgerichtshof denn diesen Mann dann trotzdem frei?

    Degen: Also die PID ist nicht direkt durch das Embryonenschutzgesetz verboten und das war sie auch nie. Das ist gar nicht im Embryonenschutzgesetz explizit aufgeführt. Als das Gesetz vor knapp 20 Jahren in Kraft getreten ist, war die Methode noch gar nicht so weit etabliert. Aber im Embryonenschutzgesetz steht, dass Embryonen nicht getötet werden dürfen. Und früher war das so: Wenn man eine PID machen wollte, dann musste man einem sehr, sehr frühem Embryo die Zellen dafür entnehmen. Und die Zellen in einem sehr frühen Embryo sind totipotent. Das heißt, jede Zelle könnte sich theoretisch zu einem Embryo entwickeln. Und wenn man diese Zellen entnimmt, dann tötet man quasi einen Embryo. Und deshalb war die PID verboten. Inzwischen kann man die Zellen für die Untersuchung viel, viel später entnehmen. Dann sind die Zellen nicht mehr totipotent. Und genau das hat der Berliner Frauenarzt auch gemacht. Und damit hat er dann auch nicht mehr gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen. Aber das Gericht hat auch ganz deutlich gesagt: Die PID darf wirklich nur bei schwersten genetischen Erkrankungen zum Einsatz kommen, also Krankheiten, die nicht therapierbar sind. Und die Ärzte dürfen nicht zum Beispiel einfach das Geschlecht des Embryos gezielt auswählen.

    Krauter: Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs hat im Juli für allerhand Wirbel gesorgt. Was hat sich denn für die Reproduktionsmediziner in Deutschland seit dem konkret verändert?

    Degen: Die Ärzte haben die Gewissheit, dass sie sich nicht strafbar machen, wenn Sie die PID anbieten, also unter diesen strengen Voraussetzungen.

    Krauter: Heißt das, dass jetzt PID offiziell in verschiedenen Artzpraxen angeboten wird?

    Degen: Es gibt schon einige Praxen und Kliniken, die das machen - in Berlin zum Beispiel oder auch in Lübeck. Aber es ist auch klar, dass diese Methode nicht in jeder Praxis angeboten wird. Erstmal ist die Diagnostik sehr kompliziert. Also man braucht das entsprechende Know-how, man braucht die entsprechende Labortechnik - das ist wiederum sehr teuer. Man schätzt, dass es so deutschlandweit um die zehn Einrichtungen geben könnte, die die PID machen. Und das reicht auch absolut aus, denn es ist keine Diagnostik, die jetzt jeden Tag durchgeführt wird. In Berlin sind es ungefähr zwei bis drei Paare pro Monat, die in der Praxis vorsprechen. Und Deutschlandweit, schätzt man, könnten etwa 200 bis 300 Fälle pro Jahr auftauchen.

    Krauter: 200 bis 300 Patienten, das klingt ja erstmal überschaubar. Nun ist es ja aber so: Die Bundeskanzlerin und andere argumentieren, das sei nur der Anfang, befürchten einen Dammbruch. Besteht denn tatsächlich die Gefahr, dass diese Methode immer öfter, also in immer mehr Fällen zum Einsatz kommt, wie Kritiker befürchten?

    Degen: Also die Zahlen, die es zur PID weltweit gibt, deuten da eigentlich überhaupt nicht drauf hin. Die PID wird in den USA oder auch in anderen Ländern Europas schon ungefähr seit 20 Jahren angewandt und die Europäische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin sammelt alle Zahlen und Daten dazu. Und da kann man zum Beispiel sehen: Im Jahr 2006 wurden auf der ganzen Welt 600.000 künstliche Befruchtungen durchgeführt. Aber in weniger als 2000 Fällen, also in einem Bruchteil der Fälle, haben die Ärzte eine Präimplantationsdiagnostik gemacht. Und das war auch in Ländern der Fall, die nicht so strenge Bestimmungen zur Präimplantationsdiagnostik haben wie in Deutschland im Moment.

    Krauter: Schauen wir doch mal auf die aktuelle politische Debatte: Die FDP ist ja für die PID und will deren Anwendung jetzt mit einem Extragesetzt Regeln. Brauchen wir das denn überhaupt noch, wo die Methode doch jetzt sowieso schon angewendet werden darf in sehr begrenztem Rahmen?

    Degen: Eigentlich bräuchte man kein Gesetz. Eigentlich könnte jetzt alles so weiterlaufen wie es bisher gelaufen ist. Aber ein Gesetz könnte natürlich die Abläufe noch genauer regeln. Also zum Beispiel, ob eine Ethikkommission in jedem Einzelfall darüber entscheiden muss, ob die PID angewendet werden darf oder nicht. Das ist natürlich eine Grenze, die ist sehr, sehr schwer zu ziehen. Weil wer kann schon bestimmen, was wirklich zu einer schweren genetischen Erkrankung zählt und was nicht? Also wenn der Defekt darin resultiert, dass das Kind schon im Mutterleib verstirbt, dann ist die Sache klar. Aber es gibt auch Krankheiten wie Mukoviszidose - die sind auch sehr, sehr schwer, aber die Betroffenen können heute über 40 Jahre alt werden. Und da ist dann natürlich schon die Frage: Muss man in solchen Fällen eine PID machen? Und da sagen aber auch, das ist eine Entscheidung, die man auch den Eltern überlassen sollte.

    Krauter: Was wäre denn, wenn die PID in Deutschland jetzt letztlich doch verboten wird nach dieser Debatte, die wir gerade führen?

    Degen: Also die Ärzte, mit denen ich gesprochen habe, sagen ganz klar: Ein Verbot ist lebensfremd. Weil eigentlich der Schutz des Embryos, der sich noch nicht einmal in die Gebärmutter eingenistet hat, steht über dem Schutz der Frau und auch über dem Schutz eine Fötus, den man ja abtreiben darf. Und man muss sich da einmal ein paar Zahlen vor Augen halten: Wenn es in Deutschland 300 PID-Fälle pro Jahr geben würde, wie Experten schätzen, dann würden maximal 1000 Embryonen verworfen, also in der Petrischale absterben. Pro Jahr werden in Deutschland aber 120.000 Kinder abgetrieben - kranke wie gesunde. Und das an sich ist ein Widerspruch, der natürlich bei einem Verbot bestehen bleiben würde.